Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 02.05.2012, Az.: 10 WF 93/12

Vorschusszahlungen der Kindeseltern als Voraussetzung für die Einholung eines Sachverständigengutachtens i.R. amtswegiger Ermittlung in Kindschaftssachen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
02.05.2012
Aktenzeichen
10 WF 93/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 15559
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2012:0502.10WF93.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 09.12.2011 - AZ: 604 F 5328/11

Fundstellen

  • FPR 2012, 7
  • FamFR 2012, 276
  • FamRB 2012, 213
  • FamRZ 2013, 241
  • FuR 2012, 492
  • JurBüro 2012, 433-434
  • RVGreport 2013, 285-286
  • ZKJ 2012, 403-405

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die im Rahmen amtswegiger Ermittlung in Kindschaftssachen gebotene Einholung eines Sachverständigengutachtens darf nicht von der Zahlung entsprechender Vorschußzahlungen durch die Kindeseltern abhängig gemacht werden.

  2. 2.

    Eine die Beschwerde nach § 58 Abs. 1 Satz 1 FamGKG ausschließende gesetzliche Grundlage außerhalb des FamGKG hat das Abhängigmachen der gerichtlichen Tätigkeit von einer Vorschußzahlung allein dann, wenn eine solche Grundlage in dem Beschluß ausdrücklich angegeben oder ihm zumindest ohne jeden Zweifel positiv zu entnehmen ist.

In der Familiensache
betreffend die elterliche Sorge für das beteiligte Kind
P. L. M. S., geb. am ....2002,
Verfahrensbeistand: Rechtsanwältin D. M.
weitere Beteiligte:
1. B. C.,
Kindesmutter und Antragstellerin,
Verfahrensbevollmächtigte:
Anwaltsbüro F.-B., H., M.-T.,
2. J. S.,
Kindesvater, Antragsgegner und Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigte:
Anwaltsbüro H. & H.,
3. Landeshauptstadt Hannover, Fachbereich Jugend und Familie,
hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht W. sowie die Richter am Oberlandesgericht H. und G. am 2. Mai 2012
beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 9. Dezember 2011 in der Fassung des Beschlusses vom 13. Januar 2012 dahin geändert, daß Ziffer IV des Beschlusses ersatzlos entfällt.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§§ 58 Abs. 1 Satz 2, 57 Abs. 8 FamGKG).

Gründe

1

I.

Die weiteren Beteiligten zu 1. und 2. sind die nicht miteinander verheirateten Eltern der betroffenen P. L. M. S.. P. lebt im Haushalt der Kindesmutter; die elterliche Sorge wird bislang durch die Kindeseltern gemeinsam ausgeübt. Über die Umgangskontakte zwischen P. und dem Kindesvater ist es in der Vergangenheit zu erheblichen Auseinandersetzungen gekommen. Der Kindesvater hatte vor diesem Hintergrund bereits Antrag auf vorläufige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes im Wege einstweiliger Anordnung gestellt, der zwischenzeitlich allerdings nicht weiterverfolgt wird.

2

Im vorliegenden, am 10. November 2011 von der Kindesmutter eingeleiteten Verfahren erstrebt diese ihrerseits unter Berufung auf erhebliche und schwere Spannungen zwischen den Kindeseltern die Übertragung der elterlichen Sorge, hilfsweise des Aufenthaltsbestimmungsrechtes für P. allein auf sich. Der Kindesvater tritt dem entgegen. Keiner der Beteiligten hat für das Verfahren um Verfahrenskostenhilfe (VKH) nachgesucht.

3

Das Amtsgericht hat für P. einen Verfahrensbeistand bestellt, das örtliche Jugendamt beteiligt und einen ersten Anhörungstermin durchgeführt; mit Beschluß vom 28. November 2011 hat es einen parallel gestellten Antrag der Kindesmutter auf vorläufige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes im Wege einstweiliger Anordnung zurückgewiesen.

