Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.11.2015, Az.: 2 PA 327/15
hinreichende Erfolgsaussichten; Prozesskostenhilfe; außergerichtlicher Vergleich
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 30.11.2015
- Aktenzeichen
- 2 PA 327/15
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 45163
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 22.10.2015 - AZ: 1 C 41/15
Rechtsgrundlagen
- § 114 ZPO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zu den Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in einem Hochschulzulassungseilverfahren, wenn die Beteiligten unter Ausschluss gegenseitiger Kostenerstattung einen außergerichtlichen Vergleich dahin schließen, dass der Antragsteller für sein Wunschstudium zugelassen wird und im Gegenzug seinen Eilantrag zurücknimmt.
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 1. Kammer - vom 22. Oktober 2015 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für ein Hochschulzulassungseilverfahren, das in der Sache durch seine zwischenzeitliche Immatrikulation erledigt worden ist.
Grundlage hierfür war ein Angebot der Antragsgegnerin, einen außergerichtlichen Vergleich dergestalt abzuschließen, dass der Antragsteller nach Abschluss des Vergleichs mit sofortiger Wirkung zu seinem Wunschstudium zugelassen werde und dafür seinen Eilantrag zurücknehme; jede Partei solle die bei ihr angefallenen Kosten selbst tragen. Der Antragsteller bat unter Hinweis hierauf um Entscheidung über seinen Prozesskostenhilfeantrag. Das Verwaltungsgericht teilte ihm hierauf mit, über den Prozesskostenhilfeantrag werde im Rahmen des verfahrensbeendenden Beschlusses entschieden. Bei der Kombination eines außergerichtlichen Vergleichs mit einer Antragsrücknahme bewillige die Kammer grundsätzlich keine Prozesskostenhilfe.
Auf weiteres Drängen des Antragstellers hielt das Verwaltungsgericht an seinem Standpunkt fest. Der Antragsteller teilte darauf mit, dass er das Vergleichsangebot angenommen habe und das Verfahren nach der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag durch Rücknahme beenden werde. Die Verfahrensweise des Verwaltungsgerichts habe zur Folge, dass der „arme“ Antragsteller bei einem aufgrund Vergleichs erfolgreich abgeschlossenen Prozess auf seinen Kosten sitzen bleibe. Zu einer Rücknahme des Eilantrags vor Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag war der Antragsteller auch auf weitere Nachfrage des Verwaltungsgerichts nicht bereit.
Das Verwaltungsgericht lehnte darauf mit Beschluss vom 22. Oktober 2015 den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab, weil das Rechtsschutzbedürfnis durch die zwischenzeitliche Immatrikulation entfallen sei. Zugleich lehnte es in dem hier angegriffenen Teil dieses Beschlusses die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten sei die Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags. In außerkapazitären Hochschulzulassungsverfahren trete diese regelmäßig erst mit der Antragserwiderung und der darauf folgenden Möglichkeit zur Einsichtnahme in die Kapazitätsberechnungsunterlagen ein. Auch das Gericht könne die Erfolgsaussichten des vorläufigen Rechtsschutzantrags erst nach Vorlage der Kapazitätsberechnungsunterlagen einschätzen. Entscheidungsreife in diesem Sinne sei bis zu dem Zeitpunkt, in dem sich das Verfahren durch die Immatrikulation erledigt habe und dadurch der vorläufige Rechtsschutzantrag unzulässig geworden sei, nicht eingetreten, da die Antragsgegnerin bis dahin weder eine Antragserwiderung noch die Kapazitätsberechnungsunterlagen vorgelegt habe. Seit diesem Zeitpunkt habe die weitere Rechtsverfolgung schon wegen des seitdem fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses keine Aussicht auf Erfolg geboten.
