Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 03.05.2002, Az.: 3 B 701/02
Aufstiegslehrgang; Ausnahmefall; Disziplinarverfahren; Eignungszweifel; Ermessensbindung; Polizeivollzugsbeamter; Regelfall
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 03.05.2002
- Aktenzeichen
- 3 B 701/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 41633
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 5 Abs 4 PolLbV ND
- § 17a PolLbV ND
- § 80 Abs 5 VwGO
- § 123 VwGO
Gründe
I. Dem Antragsteller, geboren 1959 und PHM bei dem PK B. bestätigte die Antragsgegnerin auf seine Bewerbung vom 10. Dezember 2001 hin mit Bescheid vom 12. Dezember 2001 die Bewährung zum Aufstieg in den gehobenen Dienst für lebens- und berufserfahrene Beamte des mittleren Dienstes gemäß § 17 a Abs. 1 Nr. 3 PolNLVO.
Im Wege der einstweiligen Anordnung begehrt der Antragsteller, ihm vorläufig den Besuch des am 06. Mai 2002 beginnenden Aufstiegslehrgangs für den gehobenen Polizeivollzugsdienst zu gestatten. Bei 24 zur Verfügung gestellten Lehrgangsplätzen hatte die Antragsgegnerin am 30. Januar 2002 durch ihre Auswahlkommission die der konkreten Lehrgangsbeschickung vorausgehende Eignungsentscheidung für 24 von Bewerber/innen von 176 Bewerbern, deren Bewährung festgestellt worden war, getroffen, für den Antragsteller aber im Hinblick auf "durchgeführte Verwaltungsermittlungen" zunächst zurückgestellt. Zwei weitere Beamte wurden wegen eines "laufenden Disziplinarverfahrens" nicht zum Aufstiegslehrgang entsandt. Nach Abschluss der Verwaltungsermittlungen leitete die Antragsgegnerin am 26. Februar 2002 nach § 26 NDO Vorermittlungen gegen den Antragsteller ein, wegen des Verdachts, dass dieser durch sein Verhalten gegen seine Dienstpflicht
- sich in berufserforderlicher Weise achtungs- und vertrauenswürdig (§ 62 Satz 3 i.V.m. § 85 Abs. 1 Satz 2 NBG) zu verhalten
sowie
- Anordnungen und allgemeine Richtlinien zu befolgen (§ 63 Satz 3 i.V.m. § 85 Abs.1 Satz 2 NBG)
verstoßen habe und
- einer ungenehmigten Nebentätigkeit (§ 73 i.V.m. § 85 Abs. 1 Satz 2 NBG) nachgehe.
Sodann beschied die Antragsgegnerin den Antragsteller am 5. März 2002 förmlich, dass er "zurzeit" nicht zur Aufstiegsausbildung zugelassen werde. Nach III. Absatz 2 des Erlasses MI 22.3-03040/LA vom 09.08.1996 erfolge die Entscheidung über seine Bewerbung erst nach Abschluss des Disziplinarverfahrens. Dem widersprach der Antragsteller am 14. März 2002 und begründete diesen Widerspruch am 09. April 2000: Dass er von der ihm am 12. Dezember 2001 erteilten Nebentätigkeitsgenehmigung abweiche, sei ein offensichtliches Missverständnis. Genehmigt sei ihm "Bürotätigkeit ca. 70%, Verbringung von Fahrzeugen ca. 25%, Fahrzeugpflege ca. 5% bei K. A. unter Beachtung von (5) Auflagen". Das von seiner Ehefrau G. seit 1987 angemeldete und betriebene, aber zum 31. Oktober 2001 aufgegebene G. A. (Gebrauchtwagen und Teilehandel) sei unter Verwendung der früheren Bezeichnungen durch die Stadt B. auf ihn umgetragen worden. Die seinerzeit angemeldete Tätigkeit sei so am 8. November 2001 fortgeschrieben worden mit "An- und Verkauf sowie Vermittlung von Neu- bzw. Gebrauchtfahrzeugen, Reinigung von Fahrzeugen, Fahrzeugteileverkauf pp.". Im Vorermittlungsverfahren werde sich herausstellen, dass er den Betriebszweig "Fahrzeugteile Verkauf pp." nicht betreibe. Am 18. April 2002 habe er eine Änderung der Gewerbeanmeldung erreicht auf "An- und Verkauf sowie Vermittlung von Neu- und Gebrauchtfahrzeugen". Einen tatsächlichen Autoverkaufsplatz betreibe er nicht mehr. Die Geschäfte würden allein über Internet abgewickelt. Die Website "W..k.-a.." verweise mit einem Link auf h./h..m..d./A.-S.. Das bedeute, dass er geschäftlich mit seinem örtlich bekannten "Polizistennamen" nicht auftauche.
