Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 21.05.2002, Az.: 1 B 473/02
Amtshilfe; Aufrechnung; Bremen; Duldung; Einziehungsverfügung; Pfändungsverfügung; Vollstreckung
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 21.05.2002
- Aktenzeichen
- 1 B 473/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 41631
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 45 Abs 3 VwVG ND
- § 45 Abs 4 Nr 2 VwVG ND
- § 226 AO
- § 80 Abs 5 VwGO
Gründe
I. Die Antragstellerin wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen drei Pfändungs- und Einziehungsverfügungen der Antragsgegnerin.
Die Antragsgegnerin erließ unter dem 19.02.2002 die streitgegenständlichen Pfändungs- und Einziehungsverfügungen bezüglich eines Forderungsbetrages wegen Grundbesitzabgaben und Abwassergebühren in Höhe von 99.558,27 ¤ zuzüglich Säumniszuschlägen und Mahngebühren in Höhe von 2.680,22 ¤ zuzüglich Pfändungsgebühren und Auslagen in Höhe von 380,30 ¤. Drittschuldner der Verfügungen sind Mieter von im Eigentum der Antragstellerin befindlichen Mietobjekten in B.. Gegenstand der Pfändungs- und Einziehungsverfügungen sind die monatlichen Mietzahlungen der Drittschuldner an die Antragstellerin. Nach einer Forderungsaufstellung der Antragsgegnerin vom 22.03.2002 (Bl. 24 d.A.) - die auch von der Antragstellerin vorgelegt wurde - bestehen die Forderungen aus Grundsteuern inkl. Mahngebühren und Säumniszuschlägen für die Jahre 2000 und 2001 bezüglich der Objekte M. Str. 6, 10, 13-19 und L. Straße 13-17 in A. in Höhe von insgesamt 36.912,25 ¤ sowie Abwassergebühren in Höhe eines Gesamtbetrages von 65.326,24 ¤. Im März 2002 wurden aufgrund der Verfügungen 17.186,34 ¤ beigetrieben. Die den Forderungen zugrundeliegenden Gebührenbescheide sind - nach Aussage der Antragsgegnerin - bestandskräftig; bezüglich der Grundsteuern wurde für die Jahre 2000 und 2001 nach Aussage der Antragsgegnerin ein Grundsteuererlass beantragt. Bezüglich des Jahres 1999 war ebenfalls ein Erlass der Grundsteuer wegen wesentlicher Ertragsminderung beantragt und abgelehnt worden; eine diesbezüglich erhobene Klage wurde mit Urteil der erkennenden Kammer vom 24.01.2002 (Az.: 1 A 1163/00) abgewiesen.
Die Antragstellerin hat am 18.03.2002 Klage erhoben und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Die Forderungen der Antragsgegnerin seien nicht nachvollziehbar und nicht spezifiziert. Die Antragstellerin habe gegen die Antragsgegnerin einen Anspruch auf Mietzahlungen, der die geltend gemachten Abgaben bei weitem übersteigen würde. Die Antragstellerin sei berechtigt, mit eigenen Forderungen gegenüber den Forderungen der Antragsgegnerin aufzurechnen. Die Grundsteuerbescheide seien nicht unstrittig, sondern von der Antragstellerin angefochten worden. Die Grundsteuern seien zudem längst bezahlt. Abwassergebühren seien an den Wasserverteilungsverband Verden gezahlt worden. Dieser habe auch die Gebührenbescheide erlassen, so dass er auch Inhaber der Gebührenforderungen sei und es an der Aktivlegitimation der Antragsgegnerin fehle.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 18.03.2002 gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen der Antragsgegnerin vom 19.02.2002 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin sei Gebührengläubigerin der Abwassergebühren. Der Wasserverteilungsverband V. sei lediglich mit der Bescheiderteilung beauftragt worden. Zivilrechtliche Forderungen der Antragstellerin aus Mietverträgen bestünden nicht; diesbezüglich sei jedoch ein Rechtsstreit beim Amtsgericht A. anhängig. Die Antragstellerin könne mit solchen zivilrechtlichen Forderungen auch nicht aufrechnen. Der Umstand, dass die Antragstellerin die Forderungen der Antragsgegnerin nicht nachvollziehen könne, beruhe auf der Büroorganisation der Antragstellerin. Dies habe sich auch bei zahlreichen Rechtsstreitigkeiten in den vergangenen Jahren gezeigt. Die Antragstellerin überschaue die Bewirtschaftung ihrer Objekte nicht mehr.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf die zu der Gerichtsakte gereichten Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin verwiesen.