Zwar könne im Falle einer unstreitigen Verfahrensbeendigung ausnahmsweise Prozesskostenhilfe bewilligt werden, wenn Billigkeitsgründe für eine rückwirkende Bewilligung vorlägen und der Prozesskostenhilfeantrag vor Abschluss des Verfahrens bereits entscheidungsreif gewesen sei oder die Entscheidungsreife zuvor aus Gründen nicht eingetreten sei, die nicht in der Sphäre des Rechtsschutzsuchenden gelegen hätten. Der mangelnde Eintritt der Entscheidungsreife falle hier zwar auf Grund der unterlassenen Vorlage der Kapazitätsberechnungsunterlagen in die Sphäre der Antragsgegnerin. Grund für die Nichtvorlage sei das auf eine unstreitige Erledigung gerichtete außergerichtliche Vergleichsangebot der Antragsgegnerin gewesen, weil sich nach der darin vorgesehenen Antragsrücknahme die Vorlage erübrigt hätte. Eine Bewilligung nach diesen Maßgaben scheitere hier allerdings schon daran, dass die Grundvoraussetzung, die unstreitige Verfahrensbeendigung, mangels Abgabe einer entsprechenden Erklärung durch den Antragsteller nicht vorliege. Darüber hinaus entspreche es nicht der Billigkeit, im Falle der Annahme eines außergerichtlichen Vergleichsangebots, das die Zulassung zu dem begehrten Studiengang im Gegenzug zur Antragsrücknahme vorsehe, und der anschließenden Antragsrücknahme durch Prozesskostenhilfebewilligung letztlich einen Vergleich zu Lasten eines Dritten, der Staatskasse, zu ermöglichen. Würde für diese Vorgehensweise Prozesskostenhilfe bewilligt, würden die Verfahrensbeteiligten ihre Kostenlast auf das Land Niedersachsen abwälzen können. Die Annahme des Vergleichsangebots sei für den außerkapazitären Studienplatzbewerber auch nicht alternativlos. Wenn er in einem solchen Fall eine eigene Kostentragung vermeiden wolle, müsse er durch Ausschlagen des Vergleichsangebots das Risiko eines streitigen Verfahrens auf sich nehmen. Sollte der Hochschule danach weiterhin nicht an einer streitigen Durchführung des Verfahrens gelegen sein, bleibe ihr immer noch die Möglichkeit, den Studienplatzbewerber außergerichtlich zuzulassen, was allerdings nach beiderseitigen Erledigungserklärungen ihre Kostentragung - und nicht diejenige der Staatskasse - zur Folge hätte.
Mit seiner dagegen gerichteten Beschwerde macht der Antragsteller im Wesentlichen geltend, die hinreichende Erfolgsaussicht stehe in Fällen dieser Art bereits dann außer Frage, wenn - wie hier - ein außergerichtlicher Vergleich über die Zulassung zum Studium geschlossen worden sei; der Vorlage der Kapazitätsberechnungen bedürfe es dann nicht mehr.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Zur Vermeidung von Missverständnissen hebt der Senat allerdings hervor, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe grundsätzlich auch in Fällen denkbar ist, in denen ein außergerichtlicher Vergleich zur Hochschulzulassung führt.
Zwar kommt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommt grundsätzlich nicht mehr in Betracht, wenn das Verfahren vor der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag durch Vergleich, Klagerücknahme oder beiderseitige Erledigungserklärungen beendet worden ist. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist aus Gründen der Billigkeit jedoch anzunehmen, wenn sich das Verfahren ohne Zutun des um Prozesskostenhilfe nachsuchenden Antragstellers erledigt hat oder wenn dieser vor dem Wegfall der Rechtshängigkeit alles ihm Zumutbare getan hat, um eine Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag zu erreichen (vgl. z.B. OVG Lüneburg, Beschl. v. 20.5.2014 - 11 PA 186/13 -, JurBüro 2014, 428).
