Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 17.01.2017, Az.: 12 A 3971/16

Abschiebungsandrohung; Bulgarien; Flüchtling; internationaler Schutz

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
17.01.2017
Aktenzeichen
12 A 3971/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 53806
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Zum Rechtsschutzbedürfnis für die Klage, wenn die Abschiebung vollzogen ist.
2. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG verdrängt als lex spezialis § 26a AsylG.
3. Bulgarien bietet Flüchtlingen trotz Zuerkennung internationalen Schutzes keinen ausreichenden Verfolgungsschutz im Sinne des § 35 AsylG.

Tenor:

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21. Juli 2016 wird hinsichtlich der Ziffern 2 und 3 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Der Rechtsstreit ist gerichtskostenfrei.

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich gegen ihre Überstellung nach Bulgarien und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot.

Die Kläger sind syrische Staatsangehörige. Die Klägerin zu 1) ist die Mutter des im Jahre 2002 geborenen Klägers zu 2). Nach ihren Angaben reisten sie unter anderem über Bulgarien im November 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte hier am 13. Juni 2016 die Anerkennung als Asylberechtigte.

Die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) durchgeführte EURODAC-Anfrage ergab einen Treffer für Bulgarien. Dem Wiederaufnahmegesuch des Bundesamtes stimmte die zuständige bulgarische Behörde unter Hinweis darauf, dass der Klägerin zu 1) in Bulgarien bereits Flüchtlingsschutz zuerkannt worden sei, nicht zu.

Mit Bescheid vom 21. Juli 2016  lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Kläger als unzulässig ab, ordnete die Abschiebung nach Bulgarien an und verfügte ein befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot. Zur Begründung wurde im Einzelnen ausgeführt, der Asylantrag sei aufgrund der Regelungen in § 60 Abs. 1 und 2 AufenthG unzulässig, da die Kläger in Bulgarien bereits internationalen Schutz zuerkannt bekommen hätten. Die Anordnung der Abschiebung beruhe auf § 34a Abs. 1 S. 1 AsylVfG, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf § 11 AufenthG.

Die Kläger haben am 4. August 2016 Klage erhoben. Der Prozessbevollmächtigte teilte im Gerichtsverfahren mit, dass die Kläger inzwischen am 14. Dezember 2016 nach Bulgarien abgeschoben worden seien. Ihm sei aber die Adresse der Kläger in Bulgarien bekannt. Das Verfahren solle deshalb weitergeführt werden. Zur Begründung des Klagebegehrens führen sie aus, dass die Lebensumstände in Bulgarien hinsichtlich der medizinischen und wirtschaftlichen Versorgung unzumutbar seien.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21. Juli 2016  hinsichtlich der Ziffern 2) und 3) aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den des Verwaltungsvorganges der Beklagten Bezug  genommen; sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

Über die Klage konnte der Berichterstatter aufgrund des Übertragungsbeschlusses der Kammer als Einzelrichter und aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO) entscheiden.

Die Klage ist zulässig (I.) und begründet (II.).

Maßgeblich für die Entscheidung über die Klage ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. Satz 1 2. Halbsatz Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl.I 2008, S. 1798, zuletzt geändert mit Wirkung vom 10. November 2016 durch Art. 2 Abs. 2 des Fünfzigsten Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 4. November 2016, BGBl. I S. 2460, - Asylgesetz - AsylG).

