Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 02.04.2021, Az.: 15 B 2883/21
Allgemeinverfügung; Ausgangsbeschränkung; Ausgangssperre; Corona-Pandemie; Coronavirus; nächtliche Ausgangsbeschränkung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 02.04.2021
- Aktenzeichen
- 15 B 2883/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 70856
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 28a Abs 2 S 1 Nr 2 IfSG
- § 28 Abs 1 IfSG
- § 28a Abs 1 Nr 3 IfSG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zur Begründung von Ausgangsbeschränkungen nach § 28 Abs. 1 Sätze 1, 2, § 28 a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG muss dargelegt werden, dass es ohne deren Erlass - auch unter Berücksichtigung aller anderen ergriffenen Maßnahmen - zu einer wesentlichen, im Umfang der Gefahrenrealisierung gewichtigen Verschlechterung des Infektionsgeschehens kommen würde.
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 1. April 2021 gegen die Nummer 1 der Allgemeinverfügung der Region Hannover über die Anordnung einer Ausgangsbeschränkung zur gebietsbezogenen Verhinderung der Verbreitung des Corona-Virus „SARS-CoV-2“ auf dem Gebiet der Region Hannover vom 31. März 2021 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EURO festgesetzt.
Gründe
Der sinngemäß gestellte Antrag
die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 1. April 2021 gegen die Nummer 1 der Allgemeinverfügung der Region Hannover über die Anordnung einer Ausgangsbeschränkung zur gebietsbezogenen Verhinderung der Verbreitung des Corona-Virus „SARS-CoV-2“ auf dem Gebiet der Region Hannover vom 31. März 2021 anzuordnen,
hat Erfolg.
1. Der Antrag ist zuvörderst zulässig.
Er ist nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Antragsteller - wohnhaft in der Region Hannover - ist von den Regelungen der Allgemeinverfügung auch betroffen und damit antragsbefugt, § 42 Abs. 2 VwGO.
2. Der Antrag ist zudem begründet.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO i.V.m § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO kann das Gericht in dem vorliegenden Fall des nach § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen. Die gerichtliche Entscheidung ergeht dabei auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das Aufschubinteresse des Antragstellers einerseits und das öffentliche Interesse an der Vollziehung der streitbefangenen Allgemeinverfügung andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit und die Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung, die vollzogen werden wird, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte, wenn aufgrund der gebotenen summarischen Prüfung Erfolg oder Misserfolg des Rechtsbehelfs offensichtlich erscheinen. Lässt sich bei der summarischen Überprüfung die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes ohne Weiteres feststellen, ist sie also offensichtlich, so ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anzuordnen, weil an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich nach der genannten Überprüfung der angefochtene Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig, so führt dies in Fällen des gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges regelmäßig dazu, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen ist.
Lässt sich nach der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Überprüfung weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit noch die offensichtliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, so ergeht die Entscheidung aufgrund einer weiteren Interessenabwägung, in der zum einen die Auswirkungen in Bezug auf das öffentliche Interesse in dem Fall, dass dem Antrag stattgegeben wird, der Rechtsbehelf im Hauptsacheverfahren indes erfolglos bleibt, und zum anderen die Auswirkungen auf den Betroffenen für den Fall der Ablehnung eines Antrags und des erfolgreichen Rechtsbehelfs in der Hauptsache gegenüberzustellen sind.
a) Nach Maßgabe dessen fällt die Interessenabwägung zu Lasten der Antragsgegnerin aus. Bei summarischer Prüfung erweist sich die Nummer 1 der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung voraussichtlich als rechtswidrig und verletzt den Antragsteller hierdurch in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
aa) Ihre Rechtsgrundlage findet die streitgegenständliche Nummer 1 der Allgemeinverfügung in der Vorschrift des § 28 Abs. 1 Sätze 1, 2, § 28 a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG i.V.m. § 18 Abs. 1 bis 3 der Niedersächsischen Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 vom 30. Oktober 2020 in der Fassung vom 27. März 2021 (Nds. GVBl. S. 166, im Folgenden: Corona-Verordnung).
Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in § 28 a Absatz 1 IfSG und in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war. Die Behörde kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 IfSG genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen.
Sind Schutzmaßnahmen erforderlich, können diese grundsätzlich nicht nur gegen die in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG genannten Personen - also gegen Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider - getroffen werden, sondern unter Umständen auch gegenüber anderen Personen (so Nds. OVG, Beschluss vom 29. Mai 2020 - 13 MN 185/20 -, juris, Rn. 24 m.w.N.).
In § 28 a Abs. 1 Nr. 3 IfSG ist weiter konkretisierend geregelt, dass notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag insbesondere Ausgangsbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum sein können.
§ 28 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG sieht weiter vor, dass die Anordnung einer solchen Ausgangsbeschränkung, nach der das Verlassen des privaten Wohnbereichs nur zu bestimmten Zeiten oder zu bestimmten Zwecken zulässig ist, nur möglich ist, soweit auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit erheblich gefährdet wäre.
§ 18 Abs. 1 der Corona-Verordnung bestimmt, dass die örtlich zuständigen Behörden weitergehende Anordnungen treffen können, soweit es im Interesse des Gesundheitsschutzes erforderlich ist. Nach Absatz 2 Satz 1 hat die örtlich zuständige Behörde zum Schutz vor Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 für das gesamte Gebiet des Landkreises oder der kreisfreien Stadt oder für Teile dieses Gebiets über die jeweiligen Regelungen dieser Verordnung hinaus weitergehende Anordnungen zu treffen, wenn die 7-Tage-Inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen (Dreitagesabschnitt) den Wert von 100 überschreitet und diese Überschreitung nach Einschätzung der örtlich zuständigen Behörde von Dauer ist. Dazu kann sie insbesondere nach Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 Ausgangsbeschränkungen unter den Voraussetzungen des § 18 Abs. 3 Corona-Verordnung anordnen. Die örtlich zuständige Behörde kann in Bezug auf Teile des Gebiets eines Landkreises oder einer kreisfreien Stadt jeder Person das Verlassen des privaten Wohnbereichs in der Zeit von 21.00 Uhr bis um 5.00 Uhr des Folgetages untersagen, wenn dieses aufgrund der jeweiligen Erkenntnisse aus der Kontaktnachverfolgung, der allgemeinen und regionalen Infektionslage sowie der Ziele des Infektionsschutzes geboten und verhältnismäßig ist, Absatz 3 Satz 1 Corona-Verordnung. Die örtlich zuständige Behörde hat die Anforderungen des § 28 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG zu beachten, Satz 2. Im Falle einer Anordnung einer Ausgangsbeschränkung sind Ausnahmen bei Vorliegen eines triftigen Grundes, insbesondere einer notwendigen medizinischen, psychosozialen oder veterinärmedizinischen Behandlung, der Wahrnehmung einer beruflichen Tätigkeit, des Besuchs von Gottesdiensten und ähnlicher religiöser Veranstaltungen und des Besuchs naher Angehöriger, wenn diese von Behinderung betroffen oder pflegebedürftig sind, vorzusehen, Satz 3. Insbesondere Reisen innerhalb des Gebiets nach Satz 1 und tagestouristische Ausflüge stellen nach Satz 4 keine triftigen Gründe dar. Liegen die Voraussetzungen einer Anordnung einer Ausgangsbeschränkung nicht mehr vor, so ist die Anordnung unverzüglich aufzuheben, Satz 5.
bb) Die darlegungs- und begründungspflichtige Antragsgegnerin hat nach Auffassung der beschließenden Kammer nicht hinreichend dargelegt, dass der Verzicht auf Ausgangsbeschränkungen (Nummer 1 der Allgemeinverfügung) - auch unter Berücksichtigung aller anderen ergriffenen Maßnahmen - zu einer wesentlichen, im Umfang der Gefahrenrealisierung gewichtigen Verschlechterung des Infektionsgeschehens führen würde. Ausgehend von der derzeitigen Begründung der Allgemeinverfügung und unter Berücksichtigung der Antragserwiderung verbleiben - vor dem Hintergrund der hohen gesetzlichen Anforderungen nach § 28a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG - Zweifel an der Geeignetheit und Erforderlichkeit der Maßnahme.
