Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.04.1990, Az.: 3 TaBV 27/90
Begriff des einheitlichen Betriebes; Verhinderung der Durchführung von Betriebsratswahlen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes; Abbruch einer Betriebsratswahl; Durchführung der Wahl eines gemeinsamen Betriebsrates in verschiedenen Unternehmen am selben Standort
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 23.04.1990
- Aktenzeichen
- 3 TaBV 27/90
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1990, 10520
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1990:0423.3TABV27.90.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hannover - 22.03.1990 - AZ: 5 BV Ga 1/90
Rechtsgrundlagen
- § 613a BGB
- § 940 ZPO
- § 85 Abs. 2 ZPO
- § 1 BetrVG
Die Antragsteller wenden sich als Unternehmen desselben Konzerns mit ihrem Antrag auf Erlass einer eistweiligen Verfügung gegen die Durchführung der Wahl zu einem gemeinsamen Betriebsrat sowie dahingehende Vorbereitungsmaßnahmen. Den Antragsgegnern, den Betriebsräten der Einzelunternehmen sowie dem gemeinsamen Wahlvorstand wurde von dem Gercht der Ausgangsinstanz unter Androhung eines Ordnungsgeldes untersagt, weitere Wahlvorbereitungshandlungen zu treffen. Auf die daraufhin von den Antragsgegnern eingelegte Beschwerde wurde dieses Urteil aufgehoben, da der Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Untersagung einer Betriebsratswahl nur in Ausnahmefällen statthaft ist, der vorliegend jedoch nicht gegeben war und die Antragsteller letztlich auch nicht als eigenständige Unternehmen zu betrachten waren.
In dem Bschlußverfahren
hat
die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf den Termin zur Anhörung der Beteiligten vom 23. April 1990
durch die Richter Gerd Albrecht, Ebbrecht und Frohner
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Betriebsräte und des wahlvorstandes wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Hannover vom 22. März 1990 - 5 BV Ga 1/90 - abgeändert.
Der Antrag der Unternehmen wird abgewiesen.
Gründe:
Die Beteiligten streiten über die Untersagung der für den 24., 25. und 26. April 1990 vorgesehenen Wahl eines einheitlichen Betriebsrats für die Beteiligten zu 1) bis 7) am "Standort ...".
I.
Am "Standort ..." bestanden bislang selbständig nebeneinander die ... mit etwa 2.000 Arbeitnehmern sowie die ... GmbH mit rd. 1.000 Arbeitnehmern. In beiden Unternehmen besteht je ein Betriebsrat, die Beteiligten zu 8) und 9).
Im Jahre 1989 wurde eine umfassende Umstrukturierung beider Unternehmen durchgeführt. Diese wird in der an alle Arbeitnehmer gerichteten "...-Information" vom 23.05.1989 folgendermaßen umschrieben:
"1.
Ziel der MaßnahmenDie ... Holding in ...) hat bereits im Herbst 1987 mit der Neuorganisation der Internationalen Gruppe begonnen. Mit der jetzt geplanten Neustrukturierung der deutschen ...-Gruppe wird hier die im Auslandsbereich bereits eingeführte Neuorganisation nachgeholt.
Ziel ist die langfristige Sicherstellung der Rentabilität der deutschen ...-Aktivitäten. Dazu werden Marketing, Vertrieb, Produktion und Dienstleistungsbereiche direkt der operativen Führung der ..., unterstellt. In dieser sind die entsprechenden Aktivitäten der Gesellschaften in den verschiedenen Ländern zusammengefaßt. Dadurch soll sichergestellt werden, daß jeder Leerlauf, ebenso jede Doppelarbeit in der Zusammenarbeit der Landesgesellschaften und in der Marktbearbeitung vermieden werden. Es entfallen damit Kosten, die zu tragen niemandem nützt und die die Ertragskraft der Gesellschaften unnötig belasten würden. Mit der Neustrukturierung erhält die Internationale ...-Gruppe eine einheitliche und zeitgemäße Führungsstruktur.
2.
Maßnahmen
Zu diesem Zweck sind folgende Maßnahmen vorgesehen:
a)Der Produktionsbereich der ... in ... und ... wird ausgegliedert und zukünftig als selbständige Gesellschaft geführt.
b)Auch der Vertrieb wird verselbständigt, wobei in Anpassung an die unterschiedlichen Anforderungen des Marktes die Vertriebsbereiche ... und ... zwei getrennten Gesellschaften übertragen werden.
c)Die Dienstleistungen (Logistik, EDV und Rechnungswesen etc.) werden von einer speziell auf diese Arbeit ausgerichteten Gesellschaft erbracht werden.
d)Die Produktion von Textilbändern und Drucktüchern wird der ... und damit dem vom ... Vorstand Hardcopy geführten ...-Verbund übertragen werden. Die Produktion verbleibt als Betriebsstätte der ...-Werke in ...
"Wir rufen in Erinnerung, daß die Stillegung der unter der Führung der ... defizitären ... GmbH und damit der Verlust der dortigen Arbeitsplätze seinerzeit durch die Unterstellung der Gesellschaft unter die Leitung der ... hatte vermieden werden können. Die jetzige Maßnahme ist eine Konsequenz des seinerzeitigen Schrittes und der Zusammenfassung der ...-Produktion in der Gruppe zu einem Produktionsverbund."
Für die ... wird dies im "Interessenausgleich 1989" vom 28.06.1989 folgendermaßen umschrieben:
"1.
AusgangssituationDie ... befinden sich seit Jahren in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation. Im Laufe der vergangenen vier Jahre sind nicht nur sämtliche Rücklagen der Vergangenheit, sondern auch über 80 % des Stammkapitals verlorengegangen.
Seit 01. Januar 1989 hält die ... die Mehrheit der Anteile der .... Die Änderung der Besitzverhältnisse ändert zunächst nichts an der schlechten wirtschaftlichen Situation des Unternehmens; sie versetzt ... jedoch in die Lage, eine Reihe von weitreichenden Maßnahmen durchzuführen, die ohne diese Änderung nicht, oder jedenfalls nicht in gleicher Weise, durchgeführt werden könnten.
Ziel aller Maßnahmen, die in diesem Interessenausgleich geregelt werden sollen, ist die Wiederherstellung der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens unter Erhaltung des Markennamens ... sowie die dauerhafte Sicherung einer möglichst großen Zahl von Arbeitsplätzen.
2.
Strukturelle VeränderungenAus der jetzigen ... werden die Funktionen Verwaltung, Entwicklung und allgemeine Dienstleistungen herausgelöst und auf eine rechtlich selbständige Dienstleistungsgesellschaft übertragen. Dies ist nach gegenwärtigem Stand die ... KG (s. Bundesanzeiger vom 24.05.1989, S. 2570).
Zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit im Produktionsbereich ist eine wesentliche Straffung des Produktionsprogramms vorgesehen. Einschränkungen und Stillegungen im Farbband- und Chemiebereich stehen Ausweitungen im Schreibgerätebereich sowie eine Stärkung des Bürogerätesektors gegenüber. Die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit resultiert im wesentlichen aus einer Reduzierung der Zahl der produzierten Artikel bei gleichzeitiger Erhöhung der Losgrößen. Die zur Erhöhung der Produktivität sowie die zur wirtschaftlichen Herstellung neuer Produkte erforderlichen Investitionen in den Produktbereichen Schreib- und Bürogeräte werden durchgeführt. Die entsprechenden finanziellen Mittel werden der Geschäftsleitung zur Verfügung stehen."
Für die ... heißt es im "Interessenausgleich 1989" vom 30.06.1989 unter anderem:
"Zur nachhaltigen Sicherung eines befriedigenden Betriebsergebnisses muß die ... in einigen Unternehmensbereichen die Wirtschaftlichkeit verbessern, um langfristig Arbeitsplätze zu sichern und Neuinvestitionen zu ermöglichen. Es wird angestrebt, innerhalb der ... zu besser ausgelasteten Standorten zu gelangen und durch Wegfall von Doppelarbeiten und Zusammenfassung von Arbeitsvorgängen weitere Einsparungen zu erzielen. Aus diesem Grunde sollen einige betriebliche Funktionen der deutschen ... organisatorisch und rechtlich zusammengefaßt und eine Reihe von Funktionen verlagert werden. Dabei sollen vorhandene Produktivitätsreserven genutzt werden.