I. Die Klage ist zulässig. Trotz der zwischenzeitlichen Überstellung nach Bulgarien haben die Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis für die vorliegende Klage. Insbesondere hat sich der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Ziffern 2) und 3) nicht erledigt. Erledigung im Sinne des § 43 Abs. 2 VwVfG tritt dann ein, wenn die mit dem Verwaltungsakt verbundene rechtliche oder sachliche Beschwer nachträglich weggefallen ist. Dies ist hinsichtlich der Abschiebungsanordnung, wie sich schon aus § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG ergibt, nicht der Fall. Nach dieser Regelung bedarf es bei Folgeanträgen, die nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führen, zum Vollzug der Abschiebung keiner erneuten Festsetzung und Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung. Außerdem ist die Abschiebungsanordnung auch weiterhin Rechtsgrundlage für die vollzogene Abschiebung. Ist diese Abschiebung rechtswidrig, kann diese einen Folgenbeseitigungsanspruch auslösen (vgl. OVG Münster, Urteil vom 22. September 2016 - 13 A 2448/15. A -, BeckRS 2016, 52566 m.w.N.). Im Falle einer Überstellung in einen europäischen Mitgliedstaat folgt dies auch aus Art. 29 Abs. 3 Dublin III-Verordnung, wonach dann, wenn eine Person irrtümlich überstellt worden ist oder einem Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung oder der Überprüfung einer Überstellungsentscheidung nach Vollzug der Überstellung stattgegeben wird, die Person von dem Mitgliedstaat, der die Überstellung durchgeführt hat, unverzüglich wieder aufgenommen wird. Schließlich kann allein aus der Tatsache, dass die Abschiebung durchgeführt worden ist, ohne nähere Anhaltspunkte nicht geschlossen werden, dass der betroffene Ausländer kein Interesse mehr am Ausgang des Verfahrens hat. Dies ergibt sich im vorliegenden Fall auch daraus, dass die Kläger weiterhin Kontakt zu ihrem Prozessbevollmächtigten haben und ihm ihre Adresse mitgeteilt haben, sodass eine Kontaktaufnahme weiterhin möglich ist.

Angesichts des Verzichts auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung und einer Entscheidung des Gerichts ohne diese mündliche Verhandlung bedarf es auch der Mitteilung einer ladungsfähigen Anschrift der Kläger nach § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht, wenn - wie hier - die Entscheidung an den Prozessbevollmächtigten zugestellt werden und dieser die Entscheidung an die Kläger weiterleiten kann.

II. Die hiernach zulässige Klage ist auch begründet. Der angegriffene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom einen 21. Juli 2016 ist hinsichtlich der Ziffern 2) und 3) rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.

Die angefochtene Verfügung in Ziffer 2 des Bescheides richtet sich nunmehr nach § 35 AsylG (1.). Die Voraussetzungen der Abschiebungsandrohung liegen aber nicht vor (2.). Die Entscheidung kann auch nicht auf eine andere Rechtsgrundlage gestützt werden (3.). Auch das Einreise-und Aufenthaltsverbot ist rechtswidrig (4.).

1. Nach dem nunmehr nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im schriftlichen Verfahren maßgeblichen Asylgesetz in der durch das Integrationsgesetz vom 31. Juli 2016 und nachfolgend durch das genannte Gesetz vom 4. November 2016 geänderten Fassung richtet sich die Abschiebungsandrohung für den Fall, dass dem Ausländer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union bereits internationaler Schutz gewährt worden ist, nach § 35 AsylG. Für diesen Fall der internationalen Schutzgewährung verdrängt § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nämlich den § 26 a Abs. 1 AsylG (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 10. Januar 2017 - VG 23 L1677.16 A -; VG Hamburg, Urteil vom 22. November 2016 - 16 A5054/14 -, mit weiteren Nachweisen). Der Gesetzgeber hat in § 29 AsylG  zur besseren Übersichtlichkeit und Vereinfachung der Rechtsanwendung die möglichen Gründe für die Unzulässigkeit eines Asylantrags in einem Katalog zusammengefasst (BVerwG, Urteil vom 9. August 2016, 1 C 6/16, juris Rn 8). Zudem wird mit ihm Art. 33 der Asylverfahrensrichtlinie (2013/32/EU) umgesetzt, welcher in seinem Absatz 2 abschließend regelt, unter welchen Voraussetzungen die Mitgliedstaaten einen Asylantrag als unzulässig betrachten dürfen (OVG NRW, Urteil vom 24. August 2016 - 13 A 63/16.A -, juris Rn 30). Dies ist nach Art. 33 Abs. 2 lit a) Asylverfahrensrichtlinie u.a. dann der Fall, wenn ein anderer Mitgliedstaat bereits internationalen Schutz gewährt hat. Die Unzulässigkeit im Zusammenhang mit § 26 a AsylG ist nunmehr in § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG geregelt, wonach ein Asylantrag unzulässig ist, wenn ein sicherer Drittstaat gemäß § 26a AsylG bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen. Der Gesetzgeber hat mit der zusammenfassenden Regelung verschiedener Unzulässigkeitstatbestände in § 29 Abs. 1 AsylG das Verfahren strukturiert und dem Bundesamt nicht nur eine Entscheidungsform eröffnet, sondern eine mehrstufige Prüfung vorgegeben (BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4. -, juris). So hat das Bundesamt etwa gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG über das Bestehen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu entscheiden. Der Regelung in § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG kommt demnach nicht nur deklaratorische Bedeutung zu (so aber OVG Saarland, Urteil vom 25. Oktober 2016 - 2 A 95/16 -, juris).