Wird - wie hier - ein außergerichtlicher Vergleich geschlossen, der das Verfahren nicht unmittelbar beendet, kann es (entgegen den die Rechtslage etwas verkürzt darstellenden Hinweisen des Verwaltungsgerichts an den Antragsteller) durchaus Raum für eine Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe schon vor Fassung des verfahrensabschließenden Beschlusses geben. Zu den insoweit maßgeblichen Gesichtspunkten hat der Senat in anderem Zusammenhang bereits mit Beschluss vom 23. Januar 2013 (- 2 PA 387/12 -, juris) ausgeführt, es sei
„zunächst klarzustellen, dass sich die Anforderungen an die Erfolgsaussichten im Hochschulzulassungsrecht nicht von denen in anderen Rechtsgebieten unterscheiden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts soll die Prüfung der Erfolgsaussichten nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Dies bedeute zugleich, dass Prozesskostenhilfe verweigert werden dürfe, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte sei (vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.3.1990 - 2 BvR 94/88 -, BVerfGE 81, 347 <356 f.> = DVBl. 1990, 926; stRspr., etwa Beschl. der 2. Kammer des Zweiten Senats v. 22.5.2012 - 2 BvR 820/11 -, NVwZ 2012, 1390). Auch nach der Senatsrechtsprechung reicht es für eine hinreichende Aussicht auf Erfolg aus, wenn hierfür bei summarischer Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht. Dies ist anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund seiner Sachverhaltsdarstellung und der vorhandenen Unterlagen zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Senatsbeschl. v. 16.6.2009 - 2 NB 67/09 -, NVwZ-RR 2009, 784, u.v. 28.8.2004 - 2 PA 1183/04 -, juris). Ein "hohes" Maß an Wahrscheinlichkeit dafür, dass die festgesetzte Studienplatzzahl die tatsächlich vorhandene Kapazität nicht ausschöpfe, ist nicht zu fordern.
Soweit das Verwaltungsgericht darüber hinaus jedenfalls früher den Standpunkt vertreten hat, aus dem von ihm angenommenen Erfordernis einer "hohen" Wahrscheinlichkeit ergebe sich die Notwendigkeit einer Überprüfung der Kapazitätsberechnung, so dass über einen Prozesskostenhilfeantrag (erst) mit dem Beschluss zu befinden sei, mit dem über das die Zuweisung des Studienplatzes betreffende Begehren entschieden werde (Beschl. v. 28.11.2005 - 1 C 15/05 - u. v. 7.12.2005 - 1 C 27/05 -, beide juris), kann dem nicht ohne Einschränkungen gefolgt werden. Eine Verbindung der Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe mit derjenigen über die Hauptsache - hier also dem Beschluss nach § 123 VwGO - mag in vielen Fällen tunlich sein, etwa weil sich das Verwaltungsgericht um eine zeitnahe Entscheidung bemüht, um erfolgreichen Bewerbern eine frühzeitige Zulassung zu ermöglichen. Der Sache nach verlangen Besonderheiten des Hochschulzulassungsrechts eine solche Verbindung jedoch nicht. Wie sonst auch, besteht kein Anlass, mit der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag über den Zeitpunkt der Entscheidungsreife hinaus zuzuwarten. Dieser liegt in der Regel vor, wenn die vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen vorgelegt sind und die Gegenseite angemessene Frist zur Stellungnahme hatte (vgl. BVerwG, Beschl. v. 12.9.2007 - 10 C 39.07 -, AuAS 2008, 11; vgl. auch OVG Münster, Beschl. v. 18.3.2011 - 13 E 237/11 -, juris). Im Hochschulzulassungsrecht kann allerdings Anlass bestehen, der Antragstellerseite nach Eingang der Antragserwiderung noch weitere Gelegenheit zur Antragsbegründung einzuräumen, bevor Entscheidungsreife angenommen wird. Denn vielfach kann sie erst zu diesem Zeitpunkt Einsicht in die Kapazitätsberechnungen erlangen. Anders als in "klassischen" Verwaltungsverfahren, in denen bereits im Widerspruchsverfahren durch Akteneinsicht und den Austausch der gegenläufigen Meinungen eine rechtliche Vorklärung erfolgte, hat sie bis dahin regelmäßig nur Ablehnungsbescheide in Händen, die sich zu Details der Kapazitätsberechnung nicht verhalten. Sowohl in einem isolierten Prozesskostenhilfeverfahren als auch bei einem bloß begleitenden Prozesskostenhilfeantrag kann der Prozesskostenhilfeantragsteller in der Praxis deshalb frühestens ab diesem Verfahrensstadium substanzielle Hinweise darauf geben, aus welchen Gesichtspunkten er seine Erfolgsaussichten herleitet. Ihm muss in diesen Fällen deshalb genügend Zeit für eine Äußerung eingeräumt werden, bevor Entscheidungsreife angenommen wird.“