Durch Aufnahme neuer Funktionen, einschließlich einiger Produktionsverlagerungen von Tochter- und Schwestergesellschaften, kann der Personalabbau aufgrund dieser Maßnahmen teilweise ausgeglichen werden.
Insgesamt soll die Anzahl der Arbeitsplätze in der Zeit vom 01.02.1989 (1957 Mitarbeiter ohne 203 Aushilfskräfte. 102 Auszubildende und Praktikanten) bis zum 31.12.1990 um etwa 150 verringert werden. Dabei können aus anderen Gründen neu entstehende Arbeitsplätze zu einer Verminderung der Zahl der freizusetzenden Mitarbeiter führen.
1.
Änderung der Betriebsorganisation und der RechtsformDie ... wird in die Bereiche Vertrieb, Dienstleistungen. Produktion und Hardcopy gegliedert ...
Diese Bereiche werden an neugegründete, rechtlich selbständige Gesellschaften, deren Gesellschaftsanteile bei der ... liegen. Der Bereich Hardcopy wird am Standort an die ..., veräußert. Die ... bleibt als rechtlich selbständige Gesellschaft bestehen.
Die künftigen Gesellschaften werden in der Folgezeit zusätzlich Funktionen von anderen Gesellschaften übernehmen ...
6.
Interessenvertretung... bzw. die künftigen ... Gesellschaften werden bis zum Ablauf der regulären Amtszeit des bestehenden Betriebsrates mit der bisherigen betriebsverfassungsrechtlichen Interessenvertretung so zusammenarbeiten als würde die ... in der bisherigen Form weiterbestehen."
Des weiteren gaben die beteiligten Unternehmen zu 1) bis 7) anläßlich der Neustrukturierung der Unternehmen 2 Verpflichtungserklärungen jeweils mit Datum vom 08.07.1989 ab. Die erste hat auszugsweise folgenden Inhalt:
"1.
Die Betriebsräte der Unternehmen und die Geschäftsführer bilden einen Informationskreis. ...2.
...Für jedes Unternehmen werden vom Betriebsrat bzw. Gesamtbetriebsrat zwei Mitglieder benannt und in den Informationskreis entsandt.
...
4.
Die in den Informationskreis entsandten Betriebsräte bilden einen Betriebsräteausschuß. Dieser Ausschuß gibt sich eine Geschäftsordnung. Die Tätigkeit für den Betriebsräteausschuß wird wie Betriebsratsarbeit behandelt."
In der zweiten wird unter anderem folgendes ausgeführt:
"1. Ziel dieser Verpflichtung ist es, entsprechend den Zusicherungen der ... un der ... in den Interessenausgleichen vom 28.06.1989 ... und vom 30.06.1989 ... die dort genannten Verpflichtungen in konkreter weise und verbindlicher Form zu erfüllen.
2.
Durch diese Verpflichtung soll sichergestellt werden, daß die Arbeitsbedingungen derjenigen Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse aufgrund von § 613 a BGB oder durch Umsetzung aus den Altgesellschaften auf die Neugesellschaften übergehen, aus Anlaß des Betriebsüberganges in ihrem materiellen Bestand gesichert und im übrigen nicht verschlechtert werden und in den neugeschaffenen Organisationseinheiten klare betriebsverfassungsrechtliche Zuständigkeiten bestehen.3. I
m übrigen ist anzustreben, daß infolge der Umstrukturierung innerhalb der deutschen Tochterunternehmen der ... gleichmäßige Arbeitsbedingungen gewährleistet sind, soweit dem nicht zwingende betriebliche Notwendigkeiten entgegenstehen, die sich auch aus dem Betriebszweck ergeben können ...7.
Die bisher für die Betriebe der Altgesellschaften geltenden Betriebsvereinbarungen, Gesamtbetriebsvereinbarungen, Konzernbetriebsvereinbarungen und Regelungsabsprachen gelten für alle Betriebe bzw. Betriebsteile der entsprechenden neuen Gesellschaften unverändert als Betriebsvereinbarungen bzw. Regelungsabsprachen weiter, soweit nicht eine ablösende Regelung an ihre Stelle tritt. Für die ..., gilt vorstehendes mit der Maßgabe, daß nur die Betriebsstätten ... erfaßt werden, die aus der Übertragung von ehemaligen Betriebsteilen der Altgesellschaften hervorgegangen sind.8.
Sofern ein und derselbe sachliche Regelungsgegenstand in den betrieblichen Kollektivvereinbarungen beider Altgesellschaften abweichend voneinander geregelt ist, gilt in der Neugesellschaft für den betreffenden Arbeitnehmer jeweils die Regelung des Betriebes der betreffenden Altgesellschaft, dem der Arbeitnehmer bisher angehörte ...11.
Die bestehenden Betriebsräte bleiben ungeachtet des rechtlichen Zeitpunktes der Ausgründung der Neugesellschaften und des Betriebs(teil)übergangs zuständig sowohl für die jeweilige Altgesellschaft als auch die Neugesellschaften. Die Zuständigkeit der bestehenden Betriebsräte erlischt, sobald ein Betriebsrat bei der Neugesellschaft gebildet ist, spätestens jedoch mit Ablauf der regulären Amtszeit der Betriebsräte.12.
Der Betriebsrat ... ist sachlich zuständig in allen betriebsverfassungsrechtlichen Fragen, soweit diese ehemalige ... Arbeitnehmer betreffen, die bei der Betriebsstätte weiterbeschäftigt werden.Die Betriebsräte der ... Betriebe ... bzw. .... sind zuständig in allen betriebsverfassungsrechtlichen Fragen, soweit diese ehemalige ... Arbeitnehmer betreffen und soweit ehemalige ...-Arbeitnehmer dauerhaft in die auf den Betriebsgeländen ... bzw. ... gelegenen betrieblichen Organisationen der Neugesellschaften eingegliedert werden; entsprechend wird im umgekehrten Falle (Eingliederung in die ... Organisation) verfahren.
13.
Die Gesellschaften benennen unverzüglich nach Inkrafttreten dieser Verpflichtung gegenüber den bestehenden Betriebsräten diejenige(n) Person(en), die zur Wahrnehmung der Arbeitgeberfunktionen in betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht Verhandlungs- und Abschlußvollmacht besitzt (besitzen).14.
Diese Verpflichtungserklärung findet auch auf Neu- bzw. Umgründungen aus dem Kreise der unterzeichneten Gesellschaften Anwendung."
Mit Schreiben vom 24.01.1990 (Fotokopie Bl. 9 d.A.) teilten der "Gesamtbetriebsrat ..." sowie der "Betriebsrat ..." den beteiligten Unternehmen zu 1) bis 7) mit, daß der Betriebsrat ... zusammen mit dem Betriebsrat ... zwei Mahl vorstände für die Betriebsratswahlen am Standort ... bestellen werde, und zwar Wahlvorstand 1: ... (Standort ... einschließlich .... Wahlvorstand 2: Die Beteiligten zu 1) bis 7) widersprachen mit Schreiben vom 09.02.1990 (Bl. 10 d.A.); eine rechtliche Grundlage für das beabsichtigte Vorgehen sei nicht gegeben, ein einheitlicher Leitungsapparat mehrerer selbständiger Unternehmen liege nicht vor.
Nunmehr teilten "Betriebsrat ..." und Betriebsrat ... den Beteiligten mit Schreiben vom 19.02.1990 (Bl. 12 d.A.) mit, daß die Betriebsräte ... und ... in ihren außerordentlichen Sitzungen vom 15.2. bzw. 16.02.1990 "einen Wahl vorstand" bestellt hätten.
Dies wiederum nahmen die Antragstellerinnen, die beteiligten Unternehmen zu 1) bis 7), zum Anlaß, sich am 27.02.1990 mit einem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung im Beschlußverfahren gegen die Wahl eines gemeinsamen Betriebsrates zur Wehr zu setzen.