Mit seinem Antrag ergänzt der Antragsteller: Die Antragsgegnerin habe dem Regel-Ausnahmeprinzip des genannten Erlasses nicht Rechnung getragen. Die Entscheidung sei ermessensfehlerhaft. Wenn er erst zu einem späteren Lehrgang zugelassen werde, bestünde die Gefahr, dass er von seinem ehemals "ersten" Platz auf der jetzigen Bewerberliste durch Fortschreibung heruntergestuft werde, möglicherweise so weit, dass er zum nächsten Lehrgang aus Kapazitätsgründen nicht zugelassen werden könne. Im Übrigen begehre er nur die vorläufige Teilnahme, die ihm mindestens eine Zeitschiebung seines Laufbahnaufstiegs/seiner Beförderung erspare, aber auch der Antragsgegnerin für den Abschluss des Disziplinarverfahrens während des 6-monatigen Lehrgangs alle Möglichkeiten offen halte.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 14. März 2002 gegen den Ablehnungsbescheid vom 15. März 2002 wieder herzustellen mit der Maßgabe, dass der Antragsteller vorläufig zum Aufstiegsausbildungslehrgang für den gehobenen Dienst, beginnend am 06. Mai 2002, zugelassen wird.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag anzulehnen
und erwidert: Mit der vom Antragsteller selbst herbeigeführten "Korrektur" des erlaubten Gewerbezweckes liege weiter auf der Hand, dass dieser von der Nebentätigkeitsgenehmigung nicht gedeckt sei. Das sei auch für den Antragsteller erkennbar. Umso mehr, als die Genehmigung erst nach einer Ablehnung für eine Übertragung des Gewerbes von seiner Ehefrau auf ihn und nach Gesprächen über einen geänderten Antrag erteilt worden sei. Wenn sich der darin liegende Pflichtenverstoß erhärte, dürfte der Antragsteller auch nach erfolgreicher Absolvierung des Lehrgangs wegen Eignungsmangels nicht befördert werden. Deswegen müsse bei stets knappen Lehrgangsplätzen den Beamten, bei denen prognostisch solche Eignungsmängel nicht vorliegen, bevorzugt die Aufstiegs- und Beförderungschance gegeben werden. Denn wenn sich Eignungszweifel während des "vorläufigen" Lehrgangsbesuchs durch eine entsprechende Disziplinarmaßnahme bestätigen und der und der Antragsteller abgelöst werde, könne der Lehrgangsplatz nicht mehr mit einem geeigneten Bewerber nachbesetzt werden. Ein Lehrgangsplatz bliebe für die Personalplanung ungenutzt. Und wenn die Zweifel beseitigt werden, stehe der Eignungsentscheidung zum Besuch des nächsten Lehrgangs (vermutlich im November d.J.) nichts entgegen. Der Vorwurf im Vorermittlungsverfahren sei weder "aus der Luft gegriffen" noch sei der Pflichtverstoß, wenn er sich erweise, eine Bagatelle. Daher sei die Annahme eines Regelfalls nach dem zitierten Erlass (Zurückstellung bis Klärung) ermessensgerecht.
