Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 22.04.2008, Az.: 3 A 3267/05
Höhe der Ausgleichsabgabe nach § 77 SGB IX für ein Luftverkehrsunternehmen
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 22.04.2008
- Aktenzeichen
- 3 A 3267/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 45503
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2008:0422.3A3267.05.0A
Rechtsgrundlagen
- § 77 SGB IX
- Art.3 Abs 1 GG
Amtlicher Leitsatz
Die Staffelung der Ausgleichsabgabenbeträge in § 77 Abs. 2 S. 1 SGB IX verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht das beklagte Amt zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Höhe ihrer Heranziehung zur Ausgleichsabgabe nach § 77 Abs. 2 SGB IX für das Jahr 2003.
Die Klägerin betreibt ein Luftverkehrsunternehmen. Im Jahr 2003 verfügte sie im Durchschnitt über 2 388 Arbeitsplätze. Davon enfielen 1 561 auf den Flugbetrieb (463 Cockpitpersonal und 1 098 Flugbegleiter), 479 auf Bodenpersonal und 348 auf den Technikbereich.
Mit Schreiben vom 24.03.2004 übermittelte die Klägerin der Agentur für Arbeit D. die Aufstellung der Ausgleichsabgabe für das Jahr 2003. Danach ergab sich bei einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote von 0,62 % und 1 226 unbesetzten Pflichtarbeitsplätzen mit einem Staffelbetrag von 260 € eine Jahressumme von 318 760 €. Davon verblieb nach Abzug von absetzbaren Rechnungsbeträgen in Höhe von 573,05 € ein Endbetrag von 318 186,95 €. Gleichzeitig wies die Klägerin darauf hin, dass sie diesen Betrag für überhöht halte. Ausweislich eines Schreibens des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit vom 08.10.2003 sei für das fliegende Personal lediglich ein Staffelbetrag von 105 € zugrunde zu legen. Demnach wäre für den Bereich des Bodenpersonals mit einem Staffelbetrag von 260 € eine Ausgleichsabgabe von 79 040 € und für den Bereich des Bordpersonals mit einem Staffelbetrag von 105 € eine Ausgleichsabgabe von 96 894 € zu errechnen, mithin eine Gesamtabgabe (abzüglich der gleich bleibenden abzusetzenden Rechnungsbeträge) von 175 360,95 €.
In dem beigefügten Schreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit vom 08.10.2003 teilte der damalige Minister einer Interessenvertretung der Fluggesellschaften in Deutschland mit, dass im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens hinsichtlich der Berechnung der Ausgleichsabgabe mit dem federführenden Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung ein Kompromiss erzielt worden sei. Künftig sei für jeden unbesetzten Pflichtplatz, der für Stellen ermittelt wird, auf denen wegen gesetzlicher oder behördlicher Anordnung eine Beschäftigung schwerbehinderter Menschen ausgeschlossen ist, nur noch eine jährliche Ausgleichsabgabe von 105 € statt 260 € zu entrichten.
Mit Bescheid vom 12.10.2004 stellte das Integrationsamt des beklagten Amtes die Ausgleichsabgabe für das Jahr 2003 auf 318 186,95 € fest. Zur Begründung bezog es sich auf die mit Prüfvermerk der Agentur für Arbeit bestätigte Selbstveranlagung der Klägerin und führte aus, dass die von der Klägerin in Bezug genommene Sonderregelung zwar Gegenstand von Überlegungen des Gesetzgebers gewesen sei, letztendlich aber nicht zu einer Änderung des SGB IX geführt habe. Das zitierte Schreiben könne das beklagte Amt deshalb nicht binden.
