Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 06.09.2005, Az.: 5 A 287/05

Angehöriger; Beerdigung; Begräbnis; Bestattung; Bestattungskosten; Bestattungspflicht; Billigkeit; Ersatzvornahme; Kosten; Landesgewohnheitsrecht

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
06.09.2005
Aktenzeichen
5 A 287/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 51043
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

- Rechtsgrundlage ist in Niedersachsen Landesgewohnheitsrecht

- Auswahlermessen (hier gleichmäßige Heranziehung von 2 Söhnen)

- Zur Verhältnismäßigkeit der Höhe der Beerdigungskosten

- Zum Entfallen der Bestattungspflicht aus Billigkeitsgründen

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann eine vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.101,78 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

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Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zur Tragung von Bestattungskosten für seinen Vater.

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Der am D. geborene E. verstarb am 22. Dezember 2004 in Wolfsburg. Als Angehörige des Verstorbenen ermittelte die Beklagte zwei Söhne, den am F. 87 geborenen Kläger und den am G. geborenen H.. Da diese Angehörigen des Verstorbenen die Bestattung nicht innerhalb von 96 Stunden in Auftrag gegeben hatten, veranlasste die Beklagte die Bestattung. Hierfür wurden ihr durch das Bestattungsunternehmen I. 1.388,42 Euro in Rechnung gestellt. Hinzu kamen Friedhofsgebühren in Höhe von 755,13 Euro, somit zusammen 2.143,55 Euro. Nach vorheriger Anhörung zog die Beklagte durch Bescheid vom 21. Februar 2005 den Kläger sowie H. je zur Hälfte zur Erstattung der verauslagten Kosten in Höhe von 2.143,55 Euro zuzüglich Kosten für Gebühren und Auslagen in Höhe von 60,00 Euro, d.h. je Person in Höhe von 1.101,78 Euro heran. Zur Begründung verwies sie auf ihre Verpflichtung nach der Nds. Verordnung über die Bestattung von Leichen, wonach sie dafür zu sorgen habe, dass jede Leiche innerhalb einer bestimmten kurzen Zeitspanne Stunden seit dem Eintritt des Todes bestattet oder zur Bestattung auf den Weg gebracht werde, sofern die bestattungspflichtigen Angehörigen ihrer Bestattungspflicht nicht rechtzeitig nachkämen und sie berechtigt sei, die dadurch entstandenen Kosten von dem auch bestattungspflichtigen Kläger zurückzufordern.

3

Hiergegen hat der Kläger am 21. März 2005 den Verwaltungsrechtsweg beschritten. Zur Begründung führt er aus, dass er arbeitslos sei und nur über Einkünfte nach dem SGB II verfüge und deshalb keine Möglichkeit habe, die Kosten zu erstatten.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 21. Februar 2005 über die Rückforderung von Bestattungskosten in Höhe von 1.101,78 Euro aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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In Ergänzung zu den Ausführungen im angefochtenen Bescheid trägt sie vor, dass der Kläger unabhängig von einer zivilrechtlichen Verpflichtung zur Übernahme der Kosten, die u.a. durch Ausschlagung der Erbschaft veränderlich sei, als Bestattungspflichtiger herangezogen werden könne. Daneben wies sie darauf hin, dass bei mangelnder Leistungsfähigkeit die Möglichkeit bestehe, gemäß § 74 SGB XII vom zuständigen Sozialhilfeträger Ersatz zu erlangen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

