Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 29.04.2008, Az.: 2 A 238/07

Ruhegehaltsfähige Dienstzeit

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
29.04.2008
Aktenzeichen
2 A 238/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 45528
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2008:0429.2A238.07.0A

Amtlicher Leitsatz

Im Einzelfall kann es bei der Festsetzung der ruhegehaltfähigen Dienstzeiten eines Hochschulprofessors geboten sein, hinsichtlich der Anerkennung der von ihm in einem EU-Mitgliedstaat geleisteten Beschäftigungszeiten von dem Runderlass des MF vom 22.02.2006 - 26 20 74 - abzuweichen, der das im Rahmen der §§ 11, 12 und 67 BeamtVG eröffnete Ermessen lenkt.

Tatbestand

1

Der am C. in D. geborene Kläger übersiedelte mit seiner Familie im Jahre E. nach Wien, wo er die Schule besuchte und bis F. Architektur studierte. Anschließend war er als Assistent an der TU Wien tätig. Dort promovierte er am G. zum Doktor der technischen Wissenschaften. Am H. wurde ihm die Lehrbefugnis für Ländliches Bauwesen verliehen. Auch danach war er noch bis zum I. an der TU Wien beschäftigt.

2

Im Jahr 1992 bewarb sich der Kläger um eine Professur an der Universität Hannover und erhielt den Ruf am J.. Im Rahmen der Berufungsverhandlungen bat der Kläger u.a. um Auskunft über die sich bei einer Annahme des Rufes ergebenden Versorgungsansprüche. Mit Schreiben vom 19.01.1993 übersandte der Beklagte ihm eine als ‚fiktiv‘ bezeichnete Berechnung der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit, aus der sich zum Eintritt des Versorgungsfalles mit Ablauf des 30.09.2008 ein Höchstruhegehalt von 75 v.H. ergab.

3

Am 17.05.2004 beantragte der Kläger eine verbindliche Berechnung seiner ruhegehaltfähigen Dienstzeit und des Ruhegehaltssatzes nach der gültigen Rechtslage. Der Beklagte teilte ihm darauf mit, zum Eintritt in den Ruhestand mit Ablauf des 30.09.2008 erreiche er einen Ruhegehaltssatz von 35 v.H. Er verwies u.a. auf den ab 01.10.2006 vorzunehmenden Versorgungsabschlag nach § 14 BeamtVG. Der Kläger legte hiergegen "Widerspruch" ein und beantragte unter dem 22.02.2006 eine bescheidmäßige Berechnung seiner ruhegehaltfähigen Dienstzeit. Er trug u.a. vor, seine Aus- und Fortbildungszeiten in Österreich und an anderen internationalen Universitäten seinen Voraussetzung für seine Einstellung gewesen. Seine Rentenansprüche in Österreich seien mit seinem freiwilligen Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst im Jahr 1993 von einem Anspruch auf Beamtenpension auf einen Rentenanspruch nach ASVG zurückgestuft worden.

4

Mit Bescheid vom 15.03.2006 erkannte der Beklagte die in der anhängenden fiktiven Berechnung ermittelten Vordienstzeiten des Klägers unter dem Vorbehalt des Gleichbleibens der zugrunde liegenden Rechtslage mit 20,78 Dienstjahren und einem Ruhegehaltssatz von 38,96 v.H. als ruhegehaltfähig an. Er führte aus, es könnten u.a. nur solche Zeiten als ruhegehaltsfähig berücksichtigt werden, für die der Kläger keine zusätzlichen Versorgungsleistungen und Renten aus einem Mitgliedsstaat des europäischen Wirtschaftsraums erhalte. Sofern diese Leistungen nicht vollständig nach § 55 BeamtVG angerechnet würden, werde geprüft, ob ab dem Zeitpunkt ihrer Gewährung die Vordienstzeiten nach einer Höchstgrenzenberechnung nicht mehr zustünden oder nur noch zum Teil zu berücksichtigen sein.