Die beschließende Kammer merkt zuvörderst an, dass der Wert der 7-Tage-Inzidenz im Gebiet der Region Hannover anhaltend und besorgniserregend hoch ist: Diese liegt seit dem 4. März 2021 dauerhaft über dem Wert von 100. In den letzten Tagen wurde darüber hinaus mehrfach die weitere Stufe der 7-Tage-Inzidenz von 150 überschritten. Hinzu tritt der Anteil der britischen Virusmutation B1.1.7 in der Region Hannover. Die Antragsgegnerin ist daher nicht nur berechtigt, sondern sogar dazu verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um dieser Entwicklung entgegenwirken (§ 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG, § 18 Abs. 2 Satz 1 Corona-Verordnung). Die beschließende Kammer betont vor diesem Hintergrund, dass die nachfolgenden Ausführungen nicht das „Ob“ weitergehender infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen, sondern allein die Wahl des Mittels der nächtlichen Ausgangsbeschränkung betreffen. Dahingehend sind die gesetzlich vorgeschriebenen - sehr hohen - Anforderungen nach Auffassung der Kammer derzeit voraussichtlich nicht gegeben.
(1) Nach § 28 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG ist die Anordnung einer Ausgangsbeschränkung, nach der das Verlassen des privaten Wohnbereichs nur zu bestimmten Zeiten oder zu bestimmten Zwecken zulässig ist, nur zulässig, „soweit auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 erheblich gefährdet wäre“.
Für die Auslegung des Begriffs der „erheblichen Gefährdung“ im Sinne des § 28 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG macht sich die Kammer die Maßgaben des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim zu eigen:
„§ 28 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG wurde im Gesetzgebungsverfahren zum Erlass eines ‚Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite‘ auf Empfehlung des Gesundheitsausschusses eingefügt. In der Beschlussempfehlung wurden die Tatbestandsmerkmale der Vorschrift (‚erhebliche Gefährdung‘ usw.) allerdings nicht weiter erläutert. Dort heißt es lediglich (BT-Drs. 19/24334, S. 73):
‚Der neue Absatz 2 nimmt grundrechtsdeterminiert eine materielle Eingrenzung von Schutzmaßnahmen im Hinblick auf die spezifische Eingriffsintensität vor. […] Die Anordnung einer Ausgangsbeschränkung nach Absatz 1 Nummer 3, wonach das Verlassen des privaten Wohnbereichs nur zu bestimmten Zeiten oder Zwecken zulässig ist, ist aufgrund der erheblichen Eingriffsintensität in Individualgrundrechte nur nach den qualifizierten Voraussetzungen nach Absatz 2 Satz 1 möglich.‘
Welchen Inhalt diese ‚qualifizierten Voraussetzungen‘ konkret aufweisen, ist der Gesetzesbegründung nicht im Einzelnen zu entnehmen.
Die am Wortlaut der Norm - ‚soweit auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 erheblich gefährdet wäre‘ - ansetzende Auslegung lässt ebenso wie die grundsätzliche Einbettung der Vorschrift in das Gefahrenabwehrrecht - in einem ersten Schritt - den Schluss zu, dass der Gesetzgeber als Mindestvoraussetzung für die Anordnung von Ausgangssperren verlangt, dass der Verzicht auf eine solche Anordnung zu einer Gefahr führt, also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bei im Übrigen ungehindertem Ablauf und auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen wahrscheinlich zu einem Schaden für das Ziel der Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 und die damit geschützten Rechtsgüter von Leben und Gesundheit einer potentiell großen Zahl von Menschen (vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) führt.