4

Unter dem 9. Dezember 2011 hat das Amtsgericht sodann einen weiteren Beschluß erlassen. Danach soll eine Beweiserhebung zu mehreren differenzierten Fragen bezüglich der Möglichkeit einer weiteren gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge bzw. der individuellen Eignung der beiden Elternteile zu deren alleiniger Ausübung erfolgen (Ziffer I) und zwar durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens (Ziffer II) der Diplom-Pädagogin Dr. D. F.-N. (Ziffer III). Schließlich wird in Ziffer IV die Beauftragung der Sachverständigen davon abhängig gemacht, daß die Kindesmutter binnen drei Wochen einen Kostenvorschuß in Höhe von 2.500 € einzahlt.

5

Auf Antrag der Kindesmutter hat das Amtsgericht mit Beschluß vom 13. Januar 2012 Ziffer IV des Beschlusses vom 9. Dezember 2011 dahin geändert, daß der zur Voraussetzung der Beauftragung der Sachverständigen gemachte Kostenvorschuß nunmehr binnen zweier Wochen - hälftig durch beide Elternteile einzuzahlen ist. Eine Kostenrechnung ist insoweit bislang noch nicht erfolgt.

6

Die Kindesmutter hat am 1. Februar 2012 ihrerseits 1.250 € Vorschuß eingezahlt. Der Kindesvater wendet sich demgegenüber mit seiner am 6. Februar 2012 eingelegten Beschwerde gegen die "anteilige Auferlegung des Auslagenvorschusses ... für die Beauftragung der Sachverständigen". Er erklärt zugleich, Zahlungen nicht leisten zu werden - er könne "mit der Konsequenz zu Ziffer IV des Beweisbeschlusses, daß dann die Sachverständige nicht beauftragt wird, gut leben". Die Kindesmutter tritt der Beschwerde entgegen und verweist auf den Amtsermittlungsgrundsatz.

7

Das Amtsgericht hat mit Beschluß vom 5. März 2012 der Beschwerde, die es für unzulässig hält, nicht abgeholfen und die Sache dem Senat vorgelegt.

8

Der gemäß §§ 58 Abs. 1 Satz 2, 57 Abs. 5 Satz 1 FamGKG originär berufene Einzelrichter hat das Verfahren gemäß § 57 Abs. 5 Satz 2 FamGKG zur Entscheidung auf den Senat übertragen.

9

II.

1.

Die Beschwerde des Kindesvaters ist - entgegen der Annahme des Amtsgerichts - zulässig.

10

Gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 FamGKG ist die Beschwerde stets statthaft "gegen einen Beschluß, durch den die Tätigkeit des Familiengerichts nur aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird".

11

a.

Das Amtsgericht hat in Ziffer IV seines Beschlusses vom 9. Dezember 2011 in der Fassung des Beschlusses vom 13. Januar 2012 die Beauftragung der Sachverständigen und damit eine Tätigkeit des Familiengerichts ausdrücklich von der vorherigen Einzahlung eines Kostenvorschusses durch die Kindeseltern abhängig gemacht.

12

b.

Es hat dabei allerdings eine rechtliche Grundlage für dieses Abhängigmachen nicht angegeben. Die Einschränkung der Beschwerdeeröffnung in § 58 Abs. 1 Satz 1 FamGKG auf Verknüpfungen ausschließlich aufgrund des FamGKG kann eine Beschwerde aber nur insoweit ausschließen, als das Abhängigmachen ausdrücklich auf gesetzlichen Bestimmungen außerhalb des FamGKG beruht. Dies ist nur dann der Fall, wenn eine Grundlage außerhalb des FamGKG in dem Beschluß ausdrücklich angegeben oder ihm zumindest ohne jeden Zweifel positiv zu entnehmen ist. Das bloße Offenlassen der rechtlichen Grundlage durch das Amtsgericht (wie auch ein gänzliches Fehlen einer solchen) kann demgegenüber die Entscheidung nicht etwa der grundsätzlich vorgesehenen Kontrolle durch das Beschwerdegericht entziehen.

