Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 14.03.2023, Az.: 5 B 3037/22

Abschiebungsandrohung Türkei; ARB 1/80; Ausweisung; Ausweisungsanlass; besonderer Ausweisungsschutz; besonders schwere Ausweisungsinteressen; besonders schwere Bleibeinteressen; besonders schwere Straftaten; Betäubungsmittelabhängigkeit; Therapie im Inland; unerlässlich; Wiederholungsgefahr; Ausweisung - Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
14.03.2023
Aktenzeichen
5 B 3037/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 13640
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2023:0314.5B3037.22.00

Amtlicher Leitsatz

§ 53 Abs. 3 AufenthG stellt erhöhte Anforderungen an die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und auch an die Abwägung zwischen dem öffentlichen Ausweisungsinteresse und dem privaten Bleibeinteresse. Diese Anforderungen sind erfüllt, wenn der Art und Schwere der vom Antragsteller verübten Straftaten - hier: wiederholte besonders schwere Strafaten gegen das Eigentum und die körperliche Unversehrtheit - das besondere Gewicht zukommen sowie gegenwärtig, ernsthaft und konkret vergleichbar gewichtige strafrechtliche Verfehlungen drohen und die Ausweisung zur Wahrung des Grundinteresses der Gesellschaft unerlässlich ist. Der Antragsteller hat keinen Anspruch darauf eine Therapie bzw. den Maßregelvollzug im Inland fortzusetzen.

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtschutz gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet.

Er ist am 22. Juni 1992 in B-Stadt geboren und türkischer Staatsangehöriger. Er ist zusammen mit zwei Geschwistern im Haus der Eltern aufgewachsen. Der Vater des Antragstellers reiste bereits 1971 in das Bundesgebiet ein, ist Inhaber einer Niederlassungserlaubnis und seit langer Zeit bei der Firma E. beschäftigt. Die Mutter reiste 1988 in das Bundesgebiet ein, ist ebenfalls Inhaberin einer Niederlassungserlaubnis und arbeitet seit längerem bei der F.. Zwischen dem 14. Juli 1997 und dem 22. Juni 2008 war der Antragsteller im Besitz einer befristeten Aufenthaltserlaubnis und seit dem 11. September 2008 im Besitz einer Niederlassungserlaubnis gem. § 35 Abs. 1 AufenthG. Er verließ die Hauptschule mit einem Abgangszeugnis der 8. Klasse. Das berufsvorbereitende Jahr in einer berufsbildenden Schule schloss er nicht ab. Er arbeitete 2010 an einer Tankstelle als Kassierer und anschließend wohl knapp zwei Jahre über eine Zeitarbeitsfirma in der Flugzeugabfertigung des Flughafens G.. Nach der Kündigung aufgrund sehr starken Cannabis-Konsums arbeitete er zwischen 2013 und 2015 in einem Kiosk. Anschließend war er arbeitslos. Bis zu seiner Inhaftierung im 19. Juli 2016 rauchte er nach eigenen Angaben durchschnittlich mindestens vier bis fünf Cannabis-Joints am Tag und trank täglich Alkohol. An den Wochenenden konsumierte er zudem Kokain. In dieser Zeit verspielte er sein Geld regelmäßig an Geldspielgeräten.

Während des Aufenthalts im Bundesgebiet hat sich der Antragsteller wie folgt strafbar gemacht:

1. Mit Urteil vom 18. Februar 2014 wurde er vom Amtsgericht B-Stadt wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen sowie Bedrohung in zwei Fällen zu einer Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen zu je 10,00 Euro verurteilt.

2. Mit Urteil vom 24. August 2016 wurde er vom Amtsgericht B-Stadt wegen Erschleichens von Leistungen zu einer Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 10,00 Euro verurteilt.

3. Mit Urteil vom 31. Januar 2017 wurde er vom Landgericht B-Stadt wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde angeordnet.

4. Mit Urteil vom 13. Juli 2017 wurde er vom Landgericht Hildesheim wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und schweren Raubes in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung unter der Einbeziehung der unter Nr. 3 genannten Verurteilung vom 31. Januar 2017 zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde erneut angeordnet. Des Weiteren wurde angeordnet, dass von der verhängten Freiheitsstrafe zwei Jahre vorweg zu vollstrecken sind.