Die Unternehmen haben vorgetragen:
Es handele sich jeweils um sieben voneinander nach Unternehmens- und Betriebszweck sowie Rechtsform selbständige Betriebe, mithin sei jeweils ein eigener Betriebsrat zu wählen. Die Beteiligte zu 1) habe ihre früheren Aktivitäten auf die neu gegründeten Gesellschaften, die Beteiligten zu 2) bis 5) übertragen, und fungiere mit knapp zehn Mitarbeitern praktisch als eine Art Vermögensverwaltungsgesellschaft, sie nehme u.a. die Pensionsverpflichtungen gegenüber früheren Mitarbeitern wahr. Die Beteiligte zu 2) habe ca. 1.950 Beschäftigte an verschiedenen Standorten und fasse die Herstellung der ...-Produkte in Deutschland zusammen und übernehme schließlich Teile der bisherigen Produktion der Beteiligten zu 6). Die Beteiligte zu 3) sei eine Dienstleistungsgesellschaft mit 500 Mitarbeitern in ... die für die Gesellschaften der Gruppe Dienstleistungen im Bereich Finanzen, Logistik und Information erbringe. Die Beteiligte zu 4) führe mit etwa 240 Mitarbeitern die nationalen Marketing- und Vertriebsaufgaben hinsichtlich der ...-Produkte in Deutschland durch. Die Beteiligte zu 5) betreibe mit ca. 40 Mitarbeitern das Original ... Geschäft in Deutschland und die Exportgeschäfte ab Deutschland mit den Direktmärkten. Die Beteiligte zu 6) beschäftige nach Aufgabe und Verlagerung fast aller Produktionsbereiche nur noch 150 Mitarbeiter, die ausschließlich für den Vertrieb der unter dem Namen ... erscheinenden Produkte zuständig seien. Die Beteiligte zu 7) schließlich habe ihren Sitz in ... und betreibe in ... zwei kleine Betriebsstätten.
Die Geschäftsführung der Antragstellerinnen entscheide in allen Angelegenheiten allein, dies gelte insbesondere in Personal- und Sozialsachen. Es gebe weder eine konkrete noch eine konkludente Vereinbarung der Antragstellerinnen untereinander über die Bildung einer einheitlichen Leitung im Bereich der personellen und sozialen Angelegenheiten. Zwar sei eine Zusammenfassung bestimmter Dienstleistungsfunktionen erfolgt, dies sei jedoch allein eine Zusammenfassung in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Soweit der Personalleiter der Antragstellerin zu 3) im Personalbereich für einige der Antragstellerinnen tätig werde, geschehe dies lediglich im Auftragsverhältnis und beratend ohne jede Entscheidungs- oder Weisungsbefugnis. Die Antragstellerin zu 3) nehme im wesentlichen Dienstleistungsfunktionen im Bereich der EDV und des Rechnungswesens wahr. Jede der Antragstellerinnen habe im Personalsektor die alleinige Entscheidungshoheit.
wenn es für die Antragstellerinnen zur Zeit noch keine abgegrenzten Räume gebe, so liege das daran, daß die Umstrukturierung in der Praxis noch nicht abgeschlossen sei. Soweit eine gemeinsame Kantine für einen Teil der Antragstellerinnen eingerichtet sei, so sei diese jedoch allein der Antragstellerin zu 3) zugeordnet und werde von den anderen Antragstellerinnen anteilig finanziert. Im Rahmen der Umstrukturierung sei es ebenfalls noch nicht abgeschlossen, daß die Personalakten jeweils bei der Gesellschaft geführt würden, wo der Mitarbeiter arbeite. Dies sei bislang nur bei der Antragstellerin zu 2) in etwa 90 % der Fälle gelungen. Hinsichtlich der ... skrankenkasse gestalte sich das Bild ebenfalls uneinheitlich. Bei der Antragstellerin zu 6) sei es zu einem Verbleib bei der ... gekommen, die Arbeitnehmer der Antragstellerin zu 7) hätten sogar von der ... zur ... überwechseln müssen. Im übrigen könne die ... als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht zur Klärung der betriebsverfassungsrechtlichen Frage des Betriebsbegriffes herangezogen werden.
Die Änderung der Unternehmensstruktur habe das selbständige und effektive Arbeiten ermöglichen sollen, eine Umgehung der Rechte der Antragsgegner sei nicht beabsichtigt gewesen. Deshalb seien von den Antragstellerinnen einseitig die Verpflichtungserklärungen abgegeben worden, um der Rechtslage vor der Umstrukturierung Rechnung zu tragen. Im Rahmen der aus diesem Anlaß geführten Interessenausgleichs- und Sozialplanvereinbarungen seien die Antragsgegner zu 8) und 9) auch davon ausgegangen, daß bei jeder der Antragstellerinnen ein eigener Betriebsrat zu bilden sei.
Mithin handelten die Antragsgegner mit der Bestellung nur eines Wahlvorstandes offensichtlich rechtswidrig, eine ordnungsgemäße Wahl sei deshalb nicht mehr möglich. Insoweit sei das vorliegende Verfahren erforderlich und auch zulässig. Die Antragsgegner hätten keine Befugnis, durch Wahl eines einzigen Betriebsrates in die Wirkungsbereiche der eigenständigen Antragstellerinnen einzugreifen. Mit dem vorliegenden Verfahren müsse die Wahl verhindert und damit vermieden werden, daß erhebliche Kosten ausgelöst würden.
Sie haben beantragt,
dem Beteiligten zu 10) wird bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes in Höhe von 50.000,00 DM untersagt, für die Beteiligten zu 1) bis 7) am 24., 25. und 26.04.1990 einen gemeinsamen Betriebsrat wählen zu lassen und Vorbereitungen für eine derartige Wahl zu treffen.
Die beiden beteiligten Betriebsräte sowie der Wahlvorstand haben beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie haben vorgetragen:
Es könne von einem einheitlichen Leitungsapparat ausgegangen werden, da insbesondere in tatsächlicher Hinsicht im sozialen Bereich eine Selbständigkeit der Antragstellerinnen nicht gegeben sei.
Nahezu alle Antragstellerinnen seien unter einer gemeinsamen Anschrift geschäftsansässig. In zahlreichen Bereichen seien firmenübergreifende gemeinsame Regelungen und Systeme gegeben, dies gelte auch für den Einkauf und die Instandhaltungserfordernisse. Zwar würden die Sozialeinrichtungen von unterschiedlichen und rechtlich selbständigen Gesellschaften geführt, sie dienten jedoch dem Betriebe in seiner Gesamtheit und der gesamten Belegschaft. Die Antragstellerin zu 3) stelle ihre Dienstleistung der elektronischen Datenverwaltung und Datenverarbeitung allen anderen Gesellschaften zur Verfügung, dort sei eine EDV nicht eingerichtet.
Im übrigen sei der Eingriff in eine Betriebsratswahl im Wege der einstweiligen Verfügung nur dann zulässig, wenn es zu Verfahrensverstößen komme, die mit Sicherheit die Nichtigkeit der Wahl zur Folge hätten. Eine Anfechtbarkeit reiche insoweit nicht aus.
Durch Beschluß vom 22.03.1990 hat die 5. Kammer des Arbeitsgerichts Hannover dem wahlvorstand bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes in Höhe von 50.000,00 DM untersagt, für die Unternehmen zu 1) bis 7) am 24., 25. und 26.04.1990 einen gemeinsamen Betriebsrat wählen zu lassen und Vorbereitungen für eine derartige Wahl zu treffen. Den Verfahrenswert hat es auf 100.000,00 DM festgesetzt.
Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, daß die Unternehmen vorgetragen und glaubhaft gemacht hätten, daß es sich bei ihnen um selbständige Betriebe handele, so daß ein für alle Betriebe gemeinsam gewählter Betriebsrat in diese Rechtsposition unbefugt eingreife. Wegen der Einzelheiten wird auf die Erwägungen unter II. des angefochtenen Beschlusses verwiesen.