5

Hiergegen legte der Kläger am 12.04.2006 Widerspruch ein, den er damit begründete, dass die nach dem RdErl.d. MF vom 22.02.2006 vorzunehmende Vergleichsberechnung bezwecke, diejenige Versorgung zu sichern, die früher den Bediensteten in Aussicht gestellt worden sei. Daher müsse jedenfalls gewährleistet sein, dass in der Summe die tatsächlich gewährte deutsche Versorgung zusammen mit der ausländischen Versorgung die Maximalversorgung nach C 4 mit einem Ruhegehaltssatz von 75 % ergebe. Eine solche Vergleichsberechnung sei bisher nicht vorgenommen worden.

6

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2006 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück und führte aus, streitig seien die nicht als ruhegehaltfähig anerkannten, vom Kläger in Österreich verbrachten Zeiten vom K. (Studium), vom 01L. (Hochschulassistent), M. (Universitätsassistent) und vom N. (Universitätsassistent). Nach Auskunft des österreichischen Versicherungsträgers vom 04.11.2004 bestehe u.a. für diese Zeiten ein Anspruch auf Alterspension. Die Berücksichtigung von Vordienstzeiten stehe nach §§ 11, 12 Abs. 1 oder 67 Abs. 2 Satz 4 BeamtVG im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherren. Durch die Berücksichtigung solcher Zeiten solle dem Beamten annähernd die Versorgung ermöglicht werden, die er erhalten hätte, wenn er sich während dieser Zeiten, in denen er die für die Wahrnehmung seines späteren Amtes erforderliche Qualifikation erworben habe, bereits im Beamtenverhältnis befunden hätte. Als der Kläger in den niedersächsischen Landesdienst eingestellt worden sei, sei die Frage der Anerkennung von Vordienstzeiten als ruhegehaltfähig allgemein unabhängig davon getroffen worden, ob diese im In- oder Ausland abgeleistet worden seien. Sofern aus einer Tätigkeit im Ausland ein Anspruch auf Altersversorgung entstanden sei, sei diese Leistung später entsprechend einer im Inland erworbenen Rente gemäß § 55 BeamtVG auf die Versorgung angerechnet worden. Dieser Rechtslage trage die Auskunft vom 19.01.1993 Rechnung. Ab dem 25.10.1998 dürften aufgrund von Artikel 46b der VO (EWG) Nr. 1408/71 grundsätzlich keine gleichartigen ausländischen mitgliedsstaatlichen Leistungen mehr auf die Beamtenversorgung angerechnet werden. Auf die Einbeziehung der Beamten in den Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 habe der niedersächsische Gesetzgeber mit dem RdErl.d. MF vom 29.10.2001 (Nds. MBl.S. 942) reagiert. Danach seien ausländische Beschäftigungszeiten und sonstige Zeiten im EU-Ausland und der Schweiz zur Verhinderung einer Überversorgung nicht mehr als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu berücksichtigen, wenn ihre Berücksichtigung im Ermessen liege und für sie im Ausland (Mitgliedsstaat) eine Anwartschaft oder ein Anspruch auf Alterssicherung bestehe. Auf die Höhe der Anwartschaften werde dabei nicht abgestellt, zumal lediglich eine annähernde Gleichstellung mit einem "Nur-Beamten" gewährleistet werden solle. Seit Bekanntgabe dieses Runderlasses werde in Niedersachsen das Ermessen dahin ausgeübt, dass entsprechende Zeiten bei der (Neu-) Festsetzung der Versorgungsbezüge generell nicht mehr als ruhgehaltsfähig anerkannt würden. Der vom Kläger genannte Runderlass vom 22.02.2006 beziehe sich unter Ziffer 2.8 im 2. Absatz auf Fälle, in denen durch eine frühere Vorabentscheidung bereits ruhegehaltfähige Dienstzeiten berücksichtigt worden seien. In diesen Fällen sei durch eine Vergleichsberechnung unter Einbeziehung der mitgliedsstaatlichen Alterssicherungsleistung zu prüfen, ob und ggf. in welchem Umfang diese Zeiten weiterhin berücksichtigt werden könnten. Beim Kläger sei mit Bescheid vom 15.03.2006 erstmals eine Vorabentscheidung über die Berücksichtigung von Vordienstzeiten als ruhegehaltfähige Dienstzeit getroffen worden. Bei der fiktiven Berechnung vom 19.01.1993 handele es sich weder um eine Vorabentscheidung nach § 49 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG noch um eine solche nach § 67 Abs. 3 Satz 2 BeamtVG.

