Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 14.10.1995, Az.: 5 U 62/95

Untergang des Pflichtteilanspruchs durch Erlassvertrag; Beweiswürdigung einer Zeugenaussage

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
14.10.1995
Aktenzeichen
5 U 62/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 17971
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1995:1014.5U62.95.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 17.03.1995 - AZ: 2 O 283/94

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Der Beklagte (Vater und Erbe) ist beweisbelastet für seine Behauptung, dass der Pflichteilsanspruch der Klägerin (Tochter der Erblasserin) durch den Abschluss eines Erlassvertrages untergegangen ist. An die Feststellung des Willens, die Forderung zu erlassen, sind strenge Anforderungen zu stellen. Ein Verzicht ist nicht zu vermuten und darauf hindeutende Erklärungen sind eng auszulegen.

  2. 2.

    Im vorliegenden Fall ist das Gericht nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Kägerin ihre Pflichtteilsberechtigung endgültig aufgeben wollte. Zentraler Punkt in den erbrechtlichen Gesprächen der Zeugin (Schwester) und der Klägerin war die Beseitigung der im Testament enthaltenen Bevorzugung des Bruders. Dies sollte die Zeugin dem Beklagten vortragen und zusätzlich - eher beiläufig - dass sie von ihm "jetzt kein Geld haben wollten".

In dem Rechtsstreit
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 26. September 1995
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ... und
der Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 17. März 1995 geändert:

Der Beklagte wird verurteilt,

Auskunft über den Bestand des Nachlasses der am 26.12.1991 verstorbenen Frau A... D... zu erteilen, und zwar

  1. a.

    hinsichtlich des Wertes der im Grundbuch von H... Band ... Blatt ... verzeichneten Eigentumswohnung Nr. 86 im Erdgeschoß von Haus Nr. ... durch Vorlage eines Sachverständigengutachtens,

  2. b.

    hinsichtlich des Wertes des im Grundbuch von F... (S...) Grundbuchblatt ... eingetragenen Miteigentumsanteils von 14/1.000stel Miteigentum an der Liegenschaft Parzelle ... mit Sonderrecht an der 2 1/2 Zimmer-Wohnung Nr. B 14 im 1. Geschoß samt Kellerabteil im Untergeschoß, Haus ... und Garagenplatz und 1/120stel Miteigentumsanteil am Grundbuchblatt ..., 120/1.000stel Miteigentumsanteil an der Parzelle ..., Plan ... mit Sonderrecht am Hallenschwimmbad nebst Einrichtung der 3 TWE Anteil 25, und zwar zur ideelen Hälfte durch Vorlage eines Sachverständigengutachtens,

  3. c.

    hinsichtlich des Wertes des Grundstücks M... nebst aufstehendem Wohnhaus in ... F..., K..., Grundbuchsanlage ..., Katastergemeinde W..., Grundstück Nr. ..., durch Vorlage eines Sachverständigengutachtens und

  4. d.

    im übrigen durch die Vorlage eines durch einen Notar aufgenommenen Verzeichnisses.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Rechtsstreits, die dem Schlußurteil vorbehalten bleibt, an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer der Beklagten übersteigt 60.000 DM nicht.

Tatbestand

1

Die Klägerin macht im Wege der Stufenklage nach ihrer am 26.12.1991 verstorbenen Mutter Pflichtteilsansprüche gegen ihren Vater geltend.

2

Der Beklagte lebte mit der Erblasserin in Gütertrennung. In dem gemeinschaftlichen Testament vom 11.02.1985 setzten sich die Eheleute D... u. a. gegenseitig zu Erben ein bei freiem lebzeitigen Verfügungsrecht des Längstlebenden. Der Klägerin und ihren beiden Geschwistern wurden durch Vorausvermächtnisse nach dem Tode der Eltern einige Liegenschaften zugewandt. Die Klägerin sollte die Eigentumswohnung W..., H... erhalten. Das Wohnungseigentum wurde zwischenzeitlich vom Beklagten für 250.000 DM verkauft.

3

Die Klägerin hat behauptet, sie habe vergeblich versucht, das gemeinschaftliche Testament der Eltern durch eine erbvertragliche Regelung mit allen Beteiligten umzugestalten, um alle Interessen einvernehmlich festzusetzen. Ihr Ziel sei es dabei lediglich gewesen, ihr die Eigentumswohnung zu sichern.

