Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 10.09.2012, Az.: 5 A 1482/11

Abschiebungsschutz; EMRK, 1. Zusatzprotokoll; Gesundheitsversorgung; Grundrechte-Charta; Hörschaden; Qualifikationsrichtlinie; Schule; Subsidiarer Schutz; UN-Behindertenkonvention

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
10.09.2012
Aktenzeichen
5 A 1482/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44318
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand:

Die am … in V. geborene Klägerin ist serbische Staatsangehörige und nach eigenen Angaben Angehörige der Gruppe der Roma. Die Asylverfahren ihres Vaters, ihrer Mutter und zweier Halbschwestern, in denen sie sich fälschlicherweise als Roma aus dem Kosovo (statt aus Serbien) ausgaben, blieben erfolglos (Bescheide des Bundesamtes vom 17. April 2002 und Urteile des Gerichts vom 14. Oktober 2003 - 12 A 1921 und 3873/02 -). Deren weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet wurde ebenso geduldet, wie derjenige der Klägerin sowie weiterer hier geborener Geschwister. Die Klagen der Klägerin, ihrer Eltern, Halbschwestern und Geschwister auf Erteilung von Aufenthaltsrechten aus humanitären Gründen blieben u.a. erfolglos, weil die Eltern vorsätzliche Falschangaben über Geburtsort, Herkunft und teilweise (so die Mutter der Klägerin) Namen gemacht hatten (Urteil des Gerichts vom 26. April 2010 - 11 A 1918/08 - und Beschluss des Nds. OVG vom 13. Oktober 2010 - 8 L 138/10 -). Ebenso blieben die Klagen ihrer Geschwister S., S. und M. (geboren 2004, 2007 und 2009 in V.) in der Sache erfolglos, in denen Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bezüglich Kosovo und Serbien geprüft wurden (Urteil des Gerichts vom 26. April 2010 - 11 A 585/10 - und Beschluss des Nds. OVG vom 12. Juli 2010 - 8 LA 154/10 -).

Gemäß § 14 a Abs. 2, 2. Alternative AsylVfG und nach Mitteilung der Ausländerbehörde galt am 15. Dezember 2009 ein Asylantrag der Klägerin als gestellt. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 3. Februar 2010 verzichtete die Klägerin auf die Durchführung eines Asylverfahrens, machte aber Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG geltend. Eine menschenwürdige Existenz für Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien sei in Serbien, Montenegro, Mazedonien oder dem Kosovo derzeit und auf absehbare Zeit unmöglich. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf ihre mittelgradige Hörschädigung und ihren schulischen Förderbedarf im Bereich Hören (Bescheid der Landesschulbehörde vom 4. Mai 2009: Hörverlust im Hauptsprachbereich bei durchschnittlich 60 dB beiderseitig; Bedarf eines hörgeschädigten- wie sprachheilpädagogisch spezifisch geschulten Umfelds mit besonderen akustischen Bedingungen; Bescheinigung des Landesbildungszentrums für Hörgeschädigte Osnabrück vom 28. Januar 2010: voraussichtliche dortige Beschulung im Schuljahr 2009/2010 bis 31. Juli 2019; Bescheinigung der Fachärztin für Phoniatrie, Pädaudiologie sowie HNO-Heilkunde Dr. G., V., vom 28. Mai 2010: wegen mittelgradiger Schwerhörigkeit Bedarf an gut angepassten und regelmäßig fachlich kontrollierten Hörgeräten, an intensiver fachschulischer Förderung sowie Sprachförderung infolge sprachlicher Defizite). Ihre Rechte aus dem UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, gleichberechtigt mit anderen Kindern alle Menschenrechte und Grundfreiheiten zu genießen (Art. 7), auf Bildung (Art. 24) und insbesondere auf Vermittlung der besonders erforderlichen Kenntnisse wie etwa Gebärdensprache (Art. 24 Abs. 3 lit. c) seien für Roma-Kinder in Serbien, Montenegro, Mazedonien oder dem Kosovo nicht gewährleistet.

