Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 19.07.2006, Az.: 9 U 15/06
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 19.07.2006
- Aktenzeichen
- 9 U 15/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 42151
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2006:0719.9U15.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 30.11.2005 - AZ: 22 O 61/05
- nachfolgend
- BGH - 22.10.2007 - AZ: II ZR 184/06
Fundstellen
- AG 2006, 797-798 (Volltext mit amtl. LS)
- DStR 2006, XII Heft 39 (Kurzinformation)
- NJW-Spezial 2006, 464 (Kurzinformation)
- NZG 2006, 791-792 (Volltext mit red. LS)
- OLGReport Gerichtsort 2006, 791-792
- WM 2006, 1726-1727
- WuB 2006, 845
- ZIP 2006, 1768-1769 (Volltext mit red. LS)
Tenor:
- 1.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG H. vom 30. November 2005 abgeändert und die Klage abgewiesen.
- 2.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
- 3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung abwenden, wenn er Sicherheit in Höhe von 115 % der Kostenerstattungsforderung leistet, sofern die Beklagte nicht zuvor Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
- 4.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Der Kläger ist seit Jahrzehnten Aktionär der Beklagten. Er begehrt die Versendung eines schriftlichen Kaufangebots an andere Inhaber von Namensaktien durch die Verwaltung der Beklagten in Gleichbehandlung mit einem Großaktionär der Beklagten.
Dem Kläger ging im Mai 2005 ein auch an andere Aktionäre gerichtetes Schreiben der Beklagten zu, in dem zugunsten der Großaktionärsfamilie D., die den Alleinvorstand der Beklagten stellt, ein Kaufangebot für die Namensaktien der Gesellschaft unterbreitet wurde. Zuvor hatte sich ein anderer Großaktionär, Dr. M., mit einem Kaufangebot unmittelbar an die Minderheitsaktionäre gewandt. Der Kläger begehrt unter Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des § 53 a AktG die Aussendung eines von ihm vorformulierten Briefes durch die Beklagte, dessen Inhalt die wesentlichen Formulierungen des Schreibens der Beklagten aufgreift, mit dem das Kaufangebot der Aktionärsgruppe DBW unterbreitet wurde. Die Beklagte beruft sich darauf, sie habe durch dieses Schreiben Unsicherheit unter den Minderheitsaktionären dämpfen müssen, die durch das vorangegangene Kaufangebot M. ausgelöst worden sei. Wegen des weiteren Vorbringens der ersten Instanz und der Gründe des der Klage stattgebenden Urteils des Landgerichts wird auf dessen Urteil Bezug genommen.
Die Beklagte verfolgt mit ihrer Berufung, wie sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat, ihren Klagabweisungsantrag weiter. Sie meint, § 53 a AktG stütze das Klagebegehren nicht. Da schon das Schreiben der Beklagten vom Mai 2005 nach Auffassung des Klägers rechtswidrig gewesen sei, berufe er sich auf eine Gleichheit im Unrecht, die der Rechtsordnung fremd sei. U. a. rüge der Kläger selbst einen Verstoß gegen Insidervorschriften. Eine Rechtfertigung in Form einer Beseitigung der Verunsicherung der Aktionäre werde vom Kläger in Zweifel gezogen. Eine Gleichbehandlung des Klägers mit der Großaktionärsgruppe D. sei nicht geboten, weil es sich um ungleiche Sachverhalte handele. Der Kläger verstoße mit seinem Hauptantrag gegen das Schikaneverbot gem. § 226 BGB und gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht. Die Kostenbelastung der Beklagten durch eine Briefversendung sei erheblich; sie belaufe sich unter Berücksichtigung der Personalkosten und der Sachkosten auf 17,00 € pro Brief. Unrichtig habe das angefochtene Urteil die Kostenübernahmebereitschaft des Klägers zur Begründung herangezogen. Eine derartige Bereitschaft komme weder im Urteilstenor noch in dem Klageantrag zum Ausdruck. Der Kläger könne zudem nicht die Formulierung verlangender sei dem Hause der Beklagten eng verbunden. Zum wiederholten Male habe er zu Unrecht gegen die Beklagte geklagt.