Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 22.04.2008, Az.: L 1 R 6/08
Anspruch auf Feststellung einer Beschäftigungszeit als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (sowie der in dieser Zeit erzielten Arbeitsentgelte) nach der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG); Anerkennung einer ingenieurtechnischen Tätigkeit in der DDR als Ingenieur oder Techniker i.S.d. Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" (VO Ingenieur vom 12. April 1962)
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 22.04.2008
- Aktenzeichen
- L 1 R 6/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 33578
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2008:0422.L1R6.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Braunschweig - 23.11.2007 - AZ: S 13 RA 222/04
Rechtsgrundlage
- § 1 Abs. 1 S. 1 AAÜG
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Feststellung der Beschäftigungszeit vom 1. Januar 1969 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (sowie der in dieser Zeit erzielten Arbeitsentgelte) nach der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG).
Der Kläger ist im August 1940 in der ehemaligen DDR geboren und hat dort sein Berufsleben. Nach einem Studium der Chemie (Karl-Marx-Universität in E.) den Abschluss des Diplom-Chemikers erworben (1964; später Promotion 1968) und war in der ehemaligen DDR beschäftigt als
01.01.1969 bis 31.03.1972: wissenschaftlich-technischer Leiter bei der Firma F. KG (mit staatlicher Beteiligung),
01.04.1972 bis 30.06.1990: Leiter Umprofilierung der Produktion in dem VEB Chemisches Werk G ...
Im Mai 2003 stellte der Kläger bei der Beklagten Antrag auf Altersrente für langjährig Versicherte wegen Vollendung des 63. Lebensjahres mit Beginn zum 1. September 2003, die antragsgemäß bewilligt wurde (bestandskräftiger Bescheid vom 6. August 2003).
Ebenfalls im Mai 2003 stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag auf Feststellung des streitigen Zeitraums als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz nach der Anlage 1 zum AAÜG.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 10. Juni 2003 mit der Begründung ab, dass der Kläger, dem zu Zeiten der ehemaligen DDR eine positive Versorgungszusage (Anwartschaft) nicht erteilt worden war, mit seiner Qualifikation als Diplom-Chemiker nicht den Titel eines Ingenieurs oder Technikers im Sinne der Versorgungsordnung innegehabt habe und daher nicht in den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 AAÜG falle.
Der Kläger erhob Widerspruch und machte geltend, dass er im streitigen Zeitraum stets in einem volkseigenen bzw. gleichgestellten Betrieb gearbeitet und dabei durchgängig eine ingenieurtechnische bzw. leitende Tätigkeit ausgeübt habe. Dann aber sei er vom Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 AAÜG erfasst. Dies gelte auch nach Sinn und Zweck der seinerzeitigen Versorgungsordnung, die bezweckt habe, solche Personen in den Kreis der technischen Intelligenz einzubeziehen, die durch ihre Arbeit bedeutenden Einfluss auf den Produktionsprozess der Volkswirtschaft ausgeübt hätten. Zur Glaubhaftmachung legte der Kläger zahlreiche Unterlagen vor.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2004 mit der Begründung zurück, dass ein Diplom-Chemiker nicht berechtigter Inhaber eines Titels der maßgeblichen Versorgungsordnung gewesen und dies auch in mehreren Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) ausdrücklich festgestellt worden sei.
Mit seiner hiergegen am 6. Juli 2004 vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig erhobenen Klage hat der Kläger ergänzend geltend macht, dass er nicht nur in seiner tatsächlichen Beschäftigung stets die Merkmale einer ingenieurtechnischen Tätigkeit erfüllt habe, sondern vielmehr der Beruf des Diplom-Ingenieurs auch nach der in der damaligen DDR geübten Rechtspraxis zu den Ingenieuren gezählt habe. Dies ergebe sich insbesondere aus der im November 1950 veröffentlichten "Systematik der Berufe", herausgegeben vom verantwortlichen Ministerium für Arbeit unter federführender Mitarbeit des Ministeriums für Finanzen. Soweit die Urteile des BSG zu einer gegenteiligen Entscheidung gekommen seien, habe dort diese "Systematik der Berufe" nicht vorgelegen. Zur Glaubhaftmachung hat der Kläger weitere Unterlagen vorgelegt.
Die Beklagte hat vor dem SG erwidert, dass es nach der Rechtsprechung des BSG auf den Wortlaut der Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz (2. DB) ankomme und darin der Diplom-Chemiker nicht erfasst sei. Ergänzend werde mitgeteilt, dass inzwischen das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde einer Diplom-Chemikerin nicht zur Entscheidung angenommen habe (Beschluss aus dem Jahre 2004).
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 23. November 2007 abgewiesen und zur Begründung im Einzelnen ausgeführt, dass der Kläger nicht in den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG falle. Ergänzend zur zitierten Rechtsprechung des BSG hat das SG ausgeführt, dass die vom Kläger in Bezug genommene "Systematik der Berufe" keine abweichende Einschätzung rechtfertige, da die Zweite Durchführungsbestimmung und die Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" (VO Ingenieur vom 12. April 1962) nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen (wird zitiert) als speziellere Regelung der "Systematik der Berufe" vorgehe.