Nachdem das Bundesamt die Auskunft der Deutschen Botschaft in Pristina vom 12. Mai 2011 eingeholt hatte, stellte es durch Bescheid vom 15. Juni 2011 infolge des Verzichts das Asylverfahren ein und im Übrigen fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Gleichzeitig drohte es der Klägerin unter Ausreiseaufforderung und Fristsetzung eines Monats die Abschiebung in den Kosovo oder einen anderen rücknahmeverpflichteten oder -bereiten Staat an. Im Kosovo bestehe weder allgemein im Hinblick auf die Zugehörigkeit zur Gruppe der Roma eine extreme Gefahrenlage noch sei infolge der Hörschädigung und des schulischen Förderbedarfs eine wesentliche Verschlechterung der Gesundheitslage im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu befürchten. Die Versorgung der Bevölkerung mit medizinischen Mitteln wie Hörgeräten sei durch private Unternehmen (Stückpreis für externe Geräte ab 150,00 Euro und interne Geräte ab 250,00 Euro) sowie Hilfsorganisationen (Gratisabgabe gebrauchter Hörgeräte insbesondere für bedürftige Kinder) ebenso sichergestellt wie die Wartung, Reparatur und Batterieversorgung (Set mit sechs Batterien ca. 5,00 Euro, u.a. auch in einigen privaten Apotheken). Abstriche bei der Versorgung und Betreuung auf dem hohen bundesdeutschen Niveau begründeten hier noch keine hinreichende Gefahrenlage durch wesentliche oder gravierende Entwicklungsrückschritte.

Die Klägerin hat am 1. Juli 2011 Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie ergänzend vor: Zur Führung eines menschenwürdigen Lebens bedürfe sie wegen ihrer gravierenden Hörschädigung besonderer Hörgeräte, schulischer Förderung und alltäglicher Hilfe (vgl. Bescheinigung Dr. G., V., vom 15. Juni 2011: Schallempfindungsschwerhörigkeit beiderseits, audiogene Spracheentwicklungsverzögerung, deutliche Hörverschlechterung, ggf. erforderliche Versorgung mit einem Cochlear-Implantat, Bedarf an Sprachtherapie wegen bestehender deutlicher Defizite; Schwerbehindertenausweis vom 15. September 2011: Grad der Behinderung - GdB - 80 sowie Merkzeichen G, H, RF und GI), die sie im Kosovo nicht angemessen erhalten könne (vgl. etwa UNICEF-Studie 2011 zur Lage der Kinder im Kosovo). Diverse völker- und unionsrechtlicher Bestimmungen zum Schutz vor einem faktischen Ausschluss vom Schulsystem sowie speziell von Hilfs- und Fördermaßnahmen für Hörgeschädigte seien unzureichend berücksichtigt (Art. 2 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK, Art. 13 EMRK [Recht auf wirksame Beschwerde] i.V.m. Art. 2 und 3 EMRK [Recht auf Leben; Verbot der Folter], UN-Kinderrechtskonvention, Art. 24 UN-Behindertenrechtskonvention, Art. 24 GR-Charta EU, UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Personen aus dem Kosovo sowie deren Auslegung in der Rechtsprechung anderer Asylgerichte europäischer Mitgliedstaaten [Urteil des französischen Cour National du droit d´asile vom 2. November 2011 - Az. 10011958 -; Entscheidung des Irish Highcourt vom 10. November 2011 - 2009/955 JR -] bzw. europäischer Gerichte). Im Wege der Gleichbehandlung könne sie sich als Angehörige der Gruppe der Roma auf die in der deutschen Rechtsordnung geltende Verpflichtung berufen, Nachfahren der Opfer des nationalsozialistischen Völkermordes staatlich zu begünstigen, die nicht nur für jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion, sondern auch für Roma gelte.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, hinsichtlich des Kosovo und Serbiens Abschiebungsverbote im Sinne des subsidiären Schutzes nach der Richtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union bezüglich ihrer Person festzustellen,

hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, hinsichtlich des Kosovo und Serbiens Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bezüglich ihrer Person festzustellen,

und den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Juni 2011 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht

sowie bedingt für den Fall der Klagabweisung eine Rückübertragung der Streitigkeit auf die Kammer.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid. Nach eingehender ergänzender Prüfung ergäben sich auch keine Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bei einer Rückführung nach Serbien.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes Bezug genommen. Weiter wird verwiesen auf Auskünfte, Gutachten und Stellungnahmen, die anlässlich der Ladung aufgelistet und so zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden sind.

Entscheidungsgründe

Der Rechtsstreit musste nicht - dem bedingten Verfahrensantrag der Klägerin folgend - auf die Kammer zurückübertragen werden (§ 76 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG), sondern konnte vom Einzelrichter entschieden werden. Es fehlt schon an einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache infolge einer wesentlichen Änderung der Prozesslage. Die Maßstäbe, nach denen subsidiärer Schutz in derartigen Fällen gewährt werden muss, sind in der obergerichtlichen Rechtsprechung hinreichend geklärt. Trotz im Einzelfall unterschiedlich ausgeprägter Schwierigkeiten bleibt es hier - seit Klageerhebung bis zur mündlichen Verhandlung - beim Fall einer Einzelfallwürdigung, die auch hier vom Einzelrichter geleistet werden kann und muss. Im Übrigen deutet auch nichts Überzeugendes darauf hin, dass ein Rückübertragungsermessen dahingehend reduziert wäre, das weitgehend vom Einzelrichter geförderte Verfahren zwingend auf die Kammer zurückzuübertragen.