Mit ihrer Beschwerde verfolgen die beteiligten Betriebsräte sowie der Wahlvorstand ihren erstinstanzlichen Zurückweisungsantrag nach näherer Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 18.04.1990 (Bl. 162 ff. d.A.) weiter. Sie sind der Auffassung, daß der zur Entscheidung gestellte Sachverhalt eine ungeklärte und jedenfalls im summarischen Verfahren der einstweiligen Verfügung unter keinen Umständen zu klärende Rechtsfrage beinhalte.
Betriebsräte und Wahlvorstand beantragen nunmehr,
den angefochtenen Beschluß abzuändern und den Antrag der Antragstellerinnen abzuweisen.
Die Unternehmen beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigen den angefochtenen Beschluß nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 19.04.1990. Sie meinen, die Bestellung lediglich eines Wahlvorstandes stelle eine provokative Stichelei dar, mit der sich die Betriebsräte in Widerspruch zu ihrem früheren Verhalten gesetzt hätten. Es gehe lediglich darum zu verhindern, daß für alle 7 beteiligten Unternehmen ein einheitlicher Betriebsrat gewählt werde. Eine derartige Wahl sei offensichtlich unwirksam. Geschäftsgrundlage der schließlich im Aufsichtsrat ohne Gegenstimme gebilligten Umstrukturierung sei die Bildung von 7 Unternehmen mit insgesamt 7 Betriebsräten gewesen.
II.
Die Beschwerde der Betriebsräte sowie des Wahlvorstandes ist begründet.
1.
Die Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Verfügung gemäß §§ 85 Abs. 2, 940 ZPO liegen nicht vor. Zwar kann zur Klärung von Streitfragen im Verlaufe des Verfahrens zur Wahl eines Betriebsrats der Erlaß einer einstweiligen Verfügung nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden (BAG AP Nr. 5 zu § 80 ArbGG 1979). Allerdings werden in der Regel durch einstweilige Verfügungen lediglich berichtigende Eingriffe in das Wahlverfahren zulässig sein. Lediglich in Ausnahmefällen ist auch ein vorzeitiger Abbruch der Betriebsratswahl durch eine einstweilige Verfügung denkbar. Dies folgt aus den zu stellenden Anforderungen an den Verfügungsgrund im Sinne von § 940 ZPO. Die einstweilige Regelung muß auf der Grundlage einer generellen Interessenabwägung zwischen den Beteiligten notwendig sein. Im Hinblick darauf, daß der Betrieb nach Ablauf der Amtszeit des bestehenden Betriebsrates betriebsratslos ist, läuft ein vorzeitiger Abbruch der Betriebsratswahl im Wege einer einstweiligen Verfügung auf eine zeitweilige Suspendierung des Gesetzes hinaus. Diese schwerwiegende Konsequenz kann daher bei dem Abwägungsgebot des § 940 ZPO auch unter Berücksichtigung eventuell doppelt entstehender, den Arbeitgeber treffender Wahlkosten nur bei ganz offensichtlichen Rechtsverstößen, bei nicht zu korrigierenden Mängeln des Wahlverfahrens, die die Nichtigkeit der Wahl zur Folge hätten, oder wenigstens, wenn bei einer Weiterführung der Betriebsratswahl mit Sicherheit eine erfolgreiche Wahlanfechtung vorgenommen werden könnte, in Kauf genommen werden (vgl. Stege-Weinspach, BetrVG, 6. Aufl., § 19 Rdnr. 14 b; Fitting-Auffarth-Kaiser-Heither, BetrVG, 16. Aufl., § 18 Rdnr. 22 a; Held, Der Betrieb 1985 S. 1691, 1694; Winterfeld NZA Beilage Nr. 1 aus 90 S. 20 ff.; teilweise enger: LAG Hamm Betriebsberater 1975 S. 838; LAG München Der Betrieb 1988 S. 347; Betriebsberater 1989 S. 147; LAG Köln Der Betrieb 1987 S. 1996; Der Betrieb 1990 S. 539; ArbG Bielefeld Betriebsberater 1987 S. 1458; ArbG Lingen NZA 1988 S. 40). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier freilich nicht vor.
2.
Die im Ergebnis nicht zu beanstandende Bestellung des Wahlvorstandes durch übereinstimmende Beschlüsse der beiden bisherigen Betriebsräte für die Gesamtheit der von ihnen repräsentierten Belegschaften gemäß § 16 BetrVG (vgl. auch LAG Frankfurt BB 1989 S. 1198 = NZA 1989 S. 735) beruht auf der auch von Betriebsratsseite ursprünglich nicht durchgängig vertretenen Annahme, daß die beteiligten 7 gesellschaftsrechtlich selbständigen Unternehmen mit ihren Produktions- und Dienstleistungsstätten am Standort ... aufgrund ihrer "Verwobenheit" einen einzigen, einheitlichen Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne bilden. Diese Auffassung ist nach der Meinung des Beschwerdegerichts zutreffend, jedenfalls nicht in einem derart hohen Maße rechtsfehlerhaft, daß von einer besonders groben und offensichtlichen Verkennung des Betriebsbegriffs des Betriebsverfassungsgesetzes und damit mit Sicherheit von einer Anfechtbarkeit oder gar Nichtigkeit einer gleichwohl durchgeführten Betriebsratswahl ausgegangen werden kann (vgl. zur Anfechtung einer Betriebsratswahl neuerdings BAG Arbeit und Recht 1990 S. 55).
a)
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist unter Betrieb die organisatorische Einheit zu verstehen, innerhalb derer der Unternehmer allein oder in Gemeinschaft mit seinen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen mit Hilfe von sächlichen und immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt (vgl. nur BAG AP Nr. 5 zu § 1 BetrVG 1972; AP Nr. 6 zu § 1 BetrVG 1972; Beschluß vom 18.01.1989 - 7 ABR 62/87; Arbeit und Recht 1989 S. 290).
Aus dem Erfordernis der organisatorischen Einheit wird gefolgert, daß ein Betrieb nicht ohne weiteres zu 2 oder mehreren Unternehmen gehören könne. "Die Beibehaltung der bisherigen Leitungs- und Organisationsstruktur kann nur auf einem entsprechenden Willen der beteiligten Unternehmen beruhen. Die Strukturen können auf Dauer nicht gegen den Willen der Unternehmen oder auch nur losgelöst von jeglichem Wollen der Betriebsinhaber erhalten bleiben" (BAG EzA § 4 BetrVG 1972 Nr. 5 unter II. 3. c). Eine Ausnahme von dieser Unterordnung der betriebsverfassungsrechtlichen unter die gesellschaftsrechtliche Struktur (sehr deutlich: BAG Arbeit und Recht 1978 S. 254) in dem Sinne, daß mehrere Unternehmen einen Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes bilden könnten, wird davon abhängig gemacht, daß die beteiligten Unternehmen eine rechtliche Vereinbarung über die gemeinsame Führung des gemeinsamen Betriebes schließen, wobei die einheitliche Vereinbarung konkludent erfolgen und sich den tatsächlichen Umständen entnehmen lassen kann (BAG AP Nr. 5 zu § 1 BetrVG 1972): Es genüge jedoch keine bloße unternehmerische Zusammenarbeit, vielmehr sei erforderlich, daß die für die verfolgten arbeitstechnischen Zwecke notwendigen Maßnahmen, insbesondere die Arbeitgeberfunktionen im Bereich der sozialen und personellen Angelegenheiten sowie die unternehmerischen Funktionen im Bereich der wirtschaftlichen Angelegenheiten von einem "einheitlichen Leitungsapparat" wahrgenommen werden würden (vgl. weiter BAG DB 1981 S. 1047; DB 1987 S. 176 = NZA 1987 S. 131; BB 1987 S. 1671 = NZA 1987 S. 707; DB 1989 S. 127 = NZA 1989 S. 190).
b)
Diesem Betriebsbegriff kann nicht gefolgt werden (Gamillscheg, "Betrieb" und "Bargaining unit" - Versuch des Vergleichs zweier Grundbegriffe, ZfA 1975 S. 357 ff.; derselbe, Gemeinsame Anmerkung zu EzA § 4 BetrVG 1972 Nrn. 4 und 5; derselbe, Arbeit und Recht 1989 S. 33 ff.; Joost, Betrieb und Unternehmen als Grundbegriffe im Arbeitsrecht, München 1988; Kohte, Betrieb und Unternehmen unter dem Leitbild des Organisationsvertrags, Bochum 1987; Kleveman, Arbeit und Recht 1989 S. 356 ff.; Ziemann, Arbeit und Recht 1990 S. 58 ff.; Wiedemann, Arbeitsrechtliche Probleme der Betriebsausgliederung, Festschrift für Fleck, Berlin 1988, s. 447 ff., 460).
