Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 21.12.2016, Az.: 15 B 6613/16

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
21.12.2016
Aktenzeichen
15 B 6613/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 43352
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Eine Verfahrenseinstellung wegen Nichtbetreibens gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2. Alt. AsylG scheidet aus, wenn der Ausländer den persönlichen Anhörungstermin wahrnimmt und am Abgleich der Angaben im Teil 1 der Niederschrift zum Asylantrag mitwirkt, die Anhörung dann aber noch vor der Darstellung seines Verfolgungsschicksals ohne Angabe von Gründen abbricht und auf Nachfrage ausdrücklich erklärt, dass eine Rücknahme des Asylantrags damit nicht beabsichtigt sei.

2. Bricht der Ausländer den Termin beim Bundesamt zur persönlichen Anhörung ohne Angabe von Gründen ab und lässt er damit die ihm angebotene Gelegenheit, sein Verfolgungsschicksal zu schildern, ungenutzt, drängt sich der Eindruck auf, dass er eine Verfolgungsfurcht nicht (mehr) ernstlich hegt und ihm der Ausgang des Verfahrens gleichgültig ist. Daher besteht für das Bundesamt in einem solchen Fall auch kein Anlass mehr, im Nachgang zum abgebrochenen Anhörungstermin die zuvor schriftlich eingereichten Ausführungen des Ausländers dahingehend auszuwerten, ob sie gleichwohl Hinweise auf ein noch bestehendes Verfolgungsschicksal enthalten.

Tenor:

Die Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und Bewilligung von Prozesskostenhilfe werden abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Antragsteller begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage (- 15 A 6612/16 -) gegen die im Bescheid des Bundesamtes vom 8. Dezember 2016 enthaltene Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes gem. § 11 Abs. 7 AufenthG nach § 80 Abs. 5 VwGO.

Der Antrag, über den gem. § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG der Einzelrichter entscheidet, hat keinen Erfolg.

Soweit der Antrag auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG gerichtet ist, ist er unzulässig, weil dieses gemäß § 11 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erst mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam wird, so dass insoweit zum jetzigen Zeitpunkt ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Eilrechtsschutz nicht besteht. Der Antrag ist insoweit auch unbegründet, weil sich aufgrund der Abhängigkeit des Wirksamwerdens der Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots vom Eintritt der Bestandskraft der asylrechtlichen Statusentscheidung bei der vom Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung ein überwiegendes Interesse der Antragsteller an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht ergibt (vgl. VG Ansbach, Beschluss vom 18. November 2015 - AN 5 S 15.01616 -, juris).

Im Übrigen ist der Antrag zulässig, insbesondere gem. § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, weil die aufschiebende Wirkung der Klage insoweit gem. § 75 Abs. 1 AsylG ausgeschlossen ist. Die Klage ist jedoch auch insoweit nicht begründet, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht bestehen.

Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens ist gem. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG (zunächst) die unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) ausgesprochene Abschiebungsandrohung, wobei das Gericht vorliegend auch die Einschätzung des Bundesamtes zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen hat, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung und Feststellung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht besteht.

Eine Offensichtlichkeit ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 bis 5 oder des § 29a AsylG erfüllt sind oder wenn nach vollständiger Erforschung des Sachverhalts an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen keine Zweifel bestehen und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand der Rechtsprechung und Lehre) sich eine Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, Beschlüsse vom 20. April 1988 - 2 BvR 1506/87 -, NVwZ 1988, 717, und vom 8. November 1991 - 2 BvR 1351/91 -, InfAuslR 1992, 72 [BVerfG 04.12.1991 - 2 BvR 657/91]). Bei der Geltendmachung von Einzelverfolgungsmaßnahmen kann sich eine Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich aufdrängen, wenn die im Einzelfall geltend gemachte Gefährdung des Asylsuchenden den von Art. 16a Abs. 1 GG vorausgesetzten Grad der Verfolgungsintensität nicht erreicht, die behauptete Verfolgungsgefahr allein auf nachweislich gefälschten oder widersprüchlichen Beweismitteln beruht oder sich das Vorbringen des Asylbewerbers insgesamt als unglaubhaft oder als unschlüssig erweist (BVerfG, Beschlüsse vom 12. Juli 1983, a.a.O., und vom 27. Februar 1990 - 2 BvR 186/89 -, InfAuslR 1990, 199).