Liegt eine ‚Gefährdung‘ in diesem Sinne vor, muss diese nach § 28 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG eine ‚erhebliche‘ sein. […]
Bezieht sich das qualifizierende Tatbestandsmerkmal der ‚erheblichen‘ Gefährdung mithin nicht auf das geschützte Rechtsgut, hat der Gesetzgeber damit erkennbar besondere Anforderungen an den Umfang des Schadenseintrittes für dieses Rechtsgut aufgestellt. Der Wortlaut (‚erheblich‘) und die aus den oben zitierten Materialien erkennbare Zielsetzung des Gesetzgebers, den im verfassungsrechtlich verankerten Verhältnismäßigkeitsgebot (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelnden Grundsatz der Erforderlichkeit wegen der großen Eingriffsintensität von Ausgangsbeschränkungen besonders hervorzuheben, lässt deshalb den Schluss zu, dass Ausgangsbeschränkungen nicht bereits dann zulässig sind, wenn ihr Unterlassen zu irgendwelchen Nachteilen in der Pandemiebekämpfung führt, sondern dass dies nur dann in Betracht kommt, wenn der Verzicht auf Ausgangsbeschränkungen auch unter Berücksichtigung aller anderen ergriffenen Maßnahmen zu einer wesentlichen, im Umfang der Gefahrenrealisierung gewichtigen Verschlechterung des Infektionsgeschehens führen würde […].
Daraus folgt zugleich, dass sich der begründungspflichtige (vgl. § 28 a Abs. 5 Satz 1 IfSG) und darlegungsbelastete Antragsgegner nicht darauf beschränken kann, aufzuzeigen, dass der Verzicht auf eine bzw. die Aufhebung einer bereits normierten Aufenthaltsbeschränkungen zu Nachteilen führen könnte, sondern dass er ausgehend von einer auf den aktuellen Erkenntnissen beruhenden, nachvollziehbaren Prognose substantiiert darlegen muss, dass diese auch bei Berücksichtigung der übrigen Maßnahmen und ausgehend von dem konkreten und aktuellen Pandemiegeschehen […], voraussichtlich einen wesentlichen, im Umfang gewichtigen Anstieg der Infektionszahlen oder vergleichbar schwerwiegende Folgen für die wirksame Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 zur Folge hätte. Diese Darlegungsanforderungen dürfen auf der anderen Seite auch nicht überspannt werden, da auch zu berücksichtigen ist, dass der Antragsgegner - was vom Willen des Bundesgesetzgebers umfasst ist - eine ex ante-Prognose (vgl. BayVGH, Beschl. v. 11.01.2021, a.a.O.) auf der Grundlage des derzeit nur vorhandenen, sich in der dynamischen Pandemie stets fortentwickelnden Erkenntnismaterials zu treffen hat“ Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 5. Februar 2021 - 1 S 321/21 -, juris, Rn. 32 ff.
(2) Diese danach an die Annahme einer erheblichen Gefährdung im Sinne des § 28 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG zu stellenden (strengen) Anforderungen sind bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aller Voraussicht nach derzeit (noch) nicht gegeben.
Dabei geht die Kammer davon aus, dass die Anforderungen, die § 28 a Abs. 5 Satz 1 IfSG im Hinblick auf die Begründung einer Rechtsverordnung statuiert, in gleichem Maße auch für eine Allgemeinverfügung gelten müssen, wenn diese Anordnungen nach § 28 a Abs. 1 IfSG trifft.