Nach den Feststellungen des Landgerichts B-Stadt und des Landgerichts Hildesheim sprühte der Antragsteller am 13. April 2016 einer Mitarbeiterin eines Wettbüros Pfefferspray in das Gesicht und entnahm der Kasse 4.050 Euro, um Schulden zu begleichen. Den Rest gab er in kurzer Zeit für Drogen und an Spielautomaten aus. Am 2. Juni 2016 zwang er als Mittäter und unter Bedrohung mit einer Messerattrappe die Mitarbeiterin einer Spielhalle zur Herausgabe von 1.500 Euro. Der Antragsteller gab den Großteil in der Spielhalle und für Betäubungsmittel aus. Am 28. Juni 2016 bedrohte er die Mitarbeiterin einer Spielhalle mit einer Schreckschusspistole und entwendete 180,00 Euro. Die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Antragstellers war zu keinem Zeitpunkt eingeschränkt oder aufgehoben, auch wenn er zuvor Drogen konsumiert hatte. Bei der Strafzumessung berücksichtigten die Gerichte, dass der Antragsteller ein Geständnis abgelegt, sich entschuldigt und erkennbar Reue und Einsicht gezeigt habe. Er nehme seit der Hauptschule Drogen. Er habe den Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen und Straftaten zu begehen. Es bestehe eine langjährige Cannabisabhängigkeit (ICD-10 F12.2), ein Kokainmissbrauch (ICD-10 F14.1) sowie ein Verdacht auf ein pathologisches Glücksspiel (ICD-10 F63.0). Der Sachverständige ging davon aus, dass ohne den weiteren Konsum weitere Taten nicht zwingend zu erwarten seien, weil die Kriminalprognose im Wesentlichen durch das Suchtverhalten und den hieraus resultierenden Geldbedarf geprägt gewesen sei. Nach den Feststellungen des Landgerichts Hildesheim hat der Antragsteller keinen Kontakt zu seinem Sohn. Der Kontakt zur Mutter sei bereits während der Schwangerschaft abgebrochen. Sie lebe inzwischen in der Türkei und sei verheiratet. Er habe Schulden aus Internetkäufen und Handyverträgen i. H. v. ca. 10.000 Euro.

Im Maßregelvollzug im Maßregelvollzugszentrum H. fiel der Antragsteller wiederholt mit Regelverletzungen auf. So wurden u. a. bei ihm mehrfach Handys gefunden und er wiederholt auf synthetische Cannabinoide getestet. Auch wenn das Maßregelvollzugszentrum mit Schreiben vom 19. Juni 2019 die Erledigung der Unterbringung beantragte, ordnete das Landgericht Göttingen mit Beschluss vom 19. August 2019 die Fortdauer an, da noch hinreichende Aussicht auf Erfolg bestünde. Im Anschluss besserte sich die Behandlungsprognose und erste Ausgänge wurden ermöglicht. Mit Schreiben vom 2. November 2020 berichtete das Maßregelvollzugszentrum jedoch von wiederholtem Betäubungsmittelkonsum, einem Handyfund und einer geringen Frustrationstoleranz sowie fehlendem Problembewusstsein und Krankheitseinsicht des Antragstellers und beantragte erneut die Erledigung der Maßregel. Das Landgericht Göttingen ordnete mit Beschluss vom 11. Januar 2021 die Fortdauer der Unterbringung an, da noch eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bestehe, sofern der Antragsteller einer Verlegung zustimme. Daraufhin wurde er am 10. Februar 2021 in das AWO Psychiatriezentrum I. verlegt.

Das AWO Psychiatriezentrum verwies in den ersten Stellungnahmen auf die vorherige Delinquenz und darauf, dass bisher kein durchgehender, stabiler Erfolg zu verzeichnen sei. Eine Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung komme keinesfalls in Betracht. Allerdings sei der Antragsteller behutsam, schrittweise in Vollzugslockerungen zu erproben. Die Gefahr für Straftaten während der Freigänge und Urlaub sei aber als gering einzuschätzen. Entsprechend ordnete das Landgericht Braunschweig mit Beschluss vom 28. Juni 2021 die Fortdauer der Unterbringung an. In den weiteren Stellungnahmen führte das AWO Psychiatriezentrum aus, dass der Antragsteller anscheinend einen Nachreifungs- und Reflektionsprozess durchlaufen habe. Der Vollzug und die Lockerungen verliefen problemlos. Lediglich wenn der Antragsteller sich "unfair" behandelt fühle, hätte er Schwierigkeiten zur Selbstregulation. Durch transparente, klärende Ansprache sei aber bisher immer eine Lösung zu finden gewesen. Übernachtungsurlaube bei der Familie seien problemlos und ohne bekannte Auffälligkeiten verlaufen. Drogenscreenings seien negativ. Zwischendurch machte der Antragsteller ein Praktikum bei einer Entwässerungs- und Abrissfirma und arbeitete bei einer Telefon-Kundenservice-Firma. Der Übergang in längere Beurlaubungen und das Arbeitsleben sei jedoch teilweise problematisch, da der Antragsteller Schwierigkeiten bei der Beibringung übernommener Fahrkarten oder der Koordination der Termine im Privatleben, der Arbeit und der Klinik habe. Daher wurde weiter die Fortdauer der psychotherapeutischen und kriminaltherapeutischen Behandlung innerhalb des Maßregelvollzugs empfohlen.