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Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 21. Februar 2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Die Rechtsgrundlage für die Heranziehung zu Bestattungskosten ergibt sich aus dem Nds. Landesgewohnheitsrecht. In der Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die „nahen“ Angehörigen eines Verstorbenen in Niedersachsen grundsätzlich landesgewohnheitsrechtlich dazu verpflichtet sind, für dessen Bestattung zu sorgen (vgl. zuletzt Beschl. vom 13. Juli 2005 - 8 PA 37/05 -, einsehbar auf der Homepage des Oberverwaltungsgerichts, sowie bereits Beschl. vom 27.09.2004 - 8 ME 227/04 -, NJW 2005, 1097 = Nds. VBl 2005, 54; Beschl. vom 19.05.2003 - 8 ME 76/03 - NST-N 2003, 205; vom 16.05.2003 - 8 LA 100/02 -, vom 09.-12.2002 - 8 LA 158/02 -, Nds. VBl 2003, 109 und vom 09.07.2002 - 8 PA 94/02 -). Diese gewohnheitsrechtliche Verpflichtung besteht fort, weil in Niedersachsen auf Grund des Gesetzentwurfes für ein Gesetz über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen vom 2. Juni 2004 (Drs. 15/1150) noch kein entsprechendes Gesetz erlassen worden ist. Letzterer Gesetzesentwurf ist kein Indiz für eine bisherige rechtswidrige Praxis, sondern soll die bisher geltenden gewohnheitsrechtlichen Verhältnisse durch ein Gesetz ersetzen. Zu dem Personenkreis der „nahen“ Angehörigen gehören nicht nur die Kinder und der Ehegatte, sondern auch die Eltern und Geschwister des Verstorbenen (Nds. OVG, Beschl. vom 16.04.2003 - 8 ME 76/03 - unter Bezugnahme auf den Beschl. vom 09.12.2002, aaO.; OVG Münster; Urt. vom 15.10.2001 - 19 A 571/00 -). Dabei ist unerheblich, ob diese nahe Angehörigen zu den Erben des Verstorbenen gehören, die nach § 1968 BGB die Kosten der standesgemäßen Beerdigung des Erblassers zu tragen haben, denn die zivilrechtlichen Vorschriften für die Kostentragungspflicht enthalten keine rechtliche Vorgabe für den Kreis der nach öffentlichem Recht Bestattungspflichtigen (BVerwG, Beschl. vom 19.08.1994 - 1 B 149/94 -, NVwZ-RR 1995 S. 283 [OLG Karlsruhe 26.04.2005 - 14 Wx 11/04]; Nds. OVG, Beschl. vom 09.12.2002, aaO.; VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 05.12.1996 - 1 S 1366/96 -, NJW 1996 S. 3113). Diese zivilrechtlichen Bestimmungen hindern die Ordnungsbehörde nicht daran, von dem Bestattungspflichtigen, der seiner Bestattungspflicht nicht nachgekommen ist, den Ersatz der Aufwendungen zu verlangen, die ihr durch die Ersatzvornahme entstanden sind, und zwar unbeschadet eines etwaigen Erstattungsanspruches des Erstattungspflichtigen gegen den zivilrechtlich zur Kostentragung Verpflichteten (BVerwG, Beschl. vom 19.08.1994, aaO.; Nds. OVG, Beschl. vom 09.12.2002, aaO.). Kommen die nahen Angehörigen ihrer Bestattungspflicht nicht nach, so hat ersatzweise die zuständige Ordnungsbehörde die Bestattung zu veranlassen. Sie kann nachfolgend durch Leistungsbescheid gestützt auf § 66 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG von den Bestattungspflichtigen die Kosten der im Wege der Ersatzvornahme durchgeführten Bestattung geltend machen (vgl. zuletzt Nds. OVG, Beschl. vom 13.07.2005 - 8 PA 37/05 -).

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Von diesen Grundsätzen ausgehend hat die Beklagte zu Recht den Kläger zur Erstattung der Bestattungskosten herangezogen. Dabei ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte im Rahmen des ihr ausgeräumten Auswahlermessens den Kläger und den anderen Sohn des Verstorbenen zu gleichen Teilen zur Erstattung der Bestattungskosten herangezogen hat.