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil unter Aufrechterhaltung seines erstinstanzlichen Hauptantrages und der beiden in erster Instanz hilfsweise gestellten Auskunftsanträge. Die Behauptung, mit dem Schreiben vom Mai 2005 hätte eine Verunsicherung von Aktionären ausgeglichen werden müssen, sei unsubstantiiert. Allenfalls hätten Aktionäre versucht, die Hintergründe der Offerte zu erforschen. Zudem sei zur Beseitigung einer Verunsicherung kein Angebot zum Erwerb von Aktien erforderlich gewesen. Die Rechtsauffassung, dass es keine Gleichheit im Unrecht gebe, spiele keine Rolle. Die Aktiengesellschaft habe Registerdaten ihrer Aktionäre für Aufgaben gegenüber den Aktionären verwenden dürfen. Sie habe die Kommunikation zwischen den Aktionären gefördert und erleichtert. Die Kostentragungspflicht der Beklagten ergebe sich aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Ein Verstoß gegen das Schikaneverbot oder die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht sei nicht gegeben, da der Kläger nur von seinem gesetzlichen Recht Gebrauch mache. Die Aussendung des Schreibens zugunsten der Aktionärsgruppe D. sei im Rahmen eines Konkurrenzkampfes unter den beiden Großaktionären erfolgt.
Wegen des weitergehenden Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist zulässig, obwohl ein ausdrücklicher Berufungsantrag nicht gestellt worden ist. Die Berufungsbegründung lässt keine Zweifel aufkommen, dass die Berufung mit dem Ziel der Klagabweisung in vollem Umfang begehrt wird.
Die Berufung ist begründet. Dem Kläger stehen weder der mit dem Hauptantrag geltend gemachte Anspruch, dem das Landgericht stattgegeben hatte, noch die mit den Hilfsanträgen erhobenen Ansprüche zu.
Der Vorstand der Beklagten hat pflichtwidrig gehandelt, als er das Kaufangebot zugunsten der Aktionärsgruppe D. dem konkreten Briefinhalt unter den Gesamtumständen, nämlich der Gesellschaftsstruktur und des vorangegangenen Angebots des anderen Großaktionärs und Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. M. an Minderheitsaktionäre ausgesandt hat. Der Handel mit nicht börsennotierten Namensaktien der Beklagten ist erheblich erschwert, weil die Namen der Aktionäre nur dem Vorstand der Beklagten bekannt sind und bekannt bleiben sollen. Das darin liegende Marktdefizit hat die Aktionärsgruppe D. überwunden, indem sie über den von ihr gestellten Vorstand die Verwaltung veranlasst hat, im Namen der Gesellschaft ein mit dem Angebot von Dr. M. konkurrierendes Kaufangebot an die Minderheitsaktionäre auszusenden. Der Vorstand hat seine Pflicht zur Neutralität verletzt, weil er sich angesichts des Bemühens des Aktionärs M. die Mehrheitsverhältnisse durch Zukauf zu verändern, auf die Seite der Aktionärsgruppe D. geschlagen hat.
Der Senat hegt Zweifel an dem nicht näher spezifizierten Vortrag der Beklagten, das Kaufangebot des Großaktionärs Dr. M. habe "Unruhe" ausgelöst. Selbst wenn dessen Kaufangebot geeignet gewesen sein sollte, Unruhe - etwa über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens - auszulösen, ist nicht ersichtlich, weshalb ein Überbieten des Kaufangebots zur Neutralisation von Bedenken der Angebotsempfänger geeignet war. Im Übrigen hätte die Verwaltung der Beklagten ein weiteres Kaufangebot an die Minderheitsaktionäre auch weiterleiten können, ohne dieses Angebot durch einen Vorstandsbrief positiv zu unterstützen.
Aus dem Fehlverhalten der Beklagten folgt, dass der Kläger im Interesse der Gleichbehandlung aller Aktionäre nicht ebenfalls eine Unterstützung in der Form verlangen kann, wie er sie mit seinem Klageantrag begehrt. Dadurch würde das rechtswidrige Verhalten fortgesetzt, ohne dass erkennbar ist, wie die Beklagte bei weiteren, gleichartigen Aktionärsverlangen zu einem rechtmäßigen Verhalten zurückkehren kann.