Von einem Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof - EuGH - hat das Gericht aus den in der Sitzungsniederschrift bereits genannten Gründen abgesehen. Im Übrigen belegen verschiedene Ausführungen weiter unten, dass es nach nationaler und europäischer Rechtsprechung (auch) beim unionsrechtlichen subsidiären Schutz auf die Aufklärung und Bewertung der jeweiligen Gefährdung im Einzelfall ankommt.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die auf §§ 34 AsylVfG, 59 AufenthG beruhende Abschiebungsandrohung im angegriffenen Bescheid des zuständigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - 10 C 27.08 - juris) Bundesamtes ist an sich rechtmäßig. Die Klägerin ist weder als Asylberechtigte anerkannt noch ist ihr die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Auch ist nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass sie einen Aufenthaltstitel besitzt. Für die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung ist ferner unerheblich, ob die Familie der Klägerin wirklich aus dem Kosovo stammt - wie ihre Eltern ursprünglich behauptet haben - oder ob sie vielmehr aus Serbien kommt - wie seit Abschluss des Verfahrens 11 A 1918/08 angenommen. Denn für die Rechtmäßigkeit der Auswahl des Zielstaates ist weder Voraussetzung, dass der Adressat der Androhung die Staatsangehörigkeit des Zielstaates besitzt noch dass die Bereitschaft des Zielstaates zur Rückübernahme des Adressaten besteht (Wenger, in: Storr u.a., Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl., § 59 AufenthG Rn. 6 m.w.N.). Allerdings sei zur Vermeidung weiterer Rechtsstreitigkeiten darauf hingewiesen, dass die Klägerin nicht nach Serbien abgeschoben werden kann, bevor nicht die Zielstaatsbezeichnung in der Abschiebungsandrohung erweitert wird (vgl. Wenger, aaO.).

Auch die Nr. 2 des angefochtenen Bescheides ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Dies gilt unter Berücksichtigung des Vortrags in diesem Verfahren sowie vorsorglich am Rande mitberücksichtigten Vortrags des Bevollmächtigten aus anderen ähnlich gelagerten Verfahren (etwa 11 A 585/10 betreffend einige ihrer Geschwister oder 5 B 3499/12).

Unionsrechtliche Abschiebungsverbote im Sinne des subsidiären Schutzes nach der Richtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union - im nationalen Recht umgesetzt in § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG - liegen nicht vor. Weder im Kosovo noch in Serbien findet derzeit ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG statt. Andere Schlüsse können auch nicht aus Meldungen über die Verstärkung der Kfor-Truppen im Kosovo durch (u.a.) deutsche Soldaten im Zusammenhang mit Unruhen im Nord-Kosovo gezogen werden. Auch dass der Klägerin in Serbien oder dem Kosovo die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe droht (§ 60 Abs. 3 AufenthG) ist nicht ersichtlich. Soweit die Klägerin sich in der mündlichen Verhandlung der Sache nach darauf berufen hat, sie sei als Roma im Kosovo und in Serbien weitgehend vom Zugang zum Gesundheitswesen ausgeschlossen, kann die Richtigkeit dieser Behauptung hier dahinstehen. Denn selbst, wenn man sie als wahr unterstellt, würde daraus kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 2 AufenthG folgen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist die Abschiebung eines Ausländers durch einen Konventionsstaat in ein Land, in dem eine ausreichende medizinische Versorgung nicht gewährleistet ist, selbst dann, wenn der Betroffene bereits schwer erkrankt ist, nur in besonderen Ausnahmefällen, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (vgl. EGMR, N ./. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 27. Mai 2008 - 26565/05 -, Rn. 42, NVwZ 2008, 1334 [EGMR 27.05.2008 - EGMR (Große Kammer) Nr. 26565/05] <1336 > mit ausführlichen weiteren Nachweisen auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs). Mithin irrt die Klägerin über die Reichweite des insoweit zu prüfenden unionsrechtlichen subsidiären Schutzes.