Darzulegen hat die Antragsgegnerin nach dem oben Gesagtem ausgehend von einer auf den aktuellen Erkenntnissen beruhenden, nachvollziehbaren Prognose (in substantiierter Weise), dass der Verzicht auf die angeordneten abendlichen und nächtlichen Ausgangsbeschränkungen auch bei Berücksichtigung der übrigen Maßnahmen und ausgehend von dem konkreten und aktuellen Pandemiegeschehen voraussichtlich einen wesentlichen, im Umfang gewichtigen Anstieg der Infektionszahlen oder vergleichbar schwerwiegende Folgen für die wirksame Eindämmung der Verbreitung des Corona-Virus zur Folge hätte (vgl. auch VG Sigmaringen, Beschluss vom 16. Februar 2021 - 3 K 326/21 -, juris, Rn. 68 f.).
Diesen Anforderungen ist die Antragsgegnerin mit den in der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung genannten Gründen im Ergebnis (noch) nicht gerecht geworden.
(a) Zwar ergibt sich aus der Begründung der Allgemeinverfügung ein legitimer Zweck: Ausweislich ihrer Begründung verfolgt diese das Ziel, die Anzahl physischer Kontakte in der Bevölkerung umgehend und flächendeckend auf ein absolutes Mindestmaß zu reduzieren. Bei Zusammenkünften von Menschen bestehe - so die Begründung weiter - eine deutlich erhöhte konkrete Gefahr, sich mit dem Coronavirus anzustecken und dieses unwissentlich und damit unkontrolliert weiterzuverbreiten. Der Erlass einer nächtlichen Ausgangsbeschränkung führe dazu, dass für einen wesentlichen Zeitraum Kontakte reduziert und daher die Gefahren der weiteren Ausbreitung wesentlich gemildert würden. Nur durch die weitestgehende Beschränkung von Kontakten lasse sich die derzeitige pandemische Lage im Rahmen einer Trendwende umkehren und eine nachhaltige Abflachung der Infektionskurve herbeiführen. Im Ergebnis bezweckt die angeordnete nächtliche Ausgangsbeschränkung somit die Eindämmung des Infektionsgeschehens im Regionsgebiet durch das Mittel der Reduzierung von Kontakten; zumindest hierbei handelt es sich um einen legitimen Zweck.
(b) Bereits im Hinblick auf die Darlegung der Geeignetheit der Ausgangsbeschränkungen bestehen jedoch Zweifel, ob diese den zuvor dargelegten Maßgaben entspricht.
Die Eignung eines Mittels zur Erreichung eines Gemeinwohlziels im Sinne des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist gegeben, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. November 2011 - 1 BvR 3222/09 -, juris, Rn. 38), also die Möglichkeit einer Zweckerreichung besteht (vgl. BVerfG, Urteil vom 30. Juli 2008 - 1 BvR 3262/07 u.a. -, juris, Rn. 114).
Bislang hat die Antragsgegnerin nicht hinreichend begründet, inwiefern gerade in den Nachtstunden ein erhöhtes Infektionsrisiko zu erwarten ist, da der Zeitraum - von 22.00 bis 5.00 Uhr - sich üblicherweise ohnehin außerhalb der Zeiten bewegt, in denen reguläre Besuche in größerem Umfang stattfinden. Dies ergibt sich auch aus der Begründung der verfahrensgegenständlichen Allgemeinverfügung: Die Ausgangsbeschränkungen beträfen ein Zeitfenster, das mit den in der Bevölkerung verbreiteten Ruhe- und Schlafenszeiten übereinstimme. Die meisten Personen, die von der Regelung betroffen sind, verlassen auch nach Auffassung der Antragsgegnerin in der Zeit von 22.00 bis 5.00 Uhr das Haus in der Regel sowieso nicht. Im Hinblick auf all diese Personen kann Nummer 1 der Allgemeinverfügung bereits keinen Effekt auf die Umkehrung der steigenden Inzidenzwerte haben.