Für das weitere Vorbringen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und Vorermittlungsakten Bezug genommen.
II. Der Antrag hat keinen Erfolg.
Trotz ausdrücklicher Antragstellung nach § 80 Abs. 5 VwGO war bei erkennbarem Rechtschutzziel eine sachdienliche Umdeutung in einen Antrag nach § 123 VwGO angezeigt und zulässig (§§ 86 Abs. 3, 88 VwGO).
Zweifel bestehen am Anordnungsgrund (§§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 294, 920 Abs. 2 ZPO): Mit der Zurückstellung der Eignungsentscheidung und der Nichtentsendung zum nächsten Aufstiegslehrgang wird dem Antragsteller die Aufstiegs- und Beförderungschance nicht "unwiederbringlich" genommen. Bis der Antragsteller das 45. Lebensjahr erreicht eröffnen sich ihm zeitlich mehrere Chancen zum Besuch des Aufstiegslehrgangs und selbst danach bleibt der Aufstieg (ohne Einführungszeit und Aufstiegsprüfung!) möglich (§ 17a Abs. 4 PolNLVO): Ob der befürchtete Zeitverlust für die Wahrnehmung der Aufstiegschance im Sinne eines glaubhaften Anordnungsgrundes die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen kann, braucht aber nicht abschließend entschieden werden, weil auch der Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht werden konnte (§§123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 294,920 ZPO).
Der vom Antragsteller behauptete materiell-rechtliche Anspruch auf Zulassung zum gehobenen Dienst jetzt und damit auf den Besuch des nächsten (am 6. Mai 2002) beginnenden 6-monatigen Aufstiegslehrgangs mit abschließender Aufstiegsprüfung (§ 17a Abs. 3 Satz 2 PolNLVO) setzte voraus, dass das (Auswahl-)Ermessen der Antragsgegnerin ("kann zulassen") sich von der Sache und vom Zeitpunkt "auf Null" reduziert hätte. Anders ausgedrückt: Nach dem auf Ermächtigung des § 5 Abs. 4 PolNLVO beruhenden Erlass des Ministers des (vom 09.08.1996), an dessen Befolgung die Antragsgegnerin im Wege gleichmäßiger Ermessensausübung gebunden ist und den sie erkennbar auch gegenüber zwei anderen "bewährten" Beamten für die Zulassung zum streitigen Lehrgang befolgt hat, dürfte kein Regelfall, sondern ein Ausnahmefall vorliegen. Das ist zur Überzeugung der Kammer nicht der Fall.
III Abs. 3 Satz 1 und 2 des Erlasses lautet:
"Die Eignung für die Wahrnehmung der Ämter des gehobenen Polizeivollzugsdienstes bis zur Besoldungsgruppe A 12 kann nach Einzelfallprüfung in der Regel nicht bei laufendem Straf- bzw.- Disziplinarverfahren nachgewiesen werden. Eine abschließende Entscheidung über die Bewerbung erfolgt daher in den Fällen in der Regel erst nach Abschluss des Straf- und Disziplinarverfahrens".