Ihren mit Schreiben vom 15.10.2004 erhobenen Widerspruch stützte die Klägerin auf verfassungsrechtliche Bedenken an der in § 77 SGB IX geregelten Ausgleichsabgabe. Die Belastung der Klägerin mit Steigerungsbeträgen nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB IX verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der Grundsatz der äquivalenten Lastenverteilung werde verletzt. In ihrer konkreten Ausgestaltung könne die Ausgleichsabgabe weder durch eine Antriebs- noch durch eine Ausgleichsfunktion gerechtfertigt werden. Beide Funktionen liefen auf Grund der Besonderheit beim Einsatz des fliegenden Personals ins Leere. Die Antriebsfunktion könne nicht erfüllt werden, weil schwerbehinderte Menschen in aller Regel nicht den gesetzlichen Anforderungen an den Gesundheitszustand von Mitgliedern einer Flugbesatzung genügen könnten. Die Ausgleichsfunktion hingegen sei durch eine gestaffelte Abgabe nicht erreichbar. Die Staffelung der Beträge in § 77 Abs. 2 SGB VIII diene auch nach dem Willen des Gesetzgebers nicht dem Ausgleich, sondern habe die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen verringern sollen. Der Gesetzgeber habe mit seiner Zielformulierung selbst artikuliert, dass eine Ausgleichsfunktion die Erhöhung beziehungsweise Staffelung je nach Erfüllung der Pflichtquote nicht rechtfertige. Dem Ausgleichsgedanken entspreche es, dass die Abgabenhöhe je unbesetztem Pflichtarbeitsplatz konstant sei, da die auszugleichenden Belastungen aus der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen mit deren Anzahl nicht überproportional anwüchsen. Verschiedenen Arbeitgebern unterschiedliche Belastungen pro nicht beschäftigten schwerbehinderten Menschen aufzuerlegen, sei mit dem Ausgleichszweck nicht vereinbar. Die allgemeinen Anforderungen an eine Sonderabgabe erfülle die Ausgleichsabgabe auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht. Angesichts der Verwendung der Mittel aus der Ausgleichsabgabe für Maßnahmen außerhalb der Einstellung schwerbehinderter Menschen bei Arbeitgebern fehle es sowohl an der Sachnähe der abgabenverpflichteten Arbeitgeber als auch an der gruppennützigen Verwendung des Abgabeaufkommens.
Der Widerspruchsausschuss des beklagten Amtes wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 02.05.2005 zurück. Zur Begründung stellte er klar, dass die Verwaltung an das Gesetz, nicht aber an Gesetzesentwürfe gebunden sei. Die geltende Fassung von § 77 Abs. 2 SGB IX sei mit der Verfassung vereinbar. Das Bundesverfassungsgericht habe die Ausgleichsabgabe auch dann als gerechtfertigt angesehen, wenn sie aus betrieblichen Gründen nur die Ausgleichs-, nicht aber die Antriebsfunktion erfüllen könne. Auch habe es die Ausgleichsabgabe in der Ausgestaltung der derzeitigen Staffelung nicht für überhöht gehalten.
Am 31.05.2005 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie vertieft ihr Vorbringen aus der Widerspruchsbegründung. Darüber hinaus trägt sie vor, dass die Einführung der Staffelung der Ausgleichsabgabe zum 01.01.2001 für sie bei im Wesentlichen unveränderter Beschäftigungsquote zu einer Erhöhung der Ausgleichsabgabe um 132,8 % geführt habe. Insgesamt liege die Beschäftigungsquote schwerbehinderter Menschen in deutschen Luftfahrtunternehmen bei nur 1,5 %. Der spezifische Gesichtspunkt der Staffelung der Ausgleichsbeträge sei bislang nicht Gegenstand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewesen. Durch die Einführung der Staffelung habe die Finanzierungsfunktion der Ausgleichsabgabe maßgebliche Bedeutung erhalten. Da die neu geschaffenen arbeitsmarktpolitischen Instrumente ebenfalls durch die Ausgleichsabgabe finanziert werden sollten, sei die Erhöhung der für die Behindertenpolitik zur Verfügung