Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 19.05.2006, Az.: 10 WF 466/05
Maßgeblichkeit von Sozialleistungen beim Streitwert für eine Ehesache; Berücksichtigung von Umfang und Bedeutung der Sache und der Einkommen sowie Vermögensverhältnisse der Parteien für die Wertfestsetzung eines Scheidungsverfahrens; Berechnung des Beschwerdewertes auf Grundlage der Wahlanwaltsgebühren
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 19.05.2006
- Aktenzeichen
- 10 WF 466/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 19052
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2006:0519.10WF466.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hannover - 25.11.2005 - AZ: 615 F 439/05
Rechtsgrundlagen
- § 32 Abs. 2 RVG
- § 48 Abs. 3 S. 1 GKG
- § 68 Abs. 1 S. 1 GKG
Fundstellen
- FamRZ 2006, 1690-1691 (Volltext mit amtl. LS)
- FuR 2006, 423-424 (Volltext mit amtl. LS)
- OLGReport Gerichtsort 2006, 832-833
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Bezogene Sozialleistungen wie Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II gehören nicht zum für die Streitwertbestimmung nach § 48 Abs. 3 Satz 1 GKG maßgeblichen "Nettoeinkommen".
- 2.
Die Wertfestsetzung mit dem Mindestwert gem. § 48 Abs. 3 Satz 2 GKG ist durch die Rechtsprechung des BVerfG (Beschl. v. 23. August 2005 - 1 BvR 46/05 - AnwBl. 2005, 651) jedenfalls dann nicht ausgeschlossen, wenn sich im konkreten Fall das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Eheleute auf weniger als 2.000 EUR beläuft.
In der Familiensache
hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle
auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers vom 15. Dezember 2005
gegen den Streitwertbeschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 25. November 2005
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ... sowie
der Richter am Oberlandesgericht ... und ...
am 19. Mai 2006
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers gegen den Streitwertbeschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 25. November 2005 wird zurückgewiesen.
Die Beschwerdeentscheidung ergeht kostenfrei; Auslagen werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).
Gründe
I.
Im vorliegenden Scheidungsverfahren ist beiden Parteien Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten bewilligt worden; beide Parteien bezogen (nicht nur) bei Einleitung des Verfahrens nach den von ihnen selbst vorgelegten Bescheiden ausschließlich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Mit Beschluß vom 25. November 2005 hat das Amtsgericht den Streitwert auf insgesamt 3.000 EUR - für die Scheidung 2.000 EUR, für die (einzige) Folgesache Versorgungsausgleich 1.000 EUR - festgesetzt.
Gegen diese Streitwertfestsetzung richtet sich die am 15. Dezember 2005 eingelegte Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers, die eine Streitwertfestsetzung "auf mindestens 4.500 EUR" erstreben. Zur Begründung machen sie geltend, nach der vom Antragsteller bezogenen Leistung nach dem SGB II von monatlich 629,80 EUR sowie einer solchen der Antragsgegnerin in entsprechender Höhe ergebe sich für die Scheidung als Wert des dreifachen Monatseinkommens der Parteien ein Betrag von über 3.775 EUR. Im übrigen sei die Festsetzung mit dem Mindestwert aus § 48 Abs. 3 Satz 2 GKG nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes unzulässig.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde durch Beschluß vom 22. Dezember 2005 - mit ausführlicher Begründung - nicht abgeholfen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1.
Die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers ist nach §§ 32 Abs. 2 RVG, 68 Abs. 1 GKG zulässig; sie erreicht insbesondere auch den Beschwerdewert nach § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG, da insoweit die Differenz maßgeblich ist, die sich zwischen den Berechnungen auf Grundlage der Wahlanwaltsgebühren, nicht lediglich der aus der Staatskasse zu vergütenden Gebühren des beigeordneten Anwalts ergeben (vgl. Riedel/Süßbauer9Fraunholz, RVG § 32 Rdnr. 28; Meyer, GKG7 § 68 Rdnr. 10; - jeweils m.w.N. aus der obergerichtlichen Rechtsprechung; Hartmann, Kostengesetze34, RVG § 32 Rdnr. 17).
2.
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
Uneingeschränkt zutreffend hat das Amtsgericht - wie in dem Nichtabhilfebeschluß vom 22. Dezember 2005 im einzelnen ausgeführt - auch unter Berücksichtigung von Umfang und Bedeutung der Sache und der Einkommens wie Vermögensverhältnisse der Parteien für die Ehescheidung keinen höheren Streitwert als den Mindestbetrag von 2.000 EUR gemäß § 48 Abs. 3 Satz 2 GKG festgesetzt.
Bei der Wertfestsetzung für ein Scheidungsverfahren ist gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 GKG zwar von dem in drei Monaten erzielten Nettoeinkommen der Eheleute auszugehen. Zum "Nettoeinkommen" gehören jedoch keine staatlichen Sozialleistungen wie die von beiden Parteien bezogene Sozialhilfe (ebenso die h. M.; vgl. z. B. OLG Karlsruhe FamRZ 2002, 1135 [OLG Karlsruhe 14.12.2001 - 5 Wf 190/01]; OLG Brandenburg FamRZ 2003, 1676 [OLG Brandenburg 24.03.2003 - 9 WF 21/03]; OLG Dresden FamRZ 2004, 1225 [OLG Dresden 20.11.2003 - 10 WF 745/03]; Zöller25Herget, ZPO § 3, Rn. 16, Stichwort Ehesachen; Madert/MüllerRabe, Kostenhandbuch Familiensachen, Abschnitt B, Rn. 16; a.A. Hartmann, Kostengesetze34, GKG § 48 Rdnr. 38) oder Arbeitslosengeld II (vgl. ZöllerHerget, a.a.O.). Denn das Gesetz knüpft hinsichtlich der Gebührenberechnung mit der Bezugnahme auf das Einkommen (und das Vermögen) der Eheleute ersichtlich an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Eheleute an. Diese individuelle Belastbarkeit wird aber nicht durch Sozialleistungen bestimmt. Vielmehr sind diese staatlichen Zuwendungen gerade Ausdruck fehlender eigener Mittel der Empfänger.
Eine Festsetzung des Streitwertes für das Scheidungsverfahren auf den Mindestwert nach § 48 Abs. 3 Satz 1 GKG ist auch nicht etwa durch die jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ausgeschlossen. Entgegen einem auch in mehreren Parallelverfahren zum Ausdruck kommenden offenbaren Fehlverständnis verschiedener Anwälte verhält sich der insofern in Berufung genommene Beschluß der 3. Kammer des Ersten Senates (Beschl. v. 23. August 2005 - 1 BvR 46/05 - AnwBl. 2005, 651) ausschließlich zu der Frage, ob - wie im dortigen Ausgangsfall geschehen - eine Streitwertfestsetzung für das Scheidungsverfahren mit dem Mindestbetrag von 2.000 EUR allein auf die Tatsache beiderseitiger Inanspruchnahme von Prozeßkostenhilfe gestützt werden kann bzw. in derartigen Fällen - wie in einzelnen Entscheidungen anderer Gerichte angenommen - sogar eine höhere Streitwertfestsetzung ausgeschlossen ist. Die Festsetzung mit dem Mindeststreitwert nach § 48 Abs. 3 Satz 2 GKG bleibt davon aber in denjenigen Fällen unbenommen, in denen sich wie vorliegend nach den Regeln des § 48 Abs. 3 Satz 1 GKG kein höherer Streitwert ergibt.