Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 31.05.2002, Az.: 1 B 888/02
bissiger Hund; Leinen- und Anbindezwang
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 31.05.2002
- Aktenzeichen
- 1 B 888/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 41864
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 5 Abs 2 GefAbwG ND
- § 11 GefAbwG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein nicht vorhandener oder konkret geplanter Hundezwinger kann bei der Auswahl geeigneter Maßnahmen zum Schutz vor einem bissigen Hund von der Behörde als Austauschmittel i. S. d. § 5 Abs. 2 S. 2 NGefAG erst auf begründeten Antrag des verantwortlichen Halters berücksichtigt werden. Zur Unverhältnismäßigkeit eines durchgängigen Leinenzwangs.
Gründe
I. Der Antragsteller ist Halter des auf den Namen P. hörenden Schäferhundes. Die Antragsgegnerin hat ihm für das Tier außerhalb des Wohngebäudes bewegungseinschränkende Maßnahmen auferlegt, deren Ausmaß der Antragsteller für überzogen hält.
Anlass des Einschreitens war eine Anzeige der Zeugin W. vom 22. Oktober 2001, der Hund des in der Nachbarschaft wohnenden Antragstellers sei unbeaufsichtigt auf ihr Grundstück gelangt und habe dort ihren eigenen Hund angegriffen; das fremde Tier neige dazu, Einfriedungen zu überspringen und auf benachbarten Grundstücken herumzulaufen. Als Ergebnis weiterer Ermittlungen stellte die Antragsgegnerin fest, dass P. am 28. Mai 1999 ein siebenjähriges Kind in das rechte Handgelenk gebissen und sich zuvor von der Leine losgerissen habe; die Wunde sei erst nach längerer ärztlicher Behandlung abgeheilt. Am 22. April 2000 habe der unangeleint ausgeführte Hund dem Teckel des Halters W. tödliche Bissverletzungen zugefügt. Im Frühjahr desselben Jahres habe P., wiederum nicht angeleint, die Frau E. M. bei dem Versuch, einen Angriff auf ihren eigenen Hund abzuwehren, in die Hand gebissen. Die Betroffene sei nur durch den Schutz eines Handschuhs unverletzt geblieben.
Der Antragsteller wurde angehört.
Mit schriftlichem Bescheid vom 13. November 2001 bestätigte die Antragsgegnerin ihre schon am 23. Oktober 2001 erlassene, für sofort vollziehbar erklärte und mit der Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 1.000,00 DM versehene Anordnung des Leinenzwangs und gab dem Antragsteller im Hinblick auf die erwähnten Vorfälle des näheren auf, seinen Hund außerhalb der Wohnung auf dem eigenen Grundstück so anzubinden, dass er von dort nicht entweichen kann, im Übrigen das Tier außerhalb des Gebäudes nur an einer reißsicheren, höchstens drei Meter langen Leine durch eine zur Kontrolle befähigte Person ausführen zu lassen. Die Verfügung diene der Abwehr bevorstehender Gefahren für die Gesundheit und das Eigentum Dritter. Mit dem erneuten Eintritt von Schäden sei angesichts des bekannten Verhaltens, zu dem der Hund neige, sehr wahrscheinlich zu rechnen. Zur Vermeidung sei es erforderlich, durch die angeordneten Maßnahmen die ständige Möglichkeit des Eingreifens zu gewährleisten. Die Belange des Antragstellers müssten demgegenüber zurückstehen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei im öffentlichen Interesse geboten, damit eine weitere Gefährdung der zu schützenden Rechtsgüter unverzüglich ausgeschlossen werde.