stehenden Mittel erklärtes Ziel des Gesetzgebers gewesen. Tatsächlich hätten die Einnahmen aus der Ausgleichsausgabe auch bereits im ersten Erhebungsjahr nach der Einführung der Staffelung erheblich zugenommen. Da die Ausgleichsabgabe aufgrund dieser Entwicklung nunmehr im Wesentlichen dazu diene, die Mittel für die Berufs- und Arbeitsförderung schwerbehinderter Menschen und die Leistungen im Arbeitsleben zu finanzieren, könne sie nicht mehr als Ausprägung der Antriebs- und Ausgleichsfunktion gerechtfertigt werden. Zudem habe die Ausgleichsabgabe durch die Staffelung geradezu einen Strafcharakter erhalten, der über den angestrebten Ausgleich zwischen den Arbeitgebern hinausginge. Darüber hinaus sei anerkannt, dass der Erlass oder die Herabsetzung der Abgabe den Ausgleichszweck vereiteln würde, da diejenigen, die von einer Ausnahmeregelung profitieren würden, erhebliche Wettbewerbsvorteile erlangen würden. Das gleiche Argument gelte umgekehrt auch für eine Erhöhung der Abgabe.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des ehemaligen Niedersächsischen Landesamtes für Zentrale Soziale Aufgaben vom 12.10.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des beklagten Amtes vom 02.05.2005 aufzuheben, soweit dieser eine Ausgleichsabgabe von mehr als 175 360,95 € festsetzt.
Das beklagte Amt beantragt,
die Klage abzuweisen
Es bezieht sich auf die Begründung des angegriffenen Widerspruchsbescheides.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 22.04.2008 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Der Bescheid des beklagten Amtes vom 12.10.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Die Eingriffsermächtigung für die Festsetzung der Ausgleichsabgabe ist in § 77 Abs. 1 S. 1 SGB IX normiert. Danach entrichten Arbeitgeber für jeden unbesetzten Pflichtarbeitsplatz für schwerbehinderte Menschen eine Ausgleichsabgabe, solange sie die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen nicht beschäftigen. Gemäß § 77 Abs. 2 S. 1 SGB IX beträgt die Ausgleichsabgabe je unbesetztem Pflichtarbeitsplatz
1. 105 € bei einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote von 3 % bis weniger als dem geltenden Pflichtsatz,
2. 180 € bei einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote von 2 % bis weniger als 3 %,
3. 260 € bei einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote von weniger als 2 %.
§ 140 Abs. 1 S. 1 SGB IX ermöglicht es Arbeitgebern, die durch Aufträge an anerkannte Werkstätten für behinderte Menschen zur Beschäftigung behinderter Menschen beitragen, 50 % des auf die Arbeitsleistung der Werkstatt entfallenden Rechnungsbetrages solcher Aufträge auf die Ausgleichsabgabe anzurechnen.
Die rechnerischen Voraussetzungen der Festsetzung der Ausgleichsabgabe für das Jahr 2003 auf den vom beklagten Amt festgestellten Betrag gem. §§ 77 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 3, 140 Abs. 1 S. 1 SGB IX lagen unstreitig vor.
Das erkennende Gericht hält § 77 Abs. 2 S. 1 SGB IX auch nicht für verfassungswidrig. Eine Aussetzung des Verfahrens, um gem. Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, kommt daher nicht in Betracht.
Die von der Klägerin kritisierte Staffelung der Ausgleichsabgabenbeträge in § 77 Abs. 2 S. 1 SGB IX verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.
Art. 3 Abs. 1 GG verlangt, dass Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln ist. Allerdings ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft. Die Auswahl muss jedoch sachlich vertretbar sein und es muss ein innerer Zusammenhang zwischen den gefundenen Unterschieden und der differenzierenden Regelung bestehen (vgl. Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 7. Aufl. 2004, Art. 3 Rn. 14 f.m.w.N.).
1.