Seine Auffassung zum Zeitpunkt des Eintritts der Entscheidungsreife hat der Senat in seinem auch vom Verwaltungsgericht zitierten Beschluss vom 7. Februar 2014 (- 2 PA 11/14 -, juris) nochmals bekräftigt und ergänzt. Auch danach tritt die Entscheidungsreife „regelmäßig“ nicht vor der Ermöglichung einer Einsichtnahme in die Kapazitätsberechnungen der Hochschule ein. Dies lässt jedoch Ausnahmen für den Fall zu, dass die Hochschule selbst im gerichtlichen Verfahren das Bestehen des geltend gemachten Zulassungsanspruchs einräumt. Insbesondere ein Anerkenntnis im Sinne des § 307 ZPO wäre auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu beachten (vgl. z.B. OVG Münster, Beschl. v. 17.10.2013 - 19 A 2460/12 -, juris) und würde die Vorlage von Kapazitätsberechnungen erübrigen. Unabhängig von einer Einordnung als Anerkenntnis kommt es nach den Erfahrungen des Senats jedenfalls durchaus vor, dass Hochschulen konkrete Kapazitätsberechnungsfehler und das daraus folgende Vorhandensein zusätzlicher Studienplätze von sich aus bestätigen. Unter solchen Umständen kann auch schon vor Eingang der Kapazitätsunterlagen Prozesskostenhilfe bewilligt werden.
Allein dem Umstand, dass eine Hochschule zu einem Vergleichsabschluss bereit ist, kann aber ein entsprechender Erklärungswert noch nicht beigemessen werden. Diese Bereitschaft kann auch dem Umstand geschuldet sein, dass die Hochschule den Aufwand der Führung eines Kapazitätsprozesses scheut und dafür lieber eine begrenzte „Überlast“ in Kauf nimmt. Das wäre nicht gleichbedeutend mit dem Bestehen hinreichender Erfolgsaussichten im Sinne des § 114 ZPO, für die es nicht auf die Nachgiebigkeit des Gegners, sondern nur auf die Rechtslage ankommt, die maßgeblich vom Gericht zu beurteilen ist. Insoweit ist dem Verwaltungsgericht darin beizupflichten, dass es nicht in der Hand der Verfahrensbeteiligten liegen kann, letztlich einen Vergleich zu Lasten Dritter, also der Staatskasse zu schließen.
Es ist dem Antragsteller eines kapazitätsrechtlichen Eilverfahrens mithin nicht unbenommen, ohne prozesskostenhilferechtliche Nachteile zu einer zügigen vergleichsweisen Regelung zu gelangen. Voraussetzung ist nur, dass der außergerichtliche Vergleich - etwa durch Einfügung einer entsprechenden Präambel oder durch begleitende schriftsätzliche Erklärungen der Hochschule - ein Motiv für das Nachgeben der Hochschule benennt, das auch ohne die zusätzliche Vorlage der Kapazitätsunterlagen die Überzeugung des Verwaltungsgerichts vom Bestehen hinreichender Erfolgsaussichten begründen kann. Einer Vorabentscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe steht unter solchen Umständen nichts im Wege.
Entsprechende Erklärungen hat die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall jedoch nicht abgegeben. Der Umstand, dass das Verwaltungsgericht in seinen rechtlichen Hinweisen an den Antragsteller möglicherweise eine zu restriktive Haltung eingenommen hat, kann allein die nachträgliche Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht rechtfertigen. Dem anwaltlich vertretenen Antragsteller musste sich schon von sich aufdrängen, dass die Beteiligten auch im Zusammenwirken das Verwaltungsgericht nicht an einer eigenständigen Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten als Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe hindern können.
Nach § 166 Abs.1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).