Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 29.04.2002, Az.: 3 A 357/01

Ausbildungszeiten; Auslegung; Pflichtversicherungszeiten; ruhegehaltfähige Dienstzeit; Ruhegehaltssatz ; vorübergehende Erhöhung

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
29.04.2002
Aktenzeichen
3 A 357/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 41862
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1) Auf dem "zweiten Bildungsweg" nachgeholte Abschlüsse für die Zulassung zum Hochschulstudium stehen der "allgemeinen Schulbildung" i. S. d. §12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1. Satz 2 BeamtVG gleich und entsprechende Ausbildungszeiten sind als ruhegehaltsfähige Dienstzeit nicht berücksichtigungsfähig.

2) Eine erweiternde Auslegung von § 14a Abs. 2 Satz 1 BeamtVG i. S. einer Aufrundung von weniger als zwölf Monaten anrechnungsfähiger Pflichtversicherungszeiten auf 12 Kalendermonate oder eine bruchteilsmäßige Berücksichtigung (etwa 7/12 %)scheitert am Wortlaut und an § 3 Abs. 1 und 2 BeamtVG

Tatbestand:

1

Der Kläger will die Berücksichtigung (weiterer) ruhegehaltsfähiger Dienstzeiten erreichen und begehrt damit die Gewährung eines höheren Ruhegehaltes.

2

Der 1949 geborene Kläger war technischer Postamtmann bei der Beklagten. Diese versetzte ihn aufgrund dauernder Dienstunfähigkeit mit Ablauf des 30. November 2000 in den Ruhestand. Auf Hinweis der Beklagten beantragte der Kläger mit Schreiben vom 04. Dezember 2000 nach § 12 BeamtVG die Berücksichtigung der nach Vollendung seines 17. Lebensjahres und für die Übernahme in das Beamtenverhältnis vorgeschriebene Ausbildungszeit bei der Festsetzung der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit.

3

Mit dem mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Schreiben der Beklagten vom 05. Dezember 2000 teilte die Beklagte dem Kläger die Berechnung der gesetzlichen Versorgungsbezüge mit, wobei sie den Ruhegehaltssatz im Sinne des § 85 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG auf 55,28 % festsetzte.

4

Mit weiterem Bescheid vom 24. Januar 2001 erhöhte die Beklagte - auf Antrag des Klägers - den Ruhegehaltssatz auf der Grundlage des § 14a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BeamtVG für 8 x 12 Kalendermonate an pflichtbeitragspflichtiger Vordienstzeit zu je 1 % vorübergehend auf 63,28 % und führte aus: Der Kläger habe eine Wartezeit von 60 Kalendermonaten für eine Regelaltersrente in der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt, erhalte aber mangels Anspruchsvoraussetzungen hierfür (noch) keine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Deswegen werde für die über die BfA nachgewiesene Pflichtversicherungszeit (103 Monate) der Ruhegehaltssatzes um 1% "für je 12 Kalendermonate" , also bei 8 x 12 = 96 Monaten insgesamt um 8% erhöht.

5

Mit dem am 30.Januar 2001 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben erhob der Kläger Widerspruch gegen die Bescheide vom 5.Dezember 2000 und vom 24. Januar 2001. Gegen ersteren machte er geltend, dass er von einer Vorläufigkeit der Regelung ausgegangen sei, weil Unterlagen und Stellungnahmen noch gefehlt hätten. Zudem sei es ihm nicht möglich gewesen, sich bis zum Erhalt des weiteren Bescheides vom 24. Januar 2001 eine abschließende Meinung über die anerkannten Vordienst- und Ersatzzeiten zu bilden. Sein Widerspruch richte sich insoweit gegen die Nichtberücksichtigung der beiden Vorbereitungsjahre auf das Studium. Zuvor habe er lediglich Volksschulabschluss gehabt und eine Lehre als Heizungsbauer absolviert und damit die Zulassungsvoraussetzungen für einen Hochschulbesuch nicht erfüllt. Dafür sei der Besuch einer Berufsaufbauschule (vom 12. Februar 1973 bis 04. Februar 1974) zur Erlangung der Fachschulreife und der Besuch einer Fachoberschule (vom 11. Februar 1974 bis 23. Januar 1975) zur Erlangung der Fachhochschulreife erforderlich gewesen. Diese Zeiträume seien als ruhegehaltsfähige Dienstzeiten bei der Ermittlung der ihm zustehenden Versorgungsbezüge zu berücksichtigen.