Am 11. Dezember 2001 erhob der Antragsteller dagegen Widerspruch und brachte im Wesentlichen vor, den mit der angefochtenen Verfügung verfolgten Zwecken sei auch durch eine weniger strenge Ausgestaltung des Leinenzwanges gedient. Was die Haltung auf dem Grundstück angehe, könne der Hund schon jetzt nicht mehr entweichen, weil das Anwesen in einer Höhe vom 150 mm bis 170 mm eingezäunt sei. Zu den einzeln aufgeführten Vorfällen bemerke er, dass er am 22. Oktober 2001 dem entlaufenen Tier sofort gefolgt, dieses aber ohne sein Zutun zum Hause zurückgekehrt sei. Die am betroffenen Nachbargrundstück anwesenden Personen hätten ihm weder Hinweise gegeben noch Vorhaltungen gemacht. Die tödliche Verletzung des Teckels habe sein Hund tatsächlich verursacht. Die weiteren Vorfälle hätten unter teilweise anderen Begleitumständen stattgefunden. Den öffentlichen Sicherheitsinteressen würde dadurch genügt, dass der Leinenzwang sich auf Wohnbereiche, Begegnungen mit anderen Hunden im Außenbereich sowie die Setz- und Brutzeit beschränke.
Durch Bescheid vom 22. April 2002 wies der Landkreis O. mit im Wesentlichen gleichlautender Begründung den Widerspruch zurück. Das Vorbringen biete keinen Anlass, von den Maßnahmen abzusehen oder ihren Umfang einzuschränken. Insbesondere sei die Umzäunung des Grundstücks nicht hoch genug, um den Hund am Entweichen zu hindern.
Der Antragsteller hat am 22. Mai 2002 gegen diese Entscheidung Klage erhoben und zugleich beantragt, deren aufschiebende Wirkung wiederherzustellen. In der Hauptsache begehrt er dem Sinne nach nur noch, die angefochtenen Bescheide insoweit aufzuheben, als die Haltung des Hundes P. auf dem eigenen Grundstück eingeschränkt und dessen Ausführung außerhalb des Anwesens untersagt worden ist, ohne dem Tier statt der Leine den Maulkorb anlegen dürfen. Zur Begründung wird ausgeführt, der Zaun sei nach dem Vorfall vom 22. Oktober 2001 in der Weise erneuert und vervollständigt worden, dass er mit durchgängiger Höhe von 1,50 m vom Tier weder übersprungen noch sonst überwunden werden könne. Gegen den Leinenzwang außerhalb des Grundstücks werde nur noch eingewendet, dass es unverhältnismäßig sei, dem Antragsteller nicht die Möglichkeit einzuräumen, dem Hund statt der Leine den Maulkorb anzulegen. Das Tier benötige gelegentlich freien Auslauf. Das Gebot der artgerechten Haltung verlange, ihm diese Möglichkeit zu verschaffen.
Die Antragsgegnerin tritt dem Begehren entgegen. Sie bezieht sich auf die Feststellungen der angegriffenen Bescheide. Die Maßnahmen seien nach wie vor notwendig. Es sei zu bezweifeln, ob der ausgewachsene Hund außerstande sei, einen Zaun von 1,50 m Höhe ohne weiteres zu überspringen. Der Maulkorb reiche anstelle der Leine außerhalb des Grundstücks zum Schutz Dritter nicht aus, weil der Hund nicht gehindert wäre, Personen anzuspringen und zu Fall zu bringen oder andere Grundstücke aufzusuchen.
II. Der statthafte Antrag hat nur zum Teil Erfolg.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Anordnung des Leinenzwangs außerhalb des eigengenutzten Grundstücks im Bescheid vom 13. November 2001 wird nach Maßgabe der Beschlussformel teilweise wiederhergestellt. Nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand ist es nicht gerechtfertigt vom Antragsteller zu verlangen, seinen Schäferhund P. ausschließlich an der Leine auszuführen oder ausführen zu lassen. Insoweit lässt sich das überwiegende öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Maßnahme nicht bejahen. Im Übrigen bleiben die behördlichen Anordnungen aufrechterhalten.
Bei der Entscheidung der Kammer nach § 80 Absatz 5 VwGO kommt es in der Sache vorrangig auf die Erfolgsaussichten des zur Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs, in diesem Falle der Klage gegen die ordnungsrechtliche Verfügung an. Erweist sich der Rechtsbehelf nach summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage als offensichtlich begründet, überwiegt im Regelfall das Interesse des Antragstellers daran, die aufschiebende Wirkung anzuordnen oder wiederherzustellen.