4

Die Klägerin hat beantragt,

Auskunft über den Bestand des Nachlasses der am 26.12.1991

verstorbenen Frau A... D... zu erteilen, und zwar

  1. a.

    hinsichtlich des Wertes der im Grundbuch von H... Band ... Blatt ... verzeichneten Eigentumswohnung Nr. 86 im Erdgeschoß von Haus Nr. ... durch Vorlage eines Sachverständigengutachtens,

  2. b.

    hinsichtlich des Wertes des im Grundbuch von F... (S...) Grundbuchblatt ... eingetragenen Miteigentumsanteils von 14/1.000stel Miteigentum an der Liegenschaft Parzelle ... mit Sonderrecht an der 2 1/2 Zimmer-Wohnung Nr. ... im 1. Geschoß samt Kellerabteil im Untergeschoß, Haus ... und Garagenplatz und 1/120stel Miteigentumsanteil am Grundbuchblatt ..., 120/1.000stel Miteigentumsanteil an der Parzelle ..., Plan ... mit Sonderrecht am Hallenschwimmbad nebst Einrichtung der 3 TWE Anteil 25, und zwar zur ideelen Hälfte durch Vorlage eines Sachverständigengutachtens,

  3. c.

    hinsichtlich des Wertes des Grundstücks M... nebst aufstehendem Wohnhaus in ... F..., K..., Grundbuchsanlage ..., Katastergemeinde W..., Grundstück Nr. ..., durch Vorlage eines Sachverständigengutachtens und

  4. d.

    im übrigen durch die Vorlage eines durch einen Notar aufgenommenen Verzeichnisses.

5

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Er hat behauptet, die Klägerin habe - wie auch ihre Geschwister - auf Pflichtteilsansprüche nach dem Tode der Mutter verzichtet. Den Erlös aus dem Verkauf der Eigentumswohnung habe er testamentarisch der Klägerin zugewandt und zusätzlich bestimmt, daß sie - falls er davon wieder eine Liegenschaft erwerbe - diese erhalten solle.

7

Das Landgericht hat nach Vernehmung der Geschwister der Klägerin und des Rechtsberaters der Eheleute D... Rechtsanwalt B... als Zeugen und des Beklagten als Partei die Klage abgewiesen; nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, daß die Parteien einen Erlaßvertrag bzgl. der Pflichtteilsansprüche der Klägerin geschlossen haben.

8

Mit der dagegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren in vollem Umfang weiter.

9

Sie rügt unter ergänzender Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen die Beweiswürdigung. Den Zeugenaussagen sei weder eine Angebotserklärung von ihrer Seite an den Beklagten zum Abschluß eines Erlaßvertrages noch eine entsprechende Annahmeerklärung des Beklagten zu entnehmen. Dementsprechend habe er sich auch vorprozessual nie auf einen Erlaßvertrag berufen, wenn sie ihre Ansprüche und Interessen angesprochen habe. In diesem Zusammenhang bezieht sie sich auf ein Schreiben des Beklagten vom 05.10.1993 an seinen Rechtsberater, in dem er seine Verpflichtung eingeräumt habe, ihre Pflichtteilsansprüche befriedigen zu müssen. Auch im Rahmen der Regelungen in Bezug auf den Grundbesitz in Ö... und in K... habe sie auf ihren Pflichtteil nicht verzichtet.

10

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 17.03.1995 abzuändern und gemäß den Klaganträgen zur Stufenklage gemäß Ziffer I, 1, zu verurteilen.

11

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

12

Er verteidigt unter ergänzender Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen die angefochtene Entscheidung und dabei insbesondere die Beweiswürdigung nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung und weist bekräftigend darauf hin, daß er seinerzeit Pflichtteilsberechnungen angestellt habe, um mit seinem Rechtsberater die Möglichkeit einer gütlichen Beilegung auszuloten.

13

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Schwester der Klägerin bzw. Tochter des Beklagten. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 26.09.1995 verwiesen.

14

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

15

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

16

Die Klägerin ist als Tochter nach dem Tod ihrer Mutter pflichtteilsberechtigt, § 2303 BGB. Gemäß § 2314 BGB stehen ihr die zur Durchsetzung der Pflichtteilsansprüche gegen den Beklagten als testamentarischen Erben geltend gemachten Auskunftsansprüche zu. Der Beklagte hat den von ihm behaupteten Pflichtteilsverzicht nicht beweisen könne. Die Sache war daher gemäß § 538 Abs. 1 Ziffer 3 ZPO analog zur Fortsetzung des Verfahrens an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen (vgl. nur Zöller/Schneider, ZPO, 19. Aufl., § 538 Rn. 21 m.w.N.).

17

Der Beklagte ist beweisbelastet für seine Behauptung, der Pflichtteilsanspruch der Klägerin sei durch den Abschluß eines Erlaßvertrages gemäß § 397 BGB untergegangen. Ihm obliegt der Nachweis, daß die Klägerin den rechtsgeschäftlichen Willen ausdrücklich oder auch nur durch schlüssiges Verhalten erklärt hat, die Forderungen ihm zu erlassen. An die Feststellung eines solchen Willens sind strenge Anforderungen zu stellen; insbesondere besteht ein Erfahrungssatz, daß ein Verzicht nicht zu vermuten ist und etwaige darauf hindeutende Erklärungen eng auszulegen sind; erforderlich ist ein unzweideutiges Verhalten, das vom Erklärungsgegner als Aufgabe des Rechts verstanden werden kann (allgemeine Ansicht, vgl. nur Palandt/Heinrichs, BGB, 54. Aufl., § 1397 Rn. 4 und 5 und jüngst BGH Urteil vom 22.06.1995 - VII ZR 118/94 - zur Veröffentlichung vorgesehen, jeweils m.w.N.).

