Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 03.04.2007, Az.: 21 UF 163/06
Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf das Jugendamt unter Beibehaltung der elterlichen Sorge; Erziehungsfähigkeit einer Mutter bei apathischem Verhalten gegenüber körperlichen Verletzungen des Kindes; Rückführung eines Kindes in die Betreuung der Mutter bei Vereinbarkeit mit dem Kindeswohl zur schrittweisen Intensivierung der Mutter-Kind-Beziehung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 03.04.2007
- Aktenzeichen
- 21 UF 163/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 48889
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2007:0403.21UF163.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Neustadt am Rübenberge - 11.08.2006 - AZ: 31 F 129/05
Rechtsgrundlagen
- § 1666 Abs. 1 BGB
- § 1684 BGB
Fundstellen
- FamRZ 2007, 1265-1266 (Volltext mit red. LS)
- OLGReport Gerichtsort 2007, 868-869
Verfahrensgegenstand
Elterliche Sorge für C. M., geboren am 16. September 2005
...
hat der 21. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht .......,
den Richter am Oberlandesgericht ....... und
die Richterin am Oberlandesgericht .......
am 3. April 2007
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Neustadt vom 11. August 2006 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
- 1.
Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die am 16. September 2005 geborene C. M. wird dem Jugendamt der R. H. übertragen. Das Jugendamt hat der Mutter die Pflegeperson, die C. betreut, und deren Anschrift mitzuteilen.
- 2.
Der Mutter steht das Recht zum Umgang mit ihrer Tochter C. jeweils wöchentlich am Samstag für 2 Stunden zu.
Die tageszeitliche Durchführung regeln Mutter und die vom Jugendamt eingesetzte Pflegeperson unter Berücksichtigung ihrer beiderseitigen - vor allem beruflichen - Belange.
Der Vater, Herr M. H., darf an den Umgangskontakten teilnehmen.
Für die Zeit bis einschließlich September 2007 gilt folgende Einschränkung:
Der Umgang wird von einer vom Jugendamt bestimmten oder nach Vorschlag der Mutter vom Jugendamt akzeptierten Person begleitet.
Sofern der Umgang nicht bei der Pflegefamilie stattfindet, was diese entscheidet, holt die Mutter das Kind dort ab und bringt es dorthin zurück. Die Begleitperson nimmt an dem von der Mutter gestalteten Umgang teil.
- 3.
Hinsichtlich der ersten Instanz trägt jede Partei ihre Kosten selbst. Die Antragsgegnerin trägt die gerichtlichen Auslagen zu 1/2.
Gerichtsgebühren für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Die gerichtlichen Auslagen des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin zu 1/2.
Eine Erstattung außergerichtlicher Auslagen für das Beschwerdeverfahren findet nicht statt.
Beschwerdewert: 6.000 EUR (je 3.000 EUR elterliche Sorge und Umgang)
Gründe
Die Beschwerde der Mutter, mit der sie die Wiederherstellung ihrer vollen elterlichen Sorge für ihre Tochter C., hilfsweise ein intensiveres sich zeitlich gestaffelt ausweitendes Umgangsrecht erstrebt, ist nur teilweise - in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang - begründet.
Elterliche Sorge:
Wegen einer zumindest bis auf Weiteres bestehenden Gefährdung des Kindeswohls, ist gemäß § 1666 Abs. 1 BGB zwar nicht die Entziehung der gesamten elterlichen Sorge, jedoch die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für C. auf das Jugendamt begründet.
