Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 18.10.1995, Az.: 2 U 130/95

Vorlage eines gegenteiligen Privatgutachtens eines Sachverständigen; Auseinandersetzungspflicht des Gerichts bei gleicher Qualifikation der Gutachter

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
18.10.1995
Aktenzeichen
2 U 130/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 29073
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1995:1018.2U130.95.0A

Amtlicher Leitsatz

Keine Verwertbarkeit eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens ohne Auseinandersetzung mit einem gegenteiligen Privatgutachten eines Sachverständigen mit vom Gericht bejahter gleicher Qualifikation.

Entscheidungsgründe

1

Das Landgericht hat seine Entscheidung auf die Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. H gestützt. Dabei hat das Landgericht es jedoch verfahrensfehlerhaft unterlassen, sich mit dem von der Beklagten eingeholten Privatgutachten des Dr. B auseinanderzusetzen. Zwar ist im Rahmen der angefochtenen Entscheidung nicht verkannt worden, dass die Feststellungen des Dr. B erheblich von denen des Sachverständigen Dr. H abweichen. Zu Unrecht vertritt das Landgericht jedoch die Auffassung, trotz der unterschiedlichen Befunde der Begutachtungen sei es nicht erforderlich, dass der gerichtliche Sachverständige die Abweichungen seiner Feststellungen von denen des Gutachters Dr. B im einzelnen begründe, weshalb auch keine Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen oder Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens notwendig sei.

2

Im Rahmen der Beweisaufnahme besteht vielmehr die Pflicht des Gerichts, Einwendungen der Parteien gegen ärztliche Gutachten auch eines gerichtlich bestellten Sachverständigen ernstzunehmen und sich damit sorgfältig auseinanderzusetzen. Das gilt erst recht, wenn eine Partei sich auf ein von ihr vorgelegtes ärztliches Privatgutachten stützt, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlichen Sachverständigen steht. Das Gericht hat sich in einem derartigen Fall mit den Einwendungen einer Partei ebenso sorgfältig auseinanderzusetzen, als wenn es sich um die abweichende Stellungnahme eines von ihm selbst bestellten weiteren Gutachters handeln würde; der Streit darf nicht entschieden werden, ohne dass in der Entscheidung eine einleuchtende, nachvollziehbare Begründung gegeben wird, warum dem gerichtlichen Sachverständigengutachten der Vorzug gegeben wird (BGH MDR 1986, 915; BGH MDR 1992, 407, BGH VersR 1993, 899; BGH VersR 1994, 162).

3

Vorliegend weisen die Gutachten des Dr. B. und des gerichtlichen Sachverständigen Dr. H zahlreiche, erhebliche Unterschiede auf: Eine abschließende Sachentscheidung durch den Senat ist nicht sachdienlich (§ 540 ZP0). Der Rechtsstreit ist nicht entscheidungsreif, da sich auf Grund des vorliegenden gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens nicht beurteilen lässt, inwieweit der Kläger durch den Unfall vom 20.04.1992 eine Beeinträchtigung seiner Arbeitsfähigkeit erlitten hat. Der Sachverhalt ist deshalb weiter aufzuklären. Dazu bieten sich dem Gericht in Fällen der vorliegenden Art grundsätzlich mehrere Möglichkeiten an. Es kann den Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung laden und befragen oder, wenn dies zweckmäßig erscheint, zur schriftlichen Ergänzung seines Gutachtens veranlassen. Es kann stattdessen auch nach § 412 ZP0 ein weiteres Gutachten einholen. Angesichts der zahlreichen und erheblichen Widersprüche zwischen den Feststellungen in dem von der Beklagten eingeholten Gutachten und denen im Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen erscheint vorliegend eine bloße mündliche Erläuterung des Gutachtens nicht ausreichend. Vielmehr ist es angebracht, zunächst eine schriftliche Ergänzung des gerichtlichen Sachverständigengutachtens einzuholen, da nur bei dieser Verfahrensweise beiden Parteien die Möglichkeit gegeben wird, gegebenenfalls nach sachverständiger Beratung zum ergänzenden Sachverständigengutachten fundiert Stellung zu nehmen. Danach wird zu entscheiden sein, ob die Einholung eine weiteren Gutachtens gem. § 412 ZPO notwendig ist.