Die Entscheidung der Antragsgegnerin wird im Klageverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zum überwiegenden Teil bestätigt werden, weil die Voraussetzungen des Einschreitens gegeben sind und die Auswahl der erforderlichen Vorkehrungen zur Vermeidung weiterer Gefahren im Wesentlichen nicht zu beanstanden ist.
Die Antragsgegnerin stützt ihre Verfügung zu Recht auf die allgemeine Befugnis nach § 11 des nds. Gefahrenabwehrgesetzes - NGefAG -. Danach können die Verwaltungsbehörden und die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine Gefahr abzuwehren. Die Antragsgegnerin hat bei Ausübung dieser Ermächtigung zutreffend festgestellt, dass eine Gefahr im Sinne der Definition des § 2 Nr. 1 Buchstabe a NGefAG vorliegt, und den Antragsteller rechtsfehlerfrei als verantwortlichen Adressaten ihrer Maßnahme herangezogen. Auch die Notwendigkeit ihres ordnungsrechtlichen Einschreitens hat sie beanstandungsfrei bejaht. Da zwischen den Beteiligten nur noch streitig ist, welche Mittel zur Vermeidung künftiger Gefahren bestimmt werden sollen, kann hinsichtlich der vorstehend genannten Voraussetzungen der angefochtenen Entscheidungen auf die sachlich und rechtlich zutreffenden Begründungen der Bescheide entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO verwiesen werden.
Das Verlangen der Antragsgegnerin, den Hund außerhalb des Gebäudes auf dem Grundstück des Antragstellers nur angebunden oder angeleint zu halten, wird im Klageverfahren voraussichtlich bestätigt werden. Der Einwand des Antragstellers, diese Maßnahme sei deshalb unverhältnismäßig, weil das Tier durch eine verbesserte Umzäunung am Entweichen gehindert sei, greift nicht durch. Wie der Antragsteller in seinen Schriftsätzen selbst einräumt, beträgt die Höhe der Einfriedung nur 1,50 m. Die von der Antragsgegnerin gehegten Zweifel, dass der Hund unter diesen Umständen nicht zuverlässig davon abgehalten werden könne, das Hindernis zu überwinden, erscheinen der Kammer auch ohne besonderes kynologisches Fachwissen berechtigt. Die Erfahrung spricht dafür, dass ein ausgewachsener, noch nicht altersschwacher Schäferhund mit entsprechendem Anlauf in der Lage sein wird, den Sprung über einen Zaun der genannten Höhe zu bewältigen. Zumindest dürfte es einem vergleichbaren Tier, das zum Fortlaufen entschlossen ist, mit gewisser Anstrengung gelingen, sich bei einem zu knappen Sprung mit den Vorderläufen am oberen Rand eines solchen Zaunes festzuhalten, mit den Hinterläufen in die Maschen zu treten, dabei den Körper drückend und ziehend zu heben, auf diese Weise den Schwerpunkt über den Zaun zu verlagern und schließlich jenseits abzuspringen. Damit auch diese Möglichkeiten des Entkommens auszuschließen sind, müsste der Zaun eine deutlich größere Höhe als 1,50 m aufweisen. Das Ermessen der Antragsgegnerin, dem Antragsteller die Verpflichtung aufzuerlegen, seinen Hund auf dem Grundstück entweder anzubinden oder anzuleinen, hält deshalb der Überprüfung stand.