Die Heranziehung der Arbeitgeber zur Ausgleichsabgabe als Sonderabgabe im Vergleich zur Nichtheranziehung der übrigen Bevölkerung verletzt den Imperativ des Gleichheitssatzes nicht.
a)
Diese Differenzierung anhand der Eigenschaft als Arbeitgeber wird durch den Zweck der Ausgleichsabgabe getragen. Ziel der früher im SchwbG und heute im SGB IX geregelten Pflicht der Arbeitgeber, schwerbehinderte Arbeitnehmer zu beschäftigen, sowie der Ausgleichsabgabe ist es, die Integration schwerbehinderter Menschen in die Arbeitswelt zu fördern. Die Belastung der Gruppe der Arbeitgeber durch die Auferlegung der Ausgleichsabgabe ist sachgerecht, weil sie die Arbeitgeber als Ersatzleistung für eine ihnen primär obliegende Naturalleistungspflicht trifft, die ihrerseits dadurch gerechtfertigt ist, dass allein Arbeitgeber über die Möglichkeit verfügen, Schwerbehinderte in Arbeit und Beruf einzugliedern (Urt.d. BVerfG v. 26.05.1981, Az. 1 BvL 56/78, 1 BvL 57/781 BvL 58/78, BVerfGE 57, 139 ff. [BVerfG 26.05.1981 - 1 BvL 56/78] ).
b)
Die Ausgleichsabgabe ist auch in ihrer seit dem 01.01.2001 geltenden gestaffelten Ausgestaltung als zulässige Sonderabgabe anzusehen. Sie ist deshalb auch unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes nicht an den für allgemeine Steuern oder andere Sonderabgaben entwickelten Maßstäben zu beurteilen.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht zunächst - mit dem Ziel einer kompetenzrechtlichen Klärung - Kriterien für die zulässige Erhebung einer Sonderabgabe in Abgrenzung zu allgemeinen Steuern formuliert hatte (Urt.d. BVerfG v. 10.12.1980, Az. 2 BvF 3/77, BVerfGE 55, 274 ff. ), modifizierte es seine Rechtsprechung im Urteil vom 26.05.1981 (a.a.O.) in Bezug auf die damals noch als einheitlicher Betrag ausgestaltete Ausgleichsabgabe. Die Kriterien der Sachnähe der Gruppe der Abgabenpflichtigen zum Abgabenzweck und der gruppennützigen Verwendung des Abgabenaufkommens würden nur Abgaben betreffen, bei denen das Aufkommen zumindest primär zur Finanzierung vom Gesetz bestimmter Zwecke diene. Bei Abgaben, bei denen nicht die Finanzierung einer besonderen Aufgabe Anlass zu ihrer Einführung gegeben habe, könnten solche Maßstäbe nicht uneingeschränkt gelten. Im Einzelnen führte das Bundesverfassungsgericht aus: "Um eine solche Abgabe handelt es sich bei der Ausgleichsabgabe. Diese soll die Arbeitgeber anhalten, Schwerbehinderte einzustellen (Antriebsfunktion). Ferner sollen die Belastungen zwischen denjenigen Arbeitgebern, die dieser Verpflichtung genügen, und denjenigen, die diese Verpflichtung - aus welchen Gründen auch immer - nicht erfüllen, ausgeglichen werden (Ausgleichsfunktion). Diese speziell der Ausgleichsabgabe zukommenden Funktionen, die sie von den Abgaben deutlich unterscheidet, die das o.a. Urteil zur Berufsausbildung betraf <s. das oben zitierte Urt.v. 10.12.1980>, waren nicht nur Anlass zur Einführung der Ausgleichsabgabe gewesen (vgl. BTDrucks. 7/656, S. 20, II, 1), sondern haben auch heute ihre prägende Bedeutung nicht verloren. Die Notwendigkeit des Fortbestandes der Antriebsfunktion wird vielfach damit begründet, dass die Zahl der arbeitslosen Schwerbehinderten in den letzten Jahren ständig angestiegen sei und inzwischen bei über 80 000 liege. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die oft schwierige Vermittlungsmöglichkeit bei Schwerbehinderten, vor allem aber die unterschiedlichen Verhältnisse in den verschiedenen Branchen und Regionen es vielen Arbeitgebern, die ihre Pflichtplatzquote nicht erfüllt haben, schwierig oder unmöglich machen, Schwerbehinderte zu beschäftigen. Gleichwohl behält die Antriebsfunktion schon deswegen ihre Bedeutung für die Eingliederung Schwerbehinderter, weil sie auch dahin wirkt, dass Arbeitgeber durch die Pflicht zur Zahlung einer Ausgleichsabgabe bei Nichterfüllung ihrer Beschäftigungsquote angehalten werden, bei ihnen beschäftigten Schwerbehinderten auch in solchen Fällen nicht zu kündigen, in denen dies nach § 12 SchwbG zulässig wäre. Unbeschadet dessen rechtfertigt allein die Ausgleichsfunktion die Abgabe auch in allen den Fällen, in denen mit ihrer Entrichtung kein Antriebseffekt verbunden sein kann, wenn Arbeitgeber Schwerbehinderte nicht einstellen, weil sie ihnen nicht nachgewiesen werden können. Insoweit wirkt die Abgabe in einer dem Gleichheitssatz entsprechenden Weise auf Ausgleich der den Arbeitgebern auferlegten Belastungen. Nach allem sind bei der Beurteilung der Rechtfertigung der Ausgleichsabgabe die Antriebs- und Ausgleichsfunktion jedenfalls so bedeutsam, dass demgegenüber die Finanzierungsfunktion zurücktritt, die sich aus dem erheblichen Aufkommen der Abgabe ergab, zumal dieses wegen der inzwischen ständig gestiegenen Besetzung von Pflichtplätzen sinkt. Allerdings führt trotz hoher gegenwärtiger Inanspruchnahme der Pflichtplätze allein die Vermittlungsreserve, überdies die vielfache Fluktuation bei der Besetzung von Pflichtplätzen dazu, dass die Bedeutung, welche die Ausgleichsabgabe als Finanzierungsinstrument von Dauer erhalten hat, nicht außer Betracht bleiben kann. Wollte man aber die Ausgleichsabgabe deswegen, weil sie auch zu einem erheblichen Finanzaufkommen führt, voll den verfassungsrechtlichen Anforderungen für solche Sonderabgaben, die primär einer Finanzierung dienen, unterwerfen, würde das dem Gesetzgeber unmöglich machen, mit dieser Abgabe auf den von ihm für notwendig erachteten Antrieb und Ausgleich hinreichend einzuwirken. Möglicherweise wäre dann unter dem Gesichtspunkt mangelnder Sachnähe der Arbeitgeber zu den Aufgaben, die mit der Abgabe finanziert werden, und wegen fehlender "Gruppennützigkeit" solcher Finanzierungen eine Herabsetzung der Abgabe geboten, damit mit ihr nur noch solche Aufgaben finanziert werden können, bei denen diese Voraussetzungen gegeben sind. Indessen würde eine Herabsetzung der monatlich mit 100,- DM für jeden nicht mit einem Schwerbehinderten besetzten Pflichtarbeitsplatz erhobenen Ausgleichsabgabe die Antriebs- und Ausgleichsfunktion in einer der sachgerechten Zielsetzung des Gesetzgebers entgegenstehenden Weise schwächen, zumal der verpflichtete Arbeitgeber die Abgabenschuld steuerlich absetzen kann. Das kann jedoch verfassungsrechtlich nicht geboten sein. Daher kann es bei der Beurteilung dieser Abgabe auch offen bleiben, ob ihre Verwendung im vollen Umfang den Anforderungen entspricht, die an Sachnähe und gruppennützigen Einsatz von solchen Abgaben gestellt werden, die - anders als die Ausgleichsabgabe - primär für Finanzierungszwecke erhoben werden."
