Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 12.10.1995, Az.: 2 W 87/95
Zulässigkeit einer Durchsuchungsanordnung in der Zwangsvollstreckung trotz Lebensgefahr für den Schuldner; Abwägungsgrundlagen im Fall einer drohenden Lebensgefahr oder Gesundheitsgefahr gegenüber der Durchführung einer Zwangsvollstreckung aus rechtskräftigem Titel; Weigerung eines Schuldners eine gesundheitserhaltende Therapie zu beginnen unter dem Aspekt der Rechtmäßigkeit einer durchgeführten Durchsuchungsanordnung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 12.10.1995
- Aktenzeichen
- 2 W 87/95
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1995, 28986
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1995:1012.2W87.95.0A
Amtlicher Leitsatz
Zulässigkeit einer Durchsuchungsanordnung in der Zwangsvollstreckung trotz Lebensgefahr für den Schuldner, wenn dieser Erfolg versprechende Maßnahmen zur Risikoverringerung nachhaltig verweigert.
Gründe
Dem Landgericht ist darin beizupflichten, dass der Gesundheitszustand des Schuldners, namentlich die Gefahr des Schlaganfalls oder eines Herzinfarkts infolge Bluthochdrucks und enormer emotionaler Erregbarkeit, der angeordneten Durchsuchung mit Rücksicht auf das berechtigte Interesse des Gläubigers an der Durchsetzung seiner Forderung nicht entgegensteht.
Die Würdigung aller Umstände kann in besonders gelagerten Einzelfällen, in denen nach besonders sorgfältiger Nachprüfung des entsprechenden Vortrags schwerwiegende Gesundheits- oder Lebensgefahr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist, zwar dazu führen, dass von der Vollstreckung aus einem rechtskräftigen Titel zumindest zeitweilig abzusehen ist, wenn dieser Gefahr auch durch eine besondere Gestaltung der Zwangsvollstreckung nicht begegnet werden kann (vgl. BVerfG NJW 1979, 2607; NJW 1994, 1272). Ein derartiger Ausnahmefall, in dem die schützenswerten Interessen des Schuldners ersichtlich schwerer wiegen als diejenigen Belange, deren Wahrung die Vollstreckung dienen soll, liegt hier aber nicht vor.
Ausschlaggebend hierfür ist, dass der Schuldner bereits seit geraumer Zeit davon Kenntnis hat, dass die Durchsuchung droht - der entsprechende Antrag des Gläubigers ist ihm Anfang Juni 1994 zugegangen -, dass ihm die gesundheitlichen Gefahren einer Durchsuchung bereits seit langem bekannt sind, wie sich aus vorangegangenen Vollstreckungsverfahren anderer Gläubiger (21 M 1475/88 AG Oldenburg; 21 M 1147/90 AG Oldenburg; 21 M 1964/92 AG Oldenburg) ergibt, dass er bisher mögliche, zumutbare und Erfolg versprechende Maßnahmen zur nachhaltigen Verringerung des gesundheitlichen Risikos nicht ergriffen hat und dass er diese, wie u.a. aus der Stellungnahme vom 12.10.1995 hervorgeht, auch nicht beabsichtigt. Der Schuldner hat jedoch selbst zur Verringerung oder gänzlichen Ausräumung der Gefahr nach Kräften beizutragen (BVerfG NJW 1992, 1155; NJW 1994, 1719, 1720 [BVerfG 02.05.1994 - 1 BvR 549/94]; OLG Köln NJW 1993, 2248, 2249) [OLG Köln 30.04.1993 - 2 W 50/93].
Ausweislich des Gutachtens vom 10.3.1995 wird das Hochdruckleiden nicht ausreichend behandelt. Nach den Ausführungen in dem Ergänzungsgutachten vom 22.9.1995 könnte eine ausreichende blutdrucksenkende Behandlung bereits binnen weniger Wochen zu einer deutlichen Absenkung des Gesundheitsrisikos führen. In den ärztlichen Attesten des Hausarztes Dr. med Hanken vom 5.9.1995 und 10.10.1995 wird demgegenüber zwar festgestellt, der Blutdruck sei auf Grund der hohen Labilität der Werte nicht einstellbar. Diese nicht weiter begründete Feststellung gibt dem Senat aber keinen Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde der gerichtlich bestellten Sachverständigen und zu weiterer Beweiserhebung. Die gerichtlichen Sachverständigen haben die Labilität des Blutdrucks in ihrem ausführlichen Gutachten vom 10.3.1995 ebenso berücksichtigt, wie die Erkrankung der Atemwege (Bronchialasthma), die nach Auffassung des Schuldners jedweder Behandlung mit blutdrucksenkenden Mitteln entgegensteht. Der Sachverständige Dr. med ... ist Leitender Funktionsbereichsarzt im ....