Der Senat verkennt nicht, dass die Aktionärsgruppe D. den Informationsvorsprung, den sie über den von ihr gestellten Vorstand besitzt, für eigene wirtschaftliche Interessen ausgenutzt hat. Die Gleichbehandlung der Aktionäre gem. § 53a AktG ist auf einem nicht voll funktionsfähigen Aktienmarkt geeignet, den genannten Vorsprung auszugleichen und zugleich einen effizienteren Leistungsaustausch zu ermöglichen, indem weitere Kaufangebote von Aktionären an andere, den Anbietern unbekannte Inhaber von Namensaktien durch die Verwaltung vermittelt werden. Damit werden nicht nur Nachteile zu Lasten des konkurrierenden Anbieters ausgeglichen; sondern es wird zugleich eine informierte und überlegte Anlageentscheidung der übrigen Minderheitsaktionäre ermöglicht, die angesichts eines weiteren Angebots verkaufswillig werden könnten, denen dieses Angebot aber ohne Einschaltung der Verwaltung der Gesellschaft nicht bekannt würde. Zugleich wird verhindert, dass eine begünstigte Aktionärsgruppe einseitige Vorteile erzielt, die für verkaufsbereite Aktionäre mit einer Benachteiligung verbunden sind, weil ihnen günstigere Konkurrenzangebote nicht bekannt werden, die von Minderheitsaktionären - wie hier dem Kläger - abgegeben werden. Durch eine auf Vermittlung beschränkte Angebotsweiterleitung der Verwaltung werden gleiche Machtbedingungen im Interesse aller Aktionäre hergestellt. Eine darauf beschränkte Handhabung des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes aus § 53 a AktG verwirklicht verbandsintern Gerechtigkeitsvorstellungen, die dem § 3 Abs. 1 WpÜG zugrunde liegen. Zugleich werden die Wirkungen des Wissensvorsprungs eines Aktionärs ausgeglichen, indem ein gleichmäßiger, wenn auch indirekter Zugang aller Aktionäre zu den Aktionärsadressen hergestellt wird. Das sorgt für eine gleichmäßige Verteilung des Informationsnutzens, wie es der Gesetzgeber im WpHG mit dem Verbot des Insiderhandelns anstrebt.
Ungeachtet dessen trägt der Kläger jedoch - und das ist entscheidend - mit seinem Hauptantrag nicht dem Erfordernis Rechnung, dass sich die Verwaltung neutral verhalten muss, wenn sie die Vermittlung des Kaufs von Namensaktien zugunsten der Aktionäre betreibt und damit Interessen der Gesellschaft fördern will. Ansatzweise hat sich die Beklagte über ihren Aktionärsbetreuer bereits in der Vergangenheit in die Vermittlung des Kaufkontaktes eingeschaltet, wenn ihr konkrete Kauf- oder Verkaufsinteressen bekanntgegeben worden sind. Es bedarf keiner Klärung, unter welchen Voraussetzungen der Kläger mit seinem Gleichbehandlungsbegehren hätte Erfolg haben können. Es war seine Angelegenheit, einen dafür geeigneten Antrag als Hilfsantrag zu stellen. Das von ihm in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte Ansinnen, seinen Hauptantrag in beliebiger Weise zugunsten eines Prozesserfolgs auszudeuten, ist nicht prozessordnungsgemäß.
Die Auskunftsansprüche des Klägers sind nicht begründet. Sie schießen über das Ziel hinaus, den übrigen Aktionären ein Angebot unterbreiten zu lassen. Beiden Begehren stehen Geheimhaltungsinteressen der übrigen Aktionäre, wie sie in § 67 Abs. 6 S. 3 AktG berücksichtigt sind, entgegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist gem. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zugelassen worden, weil rechtlich ungeklärt ist, ob und mit welchen Begrenzungen der Vorstand einer Aktiengesellschaft den Handel der Aktionäre mit Namensaktien durch Unterstützungshandlungen erleichtern darf und unter welchen Voraussetzungen dabei der aktienrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz anzuwenden ist, um eine einseitige Parteinahme der Verwaltung für einen Aktionär auszugleichen.