In einem Nichtannahmebeschluss vom 01.10.2004 (Az. 1 BvR 2221/03, NJW 2005, 737f.) hat das Bundesverfassungsgericht diese Rechtsprechung auch in Bezug auf die seit 2001 bestehende Rechtslage bestätigt. Die Regelungen seien verfassungsrechtlich gerechtfertigt und genügten insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Mit der Staffelung der Ausgleichsabgabe als solcher setzte es sich unter Gleichheitsgesichtspunkten allerdings nicht auseinander. Es stellte nur fest, dass die gestaffelten Beträge nicht überhöht seien, weil ein niedrigerer Satz sowohl die Antriebs- als auch die Ausgleichsfunktion weiter schwächen würde, und dass die eingeführten Staffelungen die Zumutbarkeit für kleinere Unternehmen verbessert hätten.
Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Ausgleichsabgabe durch die Antriebs- und Ausgleichsfunktion wird durch die darauf zielenden Einwände der Klägerin nicht erschüttert.
aa)
Sofern die Klägerin anführt, dass mit der Einführung der Staffelung die Finanzierungsfunktion der Ausgleichsabgabe in den Vordergrund getreten sei, so findet diese Behauptung in den Gesetzgebungsmaterialien keine Stütze. Das erklärte Ziel des die Staffelung einführenden "Gesetzes zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter" war - wie auch der Name schon nahe legt -, die Integration Schwerbehinderter in den Arbeitsmarkt zu forcieren (vgl. den Gesetzesentwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, Bundestags-Drs. 14/3372, S. 1, 15). Durch die Staffelung der Ausgleichsabgabe sollte ein Anreiz zur verstärkten Beschäftigung Schwerbehinderter geschaffen werden (ebenda, S. 17). Die Erhöhung der Einnahmen aus der Ausgleichsabgabe wurde nicht als Ziel formuliert, sondern im Abschnitt über die zu erwartende Kostenentwicklung mitgeteilt
(ebenda, S. 2 f.). Dort wurde - wie von der Klägerin erwähnt - prognostiziert, dass sich ohne Änderung des Beschäftigungsverhaltens voraussichtlich eine zusätzliche Belastung der Arbeitgeber von jährlich 380 Mio. DM ergeben werde. Zugleich wurde indes im nächsten Absatz ausgeführt, dass sich bei Änderung des Beschäftigungsverhaltens und Erreichung des gesetzgeberischen Ziels, die Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter bis Oktober 2002 um wenigstens 25 % abzubauen, die Belastung um 200 Mio. DM verringern werde. Aus alledem wird deutlich, dass die Staffelung in erster Linie einer Verbesserung der Antriebsfunktion und nicht der Finanzierung neuer Instrumente dienen sollte.
bb)
Weiterhin ist nicht ersichtlich, dass mit der gestaffelten Ausgleichsabgabe die Ausgleichsfunktion nicht mehr erreicht werden kann. Ein Ausgleich zwischen Arbeitgebern, die ihrer Beschäftigungspflicht nachkommen, und Arbeitgebern, die die Beschäftigungspflicht nicht voll oder gar nicht erfüllen, wird durch die Erhebung und Verwendung der Abgabe unzweifelhaft erreicht.
2.
Die durch die Staffelung der Ausgleichsabgabe bewirkte ungleiche Behandlung von Arbeitgebern je nach dem Grad der Nichterfüllung der Pflichtquote ist auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.
Die dort gebildeten Gruppen sind gemessen am Grad der Pflichterfüllung ungleich. Das Differenzierungskriterium steht in innerem Zusammenhang mit dem Normzweck, die Anzahl der beschäftigten Schwerbehinderten zu erhöhen, und die Staffelung ist im Hinblick auf die angestrebte Verbesserung der Anreize zur Einstellung schwerbehinderter Arbeitnehmer sachlich vertretbar.
3.