Entsprechendes gilt für andere von der Klägerin gesehene Beeinträchtigungen ihres Kindeswohls im Falle ihrer Abschiebung, etwa den behaupteten Ausschluss vom Schulsystem sowie speziell von Hilfs- und Fördermaßnahmen für Hörgeschädigte. Entgegen der klägerischen Auffassung ergibt sich eine Verfolgung i.S.v. Art. 9 Abs. 1 lit. a) QRL nicht durch Abschiebung eines hörgeschädigten Kindes in einen Zielstaat mit geringerem schulischen Angebot und sonstiger Förderung für Hörgeschädigte. Selbst der insoweit von ihr benannte Art. 24 Abs. 2 GR-Charta, der als Teil des europäischen Primärrechts jedenfalls bei unionsrechtlichen Abschiebungsverboten mit zu berücksichtigen wäre, statuiert entgegen ihrer Annahme keinen (absoluten) Vorrang des Kindeswohls (vgl. Beschluss des Nds. OVG vom 12. Juli 2010 - 8 LA 154/10 -). Die Bestimmung fordert vielmehr nur, dass bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein muss. Das Wohlergehen des Kindes muss danach zwar bei jeder Maßnahme berücksichtigt werden, es bindet die staatlichen Stellen aber nicht derart, dass diesem stets der Vorrang eingeräumt werden müsste und nicht andere Gründe überwiegen könnten (Beschluss des Nds. OVG vom 12. Juli 2010 - 8 LA 154/10 m.w.N.). Hiervon ausgehend ist nicht zu beanstanden, wenn das Bundesamt die Klägerin bei der Abwägung aller Belange auf schulische Angebote sowie Hilfs- und Fördermaßnahmen für Hörgeschädigte jeweils auf Landesniveau verweist, selbst wenn diese deutlich unter deutschen Standards liegen.

Die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK), die in Deutschland Gesetzeskraft hat (Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 21. Dezember 2008, BGBl II S. 1419), als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09 - juris und BVerfGE 111, 307 [BVerfG 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04] <317 f.>) sowie - jedenfalls bei Bundesrecht - zur völkerrechtsfreundlichen Auslegung nationaler Vorschriften herangezogen werden kann, legt kein anderes Ergebnis nahe. Rechte auf Gleichberechtigung (Art. 7 BRK), auf Bildung (Art. 24 BRK) und insbesondere auf Vermittlung der besonders erforderlichen Kenntnisse wie etwa Gebärdensprache (Art. 24 Abs. 3 lit. c BRK) binden deutsche Behörden und Gerichte abschließend im unmittelbarem Regelungszusammenhang, d.h. beim nationalen Umgang mit Hörgeschädigten im Staatsgebiet in allgemeinen und schulischen Verhältnissen. Demgegenüber ist nicht geschuldet, die Einhaltung der völkerrechtlich geschuldeten Maßstäbe in anderen Staaten zu prüfen und ggf. deren Versäumnisse zu kompensieren, etwa im Rahmen des bei Abschiebung von Ausländern zu beachtenden Rechts. Falls Serbien oder Kosovo selbst an die BRK gebunden sein sollten, müsste ohnehin dort entsprechender Rechtsschutz gesucht werden. Im Übrigen ergibt sich kein uneingeschränkter Vorrang der genannten Rechte aus der BRK, sondern das Gebot der Abwägung mit anderen öffentlichen Belangen im Einzelfall, wobei sich hier die Fehlerhaftigkeit der Versagung von Abschiebungsschutz unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände (siehe auch unten) nicht aufdrängt.

Auch (nationale) Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor.

Fraglich ist schon, ob die Klägerin überhaupt ein Rechtsschutzinteresse für die Feststellung von solchen Abschiebungshindernissen hinsichtlich des Kosovo hat. Bezugspunkt der Prüfung ist bei § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nämlich grundsätzlich der Staat, hinsichtlich dessen die Bundesrepublik die Abschiebung anstrebt - in aller Regel bereits konkretisiert durch eine Abschiebungsandrohung -, ungeachtet dessen, ob der Betroffene die Staatsangehörigkeit dieses Staates besitzt (Wenger, in: Storr u.a., Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl., § 60 AufenthG Rn. 3). Die zuständige Ausländerbehörde hat inzwischen anhand der Reisepässe der Eltern der Klägerin Kenntnis davon erlangt, dass die Eltern vor ihrer Ausreise nach Deutschland nicht im Kosovo, sondern im heutigen Serbien (N. S.) gewohnt haben. Insofern beabsichtigt sie derzeit auch nicht mehr die Rückführung der Familie in den Kosovo, sondern vielmehr nach Serbien (vgl. Urteil des Gerichts vom 26. Oktober 2010 - 11 A 1918/08 -). Andererseits ist der Klägerin zugute zu halten, dass die Abschiebungsandrohung im angefochtenen Bescheid auf den Kosovo lautet und bislang nicht im Hinblick auf Serbien erweitert wurde.

