Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 29.05.2006, Az.: 18 W 2/06
Wirksamkeit einer Vaterschaftsanerkennung; Gewöhnlicher Aufenthalt eines Kindes als Kriterium für die Festlegung des anzuwendenden Rechts; Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 29.05.2006
- Aktenzeichen
- 18 W 2/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 33303
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2006:0529.18W2.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Verden - 19.12.2005 - AZ: 2 T 273/04
Rechtsgrundlagen
- Art. 19 Abs. 1 S. 1 EGBGB
- § 1595 Abs. 1 BGB
- § 1597 Abs. 1 BGB
Fundstelle
- StAZ 2007, 82-83 (Volltext mit amtl. LS)
In dem Personenstandsverfahren
...
hat der 18. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht .......und
die Richterinnen am Oberlandesgericht .......und .......
am 29. Mai 2006
beschlossen:
Tenor:
- I.
Die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 19. Dezember 2005 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
- II.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
- III.
Der Antragstellerin wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und ihr Rechtsanwalt .......in .......zu ihrer Vertretung beigeordnet.
Gründe
I.
Die Beteiligte zu 1 und der Beteiligte zu 5, beide vietnamesische Staatsangehörige, waren verheiratet. Ihre Ehe wurde durch seit dem 11. November 2003 rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts .......geschieden. Die Beteiligte zu 1 ist die Mutter des am 15. Februar 2004 geborenen Mädchens ........ Bereits am 20. November 2003 hatte der Beteiligte zu 4, der deutscher Staatsangehöriger ist, vor dem Jugendamt .......die Vaterschaft zu dem bzw. den noch nicht geborenen und voraussichtlich am 17. Februar 2004 erwarteten Kinde bzw. Kindern der Beteiligten zu 1 anerkannt. Diese hatte am selben Tage vor dem Jugendamt ....... ihre Zustimmung zu dieser Anerkennung erteilt. Mit der Geburtsanzeige des Krankenhauses vom 17. Februar 2004 wurden dem Standesbeamten der Stadt ......., dem Beteiligten zu 2, beglaubigte Abschriften der Vaterschaftsanerkennung und der Zustimmungserklärung vorgelegt.
Der Beteiligte zu 2, der Zweifel an der Richtigkeit des Vaterschaftsanerkenntnisses hegte und eine "Scheinvaterschaft" vermutete, hat die Sache dem Amtsgericht zur Entscheidung vorgelegt, ob der Beteiligte zu 5 nach vietnamesischem Recht als Vater des Kindes im Geburtenbuch einzutragen sei. Die Beteiligte zu 1 hat dagegen beantragt, den Standesbeamten anzuweisen, den Beteiligten zu 4 als Vater einzutragen.
Durch Beschluss vom 06. August 2004 hat das Amtsgericht den Beteiligten zu 2 angehalten, den Beteiligten zu 5 als Vater in das Geburtenbuch einzutragen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des Beschlusses Bezug genommen.
Gegen diese Entscheidung hat die Beteiligte zu 1 sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren weiter verfolgt hat.
Unter dem 19. Dezember 2005 hat das Landgericht die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, für die Klärung der Abstammungsfrage sei nach Art. 19 Abs.1 Satz 1 EGBGB) deutsches Recht anwendbar, weil das Kind in .......geboren sei und dort bei seiner Mutter, der Beteiligten zu 1, lebe. Nach deutschem Recht komme der Beteiligte zu 5 als (vermuteter) Vater nicht in Betracht, da bei Geburt des Kindes die Ehe der Beteiligten zu 1 und 5 bereits geschieden gewesen sei. Es bliebe mit Rücksicht auf sein Vaterschaftsanerkenntnis der Beteiligte zu 4 als Vater übrig. Nach Art. 19 Abs.1 Satz 2 EGBGB sei auch vietnamesisches Recht anzuwenden, nach dem ein - wie im vorliegenden Fall - während der Ehe empfangenes Kind als eheliches Kind der beiden Ehegatten gilt. Danach gelte der Beteiligte zu 5 als Vater des Kindes. Beide Anknüpfungsmöglichkeiten für die Vaterschaft stünden im Verhältnis gleichrangiger Alternativität, wobei sich die Auswahl der Alternative nach dem Günstigkeitsprinzip bestimme. Für das Wohl des Kindes günstiger sei in diesem Zusammenhang diejenige Rechtsordnung, die dem Kind zuerst zu einem Vater verhelfe. Im vorliegenden Fall führe dies zur Anwendung des vietnamesischen Rechts, da dieses dem Kind den Beteiligten zu 5 bereits im Zeitpunkt der Geburt als (vermuteten) Vater zuordnet, während das Vaterschaftsanerkenntnis des Beteiligten zu 4 nach deutschem Recht erst durch die später erfolgte Übersendung der Anerkenntnis- und Zustimmungsurkunden an das Standesamt Wirksamkeit entfaltet habe.