Die Sachverständige Dr. med. ... ist Ärztliche Direktorin sowie Ärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Sozialmedizin.
Die gerichtlichen Sachverständigen weisen in ihrem Ergänzungsgutachten vom 22.9.1995 darauf hin, dass auch eine mehrere Monate dauernde psychoptherapeutische Behandlung zu einer deutlichen Herabsetzung des Gesundheitsrisikos führen könnte. In dem ärztlichen Attest vom 10.10.1995 wird demgegenüber zwar festgestellt, eine Psychotherapie sei nicht durchführbar; die dahinter stehende Grunderkrankung sei therapieresistent. Diese nicht weiter erläuterten Ausführungen geben aber ebenfalls keinen Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde der gerichtlichen Sachverständigen und zu weiterer Beweiserhebung.
Der Schuldner hat in der weiteren Beschwerdeschrift vom 27.7.1995 zunächst selbst geltend gemacht, es sei dem Gläubiger zuzumuten, die Zeit bis zu einer erfolgreichen Behandlung abzuwarten. Zu einer solchen Behandlung ist er jedoch - wie seine weiteren Stellungnahmen zeigen - nicht bereit. Unter diesen Umständen überwiegt das Interesse des Gläubigers an einer sofortigen Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 29.9.1993 - 12 C 431/93 -. Dem Gläubiger ist wegen ehrverletzender Äußerungen ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.500,- DM zuerkannt worden. Es ist für den Gläubiger nicht zumutbar, dass sein rechtskräftig anerkanntes Begehren nach Genugtuung von dem Schuldner nachhaltig unterlaufen wird.
Ob es unter Abwägung der widerstreitenden Gläubiger- und Schuldnerinteressen angezeigt wäre, die Durchsuchung nur unter der Voraussetzung anzuordnen, dass dem Schuldner - wie in dem Beschluss des Senats vom 16.8.1995 unter III. 1. a) bis c) angedeutet - Gelegenheit gegeben wird, einer Durchsuchung nicht selbst beizuwohnen, bedarf keiner Entscheidung. Denn ausweislich der nachfolgenden Ausführungen (Zif. 4 dieses Beschlusses) erscheint es bereits mit Rücksicht auf die Suizidgefahr bei der Ehefrau des Schuldners erforderlich, die Durchsuchung einen Tag vorher formlos durch den Gerichtsvollzieher anzukündigen. Eine über diese Anordnung hinausgehende Modifizierung der Durchsuchung zu Gunsten des Schuldners kommt auch unter Berücksichtigung der Ausführungen in dem Ergänzungsgutachten vom 22.9.1995 zu dem Grad der Gefährdung des Schuldners im Falle einer tags zuvor angekündigten Durchsuchung nicht in Betracht.
Der Schuldner hat im weiteren Beschwerdeverfahren unter Vorlage eines ärztlichen Attests vom 29.8.1995 geltend gemacht, dass im Falle einer unangekündigten Hausdurchsuchung eine massive Verschlechterung der psychischen Situation seiner mit ihm zusammenlebenden Ehefrau eintreten würde, bei der eine mehr als latente Suizidalität bestehe. Dieser Vortrag erfolgte in Kenntnis des Beschlusses des Senats vom 16.8.1995, in dem unter III. 1. c) die Möglichkeit einer modifizierten, nämlich am Tage zuvor mitgeteilten Durchsuchung, angedeutet wird. Der Gläubiger ist dem nicht entgegengetreten.
Im Rahmen der Abwägung der Gläubiger- und Schuldnerinteressen ist auch eine erhebliche Gefährdung der mit dem Schuldner zusammenlebenden Ehefrau zu würdigen (OLG Köln, NJW 1994, 1743 [OLG Köln 07.02.1994 - 2 W 21/94]; OLG Frankfurt, NJW-RR 1994, 81). Dies führt zu der Anordnung, die Durchsuchung am Tage vorher schriftlich anzukündigen. Hierdurch wird einerseits der im weiteren Beschwerdeverfahren geltend gemachten Gefährdung der Ehefrau des Schuldners Rechnung getragen. Andererseits werden die berechtigten Interessen des Gläubigers nicht unzumutbar beeinträchtigt. Denn die Gefahr, dass bis zu der Durchsuchung am nächsten Tage entgegen § 288 StGB pfändbare Habe beiseite geschafft wird, ist angesichts des bisherigen Verlaufs des Verfahrens als gering einzuschätzen. Darüberhinaus soll die Wohnung nach § 107 Nr. 7 der Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher in der Regel ohnehin erst nach schriftlicher Ankündigung gewaltsam geöffnet werden.