Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.05.2012, Az.: 13 U 11/12
Gewährung einer Sicherheit für Vertragserfüllung sowie einer Sicherheit für Mängelansprüche als Vertragsgegenstand
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 08.05.2012
- Aktenzeichen
- 13 U 11/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 18908
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2012:0508.13U11.12.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - AZ: 8 O 60/11
Rechtsgrundlagen
- § 812 Abs. 1 S. 1 BGB
- § 821 BGB
Fundstellen
- BauR 2013, 480-482
- NJW-RR 2012, 1133-1134
- NZBau 2012, 574-575
- NZBau 2012, 6
Tenor:
In dem Rechtsstreit Stadt L. gegen V. AG weist der Senat die Parteien nach Vorberatung auf Folgendes hin:
Nach vorläufiger Auffassung des Senats dürfte die Berufung der Klägerin keine Aussicht auf Erfolg haben. Das Landgericht hat wohl jedenfalls im Ergebnis die Klage zu Recht abgewiesen, weil die Einrede der Beklagten aus §§ 821, 812 Abs. 1 Satz 1 BGB wohl begründet ist.
1. Nach Auffassung des Senats ist die Bürgschaftsurkunde vom 23. April 2007 ausschließlich für die Vertragserfüllungssicherheit gestellt worden. Dies ergibt sich aus den zwischen der Klägerin und der Insolvenzschuldnerin vereinbarten besonderen Vertragsbedingungen (EVM (B) BVB) und zusätzlichen Vertragsbedingungen (EVM (B) ZVB/E). Danach schuldete die Auftragnehmerin gemäß Nr. 4.1 der EVM (B) BVB eine Sicherheit für die Vertragserfüllung sowie eine Sicherheit für Mängelansprüche. Des Weiteren hatte die Auftragnehmerin gemäß Nr. 10.14 eine generelle Vertragserfüllungsbürgschaft nach dem Formblatt EFB-Sich 1 in Höhe von 5% der Auftragssumme zu stellen. Gemäß Nr. 4.2 der EVM (B) BVB war die Sicherheitsleistung durch Bürgschaft für die Vertragserfüllung durch Verwendung des Form-blattes EVB Sich1-323.1 und die Sicherheitsleistung für die Mängelansprüche durch Verwendung des Formblatts EVB Sich2-323.2 zu leisten. Die Bürgschaftsurkunde vom 23. April 2007 ist unter Verwendung des Formblatts EVB sich1-323.1 ausgestellt worden, mithin handelt es sich um die Sicherheitsleistung für die Vertragserfüllung. Nach den zu den Akten gereichten Unterlagen ist demgegenüber eine Gewährleistungsbürgschaft - unter Verwendung des Formblatts EFB sich2-323.2 - nicht gestellt worden. Die Klägerin trägt in ihrer Berufungsbegründung vor, nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien des Bauvertrages einschließlich der Vertragsbedingungen habe es keine zwei selbständig nebeneinander bestehenden Sicherheiten gegeben, vielmehr sei die ursprüngliche Vertragserfüllungsbürgschaft durch eine Gewährleistungsbürgschaft ausgetauscht, abgelöst bzw. umgewandelt worden. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Das Landgericht hat ausgeführt, zusätzlich zu der Vertragserfüllungsbürgschaft, die über den gesetzlichen Inhalt des § 17 Nr. 8 Abs. 1 VOB/B auch Mängelansprüche beinhaltet habe, sei eine Sicherheitsleistung für Gewährleistungsansprüche vereinbart worden. Da hierdurch jedenfalls für einen gewissen Zeitraum die Vertragserfüllungs- und Gewährleistungssicherheit hätten nebeneinander bestehen können und in diesem Fall die Auftraggeberin mit einer insgesamt in Höhe von 10% bestehenden Sicherheit übervorteilt werde, sei die Klausel, aufgrund derer die Beklagte eine Vertragserfüllungssicherheit schuldete, gemäß § 307 BGB unwirksam. Dies ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, wie sich aus folgenden Erwägungen ergibt:
Umfang und Inhalt der von der Insolvenzschuldnerin geschuldeten Vertragserfüllungs- und Gewährleistungssicherheit bestimmen sich nach Nr. 22.1 und Nr. 22.2 EVM (B) ZVB/E. Nach Nr. 4.1 sowie 10.14 der EVM (B) BVB war eine Sicherheit für die Vertragserfüllung in Höhe von 10% der Auftragssumme (bei einer Auftragssumme von mindestens 250.000 EUR) und zusätzlich weitere 5% der Auftragssumme unabhängig von deren Höhe zu leisten. Für Mängelansprüche war eine weitere Sicherheit in Höhe von 5% der Auftragssumme zu leisten. Je nach Höhe der Auftragssumme schuldet demnach der Auftragnehmer mindesten 10% der Auftragssumme für Sicherheitsleistungen und maximal sogar 20%, wenn sich die Sicherheitsleistungen für die Vertragserfüllung und die Gewährleistung auch nur teilweise zeitlich überschneiden sollten. Eine solche Überschneidung dürfte hier anzunehmen sein.