Die Beteiligte zu 1 hat gegen die landgerichtliche Entscheidung sofortige weitere Beschwerde eingelegt, mit der sie die Eintragung des Beteiligten zu 4 als Vater ihres Kindes weiter verfolgt. Sie rügt, das Landgericht habe zu Unrecht die Wirksamkeit des Vaterschaftsanerkenntnisses im Zeitpunkt der Geburt verneint. Die Übersendung der Anerkennungsurkunden sei keine Wirksamkeitsvoraussetzung; ihr komme eine rein verfahrensrechtliche Bedeutung zu. Außerdem habe das Landgericht das Konkurrenzverhältnis betreffend Art. 19 Abs.1 Satz 1 und 2 EGBGB falsch gesehen. Welches Recht für das Kind am günstigsten sei bestimme sich unabhängig von der zeitlichen Abfolge danach, welcher der wahrscheinliche Vater des Kindes sei. Dies sei aufgrund des bereits vor der Geburt erfolgten Anerkenntnisses der Beteiligte zu 4.
II.
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte sofortige weitere Beschwerde ist unbegründet. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen die amtsgerichtlich angeordnete Eintragung des Beteiligten zu 5 als Vater des Kindes zurückgewiesen.
Bei der Beurteilung der Wirksamkeit der Vaterschaftsanerkennung durch den Beteiligten zu 4 ist das Landgericht zutreffend von der Anwendbarkeit deutschen Rechts ausgegangen. Nach Art. 19 Abs.1 Satz 1 EGBGB unterliegt die Abstammung eines Kindes dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Im vorliegenden Fall führt dies zur Anwendung des deutschen Rechts, weil das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei der Mutter, der Beteiligten zu 1, in .......hat. Gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne der genannten Vorschrift ist der faktische Wohnsitz, d.h. der räumliche Bereich, in dem eine Person tatsächlich ihren Lebensmittelpunkt hat. Entgegen der Ansicht des Beteiligten zu 3 steht der Annahme des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in Deutschland nicht entgegen, dass die Beteiligte zu 1 lediglich über eine ausländerrechtliche Duldung verfügt.
Dem Landgericht ist ferner darin zuzustimmen, dass nach deutschem Recht ausschließlich der Beteiligte zu 4, nicht aber der Beteiligte zu 5 als Vater des Kindes gilt. Die Ehe der Beteiligten zu 1 und 5 war im Zeitpunkt der Geburt des Kindes bereits rechtskräftig geschieden. Nach deutschem Recht ist eine Vaterschaftsvermutung zugunsten des geschiedenen Ehemannes nicht gegeben. Der Beteiligte zu 4 dagegen hat die Vaterschaft nach deutschem Recht wirksam anerkannt. Er hat die Anerkennungserklärung in der nach § 1597 Abs.1 BGB erforderlichen Form abgegeben. Diesem Formerfordernis entspricht auch die Zustimmungserklärung der Beteiligten zu 1 gemäß § 1595 Abs.1 BGB.
Den Ausführungen des Landgericht ist weiter darin zu folgen, als es daneben die Regelung des Art. 19 Abs.1 Satz 2 EGBGB angewendet hat. Nach dieser Vorschrift kann die Abstammung eines Kindes im Verhältnis zu jedem Elternteil auch nach dem Recht des Staates beurteilt werden, dem dieser Elternteil angehört. Soweit die Elternschaft des Beteiligten zu 5 in Frage steht, ist danach Art. 28 des Gesetzes über Ehe und Familie der Sozialistischen Republik Vietnam heranzuziehen, der bestimmt, dass ein während der Ehe empfangenes Kind als eheliches Kind der beiden Ehegatten gilt. Danach wird die Vaterschaft des Beteiligten zu 5 vermutet, der mit der Mutter des Kindes, der Beteiligten zu 1 im Zeitpunkt der Empfängnis verheiratet war.