C. Eltern sind nicht miteinander verheiratet. Sie waren im Herbst 2005 - unter Beibehaltung der Eigentumswohnung der Mutter - im Hinblick auf die bevorstehende Geburt des Kindes in der Wohnung des Vaters zusammengezogen. Im Alter von 10 Wochen wurde C. auf gerichtliche Anordnung aus der Betreuung der sorgeberechtigten Mutter genommen und einstweiligen unter vorläufige Vormundschaft des Jugendamts der R. H. gestellt, nachdem bei einer Vorstellung des Kindes im Krankenhaus A. d. B. wegen einer Beule am Kopf zusätzlich ältere Brüche an Kopf und Beinen entdeckt wurden, welche nur auf äußere Gewalteinwirkung zurückgeführt werden konnten. Durch wen oder was C., die zu jener Zeit ausschließlich in der Obhut ihrer Eltern war, diese Verletzungen erlitten hat und ob die Mutter die Geschehnisse mitbekommen hat, ist nie aufgeklärt worden. Der im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren (2222 Js 105413/05) eingeschaltete gerichtsmedizinische Sachverständige, Prof. Dr. T. von der M. H. H., kam in seinem Gutachten vom 28. März 2006 sowie der hierzu gefertigten Ergänzung vom 22. Juni 2006 zu dem Ergebnis, dass ein Unfall, wie ihn die Eltern für möglich hielten (Verletzung an der Spieluhr, dem Waschbecken oder Fallen aus der Wippe) als Ursache auszuschließen sei und nur ein absichtliches Zufügen durch Schlagen des Kindes an einen stumpfen Gegenstand als Verletzungsursache infrage käme.
In der Folgezeit ist jeweils in erster, wie in zweiter Instanz, ein Sachverständigengutachten zur Erziehungsfähigkeit der Mutter, welche unter Aufrechterhaltung ihrer Beziehung mit dem Vater von C., wieder in ihrer eigenen Wohnung lebt, eingeholt worden. Beide Sachverständige kommen unabhängig voneinander zu dem Ergebnis, dass die Mutter, die seit der Herausnahme des Kindes aus ihrem Haushalt - wenn auch seit März 2006 zweimal wöchentlich - begleiteten Umfang mit ihrer Tochter hatte, gegenwärtig noch nicht eigenständig erziehungsfähig ist. Wenngleich die Mutter mit nunmehr 42 Jahren als ausgebildete Krankenschwester mit Tätigkeit in der Chirurgie und nunmehr fast 10-jähriger Berufspraxis in der Altenpflege an sich über hinreichende Kompetenz zur Betreuung und Versorgung auch von Kleinkindern verfügen müsste, kommt die vom Senat beauftragte Sachverständige, Dipl.-Psychologin L. E., nach umfänglicher Exploration in ihrem Gutachten vom 5. Januar 2007 zu dem Ergebnis, dass die Mutter nicht in der Lage ist, die körperliche Unversehrtheit des Kindes sicherzustellen. Während die Mutter, wie die Sachverständige ausführt, durchaus in der Lage ist C. zu pflegen, zu ernähren und deren geistiges Wohl zu befriedigen, fällt es der Mutter trotz des intensiven Umgangs während dieses Verfahrens schwer, sich auf das Kind einzustellen, ihm altersgerecht zu begegnen und insbesondere Verletzungen von ihm fernzuhalten bzw. auf Verletzungen des Kindes adäquat zu reagieren. Insoweit stellt die Sachverständige eine ihr nicht nachvollziehbare Hilflosigkeit der Mutter fest, die sich auch bei alltäglichen Gefahrensituationen, in die das Kind gerät (z.B. Verschlucken an einem Brötchen oder kleinere Verletzungen beim Spielen), nahezu apathisch verhält. Einer Rückführung des Kindes in die Betreuung der Mutter steht zum gegenwärtigen Zeitpunkt nach dem Gutachten der Sachverständigen zudem entgegen, dass C. dies zurzeit altersbedingt ohne dauerhafte seelische Schäden kaum verkraften würde.
Andererseits, und deshalb ist nach Überzeugung des Senats auch nicht der Entzug der gesamten elterlichen Sorge zur Sicherstellung des Kindeswohls geboten, hält die Sachverständige eine Rückführung des Kindes in die Betreuung der Mutter für möglich und mit dem Kindeswohl vereinbar, wenn der Mutter durch schrittweise Ausweitung der eigenverantwortlichen Kontakte die Möglichkeit eröffnet wird, die Mutter-Kindbeziehung zu intensivieren und so eine tragfähige Mutter-Kindbeziehung aufzubauen.