Seit dem 18. Oktober 2021 befindet sich der Antragsteller im Probewohnen bei seiner Familie in A-Stadt. In der Sitzung des Landgerichts Braunschweig am 14. Dezember 2021 berichtete er von seinem Alltag in A-Stadt und verwies darauf, dass er irgendwann seine Familie in der Türkei besuchen wolle. Er habe bereits vor drei Jahren Privatinsolvenz angemeldet. In der Stellungnahme des AWO Psychiatriezentrums wird allerdings berichtet, dass zu den bestehenden Schulden weitere Schulden in Höhe von ca. 4.000 Euro insbesondere für Bekleidung hinzugekommen seien. Der Antragsteller lebe demnach deutlich über seine Verhältnisse. Er sei mit seiner Situation überfordert. Daher wurde eine Fortdauer beantragt und am 13. Juni 2022 vom Landgericht Braunschweig beschlossen. Mit Schreiben vom 31. August 2022 beantragte das AWO Psychiatriezentrum zunächst die Aussetzung zur Bewährung. Nachdem das Landgericht bereits gem. § 454 Abs. 2 StPO ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben hatte, berichtete das AWO Psychiatriezentrum erneut von Rückfällen, sodass es die Empfehlung zurücknahm. In der Stellungnahme vom 4. Oktober 2022 verweist es sodann auf einen positiven Cannabis- und Alkoholbefund in der Zeit vom 26. September 2022 und 3. Oktober 2022, sodass der Antragsteller zurück auf die Station genommen worden sei. Auslöser sei die sehr belastende ausländerrechtliche Situation gewesen. Nach eigenen Angaben in der Sitzung des Landgerichts Braunschweig vom 15. Dezember 2022 hatte der Antragsteller nach der Arbeit mit Kollegen Alkohol getrunken und zweimal Joints geraucht. Er habe nach eigenen Angaben alle seine Schulden erfolgreich reguliert und seine Privatinsolvenz sei 2023 abgeschlossen. Das Landgericht Braunschweig beschloss am 19. Dezember 2022 die Fortdauer der Unterbringung und setzte die Strafe nicht zur Bewährung aus. Es sei noch nicht zu erwarten, dass der Verurteilte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen werde. Die verlängerte Höchstfrist des Maßregelvollzugs ist am 20. Dezember 2023 erreicht. Strafende ist der 18. August 2026.

Auf das Anhörungsschreiben der Antragsgegnerin vom 24. Juli 2017 verwies der Antragsteller darauf, dass er praktisch sein gesamtes Leben im Bundesgebiet und keine Wurzeln in der Republik Türkei habe. Seine gesamte Familie lebe im Bundesgebiet und sei hier integriert. Die Straftaten habe er ausschließlich aufgrund seiner Betäubungsmittelabhängigkeit begangen. Wenn er therapiert sei, würde er keine Straftaten mehr begehen. Zudem sei er Vater eines im August 2013 geborenen deutschen Staatsangehörigen, der bei der Kindesmutter lebe. Sobald er aus der Haft entlassen würde, wolle er das Umgangsrecht für den Sohn vor Gericht einklagen. In der Türkei drohe ihm die Einziehung zum Militär. Mit Schreiben vom 5. Januar 2022 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller erneut an und forderte auch Nachweise über die drohende Einziehung zum türkischen Militär. Er wiederholte einige der bereits zuvor vorgebrachten Argumente und ergänzte, dass er sich mittlerweile im Probewohnen befinde. Außerdem arbeite er seit dem 29. November 2021 bei der Firma Contitech Luftfedersysteme GmbH B-Stadt im zeitlichen Umfang von 37,5 Stunden in der Woche. Er legte einen entsprechenden Arbeitsvertrag vor, der bis zum 30. Juni 2022 befristet war. Das AWO Psychiatriezentrum übersandte den bis zum 24. März 2031 gültigen Reisepass des Antragstellers an die Antragsgegnerin und verwies darauf, dass der Antragsteller ggf. untertauchen könnte.

Mit Bescheid vom J. Juni 2022 - zugestellt am 21. Juni 2022 - wies die Antragsgegnerin den Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Bundesgebiet aus, drohte die Abschiebung in die Republik Türkei an und ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot an, das sie auf fünf Jahre und fünf Monate befristete.

Zu seinen Gunsten werde davon ausgegangen, dass ihm ein Aufenthaltsrecht gem. Art. 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (ARB 1/80) zustehe. Die am 31. Januar 2017 abgeurteilte Straftat begründe ein besonders schweres Ausweisungsinteresse gem. § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1 lit. d) AufenthG, die am 13. Juli 2017 darüber hinaus auch das Ausweisungsinteresse i. S. v. § 54 Abs. 1 Nr. 1a lit. b) AufenthG. Demgegenüber stehe ein besonders schweres Bleibeinteresse gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Ein Bleibeinteresse gem. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG habe er nicht dargelegt.