II. Der Antrag hat keinen Erfolg.
Die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ergeht auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand dieser Abwägung ist einerseits das private Interesse, von der Vollziehung des angegriffenen Verwaltungsakts vorerst verschont zu bleiben sowie andererseits das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts. Im Rahmen dieser Abwägung spielen regelmäßig die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs eine entscheidende Rolle. Ergibt sich bei der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass der eingelegte Rechtsbehelf in der Hauptsache offensichtlich keinen Erfolg haben wird, so überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse an der Vollziehung des angegriffenen Bescheides. Hat der eingelegte Rechtsbehelf hingegen in der Hauptsache offensichtlich Erfolg, so überwiegt regelmäßig das Interesse des Bescheidadressaten, von der Vollziehung vorerst verschont zu bleiben, denn an der Vollziehung eines im Hauptsacheverfahren offensichtlich aufzuhebenden Verwaltungsakts kann kein öffentliches Interesse bestehen.
Die Klage gegen die ergangenen Pfändungs- und Einziehungsverfügungen hat offensichtlich keinen Erfolg, denn diese verletzen die Antragstellerin offensichtlich nicht in ihren Rechten.
Die nach den §§ 45 ff des Niedersächsischen Verwaltungsvollstreckungsgesetzes (NVwVG) ergangenen Pfändungs- und Einziehungsverfügungen sind nicht etwa rechtsfehlerhaft, weil die ihnen zugrunde liegenden Forderungen aus Abgabenbescheiden - wie die Antragstellerin meint - unberechtigt wären. Bezüglich der Höhe der einzelnen Forderungen wird in der zur Gerichtsakte gereichten Forderungsaufstellung vom 22.03.2002 eine dezidierte Darstellung der Grundsteuerschulden vorgenommen, wie sie aus den ergangenen Grundsteuerbescheiden resultieren. Es besteht insoweit auch kein Anlass, an der Angabe des Antragsgegners zu zweifeln, dass die ergangenen Bescheide allesamt bestandskräftig wären, wenngleich die Antragstellerin vorträgt, die Bescheide angefochten zu haben. Rechtsbehelfe, die sie eingelegt haben will, hat sie weder bezeichnet, noch in Kopie vorgelegt. Etwaig eingereichte Erlassanträge für die Jahre ab 2000 vermögen an der Bestandskraft nichts zu ändern. Entsprechendes gilt auch für die Abwassergebühren, die die Antragsgegnerin zu Recht durch den insoweit beauftragten Wasserverteilungsverband V. hat erheben lassen. Auch insoweit wurde eine ausführliche und plausible Forderungsaufstellung zu den Akten gereicht (Bl. 23 d.A.), in welcher die Forderungen und die bereits eingegangenen Zahlungen gegenübergestellt wurden. Dem vermag die Antragstellerin nichts Substantielles entgegenzusetzen. Aus dem mit Schriftsatz vom 07.05.2002 eingereichten Anlagenkonvolut ist nicht zu erkennen, dass die spezifizierten Forderungen - wie die Antragstellerin geltend macht - bereits beglichen sind. Soweit sich die Antragstellerin insoweit (auch) darauf beruft, dass ihr eigene zivilrechtliche Forderungen gegen die Antragstellerin zustünden, mit denen sie aufrechnen könne bzw. bereits aufgerechnet habe, greift dieser Einwand nicht durch. Es kann vielmehr dahinstehen, ob und inwieweit der Antragstellerin solche Ansprüche tatsächlich zustehen. Etwaige zivilrechtliche Gegenforderungen berechtigen die Antragstellerin vorliegend nicht zur Aufrechnung gegen die bestandskräftig festgesetzten Abgabenforderungen. Nach § 226 Abs. 3 Abgabenordnung (AO), der hier nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 a) NKAG anzuwenden ist, ist die Aufrechnung gegen Ansprüche aus dem Abgabenschuldverhältnis nämlich nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenansprüchen möglich. Zivilrechtliche Ansprüche der Antragstellerin sind vorliegend weder unbestritten noch rechtskräftig festgestellt, vielmehr wird insoweit ein Rechtsstreit vor dem Amtsgericht Achim geführt.