13

Eine Grundlage außerhalb des FamGKG liegt konkret in denjenigen Fällen vor, in denen das Abhängigmachen auf§§ 379, 402 ZPO gestützt ist, was in Familienstreitsachen aufgrund der Verweisungen in §§ 112, 113 Abs. 1 FamFG eröffnet bzw. in anderen Familiensachen möglicherweise über § 30 Abs. 1 FamFG (ausdrücklich ablehnend allerdings Schulte-Bunert/Weinreich-Keske, FamGKG §§ 12-17 Rz. 17; Schneider, Vorschußpflicht in Kindschaftssachen, FamRB 2012, 164, 167) denkbar ist. Im Streitfall, bei dem es sich um eine Kindschaftssache und damit um keine Familienstreitsache handelt, ist in keiner Weise ersichtlich, daß das Amtsgericht eine förmliche Beweisaufnahme nach den Regeln der ZPO gemäß § 30 Abs. 1 FamFG gewählt hätte, so daß es auf die Zulässigkeit eines derartigen Vorgehens im Rahmen der Verpflichtung zur Amtsermittlung nicht weiter ankommt. Insofern ist die Beschwerde nicht durch eine außerhalb des FamGKG liegende Grundlage der Anordnung ausgeschlossen.

14

Im übrigen hat die Beschwerde keine weiteren besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen, ist insbesondere nicht fristgebunden oder von einen Beschwerdewert abhängig (vgl. Volpert, a.a.O. 328).

15

2.

Die Beschwerde ist auch in der Sache begründet und führt zu der aus dem Tenor ersichtlichen teilweisen Aufhebung des amtsgerichtlichen Beschlusses.

16

Gemäß § 12 FamGKG darf die Tätigkeit des Familiengerichts von der Sicherstellung oder Zahlung der Kosten nur nach den ausdrücklichen Regelungen im FamFG, in der ZPO und im FamGKG abhängig gemacht werden. Das FamFG selbst enthält keine Regelungen, die Grundlage für ein Abhängigmachen der gerichtlichen Tätigkeit von Zahlungen sein könnten (vgl. auch Volpert, Die Gerichtskostenvorauszahlungspflicht im familiengerichtlichen Verfahren, FPR 2010, 327); in Ermangelung eines Vorgehens des Amtsgerichtes gemäß § 30 Abs. 1 FamFG können auch die Regelungen der ZPO hier keine Rechtfertigung bilden.

17

Das FamGKG sieht lediglich in zwei Normen Ausnahmen vom Verbot der Kostensicherung vor. Dabei enthält § 14 FamGKG in Abs. 1 (für Ehe- und selbständige Familienstreitsachen) und Abs. 3 (für Verfahren im übrigen) allein Regelungen bezüglich der Zahlung der Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen (vgl. insofern KG, Beschluß vom 25. August 2011 - 16 WF 112/11 und 16 WF 113/11 - FamRZ 2012, 239), ist also für die hier in Rede stehende Zahlung eines Auslagenvorschusses nicht einschlägig. Eine Verpflichtung zu Vorschußzahlungen für Auslagen sowie die Grundlage für ein etwaiges Abhängigmachen gerichtlicher Tätigkeit davon kann sich somit allein aus § 16 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 FamGKG ergeben.

18

Nach § 16 Abs. 1 FamGKG ist der Antragsteller einer mit Auslagen verbundenen Handlung zur Zahlung eines hinreichenden Vorschusses dafür verpflichtet und soll das Gericht die Vornahme einer solchen, nur auf Antrag vorzunehmenden Handlung von der vorherigen Zahlung abhängig machen. Nach § 16 Abs. 3 FamGKG kann bei Handlungen, die von Amts wegen vorgenommen werden, zur Deckung der Auslagen ein Vorschuß erhoben werden.

19

Auf § 16 Abs. 1 Satz 2 FamGKG kann eine an den beschwerdeführenden Antragsgegner des vorliegenden Verfahrens gerichtete Vorschußanforderung für die Gutachtenerstellung bereits deswegen nicht gestützt werden, weil er diese Handlung nicht beantragt hat.