Die begangenen Straftaten zeugten von einer erheblichen Wiederholungsgefahr und einer schweren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Der Antragsteller habe die Taten zwar aus Geldnot bzw. aufgrund der Betäubungsmittelabhängigkeit begangen, allerdings ließen die Taten neben einer hohen kriminellen Energie eine besondere Missachtung der Rechte anderer, insbesondere der Rechte auf Eigentum und körperliche Unversehrtheit erkennen, über die er sich in erheblicher Weise zur Verfolgung eigener Ziele wiederholt gleichgültig hinweggesetzt habe. Es drohten erneut erhebliche Straftaten. Auch im Maßregelvollzug sei es zu Rückfällen gekommen. Es sei davon auszugehen, dass die Kommunikation und Reflektion in Konflikt- oder Frustrationssituationen problembehaftet sei. Der Antragsteller werde auch zukünftig in kritische Situationen in seinem Leben kommen. Der dadurch drohende Betäubungsmittelkonsum löse augenscheinlich eine erhebliche Gewaltbereitschaft aus. Eine eigenständige Strukturierung der eigenen Angelegenheiten sei für den Antragsteller schwierig. Auch wenn das AWO Psychiatriezentrum den Ansatz eines Nachreifungs- und Reflektionsprozesses erkenne, so sei weder ersichtlich noch plausibel dargelegt, dass er sich mit den Straftaten und deren Folgen für die Betroffenen auseinandergesetzt habe. Ein nachhaltiger Erfolg der Therapie könne nicht positiv prognostiziert werden. Es bestehe ein nicht nur geringes Restrisiko erneuten Drogenkonsums und von Gewalttaten. Zudem gestatte auch eine erfolgreich abgeschlossene Drogentherapie nicht die Prognose, dass eine relevante Wiederholungsgefahr ausgeschlossen sei. Das Umfeld habe auch vorher keine stabilisierende Wirkung gehabt. Er habe das Probewohnen noch nicht einmal erfolgreich abgeschlossen. Auch der zuletzt weitgehend positive Verlauf der Unterbringung reiche nicht aus, um die Wiederholungsgefahr auszuschließen. Eine tiefgreifende Verhaltensänderung sei dadurch nicht indiziert. Es sei auch ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, da die Schutzgüter der Gesundheit bzw. körperlichen Unversehrtheit und der persönlichen Freiheit des Einzelnen sowie der Schutz des Eigentums und Vermögens in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung den höchsten Rang einnähmen. Eine Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse sei bisher nicht gelungen und eine berufliche Perspektive nicht erkennbar. Es sei auch nicht ersichtlich, dass er den täglichen Anforderungen des Berufslebens gerecht werden könnte. Es sei zu erwarten, dass er nach der Haftentlassung in die gewohnten und fest etablierten Verhaltensmuster zurückfallen und weiterhin Straftaten begehen werde. Schutzwürdige persönliche Bindungen im Bundesgebiet seien nicht dargelegt. Hinsichtlich des am 12. August 2013 in B-Stadt geborenen deutschen Kindes liege bereits kein Vaterschaftsnachweis vor. Darüber hinaus habe er nach eigenen Angaben seit längerer Zeit keinen Kontakt zu diesem. Eine zeitweise Trennung sei auch vor dem Hintergrund, dass er sich nach Haftentlassung um Kontakt zu seinem Sohn wünsche, zumutbar. Eine Integration in die Verhältnisse der Republik Türkei sei möglich und zumutbar. Die Antragsgegnerin geht davon aus, dass der Antragsteller noch Familienangehörige und/oder Bekannte in der Türkei habe und im Elternhaus die Kultur und Sprache kennengelernt habe. Die Folgen der Ausweisung habe er selber zu vertreten. Daher ständen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK der Ausweisung nicht entgegen. Auch Art. 14 ARB 1/80 und Art. 3 des Europäischen Niederlassungsübereinkommen (ENA) führten nicht zu einer anderen Entscheidung. Die öffentlichen Interessen an der Ausweisung überwiegten deutlich gegenüber dem privaten Interesse an einem Verbleib in der Bundesrepublik. Unter Berücksichtigung der Umstände sei eine Überschreitung der Frist von fünf Jahren gerechtfertigt und eine Frist von fünf Jahren und fünf Monaten angemessen. Eine schützenswerte familiäre Lebensgemeinschaft zu dem deutschen Kind sei nicht anzunehmen und könne über Fernkommunikationsmittel aufgenommen werden.

Es bestehe ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung, da ansonsten bei einer Entlassung aus dem Maßregelvollzug vergleichbar schwere Straftaten mit einer Verletzung besonders geschützter Rechtsgüter drohten, die erneut einen Ausweisungstatbestand begründeten.

Der Antragsteller hat am 21. Juli 2022 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden worden ist (5 A 3033/37), und gleichzeitig um vorläufigen Rechtschutz nachgesucht.