7

Am 11.01.2007 hat der Kläger Klage erhoben und vorgetragen, im Rahmen der Berufungsverhandlungen seien intensive mündliche und schriftliche Verhandlungen über Besoldung, Versorgung und Ausstattung geführt worden. Ein zentraler Aspekt des Schriftwechsels mit dem MWK und dem Beklagten sei die Versorgung gewesen. Er habe sich auf die Auskunft vom 19.01.1993 verlassen und mit Schreiben vom 01.02.1993 dem MWK mitgeteilt, dass dem Schreiben vom 19.01.1993 mit hinreichender Genauigkeit und Verlässlichkeit entnommen werden könne, dass im Bereich Ruheversorgung kein weiterer Verhandlungsbedarf bestehe. Inzwischen bereue er sehr, sich auf dieses Schreiben verlassen zu haben. Im Hinblick auf § 67 Abs. 3 BeamtVG, nach dem in der Regel bei der Berufung über die Ruhegehaltfähigkeit von "Kann-Zeiten" zu entscheiden sei, sei das Schreiben vom 19.01.1993 wie ein Verwaltungsakt zu behandeln. Außer ihm seien auch andere Professoren betroffen, die mit anderen Erwartungen und Zusicherungen nach Niedersachsen geholt worden sein. In der Antwort der Landesregierung vom 18.09.2006 zu einer kleinen parlamentarischen Anfrage heiße es insoweit u.a., ggf. würden zur Vermeidung einer Überversorgung zusätzlich andere Kann- oder Ermessens-Zeiten nur noch in dem Umfang ruhegehaltsteigernd berücksichtigt, der erforderlich sei, um eine Versorgung zu erreichen, die sich im Falle einer Anwendung des § 55 BeamtVG ergeben würde. Den Vorbehalt der "fiktiven Berechnung" im Schreiben vom 19.01.1993 habe er darin gesehen, dass seine Berufung zum Professor zum 01.04.1993 und seine Versetzung in den Ruhestand mit Ablauf des 30.09.2008 unterstellt werde und die maßgeblichen Dokumente zu seinem wissenschaftlichen Werdegang wie Diplom, Doktorat, Habilitation, Ernennung zum Professor in Österreich noch nicht vorgelegt gewesen seien. Die Vorstellung, dass die Anerkennung der Ruhegehaltfähigkeit der angeführten Zeiten unverbindlich sei, sei außerhalb seiner Vorstellungskraft gewesen.

8

Der Kläger beantragt,

  1. den Beklagten unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 15.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.12.2006 zu verpflichten, seine ruhegehaltfähigen Dienstzeiten mit der Maßgabe anzuerkennen, dass für ihn zum Zeitpunkt der Vollendung des 65. Lebensjahres am 18.09.2008 ein Ruhegehaltsanspruch auf der Grundlage eines Ruhegehaltssatzes von 75 v.H. nach Maßgabe der Auskunft des Beklagten vom 19.01.2003 entsteht.

9

Der Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

10

Er ergänzt, mit Bescheid vom 15.03.2006 sei gemäß der §§ 49 Abs. 2 Satz 2, 67 Abs. 3 BeamtVG über die Vordienstzeiten des Klägers entschieden worden. Die in Österreich abgeleisteten Dienstzeiten seien dabei nicht als ruhegehaltfähig anerkannt worden, da für diese Zeiten auch Anspruch auf eine österreichische Rente bestehe. Bei der Auskunft im Schreiben vom 19.01.1993 handele es sich um eine bloße Wissenserklärung, die keinen Regelungswillen beinhalte. Das bloße Wecken von Erwartungen in Bezug auf ein künftiges Verhalten der Behörde reiche für die Annahme einer Zusicherung nicht aus, auch dann nicht, wenn - wie hier - auf Seiten des betroffenen Beamten ein berechtigtes Vertrauen geschaffen worden sei. Auch dass das Schreiben vom 19.01.1993 im Rahmen von Berufungsverhandlungen erfolgt sei, rechtfertige nicht, es mit einer förmlichen Vorabentscheidung nach § 67 Abs. 3 BeamtVG gleichzustellen. Der Kläger habe die Möglichkeit gehabt, sofort nach Einstellung in den Landesdienst die Anerkennung seiner sämtlichen Vordienstzeiten nach den §§ 49 Abs. 2, 67 Abs. 3 BeamtVG zu beantragen. Bei einer zu jenem Zeitpunkt noch möglichen Anerkennung der in Österreich verbrachten Dienstzeiten, wäre er dann heute an diese Entscheidung gebunden und würde lediglich prüfen, ob durch die österreichische Rente die zulässige Gesamtversorgung des Klägers überschritten werde.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

12

Die Entscheidung ergeht gem. § 101 Abs. 2 VwGO aufgrund des von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 17.01.2008 hierzu erklärten Einverständnisses ohne erneute mündliche Verhandlung.