Ohne Erfolg rügt der Antragsteller, ihm sei nicht gestattet worden, das Tier auf dem Grundstück in einem Zwinger zu halten. Bei dem Erlass der angefochtenen Bescheide bestand kein Anlass, über dieses grundsätzlich in Betracht kommende Austauschmittel zu entscheiden. Weder war zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, als der Widerspruchsbescheid erlassen wurde, ein Zwinger vorhanden noch hat der Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin oder der Widerspruchsbehörde seine Absicht dargelegt, mit der Errichtung eines Hundezwingers zu beginnen. Selbst wenn er dies nunmehr ins Werk gesetzt hätte, käme es darauf nicht mehr an, weil bei Anfechtungsklagen gegen belastende Verwaltungsakte im Grundsatz nur diejenigen Tatsachen zu berücksichtigen sind, die der zuletzt befassten Behörde, in diesem Falle dem Landkreis O., bei ihrer abschließenden Entscheidung bekannt waren. Allerdings ist bei Maßnahmen der Gefahrenabwehr einem Betroffenen auf Antrag zu gestatten, ein anderes ebenso wirksames Mittel anzuwenden, sofern die Allgemeinheit dadurch nicht stärker beeinträchtigt wird (§ 5 Abs. 2 Satz 2 NGefAG). Ein solcher Antrag, mit dem der Antragsteller die Zulassung eines noch aufzustellenden Zwingers als Austauschmittel erreichen würde, kann jederzeit bei der Antragsgegnerin gestellt werden, unabhängig davon, ob die bisher erlassenen und hier im Klageverfahren angefochtenen Bescheide über die Art der Hundehaltung unanfechtbar werden. Diese Möglichkeit, auch nachträglich den Antrag auf Gestattung der Zwingerhaltung zu stellen, trägt den schutzwürdigen Belangen des Antragstellers vollauf Rechnung.
Soweit die Antragsgegnerin verlangt, dass der Hund des Antragstellers außerhalb des Grundstücks unter allen Umständen nur an der Leine geführt wird, erweist sich die Ausgestaltung dieser Schutzvorkehrung als zu streng. Mit Recht weist der Antragsteller darauf hin, dass der Hund bei artgemäßer Haltung auf ein Mindestmaß an freier Bewegung angewiesen ist. Der notwendige Auslauf würde dem Tier aber verwehrt, wenn man es nur noch an einer höchstens drei Meter langen Leine ausführen dürfte. Da im vorliegenden Fall vornehmlich der Zweck erreicht werden soll, Angriffe auf Menschen und Tiere zu unterbinden, bei denen der Hund beißt, lässt sich gerade diese Gefahr auch dadurch bekämpfen, dass dem Hund zeitweise als Ersatz der Leine ein Maulkorb angelegt wird, sobald ihm im freien Gelände eine Auslaufmöglichkeit geboten werden soll. Die Einwände der Antragsgegnerin, der Hund könne dann Personen anfallen und umstoßen oder auf fremde Grundstücke laufen, erscheint der Kammer wenig stichhaltig. Eine Verhaltensweise, Personen anzuspringen, ist bei dem Hund ausweislich der aktenkundigen Ermittlungen nicht zu beobachten. Einer derartigen Gefahr ist deshalb kein hinreichendes Gewicht beizumessen, zumal dann, wenn der Hund nur außerhalb geschlossener Ortschaften unangeleint mit Maulkorb umherläuft. Sollte er in diesem Zustand und in dieser Umgebung gelegentlich noch fremde Grundstücke betreten, so handelt es sich um keine schwerwiegende Beeinträchtigung, wenn man außerdem bedenkt, dass die Begleitung durch eine Aufsichtsperson nach der von der Antragsgegnerin erlassenen Ordnungsverfügung ohnehin verpflichtend ist.
Die Voraussetzungen, unter denen die Kammer die aufschiebende Wirkung der Klage teilweise wiederherstellt, beruhen auf richterlichem Ermessen (§ 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO). Es erscheint nicht geboten, den Leinenzwang im Austausch gegen ein Maulkorbgebot innerhalb geschlossener Ortschaften außer Vollziehung zu setzen, da dem natürlichen Bewegungsbedürfnis des Hundes im Außenbereich genügend Rechnung getragen werden kann. Einschränkend ist hierbei klarzustellen, dass die gerichtliche Entscheidung dem Antragsteller nicht die Befugnis einräumen kann, das Tier trotz angelegten Maulkorbs auch in den Fällen frei laufen zu lassen, in denen allgemein geltende Rechtsvorschriften, beispielsweise des Naturschutzes, jedem Hundehalter die Pflicht auferlegen, sein Tier anzuleinen.