Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 10.03.2016, Az.: 10 WF 75/16

Einbeziehung von Sozialleistungen bei der Berechnung des Verfahrenswerts eines Scheidungsverbundverfahrens

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
10.03.2016
Aktenzeichen
10 WF 75/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 13675
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2016:0310.10WF75.16.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - AZ: 620 F 1385/15

Fundstellen

  • FF 2016, 264
  • FamRZ 2016, 1301
  • MDR 2016, 1025-1026

Amtlicher Leitsatz

Bezogene Sozialleistungen wie Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II gehören nicht zum für die Verfahrenswertbestimmung nach § 43 Abs. 2 FamGKG maßgeblichen "Nettoeinkommen" (Festhaltung an ständiger Senatsrechtsprechung insbesondere seit Beschluß vom 19. Mai 2006 - 10 WF 466/05 - FamRZ 2006, 1690 f. = OLGR Celle 2006, 832 f. = juris).

Tenor:

Die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers gegen die Festsetzung des erstinstanzlichen Verfahrenswertes wird zurückgewiesen.

Gründe

1. Die innerhalb der Frist der §§ 59 Abs. 1 Satz 3, 55 Abs. 3 Satz 2 FamGKG eingelegte Beschwerde der gem. § 32 Abs. 2 RVG selbst beschwerdebefugten Verfahrensbevollmächtigten, die eine Änderung der Festsetzung des Verfahrenswertes durch das Amtsgericht von 5.552,64 € auf 7.916,64 € erstrebt, ist zulässig. Insbesondere übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes - hier die Differenz der Wahlanwaltsgebühren entsprechend der beiden Verfahrenswerte von (1.380,40 € - 1.076,95 € =) 303,45 € - den Betrag von 200 € (§ 59 Abs. 1 Satz 1 FamGKG).

2. Es kann jedoch in der Sache keinen Erfolg haben, wenn die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers eine Erhöhung des Verfahrenswertes darauf stützten will, daß auch der monatliche SGB II-Bezug der Antragsgegnerin in Höhe von rund 715 € bei der Bemessung des Verfahrenswertes zu berücksichtigen sei. Dazu beruft sie sich - ohne jegliche inhaltliche Auseinandersetzung - lediglich auf einzelne obergerichtliche Entscheidungen in dem von ihr vertretenen Sinne.

Zutreffend hat das Amtsgericht bei der Bemessung des Verfahrenswertes des vorliegenden Scheidungsverbundverfahrens den Wert für die Ehesache gemäß § 43 FamGKG bestimmt. Es hat dafür die Einkommensverhältnisse - wie in § 43 Abs. 2 FamGKG angeordnet - nach dem in drei Monaten erzielten Nettoeinkommen der Beteiligten beurteilt und dabei in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senates (vgl. etwa nur Senatsbeschlüsse vom 19. Mai 2006 - 10 WF 466/05 - FamRZ 2006, 1690 f. = OLGR Celle 2006, 832 f. = juris, vom 8. April 2010 - 10 WF 112/10 - juris sowie vom 8. Juni 2011 - 10 WF 39/11 - BeckRS 2011, 27419) von der Ehefrau erzieltes Transfereinkommen nicht berücksichtigt.

Dieses Verständnis des Begriffes "Nettoeinkommen" ist zwar nicht unumstritten, ist aber aus verfahrensrechtlichen Gründen einer höchstrichterlichen Klärung nicht zugänglich und entspricht der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung wie Schrifttum. Der Senat sieht auch im Streitfall keinen Anlaß zu einer Änderung seiner auf der Grundlage umfassender Begründung gefestigt vertretenen Beurteilung.

Dafür ist nicht zuletzt wesentlich, daß nach ausdrücklicher Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die vorliegend vertretene Auslegung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschluß vom 22.2.2006 - 1 BvR 144/06 - NJW 2006, 1581 f.). Berücksichtigt man weiter, daß nach nicht lange davor ergangener Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits eine unzutreffende Auslegung der hier maßgeblichen gebührenrechtlichen Norm einen Eingriff in die grundrechtlich geschütztes Berufsausübungsfreiheit des Rechtsanwaltes darstellt (BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschluß vom 23.8.2005 - 1 BvR 46/05 - NJW 2005, 2980 f.), muß die erstgenannte Verfassungsgerichtsentscheidung sogar weitergehend bedeuten, daß (nur) die hier vertretene Auffassung inhaltlich zutreffend sein kann.

Schließlich hat der Gesetzgeber - in Kenntnis sowohl des insofern bestehenden Streits wie auch der dabei überwiegend vertretenen Auffassung - weder im Rahmen der Einführung des FamGKG noch anläßlich dessen späterer Änderungen - insbesondere der Anhebung des Mindestwertes in § 43 Abs. 1 Satz 2 FamGKG - eine Notwendigkeit gesehen, den Begriff des Nettoeinkommens in § 43 Abs. 2 FamGKG in einem anderen Sinne festzulegen. Vielmehr spricht gerade der zum 1. August 2013 angehobene Mindestwert von 3.000 € durchgreifend gegen ein Verständnis, das auch reine Transferleistungen als "Nettoeinkommen" verstehen will: Da die Ehegatten innerhalb der drei Monate vor Einreichung des Scheidungsantrages dauerhaft getrennt leben müssen und sich der sozialhilferechtliche Bedarf eines Erwachsenen auf jedenfalls rund 700 € beläuft, ergäbe sich bereits bei beiderseitigem ausschließlichen Bezug beachtlicher Transferleistungen jedenfalls ein Wert von (2 * 3 * 700 € =) 4.200 €.

3. Insofern spielt es auch keine weitere entscheidende Rolle mehr, daß die Antragsgegnerin tatsächlich ohnehin nicht in dem behaupteten Umfang Transferleistungen bezogen hat. Aus den mit ihrem VKH-Gesuch überreichten SGB II-Bescheid ergibt sich vielmehr, daß sie im maßgeblichen Zeitraum unter Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen des Ehemannes für sie und den gemeinsamen Sohn sowie des Bezuges von Kindergeld (monatlich zusammen 847 €) noch SGB II-Leistungen in Höhe von 426,48 € für sich und weiterer 46,42 € für den Sohn bezogen hat.