Die Antragstellerin ist auch nicht in ihren Rechten verletzt, weil die Antragsgegnerin die Vollstreckung im Gebiet des Landes B. vorgenommen hat. Nach §§ 45 Abs. 3, 50 Abs. 1 und 2 NVwVG kann eine kombinierte Pfändungs- und Einziehungsverfügung im gesamten niedersächsischen Landesgebiet ungeachtet des Wohnsitzes, Sitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Vollstreckungsschuldners und des Drittschuldners ergehen; dies gilt nach § 45 Abs. 4 Nr. 2 NVwVG auch, wenn der Schuldner oder Drittschuldner seinen Wohnsitz, Sitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort in einem anderen Land hat und das dort geltende Recht die Vollstreckung zulässt. Entsprechendes ist etwa durch § 45 Abs. 4 Nr. 1 NVwVG für den Fall geregelt, dass eine Vollstreckungsbehörde außerhalb Niedersachsens in Niedersachsen vollstrecken will. Eine solche "Öffnungsklausel" existiert jedoch im hier maßgeblichen bremischen Landesrecht nicht. Dennoch wird nach Aussage des für die Vollstreckung im Lande B. zuständigen Finanzamtes B.-M. die Forderungspfändung aus Niedersachsen vom Land Bremen stillschweigend geduldet. Da sowohl die Vollstreckungsschuldnerin - die Antragstellerin - als auch alle Drittschuldner der streitgegenständlichen Pfändungs- und Einziehungsverfügungen ihren Sitz oder Wohnsitz im Gebiet des Landes B. haben, war die Durchführung der Vollstreckung durch die Antragsgegnerin zwar durch bremisches Landesrecht nicht positiv-rechtlich zugelassen, dennoch aber faktisch geduldet. Zweifelhaft ist, ob in dieser Situation eine Vollstreckung durch niedersächsische Behörden im Lande B. ohne die Inanspruchnahme von Amtshilfe mit § 45 Abs. 4 Nr. 2 NVwVG zu vereinbaren ist. Diese Frage kann hier aber letztlich dahinstehen. Selbst wenn die "stillschweigende Duldung" des Landes B. als nicht ausreichend für eine Vollstreckung im Sinne § 45 Abs. 4 Nr. 2 NVwVG anzusehen wäre, würde dadurch die Antragstellerin nicht in ihren subjektiven Rechten verletzt. Grundsätzlich hat der einzelne zwar anerkanntermaßen ein subjektives Recht darauf, dass ihm gegenüber (nur) die zuständige Behörde handelt. Dieses subjektive Recht liegt darin begründet, dass die durch die Zuständigkeitsvorschriften gewährleistete Sachnähe der handelnden Behörde gerade auch gegenüber dem Adressaten eines Verwaltungsakts eine Schutzfunktion entfaltet. Dieser Schutzgedanke ist jedoch im vorliegenden Falle in keiner Weise dadurch beeinträchtigt, dass die Antragsgegnerin ohne die möglicherweise rechtlich notwendig in Anspruch zu nehmende Amtshilfe des Landes B. selbst Pfändungs- und Einziehungsverfügungen gegenüber der Vollstreckungsschuldnerin und den Drittschuldnern erlassen hat. Die Antragstellerin als diejenige Behörde, die auch die Abgabenbescheide erlassen hat, hat vielmehr im Vergleich zu einer Vollstreckungsbehörde des Landes B. eine weitaus größere Sachnähe, so dass dem den Zuständigkeitsvorschriften immanenten Schutzgedanken jedenfalls in dem hier gegebenen Falle ausreichend Rechnung getragen ist, in dem die Vollstreckung durch das andere Bundesland geduldet wird.