Letztendlich kann diese Frage aber dahinstehen. Denn für die Klägerin liegen weder im Hinblick auf den Kosovo noch im Hinblick auf Serbien Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 Satz 1 AufenthG vor, ohne dass es einer weiteren Aufklärung seitens des Gerichts bedurfte. Sie beruft sich insoweit zunächst auf ihre Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma. Daraus ergibt sich aber kein Abschiebungsverbot der vorgenannten Art.

Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin pauschal einen Verstoß gegen § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 13 EMRK (Recht auf wirksame Beschwerde) i.V.m. Art. 2 und 3 EMRK (Recht auf Leben; Verbot der Folter) rügt, ergibt sich nichts anderes, zumal die (hier oder in ähnlich gelagerten Parallelverfahren) benannte Rechtsprechung des EGMR nicht vergleichbare Fälle aus ausländischen Verfahrensordnungen betrifft und hier sichergestellt ist, dass sämtliche fallbezogen relevanten Verhältnisse hinreichend gewürdigt werden. Der Hinweis auf die Urteile des EGMR vom 21. Januar 2011 (Beschw.Nr. 30696/09) und vom 5. April 2011 (Beschw.Nr. 8687/08) verkennt, dass sich das Asylverfahren in Deutschland wesentlich zum Positiven vom dort beanstandeten Asylverfahren bzw. von den Abschiebehaft-Verhältnissen in Griechenland unterscheidet. Entsprechendes gilt für die im Urteil des EGMR vom 26. Juli 2011 (Beschw.Nr. 41416/08) beanstandete Verfahrenspraxis des bulgarischen Obersten Verwaltungsgerichts im Fall von afghanischen Asylbewerbern. Im Hinblick auf das Urteil des EGMR vom Urteil vom 02. Februar 2012 (Beschw.Nr. 9152/09) gilt, dass ein dem dort streitigen französischen Schnellverfahren "procédure prioritaire" vergleichbares Verfahren mit derart kurzen Fristen in Deutschland nicht existiert, so dass es schon deshalb an einer Vergleichbarkeit mangelt. Im Gegenteil sieht auch der EGMR in seiner Rechtsprechung keine generelle Rückkehrgefährdung für Roma aus Kosovo und Serbien (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 15. Mai 2012 - 16567/10 - N. u.a. ./. Schweden, Rn. 86, www.echr.coe.int).

Soweit sich die Klägerin in diesem Zusammenhang auf das Urteil des französischen Cour National du droit d´asile vom 2. November 2011 - Az. 10011958 - beruft, gilt ungeachtet einer fehlenden Bindung an diese ausländische Rechtssprechung in formaler Hinsicht das Folgende:

Der Begründung des Urteils lassen sich bedeutsame neuartige tatsächliche oder rechtliche Grundlagen für die Beurteilung der Gefährdungslage von nach Serbien oder in den Kosovo zurückkehrenden Roma nicht entnehmen (vgl. auch Nds. OVG, Beschluss vom 27. Juni 2012 - 8 LA 119/12 - S. 4). Solche sind auch im Übrigen nicht von der Klägerin benannt. Die abweichende Beurteilung der Gefährdungslage in dem dort zu beurteilenden Fall durch ein ausländisches Gericht, das sich auch nicht explizit mit abweichender Rechtsprechung deutscher oder anderer europäischer Rechtsprechung auseinandergesetzt hat, schränkt die hier bestehende richterliche Würdigung nicht ein. Das würde im Übrigen selbst dann gelten, wenn dies - wie der Bevollmächtigte der Klägerin pauschal behauptet - die generelle Rechtsprechung in einer Vielzahl von Fällen wäre, wofür aber keine belastbaren Erkenntnisse vorliegen.

Ebenso wenig ist substantiiert dargetan oder sonst ersichtlich, dass hier verbindliche Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention oder der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Personen aus dem Kosovo (zur fehlenden Verbindlichkeit vgl. VG Oldenburg, Urteil vom 14. Januar 2011 - 11 A 1449/10 - m.w.N.) nicht beachtet bzw. berücksichtigt werden; was die Richtlinien angeht, ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass für die Klägerin (wegen der Herkunft ihrer Eltern) vorrangig die Gefahrenlage hinsichtlich Serbiens relevant sein dürfte.

Der unionsrechtliche Schutz des Kindeswohls aus Art. 24 Abs. 2 GR-Charta ist im Rahmen der Prüfung nationaler Abschiebungsverbote wie § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG schon nicht zu prüfen; wie oben erwähnt gebietet er zudem keinen (absoluten) Vorrang des Kindeswohls (vgl. Beschluss des Nds. OVG vom 12. Juli 2010 - 8 LA 154/10 -).