aa)
Ausgangspunkt jener Vorstellung, ein Betrieb könne nur zu einem Unternehmen gehören, ist die Bestimmung des Begriffs "Betrieb" durch Erwin Jacobi (Betrieb und Unternehmen als Rechtsbegriffe, Festschrift für Ehrenberg, Leipzig 1927, S. 1 ff., 11), auf den das Bundesarbeitsgericht (z.B. DB 1985 S. 711 = NZA 1985 S. 293) zurückgreift: "Die Einheit des Betriebs ist gebunden an die Einheit des betreibenden Rechtssubjekts oder der gemeinsam betreibenden Rechtssubjekte. Fehlt diese Einheit, so liegt niemals ein Betrieb, sondern eine Mehrheit von Betrieben vor, selbst wenn die Betriebe durch Betriebsstätte, Betriebsleitung oder Arbeitsverfahren verbunden sind." Die Begründung für diese Auffassung findet sich dann allein in der Fußnote 24 mit einem Hinweis auf § 904 Abs. 2 RVO a.F.: "Forstwirtschaftliche Grundstücke verschiedener Unternehmer gelten als Einzelbetriebe, auch wenn sie zusammen derselben Betriebsleitung unterstehen." Dieser Betriebsbegriff (vgl. auch Meyer's Neues Lexikon, 2. völlig neuerarbeitete Auflage in 18 Bänden, VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 1972 Bd. 2, S. 262: "Unterste ... rechtlich selbständige Einheit der Volkswirtschaft", ähnlich bereits Meyer's Neues Lexikon in 8 Bänden, VEB Bibliographisches Leipzig, 1963 Bd. 1, S. 769; dazu auch Harry Nick. Gesellschaft und Betrieb im Sozialismus, Zur zentralen Idee des ökonomischen Systems des Sozialismus, Verlag die Wirtschaft, Berlin 1970, S. 80 ff.; eine andere Parallele findet sich in der angelsächsischen ökonomischen Literatur im Gegensatz von 'proprietary theory' und 'entity theory', eine Erläuterung beider Konzepte gibt Louis Goldberg, An Inquiry into the Nature of Accounting, Menasha 1965, S. 109 ff.; zum Gegensatz von (juristischer) Person und Institution (= Sozialgebilde): Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, 2. Aufl. Tübingen 1969, S. 52 f., 121 ff.) war bereits 1927 überaus strittig, auch wenn er in der Tradition der früheren Reichsstatistik stand (Statistik des Deutschen Reiches. Alte Folge, Bd. XXXIV. Theil 1, Die Ergebnisse der deutschen Gewerbezählung vom 1. Dezember 1975, 1879/Osnabrück 1969, S. 63 ff.; Statistik des Deutschen Reiches. Neue Folge, Bd. VI, 1886, Einleitung S. 99; zur Kritik an der statistischen Methode bereits: Schramm, Der Klein-Gewerbe-Betrieb in Preußen, in: Die Zukunft, Sozialistische Revue. Heft 2 vom 15. Oktober 1877, S. 39 ff., Reprint 1971; Engel, Die industrielle Enquete und die Gewerbezählung im Deutschen Reich und im Preußischen Staat am Ende des Jahres 1875, Vortrag gehalten in der volkswirtschaftlichen Gesellschaft zu Berlin am 9. Februar 1878, a.a.O. Heft 20 vom 15. Juli 1878 S. 630 ff.), die aus politischen Gründen bestrebt war, eine größere Zahl von "Betrieben" erscheinen zu lassen "als Geschäfte im gemeingebräuchlichen Sinne vorhanden waren" und deshalb selbständige Betriebe auch dort zählte, wo faktisch ein technisch-wirtschaftlich-sozialer Verbund vorhanden gewesen ist.
bb)
Sprachlich wurde "Betrieb" ursprünglich lediglich als Nomen actionis (= betreiben) gebraucht, später auf die Arbeitsstätte übertragen und dann auch weiter als organische Wirtschaftseinheit gefaßt (vgl. Johann Christoph Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, 1. Theil, a bis C, Leipzig 1793, Spalte 944; Johann Heinrich Campe, Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. I, A bis E, Braunschweig 1807; Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, 1. Bd., A bis Biermolke, Leipzig 1854, Spalte 1714; Moriz Heyne, Deutsches Wörterbuch, Bd. I, A bis G. 2. Aufl., Leipzig 1905, Spalte 404; vgl. auch Trübners Deutsches Wörterbuch, im Auftrage der Arbeitsgemeinschaft für deutsche Wortforschung herausgegeben von Alfred Götze, 1. Bd., A bis B, Berlin 1939, S. 311 ff.; Herrmann Paul, Deutsches Wörterbuch, 5. völlig neubearbeitete und erweiterte Auflage von Werner Butz, Tübingen 1957 ff., S. 94).
Schon Otto von Gierke (Genossenschaftsrecht, Bd. I, 1868, S. 1037; Personeneinheiten und Vermögensinbegriffe, 1889; derselbe. Privatrecht, Bd. I, 1895. S. 661 ff., 699; derselbe, Recht der Sittlichkeit, in: Logos, Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur, Bd. VI, 1916/17, Heft 3, S. 256 ff., 257; dazu: Helga Spindler. Von der Genossenschaft zur Betriebsgemeinschaft, Kritische Darstellung der Sozialrechtslehre Otto von Gierkes, Frankfurt am Main/Bern 1982) hatte den Betrieb als einen wirtschaftlichen Organismus begriffen und als Herrschaftsverband beschrieben, auf den er den deutschrechtlichen Gedanken der Gemeinschaft in Auseinandersetzung mit Friedrich Karl von Savigny (Systems des heutigen römischen Rechts, Bde. I bis VIII, Berlin 1840 bis 1849, hier: System, Band I, S. 376; dazu auch Franz Wieacker, Pandektenwissenschaft und industrielle Revolution, Juristenjahrbuch Bd. 9, 1968/69, S. 1 f.) anwenden wollte (ihm im Grunde folgend: Reichsgericht Urteil vom 06.02.1923 RGZ 106 S. 272 ff.). Auch Robert Liefmann (Die Unternehmensformen mit Einschluß der Genossenschaft und der Sozialisierung, 3. umgearbeitete Auflage, Stuttgart 1923, S. 11; vgl. auch Franz H. Mueller, Soziale Theorie des Betriebes, Berlin 1952, S. 16 ff.) verstand unter "Betrieben" die äußeren Einrichtungen und Veranstaltungen für eine wirtschaftliche Tätigkeit einschließlich dieser Tätigkeit der leitenden und der ausführenden Personen selbst, der vor allem an den Arbeitsraum und die Arbeitszeit als die sichtbarsten Zeichen einer wirtschaftlichen Tätigkeit anknüpfe. Und Wilhelm Rieger (Einführung in die Privatwirtschaftslehre, 1929, 2. unveränderte Auflage Erlangen 1959, S. 32 ff.) definiert "Betriebe" als "rein technische Institutionen", spricht sie allenfalls "als Wirtschaftseinheiten" an: "Betrieb bezieht sich auf die konkrete Gestalt" (a.a.O. S. 39). "Betrieb" ist nach Werner Ziegenfuß (Der Mensch als Gesellschaftswesen und der Betrieb, Berlin 1953. S. 52) "eine sachlich und in seiner Zusammenarbeit in sich abgeschlossene Einheit". Als wirtschaftlich-soziale Einheit beschreibt schließlich auch Adolph Geck (Soziale Betriebsführung nach den Grundsätzen einer Seinstheologie des Industriebetriebes, in: Betrieb und Gesellschaft, Soziale Betriebsführung, herausgegeben von Joseph Kolbinger, Berlin 1966, S. 31) den Betrieb, wenn er ihn "als Veranstaltung" von verhältnismäßiger Dauer mit einer bestimmten Funktion im Zusammenleben der Menschen" bezeichnet (präziser allerdings schon: Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1922, Kapitel I, Soziologische Grundbegriffe, § 15 S. 28, 37; Friedrich von Gottl-Ottlilienfeld. Die natürlichen und wirtschaftlichen Beziehungen der Wirtschaft, Tübingen 1914, V. Wirtschaft und Technik, S. 288).