Ausgesetzt werden darf die Abschiebung nur dann, wenn ernstliche Zweifel an dem Offensichtlichkeitsurteil oder an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG). Diese sind dann zu bejahen, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung - und ihr vorgehend das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes - einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1516/93 -, BVerfGE 94,166).

Im gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts liegen die Voraussetzungen für eine Asylanerkennung (Art. 16a GG) und eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 1 und 4, § 3a - 3e AsylG) offensichtlich nicht vor (§ 30 Abs. 1 AsylG). Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt das Gericht gem. § 77 Abs. 2 AsylG auf die Begründung des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge Bezug, der es folgt.

Ergänzend ist Folgendes auszuführen:

Eine Asylanerkennung der Antragsteller scheitert gem. Art.16a GG in Verbindung mit § 26a AsylG offensichtlich bereits daran, dass sie nach eigenen Angaben über sichere Drittstaaten in die Bundesrepublik eingereist sind (vgl. Bl. 28 der Beiakte).

Nach dem Inkrafttreten der Änderung des Asylverfahrensgesetzes durch Art. 1 des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (BGBl. I, S. 1722) am 24. Oktober 2015 kann die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet auf § 29a Abs. 1 AsylG gestützt werden. Der Bundesgesetzgeber hat Albanien in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten (Anlage II zu § 29a AsylG) aufgenommen. Die Antragsteller haben keine Tatsachen oder Beweismittel i.S.d. § 29a Abs. 1 AsylG angegeben, die die Annahme begründen, dass ihnen abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG droht.

Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsteller im Falle einer Rückkehr mit asyl- oder flüchtlingsrelevanten staatlichen oder nichtstaatlichen Maßnahmen zu rechnen haben, ergeben sich aus ihrem Vortrag nicht.

Die Antragstellerin zu 1. ist zum Termin ihrer Anhörung erschienen, hat jedoch im Anschluss an den Abgleich der Angaben im „Teil 1 der Niederschrift zum Asylantrag“ angegeben, dass sie an der Anhörung nicht teilnehmen wolle (Bl. 157 der Beiakte).

Sie hatte bereits im Vorfeld der Anhörung gegenüber dem Bundesamt handschriftlich auf sieben Seiten in albanischer Sprache ausgeführt, welche Gründe einer Rückkehr nach Albanien entgegenstehen (Bl. 84 - 90 der Beiakte) und darüber hinaus mehrere Zeitungsausschnitte und Ausdrucke aus dem Internet vorgelegt, die möglicherweise im Zusammenhang mit ihrem Verfolgungsschicksal stehen (Bl. 91 - 100 der Beiakte). Das Bundesamt hat veranlasst, dass ein Dolmetscher den Inhalt der eingereichten Zeitungsausschnitte in deutscher Sprache zusammenfasst (Bl. 150 f. der Beiakte). Danach geht es in den Zeitungsausschnitten um einen Vorfall am Abend des 30. Oktober 2014. Ein Mann namens H. sei von zwei maskierten Personen mit vier Schüssen niedergeschossen worden und im Krankenhaus verstorben. Nach offiziellen Quellen sei H. mehrfach vorbestraft gewesen, unter anderem wegen Mordes, bewaffneten Überfalls und eines Verkehrsunfalls mit zwei Toten. Hintergrund des Angriffs könnte ein Blutracheakt sein, der in Verbindung mit den Vorstrafen stehe. Die Täter seien flüchtig.

Aufgrund der Gleichheit des Namens der Antragstellerin zu 1. bzw. der Alias-Namen der Antragsteller zu 2. und 3. und des Getöteten - in einzelnen Zeitungsausschnitten ist statt von H. von H. die Rede (vgl. Bl. 143 der Beiakte), weil der Getötete seinen Namen laut Internetquellen einige Jahre zuvor geändert haben soll (http://www.shekulli.com.al/p.php?id=59194) - spricht einiges für die Annahme, dass eine Verbindung zwischen den Antragstellern und dem Getöteten besteht, weshalb es für das Bundesamt durchaus nahegelegen hätte, auch die handschriftlich verfassten Verfolgungsgründe der Antragstellerin zu 1. einer Übersetzung zuzuführen.

