Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 04.02.2003, Az.: 7 B 142/03

Anspruch auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis; Rechtmäßigkeit der Anordnung einer medizinischpsychologischen Untersuchung wegen Verdachts auf einen regelmäßigen Cannabiskonsum

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
04.02.2003
Aktenzeichen
7 B 142/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 30274
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2003:0204.7B142.03.0A

Fundstellen

  • Blutalkohol 2004, 188-189
  • zfs 2003, 323-324 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Neuerteilung der Fahrerlaubnis - vorl. Rechtsschutz

Prozessführer

Herrn C.

Rechtsanwälte Hillmann I und andere, Gartenstraße 18, 26122 Oldenburg

Prozessgegner

Stadt Oldenburg - Neues Rathaus -,
vertreten durch den Oberbürgermeister, Pferdemarkt 14, 26105 Oldenburg

Das Verwaltungsgericht Oldenburg - 7. Kammer - hat
am 4. Februar 2003
durch
den Berichterstatter als Einzelrichter
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2 000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

1

Der Antragsteller beantragt, der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu untersagen "die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis ... von der Beibringung eines Gutachtens einer amtlichen anerkannten Begutachtungsstelle für die Fahreignung (MPU) abhängig zu machen".

2

Dies wird dahingehend verstanden (§§ 122, 88 VwGO), dass der Antragsteller die einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin, seinen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis (wohl der Klasse B) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden, erstrebt. Das nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu beurteilende Begehren ist unbegründet.

3

Es fehlt an einem Anordnungsgrund, d.h. der Eilbedürftigkeit der Sache. Da die Entscheidung in der Hauptsache vorweg genommen würde, sind insoweit strenge Anforderungen zu stellen. Es muss für den Antragsteller angesichts schwerer, anders nicht abwendbarer Nachteile schlechthin unzumutbar sein, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 13. Januar 2003 -12 PA 820/02 - <S. 2>).

4

Der Antragsteller verweist insoweit zunächst auf die seit der Stellung des Antrages auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis am 19. Februar 2002 verstrichene Zeit. Diese allein kann jedoch eine besondere Eilbedürftigkeit nicht begründen. Im Übrigen besteht bei der übermäßig langen Verzögerung einer behördlichen Entscheidung die Möglichkeit, bereits vor Beendigung des behördlichen Verfahrens Klage zu erheben (§ 75 VwGO).

5

Soweit der Antragsteller vorträgt, er sei "berufsexistenziell" auf eine Fahrerlaubnis angewiesen, ist dies durch die von ihm vorgetragenen Umstände nicht glaubhaft gemacht. Er hat nämlich angegeben, dass er seine Stellung als Koch in einem italienischen Restaurant erst vor kurzem angetreten habe. Der Bestand des Arbeitsverhältnisses hängt mithin offensichtlich nicht von dem Besitz einer Fahrerlaubnis ab. Darüber hinaus trägt er vor, dass er sich zum Erreichen der Arbeitsstelle und zur Beschaffung der für seinen Betrieb erforderlichen Lebensmittel und Getränke derzeit fahren lasse könne. Die sich hieraus ergebende Lästigkeit rechtfertigt eine Vorwegnahme der Hauptsache nicht.

6

Das Gericht weist jedoch zur Vermeidung weiterer Rechtsstreitigkeiten und zur gütlichen Beilegung der zwischen den Beteiligten bestehenden Differenzen auf Folgendes hin:

7

Es bestehen rechtliche Bedenken gegen die Anordnung einer medizinischpsychologischen Untersuchung (Schreiben der Antragsgegnerin vom 8. April 2002). Sie ist mit dem Verdacht auf einen regelmäßigen Cannabiskonsum begründet worden.

8

Nach § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV kann die Beibringung eines solchen Gutachtens angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen.

9

Der Antragsteller räumt in der Antragsschrift einen gelegentlichen Konsum von Cannabis ein. Es bestehen auch konkrete Anhaltspunkte für eine regelmäßige Einnahme. Diese führt gem. Ziff. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV regelmäßig dazu, dass der Betroffene ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist. Wie sich im Gegenschluss aus Ziff. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ergibt, ist die Frage, ob der Antragsteller den Konsum und das Fahren zu trennen vermag, in diesem Zusammenhang ohne rechtliche Bedeutung. Das Bundesverfassungsgericht hat im Beschluss vom 20. Juni 2002 (- 1 BvR 2062/96 - NJW 2002, 2378<2379>) festgestellt, dass eine dauerhafte fahreignungsrelevante Herabsetzung der körperlich-geistigen Leistungsfähigkeit des Konsumenten vorliegt, wenn er über längere Zeit in erheblicher Weise Cannabis eingenommen hat.

