Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 20.07.2006, Az.: 11 U 255/05
Umfang der Kontrollpflichten eines Reiseveranstalters für seine Leistungsträger; Haftung eines Reiseveranstalters für die im Rahmen der Animation von Dritten erbrachten Leistungen; Anspruch eines Reisenden gegen den Reiseveranstalter auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen Pflichtverletzung eines Animateurs im Rahmen einer im Leistungsangebot enthaltenen Veranstaltung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 20.07.2006
- Aktenzeichen
- 11 U 255/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 35705
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2006:0720.11U255.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 20.09.2005 - AZ: 18 O 231/05
- nachfolgend
- BGH - 12.06.2007 - AZ: X ZR 87/06
Rechtsgrundlagen
- § 253 Abs. 2 BGB
- § 651g Abs. 1 S. 1 BGB
- § 823 Abs. 1 BGB
In dem Rechtsstreit
...
hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 29. Juni 2006
durch
den Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Oberlandesgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin gegen das am 20. September 2005 verkündete Urteil des Einzelrichters der 18. Zivilkammer des Landgerichts Hannovers wird dieses unter Zurückweisung der Berufung im übrigen abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 6.000 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11. März 2005 zu zahlen.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin 4.068 EUR nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen, und zwar auf 1.065 EUR seit dem 11. März 2005 sowie auf 3.003 EUR seit dem 21. Juni 2006.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, welche dieser aus dem Unfall vom 24. Mai 2004 entstanden sind und/oder noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin buchte bei der Beklagten für sich und ihre Tochter eine Reise vom 19. Mai bis 26. Mai 2004 nach Italien, und zwar in den "Club A.".
In der Klageschrift hat die Klägerin zunächst behauptet, Vertragsgrundlage sei die Katalogbeschreibung der Beklagten in deren Reisekatalog. In diesem Katalog warb die Beklagte mit einem "Rund-um-die Uhr-Angebot": Tagsüber Spiele und sportliche Wettbewerbe. Sodann hat die Klägerin behauptet, vom Reisebüro keinen Katalog erhalten zu haben, sondern nur eine Bestätigung/Rechnung vom 21. April 2004. Die Klägerin hat sodann in der Verhandlung vor dem Landgericht noch weitere ähnliche Bestätigungen/Rechnungen überreichen können. In diesen bestätigte die Klägerin, dass die Reisebedingungen vollständig übermittelt worden seien, was die Klägerin in diesem Rechtsstreit in Abrede stellt.
Am 24. Mai 2004 kam es in der Ferienanlage zu einem Zwischenfall. Die in der Anlage tätige Animateurin äußerte gegenüber einem Kind: "Wetten, dass es deiner Mama nicht gelingt, innerhalb von zwei Minuten 60 unterschiedliche Schuhe einzusammeln", worauf hin die anwesenden Gäste Schuhe auf die Bühne warfen. Eine unbekannte Person warf einen Schuh mit hohem, spitzen Absatz auf die Bühne, traf jedoch die Klägerin am Hinterkopf.
Die Klägerin wurde dadurch verletzt. Die restlichen beiden Tage ihres Urlaubs verbrachte sie mit Kopfschmerzen im Hotel. Zu Hause in Deutschland klangen die Symptome ab. Zwei Tage nach ärztlicher Untersuchung am 27. Mai 2004, ließen die Beschwerden nach. Nach einer weiteren Woche war die Klägerin völlig beschwerdefrei und begann den Vorfall zu vergessen.
Im Oktober/November 2004 vermehrten sich die Kopfschmerzen und die Klägerin litt unter weiteren Symptomen. Insbesondere entglitten ihr Gegenstände und Sprachstörungen machten sich bemerkbar. Im Krankenhaus diagnostizierten Ärzte einen Herdbefund links temporal, verursacht durch ein Schädel-Hirn-Trauma.
Die Klägerin behauptet, durch dieses Ereignis hätten sich ihre Lebensumstände verschlechtert. Insbesondere sei ihre Arbeitsfähigkeit eingeschränkt und sie leide unter Kopfschmerzen, welche eine hohe Medikation notwendig machten.
Die Klägerin hat erstmals mit Schreiben vom 10. Januar 2005 Ansprüche an die Beklagte erhoben. In diesem Zusammenhang hat sie weiter erklärt, dass sie am Urlaubsort infolge ihres Gesundheitszustandes keinen Kontakt zur Reiseleitung aufnehmen konnte.
Die Klägerin macht mit ihrer Klage Rückerstattung eines Teils des Reisepreises, (Osteopathie)Behandlungs- und Fahrtkosten sowie Schmerzensgeld geltend; ferner beantragt sie Feststellung der Erstattungspflichtigkeit zukünftiger Schäden.
Die Klägerin hat beantragt,
- I.
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, welches in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens in einem Umfang von 5.000 EUR bis 15.000 EUR, nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11. März 2005,
- II.