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Die durchgeführte Ersatzvornahme ist auch nicht wegen der Höhe der dadurch verursachten Kosten rechtswidrig.. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kosten von zusammen 2.143,55 Euro (1.388,42 Euro für die Tätigkeit des Bestattungsunternehmens I. sowie 755,13 Euro Friedhofsgebühren) für die Durchführung der Bestattung unverhältnismäßig hoch gewesen sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Beklagten ein Auswahlermessen bezüglich der Art der Bestattung zusteht und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit es nicht gebietet, bei der zu treffenden Auswahlentscheidung allein auf die kostengünstigste Bestattungsform abzustellen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.09.2001 - 1 S 974/01 - NVwZ 2002, S. 995). So führt auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht aus, dass die Ordnungsbehörde, die die Bestattung auf Kosten des Bestattungspflichtigen selbst veranlasst, grundsätzlich eine angemessene Bestattung in einfacher, aber würdiger und ortsüblicher Form zu gewährleisten hat. Dazu gehören etwa die Aufwendungen für den Sarg, das Waschen, Einkleiden und Einsargen, den Leichenwagen, die Sargträger sowie die Leichenhalle und den Ankauf eines Grabplatzes (Nds. OVG, Beschluss vom 13.07.2005 - 8 PA 37/05 - einsehbar auf der Homepage des Nds. OVG). Das Nds. Oberverwaltungsgericht führt in dieser Entscheidung sogar ausdrücklich aus, dass die Ordnungsbehörde nicht verpflichtet ist, den Verstorbenen aus Kostengründen anonym zu beerdigen, was im vorliegenden Fall sogar geschehen ist. Angesichts der Höhe der Bestattungskosten von 2.229,44 Euro in dem vom Nds. Oberverwaltungsgericht beurteilten Fall, die dort für nicht unverhältnismäßig erachtet wurden, bedarf es im vorliegenden Fall angesichts von Gesamtkosten in Höhe von 2.143,55 Euro keine näheren Ermittlungen dazu, wo die Grenze für die Verhältnismäßigkeit von Beerdigungskosten liegt.

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Der Bestattungspflicht kann der Kläger auch nicht Billigkeitserwägungen entgegenhalten. Als Rechtsgrundlage für Billigkeitserwägungen kommt nach dem maßgeblichen niedersächsischen Landesrecht § 11 Abs. 2 Satz 2 Nds. Verwaltungskostengesetz nicht in Betracht (vgl. zur Rechtslage in anderen Bundesländern: OVG Münster, Beschl. vom 15.10.2001 - 19 A 571/00 -, NVwZ 2002, 996 ff., OVGE 48, 228 ff., m.w.N., sowie vom 02.02.1996 - 19 A 3802/95 -, NVwZ-RR 1997, 99 ff.; OVG Saarlouis, Urt. vom 25.08.2003 - 2 R 18/03 -, AR RB-SL 30, 439 ff.). Danach kann die Behörde von Erhebung von Kosten absehen, wenn dies im Einzelfall mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kostenschuldners oder sonst aus Billigkeitsgründen geboten ist. Diese Vorschrift ist auf die hier streitigen Ersatzvornahmekosten jedoch schon dem Grunde nach nicht anwendbar. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG als Rechtsgrundlage für die geltend gemachte Kostenforderung enthält keinen Verweis auf das Nds. Verwaltungskostengesetz, sondern spricht davon, dass die Verwaltungsbehörde die Handlung auf Kosten der betroffenen Personen selbst ausführen oder eine andere Person mit der Ausführung beauftragen kann. Lediglich für die hier nicht streitigen, zusätzlich zur Ausführung der Handlung erforderlichen Amtshandlungen enthält § 66 Abs. 2 Satz 2 Nds. SOG einen Verweis auf die Erhebung von Gebühren und Auslagen nach den Vorschriften des Nds. Verwaltungskostengesetzes. Gegen die ergänzende Heranziehung von § 11 Abs. 2 Satz 2 Nds. VwKostG bei der Geltendmachung von Kosten für die Bestattung, die die Ordnungsbehörde im Wege der Ersatzvornahme für die bestattungspflichtigen nahen Angehörigen des Verstorbenen vorgenommen hat, spricht auch, dass ansonsten eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung der Bestattungspflichtigen entstünde. Diejenigen, die freiwillig oder auf Grund eines sofortvollziehbaren Bescheides ihrer Bestattungspflicht nachkommen, haben jedenfalls im Verhältnis zum Träger der Ordnungsbehörde die Bestattungskosten zu tragen. Diejenigen, die untätig geblieben sind, hätten hingegen bei Anwendung des § 11 Abs. 2 Satz 2 Nds. VwKostG Anspruch auf eine zusätzliche Billigkeitsprüfung. Die daraus folgende Besserstellung der nahen Angehörigen, die ihrer Bestattungspflicht nicht nachgekommen sind, leuchtet nicht ein. § 11 Abs. 2 Satz 2 Nds. VwKostG ist daher bei der hier streitigen Geltendmachung der Ersatzvornahme der Kosten unanwendbar (vgl. Nds. OVG, Beschl. vom 13.07.2005 - 8 PA 37/05 -, aaO.).