Ob die vom Bundesamt zur Ablehnung des Asylantrages als unzulässig angeführte Rechtsgrundlage des § 60 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch die Regelung in § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ersetzt werden kann, kann im vorliegenden Verfahren dahinstehen, da die Kläger die entsprechende Ziffer 1 des Bescheides vom 21. Juli 2016 nicht angefochten haben.  Im Hinblick auf die Anfechtung der Abschiebungsanordnung in Ziffer 2 des Bescheides ist aber die Neuregelung des § 29 Abs. 1 AsylG zugrunde zu legen. Der § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG verdrängt als lex spezialis den § 26a AsylG, sodass sich die Entscheidung über die Abschiebung nicht nach § 34 a AsylG, sondern nach § 35 AsylG richtet.

Eine solche Entscheidung hat das Bundesamt bislang nicht getroffen. Es hat eine Abschiebungsanordnung nach § 34 a AsylG verfügt. Danach ordnet das Bundesamt, wenn der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26 a AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Ob eine Umdeutung der Abschiebungsanordnung in eine Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG zulässig ist, ist fraglich, kann im Ergebnis aber dahinstehen. Bedenken gegen eine Umdeutung bestehen, weil eine Abschiebungsanordnung und eine Abschiebungsandrohung unterschiedliche Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung darstellen, die nicht teilidentisch sind (BVerwG, Beschl. v. 23. Oktober 2015 – 1 B 41/15 -, NVwZ 2015, 1779). Der Umstand, dass sowohl die Abschiebungsanordnung wie auch die Abschiebungsandrohung  auf das gleiche Ziel, nämlich auf eine Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gerichtet sind und insoweit teilweise identische Prüfungsinhalte bestehen, begründet keine Teilidentität in dem Sinne, dass die Ersetzung einer (rechtswidrigen) Abschiebungsanordnung durch eine Abschiebungsandrohung nicht zur (vollständigen) Erledigung der Abschiebungsanordnung führt (BVerwG, Beschl. v. 23. Oktober 2015, a.a.O.). Die Frage der Zulässigkeit einer solchen Umdeutung kann aber deshalb dahinstehen, weil die Abschiebungsandrohung wie auch die Abschiebungsanordnung rechtswidrig sind.

2. Die Voraussetzungen der Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG liegen nicht vor. Im Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG droht das Bundesamt dem Ausländer die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war. Ein Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG mit der Folge, dass ein Asylantrag unzulässig ist, liegt vor, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz gewährt hat. Mit dieser seit dem 6. August 2016 geltenden Fassung des Asylgesetzes wird Art. 33 RL 2013/32/EU - Asylverfahrens-RL - umgesetzt, der in Absatz 2 abschließend regelt, wann die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig betrachten dürfen. Hierzu gehört nach Art. 33 Abs. 2 lit. a) Asylverfahrens-RL auch, dass ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt hat, wobei „internationaler Schutz“ iSd Asylverfahrens-RL auch die Anerkennung eines subsidiären Schutzstatus umfasst, wie sich aus Art. 2 lit. i) und k) der Asylverfahrens-RL ergibt. Mit der Regelung in § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist Art. 33 Abs. 2 lit. a) Asylverfahrens-RL nationalstaatlich umgesetzt. Mit dem Verweis auf § 1 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist auch für die Bundesrepublik Deutschland klargestellt, dass der Asylantrag unzulässig ist, wenn der Ausländer internationalen Schutz durch die Anerkennung des Flüchtlingsstatus (§ 3 AsylG) oder des subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) erhalten hat.

Im Bescheid des Bundesamtes vom 21. Juli 2016 ist zutreffend ausgeführt, dass den Antragstellern in Bulgarien internationaler Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt wurde. Diese Zuerkennung des internationalen Schutzes besteht fort. Dass die Schutzgewährung willkürlich oder generell fehlerhaft vorgenommen worden ist, ist nicht ersichtlich. Eine durch den Mitgliedstaat ausgesprochene Flüchtlingsanerkennung bleibt dem Ausländer unbeschadet etwaiger in diesem Staat bestehender „systemischer Mängel“ erhalten (Nds. OVG, Beschluss vom 27 Oktober 2016 - 2 LA 58/16 -, juris). Anhaltspunkte für ein Erlöschen (vgl. dazu Art. 11 RL 2011/95/EU - Qualifikations- RL -) sind nicht ersichtlich.