13

Die zulässige Klage hat teilweise Erfolg. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 15.03.2006 in der Gestalt des dazu ergangenen Widerspruchsbescheides vom 12.12. 2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, der deshalb dessen Aufhebung beanspruchen kann. Da die streitige Anerkennung von Dienstzeiten als ruhegehaltfähig nach den einschlägigen gesetzlichen Regelungen aber im Ermessen des Beklagten steht, war dieser nur zur Neubescheidung unter Beachtung der gerichtlichen Rechtsauffassung zu verpflichten, nicht, wie vom Kläger mit der Klageschrift vom 11.01. 2007 beantragt, auch dazu, einen Ruhegehaltsanspruch auf der Grundlage eines Ruhegehaltssatzes von 75 v.H. anzuerkennen.

14

Die Anerkennung der hier streitigen Zeiten als ruhegehaltfähig steht nach den einschlägigen Vorschriften im Ermessen des Beklagten. Nach § 12 Abs. 1 BeamtVG kann die nach Vollendung des 17. Lebensjahres verbrachte Mindestzeit der außerhalb der allgemeinen Schulbildung vorgeschriebenen Ausbildung und die einer praktischen hauptberuflichen Tätigkeit, die für die Übernahme in das Beamtenverhältnis vorgeschrieben ist, als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden, die Zeit einer Hochschulausbildung einschließlich der Prüfungszeit bis zu drei Jahren. Danach bestehen grds. keine Bedenken dagegen, dass der Beklagte über die Höchstanrechnung der vom Kläger im Studium der Architektur verbrachten Zeiten (01.10.1962 - 30.06.1963 und 01.09.1963 - 18.03.1971) hinaus die Zeit vom 01.07.1963 bis 31.08.1963 nicht als ruhegehaltfähig anerkannt hat. Die Anerkennung von zwei Jahren als Vorbereitungszeit für die Promotion (15.12.1982 bis 14.02.1984) im angefochtenen Bescheid beruht auf § 67 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG.

15

Die Ruhegehaltfähigkeit der weiter geltend gemachten Zeiten vom O. bis zum P. und vom Q. bis zum I., in denen der Kläger Assistent an der TU Wien gewesen ist und sich u.a. habilitiert hat, richtet sich nach den §§ 11 Nr. 2 und 3a), 67 Abs. 2 BeamtVG. Gemäß § 11 Nr. 2 und 3a) BeamtVG kann die Zeit, während der ein Beamter nach Vollendung des 17. Lebensjahres vor der Berufung in das BeamtVG hauptberuflich im ausländischen öffentlichen Dienst gestanden oder auf wissenschaftlichem Gebiet besondere Fachkenntnisse erworben hat, die die notwendige Voraussetzung für die Wahrnehmung seines Amtes bilden, als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden, die Zeit nach Nr. 3a) jedoch höchstens bis zur Hälfte und in der Regel nicht über zehn Jahre hinaus. Nach § 67 Abs. 2 BeamtVG ist auch die Zeit, in der Professoren nach der Habilitation dem Lehrkörper einer Hochschule angehört haben, ruhegehaltfähig. Die in einer Habilitationsordnung vorgeschriebene Mindestzeit für die Erbringung der Habilitationsleistungen oder sonstiger gleichwertiger wissenschaftlicher Leistungen kann als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden; soweit die Habilitationsordnung eine Mindestdauer nicht vorschreibt, sind bis zu drei Jahren berücksichtigungsfähig. Die nach erfolgreichem Abschluss eines Hochschulstudiums vor der Ernennung zum Professor liegende Zeit einer hauptberuflichen Tätigkeit, in der besondere Fachkenntnisse erworben wurden, die für die Wahrnehmung des Amtes förderlich sind, soll im Falle des § 44 Abs. 1 Nr. 4c) HRG als ruhegehaltfähig berücksichtigt werden; im übrigen kann sie bis zu fünf Jahren in vollem Umfang, darüber hinaus bis zur Hälfte als ruhegehaltfähig berücksichtigt werden.