18

Eine solche Verzichtserklärung der Klägerin könnte nach dem Parteivorbringen allenfalls durch ihre Schwester gegenüber dem Beklagten erfolgt sein.

19

Das Landgericht hat der Aussage der Schwester der Klägerin entnommen, in einem Gespräch - wohl Anfang/Frühjahr 1992 - seien sie sich einig geworden, keine Pflichtteilsansprüche geltend machen zu wollen. Das darin liegende Angebot zum Abschluß eines Erlaßver trages habe die Zeugin dem Beklagten auftragsgemäß überbracht, was dieser stillschweigend angenommen habe.

20

Die protokollierte Aussage vermag diese Schlußfolgerung des Landgerichts nicht entscheidend zu stützen. Der Niederschrift könnte ebenso zu entnehmen sein, daß die Geschwister zwar übereinstimmten, gegen das Testament nichts unternehmen und im übrigen in Aussicht stellen zu wollen, keine Ansprüche gegen den Vater geltend zu machen. Ein mit Rechtsbindungswillen erklärter Verzicht im Sinne des Angebots zum Abschluß eines Erlaßvertrages ist daraus nicht abzuleiten. Die weiteren Zeugenaussagen und die Parteivernehmung entfallen entgegen der Auffassung des Landgerichts auch keine entscheidende Indizwirkung für das von ihm gefundene Ergebnis.

21

Die erneute Vernehmung der maßgeblichen Zeugin hat den Senat jedenfalls nicht die gem. § 286 ZPO erforderliche volle richterliche Überzeugung zu bringen vermocht, die Klägerin habe ihre Pflichtteilsberechtigung in Bezug auf den Nachlaß der Mutter endgültig aufgeben wollen. Zentraler Punkt der erbrechtlichen Gespräche bei den beiden Zusammentreffen der Schwestern nach dem Tode der Mutter war die Beseitigung der in dem Testament enthaltenen Bevorzugung des Bruders. Das sollte die Zeugin ihrer Aussage zufolge dem Beklagten vortragen und zusätzlich - eher beiläufig - daß sie von ihrem Vater "jetzt kein Geld haben wollten". Nicht ein Pflichtteilsverzicht war Gegenstand des Gesprächs, sondern daß es bei der testamentarischen Regelung bleiben könne, wenn die besonders von der Zeugin empfundene Ungerechtigkeit beseitigt werden würde. Das spricht für eine bloße Ankündigung, zur Zeit keine Geldansprüche stellen zu wollen bzw. eine entsprechende Absichtserklärung, wenn denn schließlich eine als gerecht empfundene Beteiligung an dem Erbe der Eltern sichergestellt sein würde. Jedenfalls bleiben durchgreifende Zweifel daran, daß diese von der Zeugin bekundete Übereinstimmung auf eine mit rechtlichem Bindungswillen von der Klägerin erklärte endgültige Aufgabe sämtlicher Erbrechte nach dem Tode der Mutter schließen läßt, zumal eine irgendwie geartete Sicherung der gerechten Beteiligung der Klägerin am elterlichen Erbe nicht erkennbar ist und auch vom Beklagten nicht dargetan wird.

22

Die von der Berufung erneut herangezogene Verlaßvollmacht der Klägerin vermag einen Pflichtteilsverzicht der Klägerin weder zu begründen noch kommt ihr eine entsprechende Indizwirkung zu. Die Vollmacht diente nach dem vorgelegten Gesamtvorgang allein der erbrechtlichen Sicherstellung der österreichischen Liegenschaft im Sinne der testamentarischen Regelung. Eine erlaßvertragliche endgültige Entlassung des Beklagten aus seinen erbrechtlichen Verpflichtungen durch die Klägerin ist darin nicht enthalten.

23

Der Beklagte ist daher verpflichtet, seiner pflichtteilsberechtigten Tochter die verlangten Auskünfte über den Nachlaß zu erteilen.

24

Die Kostenentscheidung war dem erstinstanzlichen Schlußurteil vorzubehalten, da noch offen ist, wie der Rechtsstreit endgültig ausgehen wird, es also an einem Verteilungsmaßstab noch fehlt.

25

Die weiteren Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 713, 546 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Der Wert der Beschwer der Beklagten übersteigt 60.000 DM nicht.