Die Begründung der streitigen Allgemeinverfügung lässt auch nicht erkennen, dass dieser eine Berücksichtigung und Auswertung der wissenschaftlichen Erörterungen zu Grunde liegt. Die bisherige Studienlage erweist sich insoweit gerade nicht als eindeutig: Bisherige Forschungen haben teilweise erwiesen, dass der zusätzliche Effekt von schwerwiegenden Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen gering sei und sich im kaum wahrnehmbaren Bereich befinde (vgl. etwa die Studie J. M. Brauner et al., „Inferring the effectiveness of government interventions against COVID-19“, abrufbar unter https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33323424/, Bl. 8; Studie der Universität Stanford, Bericht des RND: https://www.rnd.de/gesundheit/lockdown-wie-effektiv-sind-ausgangssperren-geschaftsschliessungen-und-kontaktverbote-laut-studie-YYNSVVXWMJA77IP6LU6TML6PXY.html, jeweils letzter Abruf am 2. April 2021). Andere Studien gehen zwar grundsätzlich von einer Wirkung nächtlicher Ausgangsbeschränkungen aus, diese sei jedoch nur wesentlich geringer als die Wirkung anderer, regelmäßig parallel ergriffener Maßnahmen (vgl. etwa das Preprint der Studie Mrinank Sharma et. al., Understanding the effectiveness of government interventions in Europe’s second wave of COVID-19, abrufbar unter https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.03.25.21254330v1.full, letzter Abruf 2. April 2021). Die bisherigen Ausgangsbeschränkungen in anderen Bundesländern wie Bayern oder Baden-Württemberg, auf die wohl auch die Antragsgegnerin verweist, wurden - soweit ersichtlich - nicht evaluiert, sodass insofern die Antragsgegnerin einer substantiierten Prognose der Wirksamkeit der Maßnahme, die diese nach den gesetzlichen Anforderungen zu erbringen hat, schuldig bleibt (vgl. https://www.tagesschauAe/faktenfinder/ausgangssperren-corona-101.html, letzter Abruf am 2. April 2021). Mit fortschreitender Pandemie sind zudem auch die zunächst aufgrund mangelnder Erfahrung geringeren Anforderungen an die Rechtfertigung von Schutzmaßnahmen gestiegen. Behördliche Untätigkeit angesichts der objektiven Möglichkeit zur Evaluierung der Maßnahmen kann nicht zur Begründung schwerwiegender Grundrechtseinschränkungen gereichen, deren Wirksamkeit zudem nach den bisher zugänglichen wissenschaftlichen Erkenntnissen zumindest umstritten ist. Die Forderung, dass valide Beweise für die Wirksamkeit einer Maßnahme im Rahmen der Pandemiebekämpfung vorzulegen sind, wird im Übrigen auch vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht aufgestellt (Beschluss vom 19. März 2021 - 13 MN 114/21 -, juris, Rn. 42 ff.).
Es tritt hinzu, dass die Allgemeinverfügung Zusammenkünfte in geschlossenen Räumen außerhalb des betroffenen Zeitraums von 22.00 bis 5.00 Uhr - also außerhalb der geläufigen Ruhe- und Schlafenszeiten in der Bevölkerung - gerade nicht verhindert. Es mag zutreffen, dass durch Ausgangsbeschränkungen - grundsätzlich - andernfalls bestehende Anreize vermindert werden, soziale und gesellige Kontakte im privaten Bereich, insbesondere in den Abendstunden zu pflegen, die sich in der Vergangenheit in infektionsbezogener Hinsicht vielfach als besonders gefahrträchtig erwiesen haben (vgl. Schleswig-Holsteinisches VG, Beschluss vom 26. Februar 2021 - 1 B 19/21 -, juris, Rn. 13; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Dezember 2020 - 1 S 4028/20 -, juris, Rn. 41; vgl. ferner BT-Drs. 19/23944, S. 31). Gerade während der - vielfach arbeitsfreien - Osterfeiertage ist es aber ein Leichtes, Kontakte innerhalb des Zeitraumes von 5.00 bis 22.00 Uhr stattfinden zu lassen. Es spricht daher viel dafür, dass soziale Kontakte durch nächtliche Ausgangsbeschränkungen nicht unterbunden, sondern lediglich in ein früheres Zeitfenster verlagert werden. Dies gilt umso mehr, als dass steigende Temperaturen sowie die Umstellung auf die Sommerzeit zu einem Ansteigen der privaten Treffen tagsüber im Freien führen dürften.