Zur Begründung macht er geltend, dass die sofortige Vollziehung aus nicht nachvollziehbaren Gründen für unabdingbar angesehen werde. Er weist daraufhin, dass er seit 2017, mithin seit über fünf Jahren, keine Straftaten mehr begangen habe. Zutreffenderweise gehe die Antragsgegnerin davon aus, dass er sich im Probewohnen befinde. Damit lebe er aber im Grunde genommen frei, gehe einer geregelten Arbeit nach und stimme sich nur sporadisch mit dem Therapeuten ab. Das Probewohnen sei das letzte Stadium bis zum Abschluss einer erfolgreichen Therapie. Vor Beendigung der Therapie sei eine Abschiebung nicht möglich, dies greife in das Urteil des Landgerichts Hildesheim ein. Durch die erfolgreiche Therapie und die erfolgreich behandelte Betäubungsmittelabhängigkeit werde er in Zukunft keine weiteren Straftaten begehen. Zu Unrecht sei nicht berücksichtigt, dass er Vater eines deutschen Kindes sei. Einen Nachweis werde er zeitnah einreichen. Durch den Entzug der Niederlassungserlaubnis sei auch die Beschäftigung nicht mehr gestattet, wodurch die Antragsgegnerin selbst herbeiführe, dass sich der Antragsteller beruflich nicht integrieren könne. Es sei lediglich Zufall, dass er die türkische statt der deutschen Staatsangehörigkeit besitze. Er habe keinerlei Bezüge in die Türkei; sämtliche Familienangehörige lebten im Bundesgebiet und seien gut integriert.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie verweist zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid und verweist darauf, dass Nachweise für die Vaterschaft oder die Verweigerung des Militärdienstes weiterhin nicht vorlägen.

Der Antragsteller hat sich sodann - außer mit einem Fristverlängerungsantrag, dem entsprochen wurde - nicht weiter geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs sowie der Strafakten inklusive des Strafvollstreckungshefts Bezug genommen. Sie alle waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

Er ist zulässig, aber unbegründet.

1. Der Antrag ist hinsichtlich der Ausweisung als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage statthaft (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO), weil die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet hat (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO). Hinsichtlich der Abschiebungsandrohung ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung statthaft (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO). Die Abschiebungsandrohung ist kraft Gesetzes gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 70 Abs. 1 Nds. VwVG und § 64 Abs. 4 Satz 1 NPOG sofort vollziehbar. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist auch ansonsten zulässig. Nach dem Vorbringen des Antragstellers gibt es keinen Anlass für die Annahme, dass er auch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen das verfügten Einreise- und Aufenthaltsverbot begehrt.

2. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ausweisungsentscheidung ist unbegründet.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt den rein formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Antragsgegnerin hat in ihrem Bescheid vom 17. Juni 2022 mit Blick auf die Art und Schwere der Straftaten des Antragstellers ein besonderes Vollzugsinteresse auf die Gefahr gestützt, dass der Antragsteller nach der Entlassung aus dem Maßregelvollzug eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellen würde. Ob die gegebene Begründung inhaltlich trägt, ist nicht Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung der Einhaltung des Formerfordernisses. Vielmehr trifft das Gericht in der Sache eine eigene Abwägungsentscheidung.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung wiederherstellen, wenn nach summarischer Prüfung die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse des Antragstellers an einem Aufschub der Vollziehung gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angegriffenen Verwaltungsaktes überwiegt. Die bei einem Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO durch das Gericht zu treffende Ermessensentscheidung setzt eine Abwägung der einander gegenüberstehenden Interessen voraus, in die auch die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs in der Hauptsache mit einzubeziehen sind. Bei einem nach summarischer Prüfung offensichtlich Erfolg versprechenden Rechtsbehelf überwiegt im Hinblick auf die Art. 19 Abs. 4 GG zu entnehmende Garantie effektiven Rechtsschutzes das Suspensivinteresse des Betroffenen jedes öffentliche Vollzugsinteresse, so dass die aufschiebende Wirkung grundsätzlich wiederherzustellen ist. Ergibt eine summarische Einschätzung des Gerichts hingegen, dass der Rechtsbehelf in der Hauptsache offensichtlich erfolglos bleiben wird, ist der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz in der Regel unbegründet, denn ein begründetes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung entfällt nicht dadurch, dass der Verwaltungsakt offenbar zu Unrecht angegriffen wird. Dabei bedarf es zusätzlich noch der Kontrollüberlegung, ob die Vollzugsanordnung vor Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter erforderlich ist und daher entgegen des gesetzlichen Regelfall (§ 80 Abs. 1 VwGO) ausnahmsweise ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes besteht (BayVGH, Beschluss vom 14.2.2022 - 11 CS 21.2961 -, juris; vgl. auch Nds. OVG, Beschluss vom 24.8.2022 - 8 ME 101/22 -, n. V.). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder - wie hier - der Entscheidung des Tatsachengerichts (BVerwG, Urteil vom 9.5.2019 - BVerwG 1 C 21.18 -, juris Rn. 11; Urteil vom 22.2.2017 - BVerwG 1 C 3.16 -, juris Rn. 18; Urteil vom 10.7.2012 - BVerwG 1 C 19.11 -, juris Rn. 12).