cc)
Dieses traditionelle Verständnis des Betriebes (vgl. auch das Verständnis des Begriffes "Fabrik" im Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten von 1794 Titel 8 Teil II § 407 und hierzu "Die Entwicklung der Frage 'Fabrik und Handwerk' in Schrifttum und Rechtsprechung", Denkschrift des Deutschen Handwerks- und Gewerbekammertages, Hannover 1926, mit Hinweisen auf das Sächsische Gewerbesteuergesetz 1847 und die Württ. Gewerbeordnung 1862) als einer wirtschaftlichsozialen-technischen Einheit ohne eine unzulässige Verquickung mit juristischen Versatzstücken einer gesellschaftsrechtlichen Dominanz liegt zudem den vergleichbaren Rechtsordnungen Italiens, Frankreichs und der Vereinigten Staaten von Amerika zugrunde.
Im italienischen Recht ist der Begriff des Betriebes in Parallele zum deutschen Betriebsverfassungsrecht von Bedeutung für die Bildung von Betriebsräten, den sogenannten "Commissioni interne", entsprechend dem "Accordo interconfederale per la costituzione e il funzionamento delle Commissioni interne" vom 18.04.1966 (II Codice del Lavoro, Seconda Edizione, Piacenza 1985, § 19), aber auch für die Bildung von gewerkschaftlichen Betriebsvertretungen gemäß Art. 19 des "Statute dei Lavoratori" (Gesetz vom 20. Mai 1970, Gazzetta Ufficiale Nr. 131 vom 27. Mai 1970). Für die Abgrenzung der "azienda", "unità aziendali" oder der "unità produttiva" sind gemäß Art. 2 des Accordo interconfederale bzw. Art. 35 des Statuto dei Lavoratori Gesichtspunkte räumlicher Nahe oder Ferne ausschlaggebend ("geograficamente separato e distante", Mario Ghidini, Diritto del Lavoro, Nona Edizione, Padova, 1985, S. 302 ff.). Nach höchstrichterlicher italienischer Rechtsprechung (Corte Costituzionale, 6. März 1974, Nr. 55; Corte Suprema di Cassazione, 6. Juni 1984, Nr. 354) muß sich in jeder "unita produttiva" ein "centro operativo-produttivo autonomo" ausdrücken, wobei unter anderem auch auf die Homogenität der Arbeitnehmergruppen abgestellt wird ("gruppo omogeneo").
In Frankreich ist für die Einrichtung von Betriebsräten und die Entsendung von gewerkschaftlichen Vertrauensleuten die Figur der wirtschaftlich-sozialen Einheit ("unite economique et sociale") entscheidend, die inzwischen normativen Gehalt in Art. L 431 - 1. Abs. VI Code du Travail gefunden hat. Zu den wirtschaftlichen Merkmalen dieser Einheit zählen etwa räumliche Nähe des Betriebes, gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit und Verflechtung und Verschachtelung des Kapitals, Gleichheit der leitenden Personen, gleichartige oder einander ergänzende Produktionen, frühere Gemeinsamkeit u.a.. Zu den sozialen Merkmalen zählen die Einheitlichkeit der Arbeitsbedingungen, gemeinsame Sozialeinrichtungen oder die sonst auftretende Notwendigkeit, getrennte Einrichtungen zu schaffen, gegenseitige Versetzbarkeit der Arbeitnehmer, Bestehen einer gemeinsamen Personalabteilung usw., wobei freilich keines dieser Merkmale absolut genommen wird (vgl. die umfangreichen Nachweise bei Gamillscheg, Gemeinsame Anmerkung a.a.O., S. 43 ff.). Auf dieser Grundlage sind durch einen Beschluß des Kassationshofes vom 06.07.1982 (Bulletin des Arrêts de la Court de Cassation 1982 V Nr. 454 S. 336) sieben wirtschaftlich verbundene Gesellschaften in verschiedenen Regionen Frankreichs zu einem Betrieb mit einer Betriebsvertretung zusammengefaßt worden.
Im Recht der Vereinigten Staaten von Amerika ist Grundeinheit für die Wahrnehmung betrieblicher Angelegenheiten durch die Gewerkschaft auf der Grundlage des Mehrheitsprinzips die sogenannte Verhandlungseinheit, "Bargaining unit" (National Labor Relations Act von 1935 in der Fassung des Taft-Hartley-Act von 1947; hierzu: Garnillscheg, "Betrieb" und "Bargaining unit", ZfA 1975 S. 386 ff.). Die im Laufe der Zeit sehr unterschiedliche Bestimmung dieser "Verhandlungseinheit" durch den National Labor Relations Board richtet sich ebenfalls nach historisch-technisch-wirtschaftlich-sozialen Kriterien wie der Homogenität von Arbeitnehmergruppen, der Stetigkeit bisheriger Arbeitsbeziehungen, der bisherigen Teilnahme von Arbeitnehmern an einer einheitlichen Interessenvertretung, dem Grad der Abhängigkeit des gesamten Produktionsprozesses von der Arbeitsleistung der Arbeitnehmer, die eine gesonderte Vertretung verlangen, der räumlichen Entfernung zwischen verschiedenen Betriebsstätten, der Selbständigkeit der Verwaltung, dem Austausch der Arbeitnehmer einzelner Geschäfte untereinander u.ä., um die Interessengemeinschaft "community of interest", als entscheidende Leitlinie für die "bargaining unit" auszumachen.
dd)
Gegen die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist einzuwenden, daß sie "Leitung" als einen schlicht einheitlichen Vorgang auffaßt, dadurch aber die Komplexität von Entscheidungsprozessen beiseite schiebt. Die Entscheidung aller der Mitbestimmung unterliegenden Fragen an einer Stelle ist ein rein idealtypischer Fall, wie es gerade auch der diesem Verfahren zugrunde liegende Sachverhalt ausweist. Die Kompetenzen zur Wahrnehmung von Arbeitgeberfunktionen im Bereich der sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten können - und sind es in aller Regel - völlig unterschiedlich aufgeteilt und gelagert sein, gerade bei Unternehmen mit stark dezentralisierten Verwaltungs- und Leitungsaufgaben, bei einer Vielzahl von Betriebsstätten oder aber auch bei miteinander kooperierender Unternehmen. Eine reine Produktions-, eine Marketing-, eine Vertriebs- und eine sogenannte Service-Gesellschaft sind per se auf eine Kooperation angewiesen, weil ihr Tätigwerden allein für sich genommen keinerlei ökonomischen Sinn ergibt. Untrennbar miteinander verbundene und aufeinander bezogene Funktionen werden nicht in tatsächlicher Hinsicht dadurch selbständig wahrnehmbar, daß sie formal-gesellschaftsrechtlich in selbständige Gesellschaften "ausgegründet" werden.