Sobald es 22.00 Uhr wird, führt die getroffene Regelung dazu, dass eine Person sodann die Wohnung, in der sie sich befindet, nicht mehr verlassen darf, selbst wenn sie sich in einer fremden Wohnung aufhält. Entsprechend ermöglicht die nächtliche Ausgangsbeschränkung soziale Kontakte auch nach 22.00 Uhr, sofern sich die jeweiligen Personen bereits vor diesem Zeitfenster zusammengefunden haben.
Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Corona-Verordnung ist überdies die Zusammenkunft von Personen verschiedener Haushalte bereits erheblich eingeschränkt. Wenn Personen gegen diese Vorgaben verstoßen, müssen die Verstöße kontrolliert und geahndet werden. Dass die Behörden den Verstößen zuweilen kaum habhaft werden können, ist zwar kammerbekannt und auch nachvollziehbar, darf indes nicht zu weiteren - die Grundrechtsausübung einschränkenden Regelungen - führen, die ebenfalls nur schwer zu kontrollieren sind.
Soweit Nummer 1 der Allgemeinverfügung damit begründet wird, dass bei vergangenen Kontrollen durch die Ordnungsbehörden ein erheblicher Anteil an Verstößen gegen die Kontaktbeschränkungen in den Abend- und Nachtstunden festgestellt worden sei und durch die verfahrensgegenständliche Verfügung zumindest auch ein wesentlicher Anteil zur Kontaktreduzierung beigetragen werde, hält die beschließende Kammer dies für nicht überzeugend: Die Antragsgegnerin macht in dieser Passage der Begründung deutlich, dass es offenbar eine Vielzahl von Personen gibt, die sich über die bereits angeordneten Kontaktbeschränkungen hinwegsetzen. Es ist kaum nachvollziehbar, inwieweit ein weiteres Verbot diese Personen von einem Verstoß gegen bestehendes Recht abhalten sollte. Die Antragsgegnerin hat schließlich auch nicht dargelegt, ob und inwieweit die hier in Rede stehende Regelung zu einer Vereinfachung der Kontrolle von etwaigen Verstößen führen könnte; zumal ein mögliches und zulässiges Berufen auf triftige Gründe die Überprüfung der Ausgangsbeschränkungen wesentlich erschweren dürfte.
(c) Auch die Erforderlichkeit der Ausgangsbeschränkungen dürfte derzeit nicht dargelegt sein.
Vor dem Hintergrund der - zuvor dargestellten - sehr strengen gesetzlichen Anforderungen vermag die Kammer die Erforderlichkeit der nächtlichen Ausgangsbeschränkung zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung nicht zu erkennen.
Zuvörderst hat die Antragsgegnerin nicht substantiiert dargelegt, dass der Verzicht auf Ausgangsbeschränkungen einen wesentlichen, im Umfang gewichtigen Anstieg der Infektionszahlen oder vergleichbar schwerwiegende Folgen für die wirksame Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 zur Folge hätte.