Gegen das ihm am 5. Dezember 2007 zugestellte Urteil richtet sich die am 3. Januar 2008 eingelegte Berufung, mit der der Kläger ergänzend geltend macht, dass die vom SG in Bezug genommene Rechtsprechung des BSG über zahlreiche Unterlagen zur seinerzeitigen Berufsordnung der ehemaligen DDR nicht verfügt habe und diese nunmehr erstmals zu würdigen seien.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 23. November 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2004 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, die Beschäftigungszeit vom 1. Januar 1969 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz sowie die zugehörigen Arbeitsentgelte festzustellen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide als zutreffend, bezieht sich zur Begründung ergänzend auf das Urteil des SG und führt darüber hinaus aus, dass das Bundesverfassungsgericht - in dem Beschluss über die Nicht-Annahme der Verfassungsbeschwerde einer Diplom-Chemikerin - die Rechtsanwendungspraxis des BSG und der Instanzgerichte zur ausschließlichen Orientierung am Wortlaut der maßgeblichen Vorschriften der ehemaligen DDR nicht beanstandet habe.
Der erkennende Senat hat die Beteiligten, insbesondere auch den Kläger, mit Verfügung vom 5. Februar 2008 darauf hingewiesen, dass der erkennende Senat in seinem jüngsten einschlägigen Urteil vom 25. Januar 2007 (L 1 R 13/06) unter Zurückweisung der Berufung eines früheren Diplom-Chemikers zwar die Revision zugelassen habe, um dem BSG Gelegenheit zur Überprüfung der bisherigen Rechtsprechung zu geben, das BSG jedoch mit zugehöriger Entscheidung vom 18. Oktober 2007 (B 4 RS 25/07 R) an seiner Rechtsprechung der Nicht-Einbeziehung der Diplom-Chemiker in den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG festgehalten habe. Der erkennende Senat beabsichtige daher, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand von Beratung und Entscheidung gewesen.
II.
Der Senat konnte die Berufung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückweisen, da er sie einstimmig für unbegründet, eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält und die Beteiligten vorher hierzu angehört hat. Ein - vom Kläger beantragtes - Ruhen des Verfahrens ist ausgeschlossen, da die Beklagte nicht zugestimmt hat.
Die gemäß §§ 143 ff SGG statthafte und zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung des streitigen Zeitraumes als Zeit der Zugehörigkeit des zusätzlichen Altersversorgungssystems der technischen Intelligenz. Weder das Urteil des SG noch die Bescheide der Beklagten sind zu beanstanden.
Das SG hat die maßgeblichen Rechtsgrundlagen herangezogen, insbesondere § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG, richtig angewendet, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des - hierfür ausschließlich zuständigen - 4. Senats des BSG, die vorliegenden Unterlagen überzeugend gewürdigt und ist nach alledem zu dem richtigen Ergebnis gelangt, dass der Kläger als Diplom-Chemiker nicht die sogenannte persönliche Voraussetzung der Einbeziehung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG erfüllt. Wegen der Einzelheiten der Begründung nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des Urteils des SG Bezug und sieht insoweit von einer abermaligen Darstellung ab.
Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Urteil des erkennenden Senats vom 25. Januar 2007 (Revisionszulassung zum Zwecke der Überprüfung der Rechtsprechung des BSG zum Diplom-Chemiker) vom BSG ausdrücklich bestätigt und eine Einbeziehung des Diplom-Chemikers in den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz AAÜG auch weiterhin abgelehnt wurde. Zur Begründung hat das BSG in seinem Urteil vom 18. Oktober 2007 u.a. ausgeführt, dass der dortige Senat auch nach nochmaliger Sachprüfung bei der von ihm zu dieser Frage vertretenen Rechtsauffassung bleibe, wonach die Berufsgruppe der Diplom-Chemiker nicht zugleich einer der Berufsgruppen der Konstrukteure, Architekten, Techniker und insbesondere auch nicht den Ingenieuren im Sinne des § 1 Abs. 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung zuzurechnen sei. Zwar habe das BSG in einer früheren Entscheidung aus dem Jahre 1998 die Diplom-Chemiker zu dem dort genannten versorgungsberechtigten Personenkreis gezählt. Erstmals mit Urteil aus 2001 habe das BSG diese Rechtsprechung aber aufgegeben und nunmehr ausschließlich an die Texte der in den Anlagen 1 und 2 zum AAÜG aufgelisteten und damit insoweit als bundesrechtlich relevant anerkannten Versorgungsordnungen angeknüpft. Hieran habe der Senat in weiteren Entscheidungen festgehalten, und dabei zwar die Berufsgruppen der Ingenieure und Techniker, nicht jedoch die Diplom-Chemiker und andere Naturwissenschaftler wie z.B. die Diplom-Physiker in den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG für einbezogen gehalten. Das Bundesverfassungsgericht habe entsprechende Verfassungsbeschwerden eines Diplom-Chemikers und eines Diplom-Physikers mit Entscheidungen aus dem Jahre 2004 nicht zur Entscheidung angenommen. Dabei habe das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf die Auslegung und Anwendung der Regelungen des AAÜG in Verbindung mit der Versorgungsordnung der technischen Intelligenz und der Zweiten Durchführungsbestimmung, wie sie vom 4. Senat des BSG vorgenommen worden sei, eine Verletzung der Grundrechte der jeweiligen Kläger verneint.
Aufgrund der vorstehenden Rechtsprechung, der sich der erkennende Senat anschließt, kann auch der vorliegend in Rede stehende Kläger als Diplom-Chemiker nicht die Einbeziehung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG erfolgreich geltend machen.
Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 193 Abs. 1 SGG zurückzuweisen.
Es hat kein gesetzlicher Grund gemäß § 160 Abs. 2 SGG vorgelegen, die Revision zuzulassen.