Die Klägerin kann auch nicht mit Erfolg rügen, dass ungleiche Sachverhalte ohne Rechtfertigung gleich behandelt werden. Sie beanstandet, dass auch Arbeitgeber, die wie sie aus rechtlichen Gründen keine Schwerbehinderten einstellen könnten, der nach Anreizgesichtspunkten ausgestalteten gestaffelten Ausgleichsabgabe unterworfen werden. Wenn die Ausgleichsabgabe keine Antriebsfunktion entfalten könne, müsse unabhängig von der Höhe der Nichterfüllung der Quote pro nichtbesetztem Pflichtarbeitsplatz der gleiche Ausgleichsbetrag anfallen.
a)
Es ist bereits zweifelhaft, ob sich derartige Vergleichsgruppen überhaupt bilden lassen. Denn es dürfte in den meisten Betrieben Stellen oder Arbeitsbereiche geben, die für eine Besetzung mit schwerbehinderten Arbeitnehmern nicht geeignet sind. Lediglich deren Anteil an der Gesamtzahl der Arbeitsplätze dürfte unterschiedlich hoch sein. Auch bei der Klägerin können nach ihren Ausführungen nur beim Bordpersonal keine schwerbehinderten Menschen eingestellt werden. Beim Bodenpersonal und im Technikbereich, die zusammen ungefähr ein Drittel der Arbeitsplätze ausmachen, ist die Beschäftigung Schwerbehinderter hingegen nicht von vornherein ausgeschlossen.
b)
Dessen ungeachtet ist höchstrichterlich geklärt, dass eine Belastung von Arbeitgebern mit der Ausgleichsabgabe auch dann gerechtfertigt ist, wenn diese im konkreten Fall keine Antriebsfunktion entfalten kann (vgl. BVerfG, Urt.v. 10.12.1980, a.a.O.u. Beschl.v. 01.10.2004, a.a.O.), grundsätzlich also Arbeitgeber mit und ohne Beschäftigungsmöglichkeit von Schwerbehinderten gleich behandelt werden dürfen. Das Bundesverwaltungsgericht hat diesen Gedanken in seinem Urteil vom 13.12.2001 (a.a.O.) folgendermaßen vertieft: Die Ausgleichsabgabe sei auch in den Fällen allein durch ihre Ausgleichsfunktion gerechtfertigt, "in denen Arbeitgeber Schwerbehinderte nicht aus arbeitsmarktbedingten, sondern aus betrieblichen Gründen nicht einstellen können, weil die von ihnen gewählte Betriebsstruktur keine für Schwerbehinderte geeigneten Arbeitsplätze aufweist. Wären Arbeitgeber in solchen Fällen von der Abgabepflicht befreit, blieben sie von Belastungen verschont, die die Gruppe der Arbeitgeber ansonsten allgemein treffen. Deshalb ist auch hier die Ausgleichsabgabe aus Gründen der Lastengleichheit gerechtfertigt. (...) <Die> objektive Möglichkeit <zur Eingliederung von Schwerbehinderten in Arbeit und Beruf> besitzt typischerweise jeder Arbeitgeber. Wenn er sich ihrer durch eine bestimmte Strukturierung seines Betriebs im konkreten Einzelfall begibt, so beruht dies auf seiner freien unternehmerischen Entscheidung und macht ihm die Erfüllung der naturalen Primärpflicht allenfalls subjektiv unmöglich. Darüber darf das Gesetz aus Gründen der Gewährleistung der Belastungsgleichheit für alle Arbeitgeber hinwegsehen. Denn anderenfalls hätte es der einzelne Arbeitgeber in der Hand, sich durch die Wahl einer bestimmten Betriebsstruktur gegenüber anderen Arbeitgebern Vorteile zu verschaffen. Das aber würde der Ausgleichsfunktion der Abgabe widersprechen, die darauf zielt, die Belastungen zwischen denjenigen Arbeitgebern, die der Einstellungspflicht genügen, und denjenigen, die diese Verpflichtung "- aus welchen Gründen auch immer -" nicht erfüllen, auszugleichen ( BVerfGE 57, 139 [BVerfG 26.05.1981 - 1 BvL 56/78]<167> ) ."
