Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 18.05.2006, Az.: 5 U 36/06
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 18.05.2006
- Aktenzeichen
- 5 U 36/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 42149
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2006:0518.5U36.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Bückeburg - AZ: 2 O 186/05
In dem Rechtsstreit
...
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 3. Mai 2006
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 26. Januar 2006 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer/Einzelrichterin des Landgerichts Bückeburg wird zurückgewiesen.
Dem Kläger fallen die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um Schmerzensgeld und Feststellung einer Schadensersatzpflicht nach einem Unfall vom 9. Dezember 2003.
Der damals fünfjährige Kläger hielt sich in einer Kindertagesstätte auf, die die Beklagte leitet. Am 9. Dezember 2003 spielte er mit anderen Kindern unter Aufsicht einer Erzieherin in der Turnhalle der Einrichtung. Als die Beklagte mit einer Kanne heißen Tees an der offenen Turnhallentür vorbei ging, bemerkte sie ein anderes Kind, das auf einer Rutsche saß und herabzufallen drohte. Sie leistete diesem Kind Hilfestellung und hielt dabei in der Hand noch die Glaskanne mit Tee ob zum persönlichen Verzehr oder für die Mitarbeiter bereitet, ist zwischen den Parteien streitig. Der Kläger sprang nun aus einem Spieltunnel in unmittelbarer Nähe der Beklagten hoch und stieß dabei gegen die Glaskanne, die zerbrach. Der Kläger erlitt durch die heiße Flüssigkeit erhebliche Verbrennungen an Hals und Rücken. Nachfolgend bildeten sich in großem Umfang Nekrosen, die Hauttransplantationen erforderlich machten.
Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil (Bl. 64 ff.) Bezug genommen.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 2. Februar 2004 zu zahlen und
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall vom 9. Dezember 2003 in der Turnhalle der Evangelischen Kindertagesstätte "A. N." in B. zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergehen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, ihre Haftung sei gemäß §§ 104 ff. SGB VII ausgeschlossen. Sie meint weiter, der Kläger müsse sich ein Mitverschulden der ihn behandelnden Ärzte zu rechnen lassen. Diese hätten die sich bildenden Nekrosen nicht rechtzeitig erkannt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Eine Haftung der Beklagten sei gemäß § 105 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen, denn bei ihrer Tätigkeit habe es sich um eine betriebliche gehandelt.
Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil (Bl. 64 ff.) Bezug genommen.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er seinen erstinstanzlichen Klagantrag in vollem Umfang weiterverfolgt. Er meint, die Tätigkeit der Beklagten sei nicht mehr als eine betriebliche anzusehen, sondern als eigenwirtschaftliche, sodass kein Arbeitsunfall i. S. d. § 7 Abs. 1 SGB VII anzunehmen sei und ein Haftungsausschluss gemäß § 105 Abs. 1 SGB VII für die Beklagte nicht greife.
Der Kläger beantragt,
1. unter Abänderung des am 26. Januar 2006 verkündeten Urteils des Landgerichts Bückeburg, Aktenzeichen: 2 O 186/05, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 2. Februar 2004 zu zahlen;
2. unter Abänderung des verkündeten Urteils des Landgerichts festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall vom 9. Dezember 2003 in der Turnhalle der Evangelischen Kindertagesstätte "A. N." in B. zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergehen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Schriftsätze und Anlagen der Parteien Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Das Landgericht hat richtig entschieden. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch nicht zu, denn ihre Haftung aus dem Unfall vom 9. Dezember 2003 ist gemäß § 105 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen.
1. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass es sich bei der Tätigkeit der Beklagten um eine betriebliche im Sinne dieser Vorschrift handelt. Die betriebliche Tätigkeit ist zu unterscheiden von der privaten Sphäre. Der Begriff der betrieblichen Tätigkeit ist weit auszulegen. Entsprechendes gilt für die "schulbezogene", bzw. hier "kindergartenbezogene" Tätigkeit (Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 15. Aufl., Kap. 80, Rdnr. 138). "Betrieblich" ist sie, wenn sie dem Schädiger von dem Betrieb oder für den Betrieb übertragen war oder im Betriebsinteresse ausgeführt wurde. Der Begriff schließt auch betriebsbezogene und den Betriebsinteressen dienende Tätigkeiten ein, zu denen der Schädiger zwar nicht beauftragt, aber befugt ist (vgl. Kolb in Geigel, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl., Kap. 31 § 104 Rn. 101 m. w. N.). Diese Voraussetzungen sind für das Handeln der Beklagten zu bejahen und zwar nach Auffassung des Senats selbst dann, wenn sie den Tee zum ausschließlich eigenen Verbrauch gebrüht haben sollte. Das Unfallereignis steht nämlich in untrennbarem Zusammenhang mit der Hilfestellung der Beklagten, die sie dem Kind angedeihen lassen wollte, dass von der Rutsche drohte abzustürzen. Der Senat neigt im Übrigen dazu, eine betriebliche Tätigkeit auch dann anzunehmen, wenn der Unfall "schlicht" bei dem Teekochen für die Beklagte allein, also ohne die Notwendigkeit, einem anderen Kind zu helfen, entstanden wäre. Der Zweck der Haftungsfreistellung auch für Schulen und Kindergärten, den "Schulfrieden" nicht durch gegenseitige Ansprüche zu stören (vgl. Wussow, a. a. O., Kap. 80. Rdnr. 1588), würde sonst konterkariert (vgl. auch OLG München VersR 1988, 1057 [OLG München 04.03.1988 - 1 W 840/88]: Haftungsausschluss gegenüber einem Lehrer, der mit einem Stück Kreide nach einem Schüler wirft und ihn dabei fahrlässig verletzt). Der Gesetzgeber hat "sehenden Auges" Ansprüche des Geschädigten gegen den Verursacher und insbesondere Schmerzensgeldansprüche ausgeschlossen, wenn es sich um einen Unfall bei einer "betrieblichen Tätigkeit" handelt.
Die von dem Kläger zitierte Rechtsprechung steht dem nicht entgegen, denn dabei handelt es sich um Entscheidungen zu der Frage, ob ein Betriebsunfall auf Seiten des Geschädigten vorliegt. Diese Frage ist im vorliegenden Fall zu bejahen.
2. Die Beklagte ist auch als Leiterin des Kindergartens "in "demselben Betrieb" tätig (vgl. BGH VersR 1980, 43).
3. Anhaltspunkte für ein auch nur bedingt vorsätzliches Verhalten liegen nicht vor und werden von dem Kläger auch nicht geltend gemacht.
Da das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen eine Haftung der Beklagten wegen des Haftungsausschlusses gemäß § 105 SGB VII zu Recht abgewiesen hat, war die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, §§ 711, 709 Satz 2 ZPO.
Wegen der Bedeutung der Frage, ob eine betriebliche Tätigkeit auch dann anzunehmen ist, wenn sie mit Tätigkeiten im Eigeninteresse verbunden wird, hat der Senat die Revision zugelassen, § 543 ZPO.