a) Eine zeitliche Begrenzung für die Rückgabe der Vertragserfüllungsbürgschaft in der Weise, dass mit der Abnahme die Vertragserfüllungsbürgschaft zurückzugeben und ab diesem Zeitpunkt eine Gewährleistungssicherheit zu gewähren ist, ist zwischen den Parteien ersichtlich nicht vereinbart worden. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus Ziffer 4.1 der EVM (B) BVB, wonach nach Abnahme und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche einschließlich Schadensersatz der Auftragnehmer die Umwandlung der Vertragserfüllungssicherheit in eine Mängelansprüchesicherheit verlangt werden kann. Nach den Vertragsbedingungen war die Vertragserfüllungssicherheit mit der Abnahme gerade nicht zurückzugeben, weil die Vertragserfüllungssicherheit auch die Abrechnung, Mängelansprüche und Schadensersatz umfasste, Nr. 22.1 EVM (B) ZVB/E. Damit umfasste die Vertragserfüllungsbürgschaft weitergehende dem Gewährleistungsstadium zuzurechnende Ansprüche, so dass es eine zeitliche Überschneidung mit der geschuldeten Gewährleistungssicherheit gab. Denn diese war ab dem Zeitpunkt der Abnahme mit Beginn des Gewährleistungszeitraums zu leisten. Für den Senat ergeben sich entgegen der Auffassung der Klägerin keine Anhaltspunkte dafür, dass die Vertragserfüllungssicherheit allein der Sicherung vor der Abnahme entstandener Ansprüche diente, während nach Abnahme entstandene Gewährleistungsansprüche nur von der Gewährleistungssicherung erfasst waren.
Soweit die Klägerin meint, eine Überschneidung der zu leistenden Sicherheiten habe es nicht geben können, weil die Vertragserfüllungsbürgschaft durch die Gewährleistungsbürgschaft abgelöst, ausgetauscht oder umgewandelt worden sei, vermag der Senat dem aufgrund der anders lautenden Vereinbarungen zwischen den Parteien des Bauvertrages nicht zu folgen. Eine "automatische" Ablösung oder Umwandlung der Sicherheiten ist gerade nicht vereinbart worden. Nr. 4.1 der EVM (B) BVB lässt sich lediglich ein Recht des Auftragnehmers auf eine Umwandlung der Sicherheit für die Vertragserfüllung in eine Mängelansprüchesicherheit entnehmen. Ausdrücklich ist dort geregelt, dass dieser Anspruch erst nach Abnahme und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche einschließlich Schadensersatz entsteht.