Zudem erscheint es insbesondere wertungswidersprüchlich, dass innerhalb des Gebiets der Antragsgegnerin in zahlreichen sonstigen Lebens- und Wirtschaftsbereichen bislang keine weiteren infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen ergriffen bzw. angeordnet wurden. Nach § 18 Abs. 2 Satz 1 der Corona-Verordnung hat die örtlich zuständige Behörde eines Landkreises oder einer kreisfreien Stadt, in der - wie hier - die 7-Tage-Inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen (Dreitagesabschnitt) den Wert von 100 überschreitet und diese Überschreitung nach Einschätzung der örtlich zuständigen Behörde von Dauer ist, zum Schutz vor Infektionen über die jeweiligen Regelungen der Verordnung hinaus weitergehende Anordnungen zu treffen. Als mögliche Maßnahmen nennt die Corona-Verordnung beispielhaft - jedoch nicht abschließend („insbesondere“) - Betretungsverbote, die Anordnung einer weitergehenden Maskenpflicht, das Vorliegen eines negativen Corona-Testergebnisses als Zutritts-, Aufenthalts- oder Teilnahmevoraussetzung zu bestimmten Angeboten, Örtlichkeiten oder Dienstleistungen, die Anordnung weiterer Kontaktbeschränkungen und schließlich auch Ausgangsbeschränkungen, letztgenannte jedoch lediglich unter den besonderen Voraussetzungen des § 18 Abs. 3 der Verordnung und damit nach dem Verständnis der Kammer nachrangig zu den sonstigen genannten Maßnahmen. Es ist nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin von diesen ihr zur Verfügung stehenden - milderen - Mitteln bislang hinreichend Gebrauch gemacht hat. So ist beispielweise die Erbringung körpernaher Dienstleistungen seit dem 7. März 2021 und damit seit dem von der Begründung der Allgemeinverfügung im Hinblick auf steigende Inzidenzzahlen in den Blick genommenen Zeitraum - auch ohne die Vorlage eines negativen Corona-Testergebnisses - zulässig. Auch eine etwaige erweiterte Testpflicht in sonstigen Bereichen käme möglicherweise in Betracht. Die Erweiterung der Maskenpflicht wurde zeitgleich mit der Ausgangsbeschränkung angeordnet, sodass eine Evaluierung der Wirksamkeit dieser Maßnahme vorab nicht möglich war. Betretungsverbote für bestimmte öffentliche Bereiche oder weitere Maßnahmen im Rahmen des öffentlichen Nahverkehrs wurden - soweit ersichtlich - bislang nicht geprüft, jedenfalls ergibt sich aus der Begründung dahingehend nichts. Gleiches gilt für die Möglichkeiten einer Intensivierung des Vollzugs und der Kontrolle der bereits geltenden Maßnahmen. Schließlich ist es wenig nachvollziehbar, dass die Region innerhalb des Gebiets der Landeshauptstadt A-Stadt einerseits die streitbefangene Ausgangsbeschränkung angeordnet hat, gleichzeitig aber deren Bewerbung als sog. Projektgebiet i.S.v. § 18 b Corona-Verordnung, verbunden mit weitgehenden Lockerungen wie etwa dem Zugang der Gastronomie und Einzelhandel, unterstützt (so https://www.haz.de/Nachrichten/Der-Norden/Niedersachsen-Modellprojekte-sollen-Ausweg-aus-dem-Lockdown-weisen, letzter Abruf: 2. April 2021).
Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage hat die Antragsgegnerin somit die streitgegenständliche Verfügung mit Blick auf die sich aus § 28 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG ergebenden Anforderungen in nicht mehr ausreichendem Maße begründet.
cc) Die Antragsgegnerin hat zudem das ihr durch § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG eingeräumte Auswahlermessen aus den vorgenannten Gründen in rechtlich zu beanstandender Weise ausgeübt. Insbesondere dürfte sich die streitgegenständliche Allgemeinverfügung deshalb voraussichtlich nicht als verhältnismäßig darstellen.
b) Da sich die angefochtene Allgemeinverfügung somit nach summarischer Prüfung als rechtswidrig erweisen wird, war die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG, wobei der Auffangstreitwert herangezogen wurde. Von einer Reduzierung des Betrages im Eilverfahren (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit) ist abzusehen, weil aufgrund der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache die Bedeutung des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens dem Hauptsacheverfahren entspricht.