Umgang
Der Antragsgegnerin steht gemäß § 1684 BGB das Recht zum Umgang mit ihrem Kind zu.
Bei der Ausgestaltung des Umgangs steht hier neben der Pflege des Kontakts zum eigenen Kind und dem Schutz des Kindes der Wiederaufbau einer funktionierenden Mutter-Kindbeziehung durch schrittweise sich ausweitende Einübung der Übernahme von Eigenverantwortung für das Kind, mit dem Ziel einer späteren - heute zeitlich noch nicht festlegbaren - Wiederübernahme der vollen elterlichen Sorge im Vordergrund. Dies beginnt mit der Möglichkeit, einen eigenständigen Kontakt mit der Pflegefamilie aufzunehmen, wobei die Belange der Pflegefamilie durch eine gebotene Zurückhaltung bei der Kontaktaufnahme zu wahren sind. Voraussetzung hierfür ist die Kenntnis der Pflegefamilie.
Anders als die Antragsgegnerin insbesondere schriftsätzlich im Beschwerdeverfahren zum Ausdruck gebracht hat, ist die Intensivierung des eigenverantwortlichen Kontakts mit dem Kind, wie ihn auch die Sachverständige Dipl.-Psychologin E. in ihrem Gutachten für geboten und zur Wiederherstellung einer tragfähigen Mutter-Kindbeziehung für förderlich erachtet hat, nicht - jedenfalls vorerst nicht - mit einer quantitativen Ausweitung gegenüber der während dieses Verfahrens praktizierten Regelung gleichzusetzen. Im Vordergrund steht hier vielmehr zunächst eine qualitative Ausweitung, nämlich die Ausweitung der Eigenverantwortung. Während bisher der regelmäßig betreute Umgang nach Kenntnis des Senats im Hinblick auf die Mutter weitgehend fremdbestimmt erfolgte, steht nun der selbstbestimmte Umgang - zunächst noch in Begleitung einer Vertrauensperson - an. Diese Vertrauensperson mag die Pflegemutter oder eine Mitarbeiterin des Jugendamts sein. Erstrebenswerter wäre jedoch, eine von der Mutter ausgewählte und vom Jugendamt als zuverlässig befundene Person zu gewinnen.
Nach der vom Senat angeordneten Übergangszeit soll dann in einer zweiten Stufe der eigenverantwortliche Umgang ohne fremde Begleitung stattfinden.
Eine weitere zeitlich festgelegte Staffelung von Verantwortungsübernahme durch die Mutter lässt sich heute mangels Absehbarkeit der Entwicklung noch nicht im Detail festlegen. Selbstverständlich ist es dem Jugendamt als Inhaber des Aufenthaltsbestimmungsrechts, auch in Delegation durch die Pflegemutter, unbenommen, je nach Entwicklung der Verhältnisse mit der Mutter zu gegebener Zeit eine verantwortungsvolle Ausweitung des Umgangs (z.B. halbe oder ganze Tage oder Besuche über Nacht) zu vereinbaren.
Die Antragsgegnerin muss sich jedoch hinsichtlich ihrer Erwartungshaltung darüber klar werden, dass diese geplante Entwicklung mit dem Ziel einer Rückkehr C. in die Obhut der Mutter zum einen Zeit bedarf und zum anderen nicht über die Zwischenstufe "Wechselmodel", also ein zeitlich nahezu gleichwertiges Pendeln zwischen Mutter und Pflegefamilie zu erreichen ist. Letzteres würde den für C. Entwicklung notwendigen gesicherten Lebensmittelpunkt vernachlässigen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 13 a FGG i.V.m. § 131 Abs. 1, 3 und 5 KostO.