Auch ist es weder sinnvoll noch vom Gesetz her geboten, sich bei der Bestimmung der betriebsratsfähigen Einheit an der gesellschaftsrechtlichen Struktur des Unternehmens auszurichten und dadurch den betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff der Veränderung gesellschaftsrechtlicher Strukturen folgen zu lassen. Auch dies ist in der Literatur bereits ausführlich dargestellt worden. Hierauf kann Bezug genommen werden (vgl. Gamillscheg Arbeit und Recht 1989 S. 33; Joost a.a.O. S. 242 ff.; Ziemann a.a.O. S. 60; Kohte a.a.O. S. 393). Die maßgebliche betriebsverfassungsrechtliche Struktur ist keine abhängige Veränderliche der unternehmensrechtlichen Struktur. Im Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 29.3.977 (Arbeit und Recht 1978 S. 254) heißt es:"Mitentscheidend ist, wo die Entscheidungen des Arbeitgebers, insbesondere im Mitbestimmungsraum fallen. Diesem Gesichtspunkt kommt erhebliche, wenn auch nicht allein entscheidende Bedeutung zu. Aufbau und Organisation des Betriebes liegen in der Entscheidungsbefugnis des Arbeitgebers. Er bestimmt, von wo aus ein Werk geleitet werden soll." Dies mag sein, enthält nur keine Aussage darüber, wie und in welchen Grenzen die Repräsentation der Arbeitnehmer organisiert werden soll. Die Entscheidungsbefugnis des Arbeitgebers bezieht sich allein auf die Wahrnehmung der Arbeitgeberfunktionen, auf die Organisation und Aufteilung der Entscheidungskompetenz eben des Arbeitgebers, nicht, auch nicht mittelbar, auf die Organisation der Betriebsverfassung. Hier kommen dem Arbeitgeber lediglich punktuelle Befugnisse zu (vgl. §§ 19 Abs. 2.23 Abs. 1, 43 Abs. 2 BetrVG). Hinzu kommt, daß die Organisation der Betriebsverfassung keineswegs eine bestimmte Organisation des Arbeitgebers bedingt und umgekehrt. Das eine ist keine Vorgabe für das andere. In der betrieblichen Wirklichkeit kann der Betriebsrat ohnehin mit verschiedenen Stellen verhandeln, je nachdem, welche Stellen an derselben Entscheidung mitzuwirken haben und um welche der Mitwirkung und Mitbestimmung durch den Betriebsrat unterliegenden Angelegenheit es sich handelt.
Fehlt es schon an einem einsichtigen Grund, den Begriff des Betriebes für die Zwecke der Betriebsverfassung an die rechtlichen Grenzen des Unternehmens zu binden, so sind der herrschenden Meinung auch insoweit Bedenken entgegenzuhalten, als sie einen gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen dann für möglich hält, wenn zwischen den Unternehmen eine entsprechende Führungsverreinbarung abgeschlossen worden ist. Eine solche Führungsvereinbarung wird alsdann - etwas anderes ist auch schwerlich denkbar - als Gründung einer BGB-Gesellschaft qualifiziert, eine Gesellschaft indes, die weder Arbeitnehmer noch sachliche Produktionsmittel hat. Wie Gamillscheg (Gemeinsame Anmerkung a.a.O. S. 40) zu Recht angemerkt hat, bleibt als Zweck einer solchen BGB-Gesellschaft mithin nur die gemeinsame Verwaltung der betriebsverfassungsrechtlich erheblichen Angelegenheiten, sie wird zu einer Art Generalbevollmächtigte für den Umgang mit dem Betriebsrat: "Das Rätsel der Führungsvereinbarung harrt nach wie vor seiner Lösung." (vgl. zur Bildung des Gesamtbetriebsrats in einem "Unternehmen" nach § 47 BetrVG: BAG Beschluß vom 29.11.1989 - 7 ABR 64/87).
ee)
Ein eigenständiger betriebsverfassungsrechtlicher Begriff des "Betriebes" (eine allgemeingültige Definition kann es nicht geben) hat sich am räumlich-arbeitstechnisch verbundenen Einsatz der Belegschaft zu orientieren (Wiedemann a.a.O. S. 460; derselbe Anmerkungen zu BAG AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 und AP Nr. 5 zu § 1 BetrVG 1972). Denn die Aufgabe des Betriebsbegriffes in der Betriebsverfassung ist lediglich, die Interessenvertretung der Arbeitnehmer zu organisieren (Klevemann a.a.O. S. 360). Kohte (a.a.O. S. 393) spricht bildhaft davon, daß es um die Regelung von Wahlkreisen gehe, Gamillscheg (Gemeinsame Anmerkung a.a.O. S. 55) von der Zusammenfassung der "Arbeitnehmer zu homogenen Wählerschaften". "Ordnet eine Norm die Mitwirkung der Belegschaft (durch ihre Vertreter) bei einer betrieblichen Maßnahme, so müssen die Arbeitnehmer bezeichnet werden, die zur Bestellung des Vertreters berufen und von seinem Tun und Lassen betroffen sind: wer wählt den Betriebsrat, für wen gilt die Betriebsvereinbarung?" (so Gamillscheg a.a.O.). Geht man von einem solchen Normzweck aus - und ein anderer ist dem Betriebsverfassungsrecht nicht zu entnehmen -, so ist das Abstellen auf eine Organisationseinheit auf der Grundlage eines Dogmas vom Primat gesellschaftsrechtlicher Strukturen, für das es keinerlei gesetzliche Grundlagen gibt, unhaltbar; die vom Bundesarbeitsgericht in Fortführung der Auffassung Jacobis verwendeten Merkmalen des einheitlichen Leitungsapparates und der Führungsvereinbarung können für den Begriff des Betriebes im Sinne des Betriebsverfassungsrechts nicht konstitutiv sein (Ziemann a.a.O. S. 60).
Wenn also die entscheidende Funktion des Betriebsbegriffs in der Bildung von Betriebsräten als Repräsentanten derjenigen liegt, die fremdbestimmte Arbeiten leisten, so muß dieser Grundbegriff des Betriebsverfassungsrechts nach seiner inhaltlichen Struktur Arbeitnehmerwahlkreise derart umschreiben, daß die dadurch abgegrenzte Arbeitnehmergruppe gleichgelagerte Interessen entwickeln und gemeinschaftlich artikulieren kann. Entscheidend hierfür ist der Gesichtspunkt der Interessengemeinschaft, die sich in der Regel an der räumlich-arbeitstechnisch verbundenen Tätigkeit orientiert. Der Begriff "Betrieb" im Sinne des § 1 BetrVG ist zu definieren als derjenige Tätigkeitszusammenhang von Arbeitnehmern auf der Grundlage eines bei natürlicher Betrachtung äußerlich abgrenzbaren, fremdbestimmten Leistungssubstrates, durch den und in dem die interessengerechte Vertretung der Arbeitnehmer möglichst ortsnah und effektiv verwirklicht werden kann. Zu den Merkmalen dieser Interessengemeinschaft, die einen einheitlichen Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne wesentlich bestimmt, unabhängig davon, ob gesellschaftsrechtlich ein oder mehrere Unternehmen das "Geschäft" betreiben, gehören damit: Betriebsgemeinschaft der Arbeitnehmer, indiziert durch eine räumlichtechnisch verbundene Arbeit in gleichen oder doch benachbarten Räumen und Gebäuden, gegenseitige Austausch- und Versetzbarkeit, gemeinsame Sozialeinrichtungen, vollständige oder partielle Wahrnehmung der Arbeitgeberfunktionen durch identisches oder doch teilidentisches Personal; gegenseitige wirtschaftlich-technische Abhängigkeit und Durchdringung insbesondere auch bei kapitalmäßiger Verflechtung und Verschachtelung; einander ergänzende oder aufeinander bezogene Produktion und/oder Dienstleistung. Bei diesen Merkmalen handelt es sich weder um eine abschließende Aufzählung noch müssen diese Merkmale in einer unangemessenen Verabsolutierung in jedem Fall vollständig vorliegen. Entscheidend ist vielmehr das Gesamtbild einer wirtschaftlich-sozialen Interdependenz, von derartigen wechselseitigen Abhängigkeitsbeziehungen innerhalb eines in tatsächlicher Hinsicht abgrenzbaren Sozialgebildes.
3.
Die beteiligten sieben Unternehmen zeichnen sich an ihrem Standort ... durch eine derartige wirtschaftlich-soziale Interdependenz aus. Sie bilden damit einen Betrieb im Sinne von § 1 BetrVG, in dem dann folglich auch nur ein Betriebsrat zu wählen ist.