Schließlich hat das Landgericht das Konkurrenzverhältnis der Vorschriften des Art. 19 Abs.1 Satz 1 und 2 EGBGB zutreffend als gleichwertig alternativ darstellt und für die Entscheidung, an welches Recht anzuknüpfen ist, das sog. Günstigkeitsprinzip herangezogen mit dem Ergebnis des Vorrangs des vietnamesischen Rechts. Der Begründung der angefochtenen Entscheidung kann jedoch nicht uneingeschränkt gefolgt werden. Nach allgemeiner Meinung ist diejenige Lösung für das Kind günstiger, die ihm zuerst zu einem Vater verhilft. Das Landgericht hat dem folgend unter dem Gesichtspunkt der Priorität das vietnamesische Recht für anwendbar erachtet. Dem kann nicht gefolgt werden. Zwar war nach vietnamesischem Recht die (vermutete) Vaterschaft des Beteiligten zu 5 bereits im Zeitpunkt der Geburt begründet. Entgegen der Ansicht des Landgerichts hat aber die Vaterschaftsanerkennung des Beteiligten zu 4 nach deutschem Recht ebenfalls bereits im Zeitpunkt der Geburt Wirksamkeit entfaltet. Es ist der Beteiligten zu 1 insoweit darin zuzustimmen, dass es zur Wirksamkeit des Anerkenntnisses trotz des abweichenden Wortlautes des § 1598 Abs.1 BGB nicht der Übersendung der Urkunden bedurfte. Die Wirksamkeit der Anerkennung soll nach dem Regelungszweck der Vorschrift nicht von der Übersendung der nicht als empfangsbedürftige Willenserklärungen ausgestalteten Anerkennungs- und Zustimmungserklärungen abhängen. Vielmehr kommt der Übersendung eine rein verfahrensrechtliche Bedeutung zu. Dies führt vorliegend dazu, dass der Gesichtspunkt der Priorität eine Entscheidung zugunsten des einen oder des anderen Rechts nicht zu begründen vermag. In derartigen Fällen ist im Rahmen der Günstigkeitsprüfung danach zu fragen, welche Lösung dem Kind zu dem wahrscheinlichen Vater verhilft. Hier stehen sich der gesetzlich vermutete Vater und der Vater aufgrund Anerkenntnisses gegenüber. Im Regelfall mag die Wahrscheinlichkeit, dass derjenige, der die Vaterschaft anerkannt hat, der wirkliche Vater ist, größer sein als diejenige, dass der gesetzlich vermutete Vater der wirkliche Vater ist. Vorliegend lässt sich eine solche Wahrscheinlichkeit zugunsten des Anerkennenden jedoch nicht feststellen. Während regelmäßig die Anerkennungserklärung des Vaters und die Zustimmungserklärung der Mutter davon getragen sind, dass beide den Anerkennenden als wahrscheinlichen biologischen Vater des Kindes ansehen, bestehen hier konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Vaterschaftsanerkennung durch andere, mit der biologischen Abstammung des Kindes nicht im Zusammenhang stehende Umstände veranlasst war, es sich nämlich um eine sog. Scheinvaterschaft" zum Zwecke der Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis durch die Beteiligte zu 1 handelt. So hat der Beteiligte zu 4 nicht nur in seiner polizeilichen Vernehmung vom 21. April 2004 und seiner richterlichen Vernehmung vom selben Tage erklärt, gegen Zahlung eines Geldbetrages wissentlich falsch die Anerkennungserklärung abgegeben zu haben, und die Umstände insoweit detailliert geschildert. Er ist auch durch Strafbefehl des Amtsgerichts .......vom 1. November 2004 (6 Cs 422 Js 17818/04) rechtskräftig wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz verurteilt worden. Dabei wurde ihm zur Last gelegt, unrichtige Angaben gemacht und benutzt zu haben, um für sich oder einen anderen eine Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung zu beschaffen, indem er am 20. November 2003 gegenüber dem Jugendamt .......erklärte, das von der Beteiligten zu 1 erwartete Kind sei sein leibliches Kind, und die Vaterschaft förmlich anerkannte, obwohl er wusste, dass diese Angaben unwahr waren, er jedoch erreichen wollte, das das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt mit der Folge, dass - wie von ihm beabsichtigt - die Beteiligte zu 1 einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gehabt hätte. Unter diesen Umständen geben die Vaterschaftsanerkennungs- und die Zustimmungserklärung der Beteiligten zu 1 und 4, dafür, dass der Beteiligte zu 4 der biologische Vater des Kindes ist, nichts her. Die genannten Umstände streiten vielmehr gegen seine Vaterschaft. Damit bleibt vorliegend der nach vietnamesischem Recht vermutete Vater im Verhältnis zu dem nach deutschem Recht Anerkennenden ausnahmsweise der wahrscheinlichere. Die gerichtliche Anweisung, den Beteiligten zu 5 als Vater des Kindes in das Geburtenbuch einzutragen, ist daher nicht zu beanstanden.
Streitwertbeschluss:
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.