Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 11.03.2019, Az.: 13 A 4090/17

Frist; Gruppenverfolgung; Jeside; Putsch; Straftäter; Türkei; Widerruf; Yezide

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
11.03.2019
Aktenzeichen
13 A 4090/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 69534
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Asylanerkennung. Es handelt sich bei ihm um einen 1988 geborenen türkischen Staatsbürger, kurdischer Volkszugehörigkeit und jezidischer Religion.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 26.05.1998 wurde der Kläger als Asylberechtigter anerkannt und es wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen des damaligen § 51 Abs. 1 Ausländergesetz vorliegen. Diese Entscheidung beruhte auf der Annahme einer mittelbaren Gruppenverfolgung von Jeziden in der Türkei.

Im Juni 2015 bat die zuständige Ausländerbehörde um Überprüfung dieser Entscheidung. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass der Kläger bislang wirtschaftlich nicht integriert sei. Er sei laufend straffällig in Erscheinung getreten. Dem Schreiben war ein Bundeszentralregister-Ausdruck beigefügt. In diesem Zentralregisterausdruck wurden eine Reihe von Straftaten beginnend ab März 2007 aufgeführt. Die Spannbreite reichte dabei von gemeinschaftlicher schwerer räuberischer Erpressung über Hehlerei, Urkundenfälschung, Diebstahl, vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr, Erschleichen von Leistungen, vorsätzliche Körperverletzung, gemeinschaftlich schwerer Diebstahl in einer Reihe von Fällen, Fahren ohne Fahrerlaubnis bis zum unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln. Zuletzt wurde danach der Kläger vom Landgericht A-Stadt mit Urteil vom 15.01.2014 wegen gemeinschaftlichen besonders schweren räuberischen Diebstahl zu 6 Jahren und 8 Monaten verurteilt.

Die Beklagte leitete daraufhin ein Widerrufsverfahren ein. Nach Anhörung des Klägers widerrief die Beklagte mit Bescheid vom 27.04.2017 die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Ausländergesetz vorliegen. Gleichzeitig wurde entschieden, dass dem Kläger weder die Flüchtlingseigenschaft noch der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt wird und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Aufenthaltsgesetz nicht vorliegen.

Dieser Bescheid wurde als Einschreiben am 03.05.2017 zur Post gegeben.

Der Kläger hat am 17.05.2017 Klage erhoben.

Er trägt vor, ein Widerruf hätte bis spätestens 18.06.2001 erfolgen müssen. Er sei in Deutschland geboren worden und habe keine Verbindung zum Heimatland seiner Eltern. Er gehöre der Minderheit der Kurden und der religiösen Minderheit der Jeziden an. Die Situation der kurdischen Jeziden habe sich seit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei verschlechtert.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom Simon 20.04.2017 aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, ihm, dem Kläger, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 Aufenthaltsgesetz vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zwar sei eine Überprüfung innerhalb der Frist des früheren § 73 Absatz 2a AsylG nicht erfolgt. Dies führe jedoch nicht zu einer Rechtswidrigkeit des Widerrufs.

Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 20.02.2019 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Zu der Entscheidungsform Gerichtsbescheid wurden die Beteiligten gehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Voraussetzungen zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid liegen vor, § 84 VwGO. Das Gericht sieht den Sachverhalt als geklärt an und die Sache weist auch keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Art auf.

Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit gemäß § 76 Abs. 1 AsylG zur Entscheidung übertragen hat.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Um Wiederholungen zu vermeiden, wird zunächst auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt, § 77 Abs. 2 AsylG.

Rechtsgrundlage des Widerrufs ist § 73 AsylG in der bis zum 21.07.2017 geltenden Fassung. Danach ist die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen dafür nicht mehr vorliegen. Nach Abs. 2a der genannten Vorschrift ist spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der ursprünglichen Entscheidung diese Prüfung, ob ein Widerruf vorzunehmen ist, zu erfolgen.

Die Aufhebung des Bescheids kann jedoch nicht allein deshalb verlangt werden, weil die Beklagte die seinerzeit in § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG vorgesehene Prüfungspflicht versäumt hat. Die Versäumung dieser Frist führt nicht zu einer Rechtsverletzung des Klägers. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Vorschrift zumindest auch dem individuellen Interesse des anerkannten Asylberechtigten dienen würde. Dies ist aber nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. vom 24.02.2011 - 10 C 3.11 -, Urt. vom 05.06.2012 - 10 C 4.11 -, beide juris), der das Gericht folgt, nicht der Fall. Vielmehr steht die Verpflichtung, die Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen gerade auch innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Zeitraums zu prüfen, ausschließlich im öffentlichen Interesse an der alsbaldigen Entscheidung über den Fortbestand der Asylberechtigung bzw. des Flüchtlingsstatus, so dass ein Verstoß gegen diesen Prüfungsauftrag einen verspäteten Widerruf nicht ausschließt (vgl. VG Hannover, Urt. vom 30. April 2014, 13 A 5657/13).

Der Kläger hat auch nicht aus anderen Gründen iSd. § 73 Abs. 2b AsylG einen Anspruch, als Asylberechtigter bzw. als Flüchtling anerkannt zu werden. Insbesondere ist allein der Umstand, dass er dem jezidischen Glauben angehören will, kein Grund, von einem Widerruf der Asylanerkennung abzusehen bzw. dem Kläger als Flüchtling anzuerkennen oder ihm den subsidiären Schutz nach § 4 AsylG oder Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zubilligen zu müssen.

Der 11. Senat des Nds.OVG hat bereits mit Urteilen vom 17.07.2007 -11 LB 332/03 - und - 11 LB 324/03 - die jeweils zugelassene Berufung gegen die beiden Urteile der Kammer vom 18.03.2003 - 1 A 75/02 - und vom 30.04.2003 - 1 A 389/02 - zurückgewiesen und festgestellt hat, dass es seit dem Jahre 2003 in der Türkei keine mittelbare Gruppenverfolgung der Yeziden wegen ihrer Religionszugehörigkeit mehr gibt. In seinem Urteil vom 24.03.2009 – 2 LB 643/07 – hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg diese Auffassung erneut bekräftigt, ebenso in seinem Beschluss vom 15.01.2019 – 11 LA 58/18 -. In der obergerichtlichen Rechtsprechung vertreten ferner das OVG NRW in ständiger Rechtsprechung (vgl. u.a. das Urteil vom 31.08.2007 - 15 A 5128/04.A -, n.v.) und das OVG Sachsen - Anhalt (vgl. Urteil vom 24.10.2007 - 3 L 303/04 -, n.v.) die Auffassung, dass es in der Türkei nunmehr keine mittelbare Gruppenverfolgung der Yeziden mehr gibt.

Unter Berücksichtigung insbesondere der Entscheidungen des Nds. OVG hat die Kammer in ständiger Rechtsprechung Klagen gegen entsprechende Widerrufsbescheide des Bundesamtes abgewiesen und hält auch in diesem Fall weiterhin daran fest. Es gibt nach wie vor keine Erkenntnisse, dass sich die Lage der Yeziden in der Türkei wieder verschlechtert hat. Allein der Umstand, dass der jetzige Präsident der Türkei einen autoritären Führungsstil pflegt, bietet keine Anhaltspunkte dafür, dass eine irgendwie geartete Gruppenverfolgung von Yeziden zu befürchten ist.

Eine irgendwie geartete Gefährdung des Klägers in der Türkei ist nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.