Nach diesem Maßstab überwiegt das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung die Interessen des Antragstellers an einer Aussetzung der Vollziehung. Nach der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten erweist sich die Ausweisungsentscheidung als rechtmäßig, wobei auch die erhöhten Anforderungen des § 53 Abs. 3 AufenthG an eine Ausweisung erfüllt sind.

Rechtsgrundlage für die Ausweisung des Antragstellers ist § 53 Abs. 1 bis Abs. 3 AufenthG. Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen.

Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen sind gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 9.5.2019 - BVerwG 1 C 21.18 -, juris Rn. 13; BVerwG, Urteil vom 25.7.2017 - BVerwG 1 C 12.16 -, juris Rn. 15; BVerwG, Urteil vom 22.2.2017 - BVerwG 1 C 3.16 -, juris Rn. 20 ff.).

§ 53 Abs. 3 AufenthG normiert sodann für bestimmte Personengruppen einen besonderen Ausweisungsschutz. Gemäß § 53 Abs. 3 AufenthG darf ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzt, nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

Dem Antragsteller steht - unstreitig - ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei (ARB 1/80) zu, sodass er den besonderen Ausweisungsschutz des § 53 Abs. 3 AufenthG beanspruchen kann. Sein Vater und seine Mutter sind türkische Staatsangehörige mit rechtmäßigem Aufenthalt im Bundesgebiet und waren - zumindest der Vater des Antragstellers - seit der Einreise und während der Antragsteller noch zu Hause wohnte dauerhaft erwerbstätig. Daraus ergibt sich für den Antragsteller zumindest ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht von seinem Vater gem. Art. 7 ARB 1/80.

Anders als § 53 Abs. 1 AufenthG knüpft § 53 Abs. 3 AufenthG nicht an den Aufenthalt des Ausländers an, sondern an dessen persönliches Verhalten und schließt damit generalpräventive Ausweisungsinteressen aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 9.5.2019 - BVerwG 1 C 21.18 -, juris Rn. 17; Urteil vom 12.7.2018 - BVerwG 1 C 16.17 -, juris Rn. 17). Die Erwägung, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer, erheblicher Straftaten gegen Leib oder Leben abzuschrecken, kann daher in diesem Fall eine Ausweisung des Antragstellers nicht stützen.

Doch auch wenn allein spezialpräventive Ausweisungsinteressen zu berücksichtigen sind, hat die Anfechtungsklage mit diesem begrenzten rechtlichen Rahmen keinen Erfolg. Die gemäß § 53 Abs. 3 AufenthG erhöhten Anforderungen an die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ("gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung") (a.) und auch an die Abwägung zwischen dem öffentlichen Ausweisungsinteresse und dem privaten Bleibeinteresse ("für die Wahrung dieses (Grund-)Interesses unerlässlich") (b.) sind im vorliegenden Fall erfüllt.

a. Die Ausweisung eines Ausländers aus spezialpräventiven Gründen dient der Vorbeuge gegen Gefahren, die nach Würdigung seines bisherigen Verhaltens und seiner Gesamtpersönlichkeit von ihm selbst in Zukunft für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen. Die nach § 53 Abs. 3 AufenthG erforderliche Feststellung, dass gerade das Verhalten des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, bedarf einer personenbezogenen Prognose zur Wiederholungsgefahr. Die Gefährdung bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - BVerwG 1 C 3.16 -, juris Rn. 23). Die Prognose ist von den Ausländerbehörden und den Verwaltungsgerichten eigenständig zu treffen, ohne dass diese an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich gebunden sind. Bei der Prognose sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe einer verhängten Strafe, die Schwere einer konkret begangenen Straftat und die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Für die Feststellung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr nach dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 Halbsatz 1 AufenthG gilt ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (Nds. OVG, Urteil vom 6.5.2020 - 13 LB 190/19 -, juris Rn. 38 m. w. N.).

Dieser Maßstab wird für die Fälle besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG in zweierlei Hinsicht modifiziert. Zum einen bedarf es gegenwärtig einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind mithin erhöhte Anforderungen zu stellen. Neue Verfehlungen des Ausländers müssen ernsthaft und konkret drohen. Insofern genügt es nicht, wenn lediglich eine entfernte Möglichkeit neuer Störungen besteht, weil sich nicht ausschließen lässt, dass der Ausländer erneut strafbare Handlungen begehen könnte. Zum anderen muss die Gefahr ein "Grundinteresse der Gesellschaft" berühren. Dem Ausweisungsanlass muss mithin ein besonderes Gewicht zukommen, das sich bei Straftaten aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt, und ein wichtiges Schutzgut muss gefährdet sein (Nds. OVG, Urteil 11. Juli 2018 - 13 LB 44/17 -, juris Rn. 49 ff. m. w. N.).

Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist die Kammer überzeugt, dass das persönliche Verhalten des Antragstellers gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt. Dem Ausweisungsanlass kommt unter Berücksichtigung der Art und Schwere der vom Antragsteller verübten Straftat das erforderliche besondere Gewicht zu (aa.). Es drohen auch gegenwärtig, ernsthaft und konkret vergleichbar gewichtige strafrechtliche Verfehlungen des Antragstellers (bb.).

aa. Bei dem Ausweisungsanlass handelt es sich um wiederholte Straftaten gegen das Eigentum und die körperliche Unversehrtheit. Durch die (besonders) schweren Raubtaten wurden mehrere Betreiber von Vergnügungsstätten und deren Mitarbeiterinnen erheblich geschädigt. Auch wenn es - anders als die Antragsgegnerin in der Verfügung wohl anzudeuten versucht - formell keine Rangfolge in der Wertigkeit der Grundrechte gibt, so obliegt dem Staat eine Schutzpflicht für die im Einzelfall erheblich betroffenen, gewichtigen, grundrechtlich gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 GG und Art. 14 GG geschützten Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit und des Eigentums, deren Verletzung eine strafrechtliche und in diesem Fall auch ausländerrechtliche Konsequenz nach sich ziehen kann. Der Antragsteller wurde aufgrund dieser Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die am 31. Januar 2017 abgeurteilte Straftat des schweren Raubes gem. § 249 Abs. 1, § 250 Abs.1 Nr. 1b StGB begründet ein besonders schweres Ausweisungsinteresse gem. § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1 lit. d) AufenthG, da die Freiheitsstrafe mehr als zwei Jahre beträgt und § 250 StGB für das Eigentumsdelikt eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafen vorsieht (dazu Fleuß in: BeckOK, Ausländerrecht, Stand: 1.1.2023, § 54 AufenthG, Rn. 34 ff.). Die Verurteilung am 13. Juli 2017 wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie des schweren Raubes in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung gem. § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. b), Abs. 2 Nr. 1, § 253 Abs. 1, Abs. 2, § 255 StGB begründet darüber hinaus auch das Ausweisungsinteresse i. S. v. § 54 Abs. 1 Nr. 1a lit. b) AufenthG. Auch das Strafmaß von acht Jahren Freiheitsstrafe zeugt von dem besonderen Gewicht der Straftaten.

bb. Gegenwärtig drohen nach Auffassung der Kammer vergleichbare strafrechtliche Verfehlungen des Antragstellers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit. Sie teilt die Annahme der Antragsgegnerin in der Verfügung vom 17. Juni 2022, wonach eine erhebliche Wiederholungsgefahr besteht.

Dabei bieten die Entscheidungen des Landgerichts Braunschweig ein Indiz für das Bestehen einer Wiederholungsgefahr. Das Landgericht Braunschweig hat die erhebliche Freiheitsstrafe bis heute nicht zur Bewährung ausgesetzt und zuletzt mit Beschluss vom 19. Dezember 2022 festgestellt, dass es noch nicht zu erwarten sei, dass der Verurteilte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen werde. Das Landgericht Braunschweig stützt seine Entscheidung insbesondere auch auf die Einschätzungen des AWO Psychiatriezentrums, das zwischenzeitlich bereits einmal eine Aussetzung zur Bewährung empfohlen, aufgrund wiederholter Rückfalle diese Empfehlung aber zurückgenommen hatte. In der letzten Stellungnahme vom 4. Oktober 20322 hat das AWO Psychiatriezentrum nach den Rückfällen in der Zeit vom 26. September und 3. Oktober 2022 ebenfalls die Fortdauer der Unterbringung empfohlen. Auch wenn das Landgericht Braunschweig zeitweise die Aussetzung zur Bewährung in Aussicht gestellt hatte und im Sommer 2023 erneut zu prüfen hat, so ist die Aussetzung zur Bewährung - auch mit Blick auf den bisher wechselhaften Verlauf des Maßregelvollzugs - bei der nächsten Überprüfung nach Einholung eines Sachverständigengutachtens gem. § 454 Abs. 2 StPO nicht gewiss. Zum jetzigen Zeitpunkt gilt daher in jedem Fall die Einschätzung des Landgerichts Braunschweig im Beschluss vom 19. Dezember 2022 weiter. Hinzu kommt, dass angesichts der bisherigen Rückfälle selbst bei einer für den Antragsteller günstigen Begutachtung ein längerer Zeitraum abzuwarten wäre, über den sich die Prognose bestätigen und verfestigen müsste.