16

Bei Anwendung dieser Vorschriften hat der Beklagte das ihm zustehende Ermessen als durch den RdErl.d. MF vom 22.02.2006 - 26 20 74 - und den RdErl.d. MF vom 26.10. 2001 - VD 4-20 74 -, der durch den RdErl.v. 22.02.2006 aufgehoben wurde, eingeschränkt angesehen. Die genannten Erlasse beruhen auf der Verordnung (EG) Nr. 1606/ 98 vom 29.06.1998 (ABl. EG Nr. L 209, S. 1), durch die die Sonderversorgungssysteme für Beamte und ihnen gleichgestellte Personen mit Wirkung vom 25.10.1998 in den Anwendungsbereichen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 vom 14.06.1971 und der dazu ergangenen Durchführungsverordnung (EWG) Nr. 574/72 vom 21.03.1972 (ABl. EG Nr. L 28, S. 1) fielen, die für alle Beamten gelten, die neben ihren Versorgungsanwartschaften nach deutschem Recht über Beschäftigungszeiten in noch mindestens einem anderen Mitgliedsstaat verfügen. Dabei kann es sich bei dem erfassten Personenkreis ebenso um deutsche Staatsangehörige handeln, die zeitweise in anderen Mitgliedsstaaten beschäftigt waren, wie auch um Angehörige anderer Mitgliedsstaaten, die in Deutschland Beamte waren und hier in den Ruhestand treten. Nach Art. 46b der VO (EWG) Nr. 1408/71 dürfen ab 25.10.1998 grds. keine gleichartigen ausländischen (mitgliedstaatlichen) Leistungen auf die Beamtenversorgung mehr angerechnet werden. Als gleichartig gelten dabei ungeachtet ihrer Bezeichnung alle Leistungen, wenn sie sich aus dem Versicherungsverlauf ein und derselben Person herleiten. Der MF hat auf diese europarechtlichen Vorgaben mit Erlass v. 29.10.2001 und dessen Nachfolger vom 22.02.2006 in der Weise reagiert, dass er unter Ziff. 2.8 bestimmte, dass bei der Neufestsetzung von Versorgungsbezügen ausländische mitgliedsstaatliche Beschäftigungszeiten und sonstige Zeiten zur Verhinderung einer Überversorgung nicht mehr als ruhegehaltfähige Dienstzeiten zu berücksichtigen sind, wenn ihre Berücksichtigung wie bei den §§ 11, 12 und 67 BeamtVG im Ermessen liegt und im Ausland (Mitgliedsstaat) eine Anwartschaft oder ein Anspruch auf Alterssicherung besteht.

17

Der Beklagte hat sich zu Unrecht durch die genannten Erlasse daran gehindert gesehen, die vom Kläger vor allem an der TU Wien zurückgelegten Zeiten vom 01R. bis zum P. und vom Q. bis zum I. als ruhegehaltfähig anerkennen zu können. Zwar ist die Auffassung des Beklagten nach dem Wortlaut der einschlägigen Erlassregelungen nachvollziehbar. Der Beklagte durfte diese seiner Entscheidung vorliegend aufgrund der Besonderheiten des Falles aber nicht ohne weitergehende Erwägungen zugrunde legen. Grundsätzlich kann durch ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften das der Behörde gesetzlich eingeräumte Ermessen abstrakt wahrgenommen und im Wege einer Erlassregelung gelenkt werden. Soweit erforderlich sind dabei Ausnahmeregelungen von den aufgestellten Grundsätzen vorzusehen. Dies entspricht dem Sinn und Zweck einer Ermessensermächtigung, dass die Ermessensausübung nicht nach einem starren Schema erfolgt. Wird eine vom Gesetz gewollte Ermessensausübung durch eine Richtlinie gelenkt und damit die Ermessensausübung mehr oder weniger weitgehend durch die Richtlinie absorbiert, müssen Erwägungen, die das Gesetz verlangt, entweder in die Richtlinie eingehen oder im Einzelfall gleichwohl angestellt werden (vgl. BVerwG, U.v. 26.06.1987 - 8 C 6/85 -; BVerwG, B.v. 27.12.1990 - 1 B 162/90 -). Hier liegt ein Ausnahmefall vor, der zusätzliche Überlegungen erfordert. Dabei muss vor allem auch der Zweck der gesetzlichen Ermächtigung berücksichtigt werden. Wie der Beklagte richtig erkennt (vgl. Widerspruchsbescheid, S. 1, letzter Absatz), dient die Berücksichtigungsmöglichkeit von Vordienstzeiten als ruhegehaltfähige Dienstzeit grds. dem Zweck, dem Beamten annähernd diejenige Versorgung zu ermöglichen, die er erhalten hätte, wenn er sich während der Zeit, in der er die für die Wahrnehmung seines späteren Amtes förderliche Qualifikation erworben hat, bereits im Beamtenverhältnis - in Deutschland - befunden hätte.