Sofern die Klägerin der Sache nach einwendet, sie sei in Serbien vom Zugang zum Schulwesen ausgeschlossen und daher in ihrem Recht auf Bildung nach Art. 2 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK verletzt, begründet dies aus mehreren Gründen kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG.

Selbst bei unterstellter Annahme, die schulische Situation von Romakindern in Serbien oder im Kosovo verletzte Art. 2 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK, führte dies nicht zu einem Abschiebungsverbot (zur gegenteiligen Lageeinschätzung vgl. unten). Denn § 60 Abs. 5 AufenthG verbietet bereits seinem klaren Wortlaut nach die Abschiebung nicht schon immer dann, wenn dem betroffenen Ausländer im Zielstaat eine Verletzung seiner in der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleisteten Rechte droht, sondern nur dann, wenn die Abschiebung selbst gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen würde. Die EMRK verpflichtet gemäß Art. 1 die Vertragsstaaten zuförderst, den ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen selbst die durch die Konvention garantierten Rechte zuzusichern. Ein Vertragsstaat ist dagegen grundsätzlich nicht dafür verantwortlich, wenn ein anderer Staat in seinem Territorium bestimmten Personen bestimmte Rechte aus der Konvention vorenthält. Einen Grundsatz, dass ein Vertragsstaat eine Person nur dann in einen anderen Staat ausliefern oder abschieben darf, wenn er davon überzeugt ist, dass die Bedingungen, die den Betroffenen im Zielland erwarten, in voller Übereinstimmung mit jedem der Schutzrechte der Konvention stehen, enthält die EMRK nach ständiger Rechtsprechung des EGMR nicht (vgl. grundlegend EGMR, Soering ./. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 7. Juli 1989 - 1/1989/161/217 -, Rn. 86, NJW 1990, 2183 [BFH 13.03.1990 - IX R 104/85] <2184>). Eine Ausnahme hiervon hat der EGMR bislang nur anerkannt, wenn die im Zielstaat drohende Menschenrechtsverletzung die besonders grundlegenden Rechte aus Art. 2 oder 3 EMRK (Recht auf Leben bzw. Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) betrifft (vgl. Frowein/ Peukert, EMRK, 3. Aufl., Art. 2 Rn. 10 und Art. 3 Rn. 20 ff., jeweils m.w.N. auf die Rspr. des EGMR). Dagegen ist nicht ersichtlich, dass in der europäischen oder nationalen Rechtsprechung schon jemals ein Abschiebungsverbot aus der EMRK hergeleitet wurde, weil das Recht der betroffenen Person auf Bildung nach Art. 2 des 1. Zusatzprotokolls im Zielstaat nicht gewährleistet war (vgl. schon Urteil des Gerichts vom 26. April 2010 - 11 A 585/10 -). Die Klägerin ist insoweit auf die Möglichkeit zu verweisen, eine Individualbeschwerde nach Artikel 34 EMRK gegen den Vertragsstaat Serbien zu erheben und so ihre Rechte durchzusetzen (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 2004 - 1 C 14.04 - NVwZ 2005, 704, 705). Gleiches gilt im Übrigen für die Rüge, Angehörigen der Volksgruppe der Roma sei in Serbien faktisch der Zugang zu Gerichten (vgl. Art. 6 und 13 EMRK) verwehrt.

In der nationalen Rechtsprechung wurde trotz einer großen Vielzahl entschiedener Fälle - soweit ersichtlich - keine Verfolgung oder Anlass für Gewährung subsidiären Schutzes wegen eines faktischen Ausschlusses vom Schulsystem problematisiert oder bejaht. Die Einzelrichter der Kammer haben eine insoweit befürchtete Gefahr bereits in parallel gelagerten Verfahren verneint (zuletzt: Einzelrichterbeschlüsse vom 8. Juni 2012 - 5 B 3499/12 - und vom 21. Mai 2012 - 5 B 3463712 -). Das (in der Begründungsschrift vom 9. September 2012 zum Beweisantrag zur Schulsituation im Kosovo) zitierte Urteil des VG Stuttgart vom 30. Dezember 2011 - A 11 K 2066/11 - betraf einen iranischen Staatsangehörigen sowie die Weigerung iranischer Stellen, ihm Personalpapiere auszustellen (was ihm u.a. verwehrte, einen Schulabschluss zu erwerben und eine staatliche Schule zu besuchen) und erweist sich als nicht vergleichbar.