Auch unterhalb der Disziplinarmaßnahmen, die eine die uneingeschränkte Eignungsentscheidung voraussetzende Beförderung (zeitlich) automatisch "sperren" (vgl. §§ 9 Abs. 3 Satz 1, 10 Abs. 1 Satz 2 NDO), also dem Verweis oder der Geldbuße (vgl. § 8 NDO) kommen bei Beurteilungen, Eignungs- und Auswahlentscheidungen Bedeutung zu. Konsequent schließt der Erlass in III Absatz 3 Satz 3 wiederum "in der Regel" die Eignung aus, wenn der Beamte im rechtkräftig abgeschlossenen Disziplinarverfahren mit einer "härteren Disziplinarmaßnahme als dem Verweis" (also mindesten Geldbuße) belegt wurde. Und selbst einem Verweis, solange er nicht aus den Personalakten zu tilgen ist (vgl. §§ 1 Abs. 2 Nr. 1, 4 Abs. 1 TilgVO i.V.m. § 119 Abs. 1 NDO), kann im Auswahlverfahren zum Laufbahnaufstieg (vgl. zu dieser rechtlichen Einordnung VGH Kassel U. v. 20.08.1996 1 TG 3026/96 = NVwZ-RR 1998, 124 [VerfGH Sachsen 24.01.1997 - Vf. 15-IV-96] L) mindestens im Vergleich zu sonst gleich beurteilten Bewerbern ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden. § 8 NDO, der für Verweis und Geldbuße eben keine automatische Beförderungssperre vorsieht, erwähnt ausdrücklich die "Bewährung", ohne die in seinem solchen Fall die Eignung zum Beförderungsamt nicht gegeben ist (vgl. dazu schon Beschluss der Kammer v. 29.09. 1995, 3 B 1509/95)
In diesem rechtlichen Rahmen ist die Unterscheidung Regel- oder Ausnahmefall bei laufendem Disziplinarverfahren zu sehen. Die Annahme eines Regelfalles ist ermessensgerecht, wenn der erhobene Vorwurf der Pflichtwidrigkeit eine der Maßnahmen vom Verweis ab tragen kann und die Einleitung eines Disziplinarverfahrens vom bisher bekannten Sachverhalt nicht völlig überzogen erscheint. So liegt es hier. Das, was der Antragsteller sich als "Alleininhaber" und damit selbständiger Gewerbetreibender hat "erlauben" lassen, überschreitet auch noch in der unstreitig auf seinen Angaben beruhenden Änderung der Gewerbeanmeldung vom 18. April 2002 die Grenzen, die ihm innerdienstlich mit der Nebentätigkeitsgenehmigung vom 12. Dezember 2001 aufgezeigt worden sind. Hinzukommt, dass aller Anlass besteht im ordentlichen Vorermittlungs- oder Disziplinarverfahren der Schuldfrage nachzugehen. Mit der ersten Ablehnung der Nebentätigkeitsgenehmigung vom 07. September 2001 für "ihren Kfz Handel K.-A.", also die schlichte Übernahme des Betriebes seiner Ehefrau, weil dieses "als Ausübung eines Zweitberufes gewertet werden muss", erklärt sich objektiv die Einschränkung in der schließlich erteilten Genehmigung vom 12. Dezember 2001: "bei K. A.". Von daher konnte der Antragsteller auch ohne weiteres erkennen, dass das Betreiben einer Fa. unter seinem Namen als Firmeninhaber selbst dann das geregelte und gewollte überschreitet, wenn er sich bei der Geschäftsabwicklung Dritter (A. S.) bedient. Jedenfalls ist klärungsbedürftig, ob der Antragsteller- wie er behauptet - nur formal von der Genehmigung abweicht oder mit der tatsächlichen Ausübung seines Gewerbes, denn nach Auflage 4 zum Genehmigungsbescheid hat jede "abweichend vom o.g. Antrag - ausgeübte Nebentätigkeit automatisch das Erlöschen des gesamten Genehmigung zur Folge".
Daraus folgt im summarischen Verfahren: Könnte der Laufbahnaufstieg bzw. die Beförderung selbst an Eignungszweifeln der vorliegenden Art scheitern, ist es ermessensgerecht im Vorfeld, nämlich bei der Zulassung zum Aufstiegslehrgang , den "Regelfall" im Sinne des Erlasses anzunehmen und statt dessen den Lehrgangsplatz insoweit ohne Zweifel geeigneten Beamten "zu geben".
Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 VWGO abzuweisen. Der (Regel-)Streitwert folgt , weil die Entscheidung über den Lehrgangsbesuch die Hauptsache vorwegnehmen würde, ohne Abschlag im Hinblick auf das Eilverfahren aus § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.