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Etwaige Einschränkungen in der Pflicht naher Angehöriger, die Bestattung zu veranlassen und die dafür erforderlichen Kosten zu tragen, müssen vielmehr allen Bestattungspflichtigen in gleichem Umfang zugute kommen, d.h., die Bestattungspflicht selbst begrenzen. Diese öffentlich-rechtliche Pflicht besteht jedoch vorrangig aus Gründen der Gefahrenabwehr und kann daher allenfalls in besonderen Ausnahmefällen entfallen, insbesondere bei schweren Straftaten des Verstorbenen zu Lasten des an sich Bestattungspflichtigen. Unterhaltspflichtverletzungen gehören nicht hierzu. Weder dem (noch) maßgeblichen Landesgewohnheitsrecht noch dem gegenwärtigen im Nds. Landtag beratenen Entwurf eines Gesetzes über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen (LT-Ds. 15/1150) lässt sich eine solche Einschränkung entnehmen (vgl. Nds. OVG, Beschl. vom 13.07.2005 - 8 PA 37/05 -, aaO. m.w.N.).

17

Für die Annahme eines solchen Ausnahmetatbestandes, der die Bestattungspflicht entfallen lässt, hat es das Nds. OVG daher als nicht ausreichend angesehen, wenn der Verstorbene seiner bestattungspflichtigen Mutter vor mehr als 30 Jahren Geld entwendet hat (vgl. Beschl. vom 19.05.2003 - 8 ME 76/03). Ebenso wenig hat das Nds. Oberverwaltungsgericht dafür die seit Jahrzehnten fehlende familiäre Bindung zwischen dem Bestattungspflichtigen und dem Verstorbenen als zureichend erachtet (vgl. Beschl. vom 16.05.2003 - 8 LA 100/02). Auch in dem zuletzt vom Nds. Oberverwaltungsgericht entschiedenen Fall, in dem eine Klägerin erst nach 45 Jahren ihren später verstorbenen Vater ausfindig gemacht hatte, der ihre Mutter verlassen hatte, als die Klägerin noch im Säuglingsalter gewesen war und in der Folgezeit weder Unterhalt gezahlt hatte noch eine persönliche Beziehung zu der Klägerin unterhalten hatte, hat das Gericht keinen besonderen Ausnahmefall angenommen (vgl. Beschl. vom 13.07.2005 - 8 PA 37/05).

18

Im vorliegenden Fall liegen vergleichbare Verhältnisse nicht vor.

19

Schließlich besteht auch unter Berücksichtigung der Kostenübernahmeregelung des §74 SBG XII (vormals § 15 BSHG) keine Notwendigkeit, eine Ausnahme von der Bestattungspflicht vorzusehen, wenn der herangezogene Bestattungspflichtige zur Übernahme der notwendigen Bestattungskosten finanziell nicht in der Lage ist. Soweit diese Kosten nicht anderweitig, etwa durch zivilrechtliche Ausgleichsansprüche, gedeckt werden können, verbleibt dem Bestattungspflichtigen nach den genannten Bestimmungen nämlich die Möglichkeit, die erforderlichen Bestattungskosten vom zuständigen Sozialhilfeträger zu verlangen, soweit ihm als Verpflichteten die Kostentragung nicht zugemutet werden kann (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 13.07.2005 - 8 PA 37/05).

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Deshalb ist die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

21

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

22

Die Entscheidung zur Höhe des Streitwertes ergibt sich aus § 52 Abs. 1 GKG.