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.408 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11. März 2005 zu bezahlen,
- III.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, welche dieser aus dem Unfall vom 24. Mai 2004 entstanden sind und/oder noch entstehen werden, soweit die Ansprüche
nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verteidigt sich mit dem Bestreiten des schadensstiftenden Ereignisses und beruft sich auf den Ablauf der Monatsfrist des § 651 g BGB.
Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Frist des § 651 g BGB sei abgelaufen und die Klägerin mit Ansprüchen gegen sie als Reiseveranstalterin damit ausgeschlossen. Deliktische Ansprüche wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht bestünden nicht.
Dagegen wendet sich die Berufung der Klägerin. Sie ist der Auffassung, die einmonatige Ausschlussfrist des § 651g BGB schuldlos versäumt zu haben. Im Übrigen habe diese nicht zu laufen begonnen, weil sie entgegen § 6 Abs. 2 Nr. 7, 8 BGB-InfoV keinen Hinweis auf die Frist erhalten habe; die Hinweispflicht sei nicht aufgrund § 6 Abs. 4 BGB-InfoV erfüllt worden, weil sie keinen Prospekt erhalten habe, aus welchem sie diese Hinweise hätte entnehmen können.
Die Klägerin verfolgt ihren ursprünglichen Klageantrag weiter, den ursprünglichen Klageantrag II. aufgrund eines Rechenfehlers und wegen weiter entstandener Heilbehandlungs- und Fahrtkosten im Wege der Klageerhöhung mit der Maßgabe
die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin 4.543 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11. März 2005 zu bezahlen
Die Beklagte verteidigt das Urteil.
II.
Die Berufung ist teilweise begründet und führt, soweit sie begründet ist, zur Abänderung des erstinstanzlichen Urteils.
1.
Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung einer der Beklagten treffenden Verkehrssicherungspflicht.
a)
Den Veranstalter trifft eine weitreichende Kontrollpflicht für seine Leistungsträger (darüber hinausgehend auch für gesondert buchbare Einrichtungen BGH NJW 2000, 1188). Diese Kontrollpflichten erstrecken sich auch auf die im Rahmen der Animation von Dritten erbrachten Leistungen, wenn, was hier der Fall war, der Reiseveranstalter diese Reiseleistungen als eigene anbietet (dazu Führich, Reise-recht, 5. Aufl. 2005, Rn. 432 m.w.N.). Die Animation muss so gestaltet werden, dass eine Gefährdung, die über das allgemeine Lebensrisiko hinausgeht, ausgeschlossen ist. Erst außerhalb der Einwirkungsmöglichkeit des Veranstalters realisiert sich bei einem Schadenseintritt das allgemeine Lebensrisiko des Reisenden.
Die Animateurin hat anlässlich einer Veranstaltung zu einer Wette aufgefordert. Daraufhin sahen sich Mitgäste veranlasst, ihre Schuhe auf die Veranstaltungsfläche zu werfen. Die Aufforderung der Animateurin ist daher ursächlich für die von der Klägerin geschilderten Verletzungen gewesen. Auch wenn die getätigte Wette zum Inhalt hatte, Schuhe einzusammeln, war die Reaktion der anderen Gäste, Schuhe auf die Bühne zu werfen, nicht derart fernliegend, dass sich das allgemeine Lebensrisiko der Klägerin verwirklicht hätte. Die Verhinderung der Verletzungen lag auch im Einwirkungsbereich der Animateurin. Die Animateurin hätte im Rahmen der von ihr angebotenen Wette darauf hinweisen können und müssen, dass Schuhe nicht auf die Bühne geworfen werden dürfen.
b)
Soweit die Beklagte den Umfang der Rechtsgutverletzung und Höhe der Schäden bestreitet, so reicht ihr einfaches Bestreiten nicht aus. Nach den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils wurde die Klägerin anlässlich der von der Animateurin getätigten Äußerung von einem Damenschuh mit hohem Absatz am Kopf getroffen, wodurch sie verletzt wurde und erhebliche Beschwerden auftraten. Die Klägerin hat ärztliche Bescheinigungen vorgelegt. Nach der Bescheinigung des Städtischen Krankenhauses W. vom 10. Dezember 2004 wurden bei der Klägerin symptomatische fokale Anfälle in Folge eines Schädelhirntraumas diagnostiziert. Im EEG habe sich ein eindeutiger Herdbefund links temporal gezeigt, womit sich ein messtechnisches Korrelat zu den beschriebenen Ausfällen gezeigt habe. In der Zusammenschau der bisherigen Befunde sei damit ein fokales symptomatisches Anfallsleiden sehr wahrscheinlich. In erster Linie sei das erst zum Zeitpunkt der Untersuchung in die Erinnerung gerücktes Schädelhirntrauma ursächlich. Aus der ärztlichen Bescheinigung des Dr. C. vom 10. Mai 2005 geht hervor, dass dieser die Klägerin kurz nach dem Vorfall aufgrund der ursprünglich von der Klägerin dargelegten Symptome untersucht hat.
Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Klägerin, wie die Beklagte selbst vorträgt, den Vorfall dem Clubchef schilderte, sie sich nach dem Urlaub in ärztliche Behandlung begab und dem behandelnden Arzt den Vorfall schilderte, zumal sie allein deswegen keine Ansprüche an die Beklagte stellen wollte, wenn dies nicht den Tatsachen entsprach. Weiter sind keine anderen Ursachen ersichtlich, welche zu der von der Klägerin geschilderten Symptomatik führen sollte. Die geschilderte Symptomatik steht nach der Bescheinigung des Städtischen Krankenhauses W. im Einklang mit den objektiven Feststellungen und sind "sehr wahrscheinlich" auf das von der Klägerin geschilderte Ereignis zurückzuführen. Vor dem Hintergrund der umfangreichen Darlegungen der Klägerin reicht die alleinige Erklärung der Beklagten, sie bestreite den Vorfall und die Ursächlichkeit vermeintlicher Verletzungen nicht aus.
Daher ist die Beklagte verpflichtet, der Klägerin den ihr entstandenen Schaden zu ersetzen.
(1)
Der Schmerzensgeldanspruch beruht auf § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB. Bei der Höhe des Schmerzensgeldes hat der Senat einerseits die von der Klägerin erlittenen Verletzungen berücksichtigt. Andererseits war im Rahmen der dem Schmerzensgeldanspruch auch zugrunde liegenden Genugtuungsfunktion zu berücksichtigen, dass vor allem eine unglückliche Verkettung von Umständen zu den schwerwiegenden Folgen geführt hat und diese letztlich nicht direkt durch die Animateurin, sondern durch das leichtfertige Handeln einer Mitreisenden verursacht wurden. Der Senat hielt unter Berücksichtigung der erlittenen Verletzungen und des nur leichten Verkehrssicherungspflichtverstoßes ein Schmerzensgeld in Höhe von 6.000 EUR für angemessen.
(2)
Die von der Klägerin geltend gemachten Heilbehandlungskosten in Höhe von 768 EUR sowie 1.650 EUR sind erstattungsfähig, gleichfalls die Fahrtkosten zum Zwecke der Behandlung; diese allerdings nur in Anlehnung an § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 JVEG mit einer Pauschale von 0,25 EUR für jeden gefahrenen Kilometer. Bei bislang 33 geltend gemachten Fahrten ergibt dies einen Betrag von 1.650 EUR.
(3)
Der Feststellungsantrag rechtfertigt sich aus der noch andauernden Behandlung der Klägerin.
(4)
Der Zinsanspruch in Höhe des ursprünglich geltend gemachten Betrages folgt aus Verzug, im Übrigen auf § 291 ZPO.
2.
Weitergehende vertragliche Ansprüche auf Reisepreisminderung stehen der Klägerin nicht zu. Die Klägerin hat die Anmeldefrist des § 651 g Abs. 1 S. 1 BGB versäumt. Danach hat der Reisende Ansprüche nach den §§ 651 c bis 651 f innerhalb eines Monats nach der vertraglich vorgesehenen Beendigung der Reise gegenüber dem Reiseveranstalter geltend zu machen. Die Frist ist versäumt, weil die Klägerin erstmals mit Schreiben vom 10. Januar 2005 Ansprüche gegenüber der Beklagten geltend gemacht hat.
Diese Frist gilt hier. Dabei kann offen bleiben, ob der Klägerin ein Reiseprospekt ausgehändigt worden ist oder ein Verstoß gegen die BGB-InfoV vorliegt. Ein Pflichtverstoß hinsichtlich der Hinweispflicht wäre nach dem eigenen Vortrag der Klägerin nicht kausal für die Versäumung der Frist geworden. Voraussetzung dafür, dass die Frist nicht zu laufen beginnt ist, dass die Klägerin bei Kenntnisnahme der Ausschlussfrist den Mangel rechtzeitig gerügt hat. Sie hat jedoch vorgetragen, dass sie dem Unfall keine weitere Bedeutung beigemessen und völlig vergessen hat. Die Klägerin hat vorgetragen, nach Beendigung der Reise in Kenntnis der Schädigung und der für sie beeinträchtigten Urlaubstage keine Ansprüche geltend machen zu wollen, so dass auch bei ordnungsgemäßem Hinweis auf die Ausschlussfrist Seitens der Beklagten eine Mangelanzeige gemäß § 651 g BGB nicht erfolgt wäre. Somit wäre eine eventuelle Hinweispflichtverletzung nicht kausal für die Unterlassung der Klägerin gewesen, sondern sie hätte auch in Kenntnis dieser Frist keine Ansprüche geltend gemacht.
Daher kann sich die Klägerin auch nicht auf ein mangelndes Verschulden der Fristversäumnis im Sinn des § 651 g Abs. 1 S. 3 BGB berufen. In diesem Umfang ist die Klage daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Ziffer 10, § 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Der Rechtsstreit hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die Parteien haben insoweit auch keine Anhaltspunkte, die zu einer anderen Entscheidung Anlass gäbe, aufgezeigt.