18

Der Kläger hat Anspruch darauf, dass der Beklagte das ihm eröffnete Ermessen hinsichtlich der Anerkennung seiner Vordienstzeiten als ruhegehaltfähig fehlerfrei ausübt, d.h. entsprechend dem Zweck der Ermächtigung und unter Einhaltung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens. Dabei erstreckt sich das Ermessen darauf, ob Vordienstzeiten überhaupt berücksichtigt werden und darauf, in welchem Umfang sie als ruhegehaltfähig angerechnet werden. Die zu berücksichtigenden Besonderheiten des akademischen Werdegangs des Klägers liegen hier zunächst darin, dass er in ganz erheblichem Umfang Dienstzeiten im Ausland verbracht hat, die als ruhegehaltfähig anerkannt worden wären, hätte er sie in Deutschland geleistet. Es handelt sich um einen Zeitraum von über 19 Jahren, in denen er sich habilitiert und als Hochschulassistent auch im Ausland Berufserfahrung gesammelt hat.

19

Der Beklagte hat zudem unter Missachtung von § 67 Abs. 3 BeamtVG über die Ruhegehaltfähigkeit der vom Kläger im Ausland geleisteten Zeiten erst mit dem Bescheid vom 15.03.2006 entschieden, als der Kläger den Ruf an die Universität Hannover längst angenommen hatte. § 67 Abs. 3 BeamtVG postuliert dagegen, dass u.a. über die Ruhegehaltfähigkeit von Zeiten der Professoren nach Absatz 2 in der Regel bei der Berufung in das Beamtenverhältnis entschieden werden soll. Die Auskunft vom 19.01.1993 stellt insoweit - wie der Beklagte zu Recht vorträgt - keinen verbindlichen Bescheid in diesem Sinne sondern nur eine Auskunft dar.

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Der Verstoß des Beklagten gegen § 67 Abs. 3 BeamtVG hat für den Kläger auch erhebliche Folgen. Er hat erkennbar in die Wirksamkeit der Auskunft vertraut, er werde zum Eintritt des Versorgungsfalles am 30.09.2008 einen Höchstruhegehaltssatz von 75 v.H. erreicht haben. Er hat sein Verständnis dieser Auskunft dem Beklagten mit Schreiben vom 01.02.1993 sogar ausdrücklich mitgeteilt, indem er sich bedankt und erklärt hat, damit sei ‚ein noch fern liegender aber nicht unwesentlicher Bereich der Berufungsverhandlung mit hinreichender Verlässlichkeit geklärt‘. Wie er vorträgt, hat er mit der Verbeamtung in Deutschland zudem seinen in Österreich bereits erdienten Anspruch auf eine Beamtenpension verloren und nur noch Anspruch auf eine Rente. Nach Mitteilung der Pensionsversicherungsanstalt Wien vom 25.04.2005 beträgt diese monatlich 1 307,51 Euro brutto. Hieraus ergibt sich nach der Berechnung des Beklagten gemäß Schriftsatz vom 23.01. 2008 auch unter Berücksichtigung einer Anrechnung der Rente von 1 307,51 Euro mit der Folge des Ruhens nach § 55 BeamtVG ein Minderbezug von Versorgungsbezügen im Umfang von 972,85 Euro monatlich. Allein deshalb, weil der Beklagte entgegen § 67 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG nur eine formlose Auskunft über die als ruhegehaltfähig anzuerkennenden Dienstzeiten erteilt hat, kommt es überhaupt in Betracht, die Ermessensausübung über die Kann-Zeiten an Ziffer 2.8, S. 1 des Erlasses vom 22.02.2006 und nicht dem für den Kläger günstigeren Satz 3 auszurichten. Nach Ziffer. 2. 8, S. 3 des Erlasses ist bei einer veränderten Rechtslage nämlich durch eine Vergleichsberechnung unter Einbeziehung der mitgliedstaatlichen Alterssicherungsleistungen zu prüfen, ob und in welchem Umfang Zeiten weiterhin als solche berücksichtigt werden können. Jedenfalls nach der Interessenlage des Klägers war es vorliegend nicht anders, als regelmäßig im Anwendungsbereich des § 67 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG. Er wollte im Rahmen der Berufungsverhandlungen eine möglichst verbindliche Auskunft über die zu erwartenden Versorgungsbezüge erhalten, um diesen Gesichtspunkt bei seiner Entscheidung berücksichtigen zu können. Entsprechend dürfte die ihm erteilte Auskunft dann auch mit anderen Faktoren zusammen Grundlage für die Annahme des Rufes geworden sein.