Soweit sich die Klägerin diesbezüglich weitergehend auf die Entscheidung des Irish Highcourt vom 10. November 2011 - 2009/955 JR - berufen, gilt Folgendes:

Das Gericht ist schon formal in keiner Weise an diese ausländische Rechtsprechung gebunden. Etwas anderes folgt auch nicht aus unionsrechtlichen Harmonisierungsgeboten (etwa 7. Erwägungsgrund der sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL -) für das Flüchtlingsrecht und subsidiären Schutz, die sich auf Rechtsvorschriften beschränken. Es hat allenfalls bei seiner einzelfallbezogenen Entscheidung zur Kenntnis zu nehmen und zu würdigen, welche Wertungen und auf welcher tatsächlichen wie rechtlichen Grundlage in anderen (ggf. auch bedeutsamen ausländischen) Gerichtsentscheidungen vorgenommen worden sind. Dies ist hier geschehen. Die abweichende Beurteilung der Gefährdungslage in dem dort zu beurteilenden Fall durch ein ausländisches Gericht schränkt die hier bestehende richterliche Würdigung nicht ein. Im Übrigen ist zu beachten, dass sich das irische Gericht auf Serbien bezieht, nicht aber auf den Kosovo.

Auch in der Sache zwingt das Urteil des Irish Highcourt zu keinem anderen Ergebnis. Der High Court hat vielmehr seiner Entscheidung drei Quellen aus dem Jahr 2008 zugrunde gelegt, deren Feststellungen - wie die Diskriminierung beim Zugang zur Grundschule mit der Folge eines Besuchs von weniger als 40% der Roma-Kinder - heute keine Gültigkeit mehr haben. Die serbische Regierung setzt nämlich konsequent ihre am 9. April 2009 beschlossene Strategie zur Verbesserung des Status der Roma durch. Zur Förderung der Roma-Kinder wurden - neben gesetzlichen Regelungen - auch sogenannte "pädagogische Assistenten" eingesetzt, von denen es im Schuljahr 2010/2011 landesweit 177 in Grundschulen gab. Zudem können Kinder benachteiligter Gruppen ohne Nachweis des elterlichen Wohnsitzes oder anderer Dokumente und außerhalb der Einschreibefrist angemeldet werden. 2010 besuchten 89% der Roma-Kinder eine Grundschule (zu allem: Bell, "Serbien: Verfolgung mangels Grundschulzugangs", Einzelentscheiderbrief 3/2012, S. 5 m.w.N.). Keineswegs erweist sich die Auswertung einer Anmerkung des Bundesamtes zu dieser Problematik als zu einseitig, zumal in dieser diverse andere Erkenntnisquellen zitiert und berücksichtigt werden. Die vom Bevollmächtigten der Klägerin benannten Erkenntnismittel (vgl. auch Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung) betreffen im Wesentlichen die Lage in Kosovo; sie sind im Übrigen vom Gericht im Zusammenhang mit anderen in der Erkenntnismittelliste benannten Lageeinschätzungen berücksichtigt und gewürdigt worden.

Auch ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor. Nach ständiger Rechtsprechung des Nds. OVG und des erkennenden Gerichts begründet die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma als solche unter Berücksichtigung aller Erkenntnismittel noch kein Abschiebungsverbot in diesem Sinne. Dies gilt sowohl hinsichtlich des Kosovo (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 24. Mai 2006 - 10 LA 163/05 -; Beschluss vom 24. Oktober 2005 - 8 LA 123/05 -, juris; Beschluss vom 23. Juni 2005 - 8 LA 75/05; VG Oldenburg, Beschluss vom 8. August 2008 - 11 B 2219/08 -; Urteil vom 12. März 2007 - 11 A 4478/06 -, Urteile vom 20. April 2006 - 12 A 4286/04 und 12 A 4300/04 -, Urteil vom 27. März 2006 - 12 A 3777/04 -; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Braunschweig vom 13. Februar 2004; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das BAFl vom 22. März 2005) als auch hinsichtlich Serbien (vgl. VG Oldenburg, Beschluss vom 20. Juni 2011 - 5 B 1319/11 -; Urteil vom 20. September 2010 - 11 A 794/10 -; Urteil vom 26. April 2010 - 11 A 585/10 -). Voraussetzung für ein gegenteiliges Ergebnis wäre angesichts der Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG, dass die Klägerin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rechtsprechung des BVerwG, vgl. z. B. BVerwG, Beschluss vom 14. November 2007 - 10 B 47/07 - juris Rn. 3 m.w.N.). Einer solchen erheblichen Gefährdung wäre die Klägerin jedenfalls bei der realistisch unterstellten gemeinsamen Ausreise mit ihren Familienangehörigen, die über kein gesichertes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügen, weder in Serbien noch im Kosovo ausgesetzt.