20

Hinzukommt weitergehend noch, daß die vom Amtsgericht - zutreffend als notwendig erachtete - Gutachtenserstellung im vorliegenden Verfahren keine "nur auf Antrag vorzunehmende Handlung" im Sinne von § 16 Abs. 1 Satz 2 FamGKG sondern vielmehr eine "von Amts wegen vorgenommene Handlung" im Sinne von § 16 Abs. 3 FamGKG darstellt. Nach der bisherigen Verfahrensführung wie auch dem Beweisbeschluß offenkundig und zutreffend geht das Amtsgericht im Streitfall davon aus, daß über die weitere Ausübung der elterlichen Sorge für P. L. M. in mit dem Kindeswohl vereinbarer Weise vor dem Hintergrund der erheblichen und tiefgreifenden Spannungen zwischen den Kindeseltern nicht ohne sachverständige Beratung des Gerichtes entschieden werden kann. Dann ist aber die diesbezügliche Beauftragung einer Sachverständigen gemäߧ 26 FamFGim Rahmen der Amtsermittlung geboten und damit unabhängig von entsprechenden "Anträgen" der Kindeseltern vorzunehmen (so auch Schneider/Wolf/Volpert-Volpert, FamGKG § 16 Rz. 30; Prütting/Helms2-Klüsener, FamGKG § 16 Rz. 2; Schulte-Bunert/Weinreich-Keske, FamGKG §§ 12-17 Rz. 16). Für derartige Handlungen bietet der allein einschlägige § 16 Abs. 3 FamGKG jedoch unzweifelhaft keine Grundlage zum Abhängigmachen der Vornahme von einer Vorschußzahlung.

21

Im übrigen zeigt die - durchaus zynische - Erklärung des Kindesvaters deutlich auf, zu welchen absurden Konsequenzen eine abweichende Auffassung führen müßte: durch die Verweigerung seiner finanziellen Mitwirkung hätte es ein verfahrensbeteiligter Elternteil in der Hand, die Überprüfung einer - allein oder auch - von ihm ausgehenden Beeinträchtigung des Kindeswohles zu verhindern.

22

3.

Das Vorgesagte schließt allerdings - worauf der Senat vorsorglich hinweist - nicht etwa aus, daß die Kindeseltern nach der seit September 2009 maßgeblichen Rechtslage in Kindschaftssachen auf die Kosten von einzuholenden Sachverständigengutachten in Anspruch genommen werden könnten. Dies ist zwar unter der Geltung der KostO noch angenommen worden (vgl. OLG Hamm - Beschluß vom 20. November 2000 - 4 WF 188/00 - FamRZ 2001, 696 f. m.w.N.), im Geltungsbereich von FamFG und FamGKG aber nicht mehr zutreffend.

23

Gemäß § 81 Abs. 1 FamFG hat das Gericht in Kindschaftssachen stets über die Kosten zu entscheiden und diese nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen; zu den Kosten gehören nach der Legaldefinition in § 80 Abs. 1 Satz 1 FamFG als Gerichtskosten die Gebühren und Auslagen sowie die notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

24

Ebensowenig ist es ausgeschlossen, für durch im Rahmen der Amtsermittlung erfolgende Handlungen des Gerichtes in Kindschaftssachen vorhersehbare Auslagen - etwa für Sachverständigenkosten - von Seiten der Beteiligten Vorschüsse einzufordern. § 16 Abs. 3 FamGKG sieht dies vielmehr auch für von Amts wegen vorzunehmende Handlungen ausdrücklich vor. Das Gesetz enthält dabei in Abs. 3 - anders als in Abs. 1 Satz 1 - keine Bestimmung des Kostenschuldners bezüglich des Auslagenvorschusses (vgl. den ausdrücklichen Hinweis bei Schulte-Bunert/Weinreich-Keske, FamGKG §§ 12-17 Rz. 16). Es spricht aber vieles dafür, insofern von einer Bestimmung nach billigem Ermessen entsprechend § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG auszugehen, welches durch den insofern tätigen Kostenbeamten auszuüben ist (vgl. Schneider, Vorschußpflicht in Kindschaftssachen, FamRB 2012, 164, 167; Prütting/Helms2-Klüsener, FamGKG § 16 Rz. 8; Schneider/Wolf/Volpert-Volpert, FamGKG § 16 Rz. 47 auch m.w.N. zum diesbezüglichen Diskussionsstand) und auf Erinnerung bzw. Beschwerde gemäß § 57 FamGKG der Überprüfung unterliegt. Unter den Umständen des Streitfalles wären gegen eine anteilige Vorschußanforderung von beiden Kindeseltern in diesem eine Sinne keine durchgreifenden Bedenken ersichtlich.