6

Hinsichtlich des Bescheides vom 24. Januar 2001 weist der Kläger darauf hin, dass dieser rechtswidrig von nur von 8 Beitragsjahren (8 x 12 = 96 Kalendermonate) ausgehe, obwohl er 103 Monate Pflichtbeiträge geleistet und das nachgewiesen habe. Die außer Ansatz gebliebenen 7 Monate seien anteilig (als weitere 7/12 %) oder im Wege der Aufrundung auf 1% für 12 Kalendermonate zu berücksichtigen

7

Die Widersprüche wies die Beklagte mit einheitlichem Widerspruchsbescheid vom 16.Februar 2001 zurück und führte aus: Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 5.Dezember 2000 ("zu a") sei verfristet und damit unzulässig; im übrigen sei dieser unbegründet gewesen, weil der Erwerb der Fachhochschulreife der allgemeinen Schulbildung gleich stehe und aus diesem Grunde die entsprechenden Zeiten nicht als ruhegehaltfähig anrechenbar seien. Hinsichtlich des Bescheides vom 24. Januar 2001 ("zu b") sei der Widerspruch unbegründet, weil sich aus der Bestimmung des § 14a BeamtVG ergebe, dass für jeweils 12 Kalendermonate, die mit Pflichtbeiträgen belegt sind, eine Erhöhung des Ruhegehaltssatzes um einen Prozentpunkt erfolge. Aus der Kommentarliteratur ergebe sich, dass ein Rest von weniger als 12 Kalendermonaten insoweit unberücksichtigt bleibe; eine Aufrundung finde nicht statt.

8

Hiergegen richtet sich die fristgerecht erhobene Klage. Der Kläger ist der Ansicht, dass die Beklagte mit ihrem Widerspruchsbescheid auch inhaltlich zur Anrechnung der Ausbildungszeiten entschieden habe. Aufgrund dessen sei die vermeintliche Verfristung unerheblich. Eine Anrechnung der im Streit stehenden Ausbildungszeiten durch Besuch der  Berufsaufbau- bzw. Fachoberschule sei geboten, da er, der Kläger, anderenfalls sein Hochschulstudium nicht hätte aufnehmen können. Das sei jedoch Eingangsvoraussetzung für die Aufnahme der Tätigkeit bei der Beklagten gewesen. Damit seien die Ausbildungszeiten nicht der allgemeinen Schulbildung, sondern der Hochschulausbildung zuzurechnen und damit als ruhegehaltsfähig zu berücksichtigen.

9

Er habe auch einen Anspruch auf Berücksichtigung von weiteren 7 Monaten Pflichtbeitragszeiten bei der Berechnung der Versorgungsbezüge. Die Rechtsauffassung der Beklagten habe das Gesetz gegen sich, denn dieses sehe gerade nicht den "Wegfall der Pflichtbeiträge" für weniger als volle 12 Kalendermonate vor.

10

Der Kläger beantragt,

11

die Beklagte zu verpflichten, bei der Bemessung des Ruhegehaltes die Ausbildungszeiten vom 12. 02. 1973 bis 04. 02. 1974 (Berufsaufbauschule) und vom 11. 02. 1974 bis 31. 01. 1975 (Fachoberschule) sowie 103 Monate an Pflichtversicherungszeit zu berücksichtigen und die Bescheide vom 05. 12. 2000, vom 24. 01. 2001 und den Widerspruchsbescheid vom 16. 02. 2001 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.

12

Die Beklagte beantragt,

13

die Klage abzuweisen.

14

Sie wiederholt ihre Bescheidbegründungen.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

16

Die Klage bleibt ohne Erfolg.

17

Mit der Beklagten sieht die Kammer dass das Schriftstück der Beklagten vom 05. Dezember 2000 als Bescheid über die Festsetzung der Versorgungsbezüge an, auch wenn der Wortlaut des Schriftstücks nicht eindeutig auf die Regelung eines Einzelfalles schließen lässt.