10

Die erforderlichen Anhaltspunkte ergeben sich aus dem Bericht der Polizei der Freien und Hansestadt Hamburg (Polizeirevier 15) vom 11. November 2000. Danach ist der Antragsteller - wie er nicht bestreitet - in der Nacht zuvor beim Kauf von Marihuana beobachtet worden. Nach dem er zur Identitätsfeststellung angehalten wurde, soll der Antragsteller u.a. angegeben haben, dass er regelmäßig Cannabis konsumiere. Zwar hat sich der Antragsteller insoweit lediglich informatorisch geäußert und unterschriebene Angaben verweigert. Nach den nicht zweifelhaften Angaben des tätigen Polizeibeamten ist die Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht (§§ 136 Abs. 1 Satz 2, 163 a Abs. 4 Satz 2 StPO) jedoch bereits vor der informatorischen Befragung des Antragstellers erfolgt (vgl. Polizeibericht vom 11. November 2000; Vermerk vom 25. Oktober 2002). Selbst wenn dies nicht zutreffen sollte, würde sich ein strafrechtliches Verwertungsverbot aus überwiegenden Gründen der Verkehrssicherheit nicht auf das behördliche Fahrerlaubnisverfahren erstrecken (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 27. Oktober 2000 - 12 M 3738/00 - NJW 2001, 459).

11

Der Behauptung des Antragstellers, er habe gegenüber der Polizei einen regelmäßigen Konsum nicht eingeräumt, erscheint bei summarischer Prüfung nicht glaubhaft. Es ist kein Grund dafür erkennbar, dass der Polizeibeamte insoweit unzutreffende Angaben gemacht haben soll. Eine entsprechende Aussage ist außerdem nicht fern liegend, weil der Antragsteller sonst verdächtigt worden wäre, Handel mit Betäubungsmitteln zu treiben. Im Übrigen ergeben sich weitere Anhaltspunkte für einen regelmäßigen Konsum auch aus dem Umstand, dass der Antragsteller zur Nachtzeit beim Kauf von fünf kleinen Tüten Marihuana für den Eigenverbrauch beobachtet worden ist.

12

Die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV für die Anordnung eines medizinischpsychologischen Gutachtens sind damit nach dem Wortlaut der Vorschrift erfüllt. Sie ist jedoch unverhältnismäßig. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass bei der Prüfung, ob ein regelmäßiger Cannabiskonsum vorliegt, lediglich ein (weniger einschneidenderes) sog. Drogenscreening (Haaranalyse/Blut- bzw. Urinproben) unter ärztlicher Aufsicht verlangt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1993 - 1 BvR 689/92 - BVerfGE 89, 69

13

In dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 30. Dezember 2002 wird allerdings (zusätzlich) geltend gemacht, dass Zweifel bestünden, ob der Antragsteller zwischen dem (gelegentlichen) Cannabiskonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen trennen könne. Dies würde die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach der obigen Vorschrift grds. rechtfertigen.

14

Die Antragsgegnerin stützt sich insoweit auf ein Telefonat mit dem Polizeibeamten, welcher den Antragsteller nach dem Vorfall am 10. November 2000 befragt hat. In dem hierüber gefertigten Vermerk vom 27. Dezember 2002 heißt es, dass die Angabe des Antragstellers, er nehme regelmäßig am Straßenverkehr teil "im Zusammenhang mit dem Eigenkonsum von Btm gemacht wurde".

15

Dies vermag einen konkreten Verdacht, dass der Antragsteller unter Drogeneinfluss Fahrzeuge führt, vermutlich nicht zu begründen. Die Formulierung in dem Vermerk ist hierfür zu unbestimmt. Sie lässt sich auch dahingehend verstehen, dass der Antragsteller lediglich geäußert hat, sowohl regelmäßig Cannabis zu konsumieren als auch Kraftfahrzeuge zu führen. Erheblich klarere Feststellungen wären vor allem deshalb erforderlich gewesen, weil weder in dem Polizeibericht vom 11. November 2000 noch in dem Vermerk vom 25. Oktober 2002 ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Rauschgiftkonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen hergestellt worden ist. Dabei ist auch die seit dem Vorfall verstrichene Zeit zu berücksichtigen. Auch ist nicht erkennbar, weshalb der Antragsteller gegenüber der Polizei eingeräumt haben soll, Kraftfahrzeuge unter Drogeneinfluss geführt zu haben.

16

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2 000,-- Euro festgesetzt.