Im Hinblick darauf, dass der Antragstellerin zu 1. jedoch die Möglichkeit gegeben worden ist, ihre Verfolgungsgründe im Rahmen einer persönlichen Anhörung näher auszuführen, was diese im Termin selbst aber ausdrücklich abgelehnt hat, bedurfte es einer weiteren Auseinandersetzung mit dem schriftlichen Vorbringen jedoch nicht. Den Antragsteller trifft gem. § 25 Abs. 1 AsylG eine persönliche Erklärungspflicht, die durch eine schriftliche Stellungnahme nicht ersetzt werden kann (Fränkel, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 25 AsylG Rn. 5; Schönenbroicher, in: Kluth/ Heusch, Beck’scher Online-Kommentar Ausländerecht, AsylG § 25 Rn. 6 m.w.N.). Indem die Antragstellerin zu 1. den Termin beim Bundesamt zur persönlichen Anhörung ohne Angabe von Gründen abgebrochen und damit die ihr angebotene Gelegenheit, ihr Verfolgungsschicksal zu schildern, ungenutzt gelassen hat, drängt sich der Eindruck auf, dass sie eine Verfolgungsfurcht nicht (mehr) ernstlich hegt und ihr der Ausgang des Verfahrens gleichgültig ist. Daher bestand für das Bundesamt auch kein Anlass mehr, im Nachgang zum abgebrochenen Anhörungstermin die schriftlichen Ausführungen der Antragstellerin zu 1. dahingehend auszuwerten, ob sie gleichwohl Hinweise auf ein noch bestehendes Verfolgungsschicksal enthalten.

Auch im gerichtlichen Verfahren haben die Antragsteller keine Ausführungen gemacht, aus denen sich auf eine noch bestehende Verfolgungsfurcht schließen lässt. Vielmehr haben sie in ihrer Klage- und Antragsbegründung deutlich gemacht, dass sie eine positive Entscheidung des Bundesamtes über den gestellten Asylantrag zum Zeitpunkt der persönlichen Anhörung gar nicht mehr begehrt haben. Sie haben angegeben, Ziel des Abbruchs der Anhörung sei es gewesen, im Hinblick auf eine bevorstehende Heirat der Antragstellerin zu 1. mit einem deutschen Staatsangehörigen eine Einstellung des Verfahrens gem. § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2. Alt. AsylG zu erreichen und so eine Entscheidung über die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes zu vermeiden. Nach dieser Vorschrift wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, mit der Folge, dass der Asylantrag gemäß § 33 Abs. 1 AsylG als zurückgenommen gilt, wenn er einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist.

Zu einer Einstellung des Verfahrens nach dieser Vorschrift war die Antragsgegnerin indes nicht berechtigt. Es handelt sich lediglich um eine Regelvermutung aufgrund bestimmter Zweifel am Fortbestand des Interesses an der Fortführung des Asylverfahrens. Derartige Zweifel bestanden hier trotz des Abbruchs der Anhörung vor der Schilderung des Verfolgungsschicksals jedoch nicht, da die Antragstellerin zu 1. den Termin der Anhörung wahrgenommen, am Abgleich der Angaben im „Teil 1 der Niederschrift zum Asylantrag“ mitgewirkt und die konkrete Nachfrage, ob mit dem Abbruch der Anhörung der Asylantrag auch zurückgezogen werden solle, verneint hat.

Aber selbst wenn das Bundesamt das Verfahren gemäß § 33 Abs. 2 AsylG wegen Nichtbetreibens eingestellt hätte, hätte es dem Einstellungsbescheid ebenfalls - genauso, wie es hier im streitgegenständlichen Bescheid geschehen ist -, gem. § 34 AsylG eine Abschiebungsandrohung beifügen und gem. § 38 Abs. 2 AsylG eine Ausreisefrist von einer Woche setzen müssen (BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 10 C 1.13 -, NVwZ 2014, 158; Pietzsch, in: Kluth/ Heusch, a.a.O., AsylG § 38 Rn. 6). Auch die ausdrückliche Rücknahme des Asylantrags vor der Entscheidung des Bundesamtes hätte daran nichts geändert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

Gemäß §§ 166 VwGO, 114 Satz 1 ZPO ist Prozesskostenhilfe demjenigen zu gewähren, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht oder nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Daran gemessen ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, den das Gericht sowohl auf das Klage- als auch auf das vorläufige Rechtsschutzverfahren bezieht,  entsprechend der obigen Ausführungen mangels hinreichender Erfolgsaussichten unbegründet.