Gleichwohl ist die an die Zuerkennung des internationalen Schutzes in Bulgarien anknüpfende Rechtsfolge der Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG rechtswidrig. Im Rahmen der rechtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit der auf § 35 Asylgesetz gestützten Abschiebungsandrohung ist wie in § 34 AsylG u.a. zu prüfen, ob Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.

Eine solche Prüfung hat bislang nicht stattgefunden. Das Bundesamt hat lediglich inlandsbezogene Abschiebungshindernisse und die tatsächliche Abschiebungsmöglichkeit geprüft. Unmenschliche Behandlungen in Bulgarien werden nur pauschal angesprochen im Hinblick auf die Frage der Zuständigkeit Deutschlands. Anhaltspunkte, dass das Bundesamt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG geprüft hat, liegen nicht vor.

Ob der angefochtene Bescheid in Ziffer 2 bereits deswegen rechtswidrig ist, weil das Bundesamt die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen, entgegen § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG in der nunmehr anzuwendenden Fassung nicht vorgenommen hat, kann dahinstehen.

Denn die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegen vor.

Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, sobald sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Dies ist hier der Fall, weil den Klägern in Bulgarien eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht.

Grundsätzlich gilt zwar, dass ein Flüchtling in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union gemäß den Anforderungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 83/389 vom 30. März 2010), des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. II 1953, S. 559) sowie der Europäischen Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. II 1952, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Oktober 2010 (BGBl. II S. 1198) behandelt wird. Aus dem daraus abgeleiteten Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 –, juris; Urteil vom 14. November 2013 - C-4/11 -, NVwZ 2014, S. 129 und juris) gilt dies grundsätzlich für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Signatarstaaten der EMRK und damit grundsätzlich auch für Bulgarien.

Die dem System innewohnende Vermutung ist jedoch dann als widerlegt zu betrachten, wenn den Mitgliedsstaaten sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, also ernsthaft zu befürchten ist, dass in einem Mitgliedsstaat für dorthin überstellte Flüchtlinge die Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011, a.a.O.; ders.: Urteil vom 14. November 2013, a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 20. Februar 2013 - 10 C 23/12 -, juris Rn. 32; Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6/14 -, juris Rn. 9; OVG Lüneburg, Beschluss vom 20. Dezember 2016 – 8 LB 184/15 –, juris Rn. 32f). Hat der Ausländer bereits einen Schutzstatus erhalten, ist maßgebend, ob der Inhalt dieses Schutzstatus hinreichend eingehalten wird, insbesondere ob eine tatsächliche Gefahr besteht, dass der Ausländer im betreffenden Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. von Art. 4 GR-Charta bzw. dem inhaltsgleichen Artikel 3 EMRK ausgesetzt sein wird.

Eine Abschiebung in den Mitgliedstaat, in dem dem Antragsteller internationaler Schutz gewährt wurde, ist daher nur als zulässig anzusehen, wenn dieser Schutz ausreichend ist. Das ist nur der Fall, wenn dort ausreichender Schutz auch tatsächlich gewährt wird (vgl. zur Maßgeblichkeit der tatsächlichen Verhältnisse: EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011, a.a.O.). Den Ausländer trifft insoweit eine erhöhte Darlegungslast. Allerdings müssen auch die Behörden und Gerichte wegen der Bedeutung der von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK geschützten Rechtsgüter die allgemeine und ihnen zugängliche Auskunftslage berücksichtigen (vgl. auch § 36 Abs. 4 S. 2 AsylG).

Eine nach diesen Vorgaben erforderliche, aber auch ausreichende Schutzgewährung für Bulgarien war im Zeitpunkt der Weiterreise und ist derzeit zu verneinen.