Nach den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätzen ist die Gefahr, dass sich eine Erkrankung des Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfen ist (vgl. BVerwG vom 17. Oktober 2006, - 1 C 18.05 - NVwZ 2007, S. 712 f. [BVerwG 17.10.2006 - BVerwG 1 C 18/05]). Maßgeblich hierfür ist die Erwägung, dass der Begriff der Gefahr im Sinne dieser Vorschrift hinsichtlich des Entstehungsgrundes der Gefahr nicht einschränkend auszulegen ist und eine Gefahr für die Rechtsgüter Leib und Leben auch dann vorliegen kann, wenn sie durch die bereits vorhandene Krankheit konstitutionell mitbedingt ist. Erforderlich aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Abs. 1 AufenthG ist danach, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Ein Anwendungsfall des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist auch dann gegeben, wenn im Herkunftsland zwar im Prinzip eine Behandlung der Krankheit möglich ist, die für den betreffenden Ausländer aber individuell (z.B.: aus finanziellen Gründen) nicht zu erlangen ist.

Das Gericht geht bei seiner Beurteilung davon aus, dass eine Rückführung der Klägerin im Familienverband weder im Kosovo noch in Serbien nicht zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt. Ihre Schwerhörigkeit und selbst ein vollständiger Hörverlust sind jeweils auf Landesniveau sowohl in Serbien (vgl. Beschluss des Gerichts vom 5. September 2011 - 5 B 1569/11 - auch VG Gelsenkirchen, Urteil vom 17. Juni 2011 - 7a K 4933/10.A - juris Rn. 20 kurz; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 20. Oktober 2005 - 7 UE 1365/05.A - juris R. 68) als auch im Kosovo (Urteil des Gerichts vom 14. Januar 2011 - 11 A 1449/10 -; VG Augsburg, Urteil vom 16. Dezember 2010 - Au 6 K 10.30303 - juris Rn. 83; VG Ansbach, Urteil vom 27. Mai 2010 - AN 16 K 09.30459 - juris Rn. 25) hinreichend behandelbar bzw. zu versorgen. Bei Erkrankungen wie Innenohrschwerhörigkeit ist das unmittelbare Entstehen einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben nämlich - selbst im Fall einer vollständigen ausbleibenden Behandlung und Versorgung mit Hilfsmitteln - nicht zu befürchten. Ebenso wenig drohen der Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mittelbare derartige Gefahren im Sinne einer alsbaldigen Verelendung. Absehbare Verschlechterungen im Behandlungs- und Versorgungsniveau mit negativen Fernwirkungen auf die allgemeine persönliche, schulische und berufliche Entwicklung reichen für die hier geforderte Gefahrenschwelle nicht aus, auch wenn der Bevollmächtigte der Klägerin dies unter Hinweis auf den verfassungsrechtlichen Schutz der Menschenwürde anders sieht. Am Rande sei darauf hingewiesen, dass die Klägerin bei einer Ausreise im Familienverband nach Serbien oder in den Kosovo von der vorhandenen Hörgeräteversorgung (ggf. auch von einem Cochlear-Implantat, falls sie dies zwischenzeitlich erhalten haben sollte) ebenso profitieren könnte, wie von den auf der Förderschule erlernten Hilfstechniken für Hörgeschädigte.

Speziell für den Kosovo gilt im Übrigen ergänzend zu den Ausführungen im angefochtenen Bescheid: Kinder und Jugendliche im Kosovo, die an Schwerhörigkeit oder Taubheit leiden, werden an einer Grundschule mit einem Zweig für Gehörlose in Pristina und an einer Schule für Gehörlose in der Stadt P. unterrichtet und gefördert. Lehrer der Gehörlosenschule in P. haben an Fortbildungsmaßnahmen in Deutschland teilgenommen (vgl. Botschaftsbericht/Bericht des Deutschen Verbindungsbüros Pristina an Stadt Gelsenkirchen - Ausländerbehörde - vom 13. Dezember 2004).

Für Serbien verweist das Gericht ergänzend auf die zutreffenden Ausführungen über vorhandene medizinische Versorgung allgemein und speziell für Hörgeschädigte sowie schulische Angebote für Hör- und Sprachgeschädigte auf (dem hier maßgeblichen) Landesniveau in den Schriftsätzen des Bundesamtes vom 24. Juli 2012.

Da schon keine geänderte Einschätzung zur streitigen Gefahrenlage nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bezüglich Serbiens oder des Kosovo besteht, erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit der Argumentation, es gebe in der deutschen Rechtsordnung eine Verpflichtung, Nachfahren der Opfer des nationalsozialistischen Völkermordes statusrechtlich zu privilegieren.

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 154 Abs. 1, 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO, 83b AsylVfG.