21

Im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung hätte der Beklagte weiter berücksichtigen müssen, dass in der Stellenausschreiben der Universität Hannover Auslandserfahrung ausdrücklich verlangt wurde, wie der Kläger unwidersprochen vorgetragen hat. Damit sind für die Berufung des Klägers gerade die Zeiten maßgeblich gewesen, die er notwendigerweise im Ausland verbringen musste. Aus diesem Grunde erscheint es unbillig, eine notwendig im Ausland verbrachte Zeit bei der Berechnung der Versorgungsbezüge nun nicht mehr berücksichtigen zu wollen, nachdem dem Kläger dies in den Berufungsverhandlungen noch signalisiert worden war. Im übrigen gelten auch insoweit die nachfolgenden Ausführungen zum Verständnis des § 11 Nr. 2 und 3a) BeamtVG als Soll-Vorschrift.

22

Besonderen Bedenken begegnet es auch, die vom Kläger für die Habilitation benötigte Zeit versorgungsrechtlich vollständig nicht zu berücksichtigen. Die Habilitation stellt nämlich eine notwendige Voraussetzung für die Berufung des Klägers dar und kann nach § 11 Nr. 2 oder Nr. 3a) BeamtVG als ruhegehaltfähig berücksichtigt werden. Diese Kann-Vorschrift dürfte aber regelmäßig wie eine Soll-Regelung zu verstehen sein (vgl. Plog/Wiedow, BBG- Kommentar, LsBlS, § 11 BeamtVG, RN 22c m.w.N.), da es sich bei der Anrechnung von Vordienstzeiten nach § 11 bereits voraussetzungsmäßig um eng begrenzte Ausnahmetatbestände handelt und eine weitere Einschränkung im Rahmen der Ermessensausübung dem Zweck der Bestimmung kaum gerecht werden würde. Die Nichtberücksichtigung solcher Zeiten als versorgungsbildend könnte allerdings dann als ermessensgerecht angesehen werden, wenn für diese auch betragsmäßig ein annähernd gleicher Renten- und bzw. Pensionsanspruch in dem Mitgliedsland der EG erwachsen wäre, wie nach deutschem Beamtenversorgungsrecht. Das ist nach dem bekannten Sachverhalt hier nicht der Fall.

23

Andererseits kann der Kläger nicht erfolgreich eine Verpflichtung des Beklagten beanspruchen, seinen Ruhegehaltssatz auf 75 v.H. festzusetzen. Denn die zugrunde liegenden Regelungen eröffnen dem Beklagten ein Ermessen, dass das Gericht zu respektieren hat. Auch der Fall einer Ermessensreduktion auf "Null" ist vorliegend zur Überzeugung der Kammer nicht gegeben, zumal noch ergänzende Ermittlungen durchzuführen sein könnten, etwa eine zeitnahe Auskunft der Pensionsversicherungsanstalt Wien einzuholen ist.

24

Die Kostenverteilung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO und trägt dem beiderseitigen Obsiegen und Unterliegen Rechnung. Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.