Festzustellen ist zunächst eine einheitliche operative Führung der beteiligten sieben Unternehmen bei einer kapitalmäßigen Verflechtung. Muttergesellschaft der ganzen Gruppe ist die ... mit Sitz in .... Zur Leitung der (internationalen) ... Gruppe hat diese Holding die ... eingesetzt. Das Direktorium der ... ist funktional gegliedert. Seine Mitglieder sind zuständig für das "Produktzentrum ...", das "Produktzentrum ...", den "Vertrieb Europa", den "Vertrieb Außer-Europa", "... Vertrieb" und "Lizenzen" sowie den Bereich "Finanzen/Verwaltung". Dem Produktzentrum ... sind alsdann u.a. zugeordnet die ..., (Bet. zu 7), dem Produktzentrum die ... (Bet. zu 2), dem Vertrieb Europa die .... (Bet. zu 4) sowie die ... (Bet. zu 6), dem Vertrieb Außer-Europa die ... ... Handelsgesellschaft (Bet. zu 5), dem Bereich Verwaltung/Finanzen die ... (Bet. zu 3). Im Konfliktfalle liegt die Letztentscheidungsbefugnis nicht bei den beteiligten Unternehmen und deren Geschäftsführungen, sondern bei der ... Corporation. Bei einer völligen räumlichen Verflechtung aller sieben Gesellschaften am Standort ... verteilt auf drei Ebenen ein und desselben Gebäudekomplexes, findet eine einander ergänzende bzw. aufeinander bezogene Produktion sowie die Erbringung hierfür notwendiger Dienstleistungen statt. Logistik, EDV, Rechnungswesen, Marketing Controlling usw. beziehen sich notwendigerweise auf die in zwei Unternehmen konzentrierten Produktionsbereiche, die eben allesamt der gleichen operativen Führung unterstellt sind. Festzustellen ist weiter eine arbeitsmäßige Verschachtelung zwischen den beteiligten Unternehmen, die sich beispielsweise in der Regelung der Unterschriftenbefugnis ausdrückt. Hierzu heißt es in der Information vom 27.11.1989:
"Infolge der Aufteilung der geschäftlichen Aktivitäten der früheren ... hat sich die Notwendigkeit ergeben, daß Mitarbeiter von Fall zu Fall Briefe oder andere Schriftstücke für eine andere Gesellschaft unterzeichnen als die, in der sie tätig sind. Dies kann sich insbesondere daraus ergeben, daß die Service-Gesellschaft bei der Beratung ihrer Schwestergesellschaften nach außen im allgemeinen nicht hervortritt. Ebenso gibt es häufiger Angelegenheiten, die über den Rahmen einer Gesellschaft hinausgehen.
In allen diesen Fällen sind die sachlich mit der betreffenden Angelegenheit beschäftigten Mitarbeiter berechtigt, auch für eine andere ...-Gesellschaft mit i.V. bzw. i.A. zu zeichnen, je nach ihrer Unterschriftsberechtigung in der eigenen Gesellschaft. Auch Prokuristen zeichnen in einer anderen Gesellschaft mit i.V.."
Diese arbeitsmäßige Verschachtelung wirkt sich dann beispielhaft dahin aus, daß das Engineering für die ... Werke (Bet. zu 7) in ... von einer Abteilung vorgenommen wird, die rechtlich zur Servicegesellschaft (Bet. zu 3) gehört und sachlich der Produktionsgesellschaft (Bet. zu 2) unterstellt ist. Die gesamte Instandhaltung der Anlagen und Maschinen wird durch Handwerker wahrgenommen, die individual-rechtlich dieser Produktionsgesellschaft zugeordnet sind. Die Arbeitsbedingungen für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen gleichmäßig geregelt werden (vgl. Ziffer 3 der Verpflichtungserklärung vom 08.07.1989). In der Praxis wird auch entsprechend verfahren (z.B. Betriebsurlaub 1990, Kontoführungsgebühren, zusätzliches Urlaubsgeld, Altersfreizeit). Es bestehen gemeinsame Sozialeinrichtungen wie z.B. die Kantine. Alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen werden von einem gemeinsamen werksärztlichen Dienst betreut, der Sicherheitsingenieur und die Fachkräfte für Arbeitssicherheit sind für alle Unternehmen personenidentisch. Zwar kann von einem einheitlichen Leitungsapparat im personellen Bereich in dem Sinne, daß es einen gemeinsamen Personalleiter für alle sieben Unternehmen gäbe, nicht gesprochen werden. Der Bereich des Personalwesens ist auf der örtlichen Ebene auf verschiedene Personen aufgeteilt, die Befugnisse laufen dann aber letztlich bei der ... wieder zusammen. Eine leitungsmäßige Durchdringung liegt allerdings auch auf der örtlichen Ebene insofern vor, als der Personalleiter der Servicegesellschaft nach dem Vorbringen der Unternehmen für die übrigen Gesellschaften mit Ausnahme der ... schaft (Bet. zu 2) sowie der ... - (Bet. zu 7) beratend tätig ist. Insgesamt liegt ein dichtes Netz wechselseitiger Abhängigkeitsbeziehungen in räumlicher, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht vor, in die im übrigen auch die ... (Bet. zu 1) als Vermögungsverwaltungsgesellschaft, die die Pensionsverpflichtungen gegenüber früheren Mitarbeitern wahrnimmt, einbezogen ist.
Der Feststellung des Gerichts, daß die beteiligten sieben Unternehmen einen Betrieb im Sinne von § 1 BetrVG bilden, steht im übrigen nicht entgegen, daß die beteiligten Betriebsräte zunächst selbst von der Bildung von sieben Betriebsräten bei den sieben Unternehmen, später dann von zwei Betriebsräten am Standort ... ausgegangen sind. Bei der Frage der Abgrenzung eines Betriebs im Sinne des Betriebsverfassungsrechts handelt es sich um eine Frage der Anwendung zwingenden Gesetzesrechts, die einer wirksamen Vereinbarung der Beteiligten nicht zugänglich ist, denkbar ist allenfalls ein zustimmungsbedürftiger Tarifvertrag im Sinne von § 3 BetrVG, bei der auch eine Verwirkung nicht stattfinden kann.
IV.
Aber auch auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Betriebsbegriff läßt sich die jetzt vertretene Meinung der beteiligten Betriebsräte sowie des Wahlvorstandes, es liege lediglich ein Betrieb im betrie verfassungsrechtlichen Sinne vor, nicht notwendigerweise als rechtsfehlerhaft qualifizieren. Richtig ist zwar, daß, bezogen auf den Standort ..., ein einheitlicher Leitungsapparat im Sinne dieser Rechtsprechung nicht festgestellt werden kann. Eine einheitliche Leitung als oberster Träger der Befugnis, die Gesamtheit der für die Erreichung der unterschiedlichen arbeitstechnischen Zwecke eingesetzten personellen, materiellen und immateriellen Mittel zu steuern und durchzusetzen, besteht in auf der Ebene der Arbeitsstätten bzw. antragstellenden Gesellschaften nicht. Nur ist dies nach der Auffassung des Gerichts auch nicht notwendig, im Hinblick auf die zunehmende internationale Verflechtung der Wirtschaft auch weder angemessen noch sinnvoll. Wie bereits erwähnt, sind die beteiligten Gesellschaften direkt der operativen Führung durch die ... unterstellt. Damit ist jedenfalls dort ein einheitlicher Leitungsapparat im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vorhanden. Dieser einheitliche Leitungsapparat wird in seiner Bedeutung und Wirksamkeit nicht dadurch beeinträchtigt oder beseitigt, daß er nicht den Unternehmen in ... sondern einer weiteren Gesellschaft im Ausland zugeordnet worden ist. (Übrigens wäre die im Zuge der Unternehmensumstrukturierung "angewählte" funktionelle Gliederung genauso denkbar innerhalb einer einzigen, juristisch selbständigen Gesellschaft, z.B. einer Aktiengesellschaft. Die funktionelle Gliederung bedürfte nicht unbedingt der vorgenommenen gesellschaftsrechtlichen Strukturierung.) Wenn jedenfalls die beteiligten sieben Unternehmen für sich genommen gar nicht Träger "oberster" Entscheidungsbefugnisse sind, kann es auch nicht darauf ankommen, ob bei ihnen aufgrund einer "Führungsvereinbarung" ein einheitlicher Leitungsapparat angesiedelt ist. Für die Zusammenfassung der beteiligten Unternehmen muß dann die Zusammenfassung der Leitungsbefugnisse in der operativen Führung durch die ausländische Gesellschaft genügen.
Einer Kostenentscheidung bedurfte es nicht.