18

Hiervon ausgehend ist der Widerspruch des Klägers vom 30. Januar 2001 tatsächlich verfristet. Im Widerspruchsbescheid ist auch nicht zur Sache entschieden worden. Das folgt aus der Formulierung "zu a" selbst, aber auch aus dem Zusammenhang mit der davon abweichenden Formulierung "zu b" (den Widerspruch gegen den Bescheid vom 24. Januar betreffend): Der Widerspruch "zu a" wird dort aufgrund der Verfristung zurückgewiesen. Lediglich ergänzend - insoweit mit weiteren Formulierungen im Konjunktiv - werden Ausführungen zur Sache gemacht, die inhaltlich zutreffend sind und - lässt man die Frage der Verfristung letztlich offen - , ebenfalls zum Misserfolg der Klage führen. Denn gemäß § 12 Abs. 1 Ziff. 1 BeamtVG können als ruhegehaltsfähige Dienstzeiten nach Vollendung des 17. Lebensjahres verbrachte Mindestzeiten der außer der allgemeinen Schuldbildung vorgeschriebenen Ausbildung berücksichtigt werden. Allerdings bestimmt das Gesetz in § 12 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG, dass in Fällen, in denen die allgemeine Schulbildung durch eine andere Art der Ausbildung ersetzt wird, diese andere Art der Ausbildung der Schulbildung gleichsteht. Damit ist der Fall des Klägers erfasst. Zwar ist sein Studium eine Ausbildung, die für die von ihm wahrgenommene Tätigkeit bei der Beklagten erforderlich war; dementsprechend sind die Studienzeiten auch angerechnet worden. Nicht anzurechnen sind jedoch die hier streitigen Ausbildungszeiten, weil diese in Abweichung von der "normalen Ausbildung" die Voraussetzung für die Aufnahme des Studiums erst geschaffen haben. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die Überlegung, dass es im Ergebnis nicht zutreffen kann, Schulzeiten bis zum Abitur als allgemeine Schulbildung nicht anzuerkennen, andererseits die vom Kläger durchlaufenden Ausbildungszeiten, die ihm in gleicher Weise den Zugang zum Hochschulstudium ermöglicht haben, hier zu berücksichtigen und so den Beamten , der "im zweiten Bildungsweg" seine Laufbahnvoraussetzungen nachgeholt hat zu bevorzugen. Dementsprechend heißt es auch in der Kommentarliteratur (Kümmel, BeamtVG, Rdnr. 23.2 zu § 12), dass im Falle des Besuchs einer Ingenieursschule, für den früher grundsätzlich die mittlere Reife erforderlich war, in den Fällen, in denen bei vorangegangenem Volksschulabschluss zusätzlich eine Gesellen- oder Facharbeiterprüfung und ein sogenannter Vorkurs abgeleistet worden sind, diese Prüfungen die allgemeine Schulbildung ersetzen und dementsprechend nicht auf der Grundlage des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG zu berücksichtigen sind.

19

Hinsichtlich der zu berücksichtigenden Pflichtversicherungszeiten, auf die der zweite Widerspruch des Klägers zielte, stellt sich die Fristenfrage nicht, wie ausgeführt. Auf Grundlage des § 14a Abs. 2 BeamtVG hat die Beklagte den Widerspruch ("zu b") zutreffend als "unbegründet" zurückgewiesen . Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine Durchbrechung des Systems, nachdem nur Zeiten im Beamtenverhältnis oder entsprechende Rechtsverhältnisse, die in einem qualifizierten Zusammenhang mit dem Beamtenverhältnis stehen, als ruhegehaltssteigernd berücksichtigt werden; vielmehr werden auf der Grundlage dieser Vorschrift auch weitere Zeiten zur Erhöhung des Ruhegehaltssatzes herangezogen (Kümmel, Kommentar zum BeamtVG, § 14 a Anm. 32). Dabei ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, dass nur "für je 12 Kalendermonate" der anrechnungsfähigen Pflichtversicherungszeiten eine Erhöhung des Ruhegehaltssatz um 1 Prozent zu erfolgen hat. Das heißt, dass die von 12 Kalendermonaten nach unten abweichenden Zeiträume weder durch Aufrundung auf 1 % für ein angefangenes Beitragsjahr noch im Wege eines entsprechenden Bruchteils ( hier 7/12 % ) erhöhend für den Ruhegehaltssatz zu berücksichtigen sind. Dies deckt sich ebenfalls mit dem Kommentarliteratur, und zwar sowohl der von der Beklagten vorgelegten als auch mit Kümmel, aaO,  § 14a Anm. 32. Entsprechend sieht auch das Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern vom 27. 01.1986 (abgedruckt bei Kümmel) in Teilziff. 3.4 vor, dass die sich ergebenden Kalendermonate der Pflichtversicherungszeiten zusammenzurechnen sind, wobei ein Rest von weniger als 12 Kalendermonaten unberücksichtigt bleibt. Eine erweiternde Auslegung des (klaren) Wortlauts im Sinne des Klägers widerspräche dem § 3 Abs. 1 BeamtVG (entsprechend § 2 Abs. 1 BBesG): "Die Versorgung der Beamten  ... wird durch Gesetz geregelt" und § 3 Abs. 2 BeamtVG (entsprechend § 2 Abs. 2 BBesG), der besagt: "Zusicherungen, Vereinbarungen und Vergleiche, die dem Beamten eine höhere als die ihm gesetzlich zustehende Versorgung verschaffen sollen, sind unwirksam" Ein Anspruch auf Berücksichtigung von weiteren 7 Monaten, den der Kläger geltend macht, besteht hiernach nicht.