Das heißt, in dem Fall, in dem Streit über im Erfüllungszeitraum entstandener Ansprüche besteht, verzögert sich die Rückgabe der Vertragserfüllungsbürgschaft bis in das Gewährleistungsstadium hinein (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 15. Juli 2008 - 12 U 781/08, [...] Rn. 6). Die Gewährleistungssicherheit hätte ferner entsprechend den Vereinbarungen und Vertragsbedingungen entweder durch Einbehalt eines Teils der Vergütung oder durch Stellung einer Gewährleistungsbürgschaft und zwar unter Verwendung des Formulars EFB Sich2-323.2 gestellt werden müssen. Dies ist hier nicht geschehen.
b) Auch nach Auffassung des Senats dürfte die Sicherungsabrede gemäß Ziffer 4.1 bzw. 10.14 der EVM (B) BVB i.V.m. 22.1 der EVM (B) ZVB/E unwirksam sein, weil sie den Auftragnehmer unangemessen benachteiligt, § 307 Abs. 1 BGB.
Wie ausgeführt, muss - je nach Höhe der Auftragssumme - der Auftragnehmer eine Vertragserfüllungssicherheit in Höhe von mindestens 5% (Nr. 10.14) und höchstens 15% (Nr. 4.1 und Nr. 10.14) neben der vereinbarten Sicherheitsleistung für Mängelansprüche in Höhe von 5% leisten. Dies bedeutet, dass entsprechend der obigen Ausführungen von dem Auftragnehmer zumindest zeitweise Sicherheiten in Höhe von mindestens 10% oder höchstens 20% zu leisten sind. Da die Vertragserfüllungssicherheit gemäß Nr. 4.1 der EVM (B) BVB bis zum Zeitpunkt der Erfüllung der sie abdeckenden Ansprüche bestehen bleibt, kann der Auftraggeber diese Bürgschaft bis zu Klärung der Ansprüche zurückhalten. Dies ergibt die nach der maßgeblichen kundenfeindlichsten Auslegung der genannten Klauseln (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 5. Mai 2011 - VII ZR 179/10, [...] Rn. 23).
Das Klauselwerk benachteiligt den Auftragnehmer nach Auffassung des Senats in unangemessener Weise. Eine Sicherheit in Höhe von insgesamt 10% übersteigt das unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen von Auftraggeber und Auftragnehmer angemessene Maß. Angemessen dürfte nach Abnahme eine Sicherheitsleistung für Mängelansprüche von höchstens 5% der Auftragssumme sein, weil diese Höhe der Sicherheit dem Umstand Rechnung trägt, dass das Sicherungsinteresse des Auftraggebers nach der Abnahme deutlich geringer ist als in der Erfüllungsphase (BGH, a.a.O., [...] Rn. 28). Der Einwand der Klägerin, die zitierte Entscheidung des BGH könne in dem vorliegenden Fall nicht herangezogen werden, weil in dem von dem BGH zu entscheidenden Fall der Auftragnehmer den Sicherungseinbehalt für die Vertragserfüllung nur mit einer Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern habe ablösen können, ist unerheblich. Entscheidend ist, dass zum Zeitpunkt der Stellung der Sicherheit für die Gewährleistung die Vertragserfüllungsbürgschaft nach dem Inhalt des zugrunde liegenden Umfangs gemäß Nr. 22.1 EVM (B) ZVB/B nicht zurückzugeben war und damit eine zusätzliche Sicherheitsleistung zu erbringen war. Die Auftragnehmerin konnte gerade nicht die Vertragserfüllungsbürgschaft ohne weiteres in eine Gewährleistungsbürgschaft umwandeln, jedenfalls nicht bis zur Erfüllung der bis dahin erhobenen Ansprüche. Aus Nr. 4.1 EVM (B) BVB ergibt sich ferner, dass die Umwandlung einer Vertragserfüllungsbürgschaft in eine Mängelansprüchesicherheit erst nach Erfüllung der bis dahin erhobenen Ansprüche gestattet ist. Dies bedeutet eine weitere Verzögerung des Zeitpunkts der Rückgabe der Vertragserfüllungsbürgschaft. Da deren Rückgabe bzw. Umwandlung in eine Gewährleistungsbürgschaft nicht von der Berechtigung der erhobenen Ansprüche abhängig gemacht wird, wird der Auftraggeber auch hierdurch in nicht mehr hinnehmbarer Weise benachteiligt.
Im Hinblick auf die vorstehenden Erwägungen des Senats mag die Klägerin überdenken, ob sie die Berufung aus Kostengründen zurücknimmt.