c)
Tatsächlich werden durch die seit dem 01.01.2001 geltende Staffelung all diejenigen Arbeitgeber, bei denen die Ausgleichsabgabe keine Antriebsfunktion entfalten kann, gem. § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB IX mit einem einheitlichen Betrag von 260 € belastet. Von der Staffelung betroffen sind nur die Arbeitgeber, die den Anreiz eines niedrigeren Ausgleichsbetrages durch die Einstellung Schwerbehinderter nutzen können, bei denen die Antriebsfunktion also wirken kann. Die Staffelung muss nicht zwangsläufig als System mit Strafcharakter betrachtet werden. Man kann in ihr ebenso gut einen Anreiz zur Einstellung durch eine spürbare Belohnung sehen. Innerhalb der Gruppe derer, die nicht nur der Ausgleichs-, sondern auch der Antriebsfunktion unterliegen, ist eine derartige Differenzierung jedenfalls durch den Gleichheitssatz gedeckt (s.o. unter 2.). Demnach wäre der Höchstbetrag der Staffelung als Grundbetrag mit primärer Ausgleichsfunktion anzusehen und nicht der Mindestbetrag, wie es die Klägerin befürwortet. Dass auch der Betrag von 260 € nicht überhöht ist, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 01.10.2004 (a.a.O.) bestätigt.
Das von der Klägerin angeführte Argument, es sei anerkannt, dass der Erlass oder die Herabsetzung der Abgabe den Ausgleichszweck vereiteln würde, steht dem nicht entgegen. Die von der Klägerin auf Seite 12 der Klagebegründung angeführten Quellen beschäftigen sich nicht mit der Frage, ob zur Verbesserung der Antriebsfunktion eine Betragsstaffelung zulässig ist. Vielmehr wird dort mit ähnlichen Argumenten wie denen des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 13.12.2001 (a.a.O.) begründet, warum Arbeitgebern, die zur Einstellung Schwerbehinderter nicht in der Lage sind, die Abgabe nicht (teil)erlassen werden dürfe.
d)
Schließlich vermittelt der Gleichheitssatz keinen Anspruch auf eine Sonderregelung für Stellen, auf denen wegen gesetzlicher oder behördlicher Anforderungen an die gesundheitliche Eignung eine Beschäftigung schwerbehinderter Menschen ausgeschlossen ist, wie sie in dem von der Klägerin vorgelegten Schreiben des Bundeswirtschaftsministers vom 08.10.2003 in Aussicht gestellt und zunächst in den Entwurf für ein Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen und der Bundesregierung aufgenommen worden war (Bundestags-Drs. 15/1783 und 15/2318). Dass Art. 3 Abs. 1 GG einer Gleichbehandlung aller Arbeitgeber ohne Rücksicht auf den Grund ihres Unvermögens, Schwerbehinderte einzustellen, nicht entgegensteht, wurde bereits ausgeführt. Darüber hinaus steht es dem Gesetzgeber zu, unterschiedliche Sachverhalte typisierend und pauschalierend gleich zu regeln. Hier hat er von der Schaffung einer Sonderregelung abgesehen, nachdem der Bundesrat darauf hingewiesen hatte, dass ein derartiger Ausnahmetatbestand im Gegensatz zum Ziel der Deregulierung zu einer Antragsflut mit entsprechendem Bürokratieaufbau führen würde und zudem ein Einfallstor für weitere Ausnahmen sowie einen Systembruch darstellen würde (Bundestags-Drs. 15/2318, An. 2, S. 15), und der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ebenfalls ein Absehen von der Regelung befürwortet hatte, weil auch bei Stellen mit spezifischen Tauglichkeitsvoraussetzungen eine Besetzung mit Schwerbehinderten nicht generell ausgeschlossen sei (Bundestags-Drs. 15/2357, S. 29). All diese Erwägungen sind sachlich vertretbar und rechtfertigen den Verzicht auf eine differenzierende Lösung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.