Das Gericht hat im Urteil vom 04. November 2015 (- 12 A 498/15 –, juris) im Einzelnen ausgeführt, dass in Bulgarien systemische Mängel im Umgang mit Inhabern eines Schutzstatus vorliegen, sodass Bulgarien nicht als sicherer Drittstaat im Sinne von Art. 16 a Abs. 2 GG, § 26 a AsylG anzusehen ist. An dieser Rechtsprechung hält das erkennende Gericht weiterhin fest, da sich an der tatsächlichen Situation in Bulgarien nichts geändert hat (vgl. zur Situation der Flüchtlinge, die einen Flüchtlings- oder subsidiären Schutzstatus erhalten haben, die bereits genannte Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 23. Juli 2015 an das VG Stuttgart sowie den Bericht der Rechtsanwältin Dr. Valeria Ilareva über die derzeitige rechtliche, wirtschaftliche und soziale Lage anerkannter Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigter in Bulgarien vom 27. August 2015). Die Betroffenen haben - wie ausgeführt - keine reelle Chance, sich ein Existenzminimum in Bulgarien zu schaffen. Es gibt nach wie vor keinen nationalen Integrationsplan, der es den Flüchtlingen ermöglicht, eine Existenz aufzubauen; es gibt keine Unterstützung bei der Wohnungssuche; die Schutzberechtigten erhalten die ohnehin sehr geringe Sozialhilfe tatsächlich nicht. Das Auswärtige Amt führt in der genannten Auskunft etwa aus: „In der Regel bedeutet der Erhalt eines Schutzstatus Obdachlosigkeit, da anerkannte Schutzberechtigte auf dem Wohnungsmarkt auch aufgrund der Voreingenommenheit der Bevölkerung geringe Chancen haben, bzw. ihre Situation durch das Verlangen horrender Mieten ausgenutzt wird.“. Außerdem haben die Flüchtlinge faktisch keinen Zugang zur gesundheitlichen Versorgung und faktisch keinen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nach einem Bericht in der FAZ erheben laut einer Umfrage des Belgrader Zentrums für Menschenrechte Flüchtlinge schwere Vorwürfe gegen die bulgarische Polizei (FAZ vom 13. November 2015). Es wird weiterhin von schweren Menschenrechtsverletzungen berichtet („Misshandelt in Bulgarien“, TAZ vom 16. Dezember 2015; „Human Rights Watch wirft Bulgarien Gewalt gegen Flüchtlinge vor“ ZEIT ONLINE v. 20. Januar 2016; „Bürgerwehren jagen Flüchtlinge“, ZDF-heute v. 8. Juni 2016; Fiedler, Die Situation für Flüchtende in Bulgarien im Kontext der Schließung des ‚humanitären Korridors‘, Moving Europe Report Juli 2016; „Uno kritisiert Behandlung von Flüchtlingen in Bulgarien“ NZZ v. 12. August 2016 und FOCUS Online v. 12. August 2016).

Auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof führt im Urteil vom 4. November 2016 (– 3 A 1292/16.A –, juris) aus, dass Bulgarien nach wie vor kein funktionierendes und ausreichend finanziertes Integrationsprogramm für anerkannte Schutzberechtigte aufgestellt hat und/oder ein solches praktiziert. Das Gericht führt dann weiter aus:

„Laut einer Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 23. September 2015 hat die Europäische Kommission insgesamt 40 Vertragsverletzungsverfahren hinsichtlich der Bewältigung der Flüchtlingskrise eingeleitet, bei denen mehrfach Bulgarien genannt wurde. So hat Bulgarien die Anerkennungsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) weder umgesetzt noch die Kommission über nationale Umsetzungsmaßnahmen in Kenntnis gesetzt. Gleiches hat für die überarbeitete Asylverfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU(1)) sowie die Richtlinie über die Aufnahmebedingungen (Richtlinie 2013/33/EU(4)) zu gelten. Das von der Europäischen Kommission verfasste Aufforderungsschreiben stellt die erste förmliche Stufe eines Vertragsverletzungsverfahrens dar (vgl. Pressemitteilung Europäische Kommission, Mehr Verantwortung bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise: Europäische Kommission bringt gemeinsames Europäisches Asylsystem auf Kurs und leitet 40 Vertragsverletzungsverfahren ein, Brüssel, 23.09.2015). In einem Bericht über eine Informationsreise des Europäischen Wirtschaft- und Sozialausschusses nach Bulgarien vom 25./26. Januar 2016 wird ausgeführt, dass Sprachunterricht anders als in Deutschland nicht angeboten wird, obwohl Investitionen in intensive Sprachkurse für Asylbewerber, die in Bulgarien bleiben, nötig sind, um die Integration voran zu treiben. Trotz einer Diskussion über eine Integrationsstrategie gebe es kein derartiges Programm für Menschen, denen der Schutzstatus gewährt wurde. Dies sei auch der Grund, weshalb viele Flüchtlinge das Land wieder verließen. Bestätigt wird hierin auch die von PRO ASYL beschriebene Praxis, dass Sozialwohnungen nur dann in Anspruch genommen werden können, wenn einer der Ehegatten die bulgarische Staatsangehörigkeit besitzt und bereits im Land gearbeitet hat. Flüchtlingskindern steht kein Recht auf einen Kindergartenplatz zu, wobei jedoch selbst bulgarische Bürger Schwierigkeiten haben, einen Platz für ihr Kind zu finden. Sehr wenige Asylbewerber gehen in Bulgarien gegen Asylentscheidungen vor, da sie keinen Zugang zur Rechtsberatung haben (vgl. Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Bericht über die Informationsreise nach Bulgarien, 25.26.01.2016). ACCORD (Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation, Forschung und Dokumentation zu Asyl- und Menschenrechten) kommt in einem Bericht vom 14. April 2016 zu dem Ergebnis, dass kein Flüchtling in Bulgarien eine reelle Chance habe, sich ein Existenzminimum zu schaffen. Die Rückführung von Personen, die in Bulgarien einen Status erhalten haben, verstoße daher gegen Art. 3 EMRK und auf nationaler Ebene gegen § 60 Abs. 5 AufenthG. Bei kranken und vulnerablen Personen liege eine konkrete erhebliche Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zu Bulgarien: Konsequenzen für einen in Bulgarien subsidiär ("humanitär") Schutzberechtigten bei Rücküberstellung, z. B. gemäß Dublin-Übereinkommen aus einem anderen EU-Land; Kann der humanitäre Schutz von Bulgarien wieder entzogen werden-, 14.04.2016). Die Neue Züricher Zeitung berichtet am 13. August 2016 über eine Untersuchung der UNO zur bulgarischen Asylpraxis: Unhygienische Unterkünfte, willkürliche Internierungen und eine Regierung, die den Fremdenhass schürt und Bürger ermuntert, an der Grenze Jagd auf Migranten zu machen - das UNO Hochkommissariat für Menschenrechte zeichne ein düsteres Bild vom Umgang mit Asylsuchenden in Bulgarien. Ein Team aus Genf habe das Balkanland Ende Juli 2016 zum 2. Mal innerhalb von acht Monaten besucht und eine Bilanz gezogen. Zwar vermerkten die UNO Experten auch Fortschritte, etwa bei den administrativen Verfahren. Angesichts der gravierenden Mängel scheine deren Erwähnung aber primär der diplomatischen Höflichkeit geschuldet. Zeid Raad al-Hussein, UNO Hochkommissar, habe scharfe Kritik an der Praxis geübt, Personen, die irregulär nach Bulgarien einreisten, zu internieren. Noch schlimmer sei, dass Gefängnisstrafen von über einem Jahr drohten, wenn jemand versuche, das Land wieder zu verlassen. Damit missachte Bulgarien internationales Recht. Bulgarien habe im ersten Halbjahr 2016 rund 14.000 Migranten festgenommen; in der entsprechenden Vorjahresperiode seien es noch 21.000 Personen gewesen. Nur wenige wollten im ärmsten EU-Mitgliedstaat bleiben (vgl. NZZ, Internieren und Abschieben, die UNO rügt Bulgariens Asylpraxis, 13.08.2016).“

Angesichts dieser Situation, die nach wie vor von unzumutbaren Lebensverhältnissen, Versorgungsengpässen und inakzeptablen Unterbringungen geprägt ist, die zu Ängsten, Obdachlosigkeit, unzureichender medizinischer Versorgung und einem Leben in extremer Armut führen kann, ist es nicht zumutbar, die betreffenden Flüchtlinge nach Bulgarien abzuschieben. Damit liegt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vor. Eine auf § 35 AsylG gestützte Abschiebungsandrohung ist demnach rechtswidrig.

3. Die Entscheidung in Ziffer 2 des Bescheides vom 21. Juli 2016 kann auch nicht auf § 34 a AsylG gestützt werden, weil die Voraussetzung, dass feststehen muss, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann, nicht vorliegt. Bulgarien ist aus den unter 2. genannten Gründen nicht als sicherer Drittstaat im Sinne des § 26a AsylG anzusehen.

4. Nach Aufhebung der Abschiebungsandrohung kann auch die in Ziffer 3 des Bescheids enthaltene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht aufrechterhalten werden.