Vor dem Hintergrund, dass sich die strafrechtlichen Prognoseentscheidungen nur auf die Dauer der Bewährungszeit richten und naturgemäß eher Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund stehen, während die aufenthaltsrechtliche Einschätzung auch in den Blick zu nehmen hat, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen (BVerwG, Urteil vom 15.1.2013 - BVerwG 1 C 10.12 -, juris Rn. 19; BVerwG, Urteil vom 16.11.2000 - BVerwG 9 C 6.00 -, juris Rn. 17), geht die Kammer nach eigener Prüfung der Umstände des Einzelfalls davon aus, dass das mittelfristige Risiko erneuter Straftaten des Antragstellers weiterhin als hoch einzuschätzen ist. Zu dieser Einschätzung tragen seine Vorgeschichte, Art und Weise der Begehung der Straftaten und der Verlauf des Maßregelvollzugs bei. Der Antragsteller hat weiterhin den Hang, Betäubungsmittel zu konsumieren. Zusammen mit den daraus resultierenden finanziellen Schwierigkeiten, die durch das pathologische Glücksspiel und seinen generellen Umgang mit Geld verstärkt werden, sind weitere Straftaten aus dem Bereich der Vermögens- und Eigentumsdelikte gegenwärtig, ernsthaft und konkret zu erwarten.

Seit seiner Jugend hat der Antragsteller ehebliche Mengen Cannabis und Alkohol sowie hin und wieder auch Kokain konsumiert. Die Anlasstaten hat er auch unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln begangen. Er ist auch im Maßregelvollzug wiederholt rückfällig geworden, sodass Vollzugslockerungen teilweise zurückgenommen werden mussten. Nach Angaben des Sachverständigen im Strafverfahren bestehen eine langjährige Cannabisabhängigkeit (ICD-10 F12.2) und ein Kokainmissbrauch (ICD-10 F14.1). Er habe demnach den Hang, berauschende Mittel zu sich zu nehmen und Straftaten zu begehen. Der Antragsteller hat diese Sucht bis heute nicht abschließend therapiert. An einzelnen Maßnahmen im Maßregelvollzug mag der Antragsteller teilgenommen haben. Allerdings ist weder der besondere Erfolg einzelner Maßnahmen zu verzeichnen, noch ein Gelingen des Maßregelvollzugs insgesamt. Vielmehr hatte das Landgericht Braunschweig schon mehrfach über die Fortdauer des Maßregelvollzugs zu entscheiden, da dessen Erfolgsaussichten in Zweifel standen. Der Zeitraum wurde wiederholt verlängert, sodass die Höchstfrist mittlerweile auf den 20. Dezember 2023 datiert. Dass die Maßregel bis zu diesem Zeitpunkt tatsächlich erfolgreich abgeschlossen wird, ist nach dem bisherigen Verlauf nicht positiv zu prognostizieren. Nach dem Ende des Maßregelvollzugs wird zudem das therapeutische Sicherungssystem mit der Anbindung an das AWO Psychiatriezentrum noch weiter gelockert. Aufgrund des langjährigen Betäubungsmittelkonsums und den wiederholten Rückfällen im Maßregelvollzug ist daher nach Ansicht der Kammer in der Zukunft - insbesondere nach Entlassung aus dem Maßregelvollzug - von weiteren Betäubungsmittelrückfällen auszugehen.

Die Straftaten sind unmittelbar mit dem Betäubungsmittelkonsum verknüpft. Sie entstammen der Beschaffungskriminalität, sind aber darüber hinaus unter dem Einfluss von Drogen begangen worden. Sie dienten einzig der Finanzierung des eigenen Betäubungsmittelkonsums und der Tilgung von Schulden, sind dabei nach ihrer Art und Weise jedoch auch von einer besonderen Planmäßigkeit und der Anwendung von Gewalt gegenüber den Betroffenen geprägt. Der Antragsteller missachtet nicht nur die Strafgesetze, sondern auch weniger gewichtige Regeln im Vollzug, wie die wiederholten Handyfunde belegen. Zudem besteht nach Angaben des Sachverständigen der Verdacht auf ein pathologisches Glücksspiel (ICD-10 F63.0). Dieser Verdacht wird durch zahlreiche Hinweise in den Strafakten belegt und trägt ebenfalls zu einer erheblichen Gefahr bei, dass der Antragsteller in der Zukunft erneut in finanzielle Schwierigkeiten geraten wird. Dazu trägt weiter auch das Kaufverhalten des Antragstellers bzw. der allgemein schlechte Umgang mit Geld bei, der vor den Straftaten bereits durch Handyverträge und Internetkäufe zu Schulden i. H. v. mindestens 10.000 Euro und auch während des Maßregelvollzugs zu weiteren Schulden i. H. v. 4.000 Euro führte. Auch wenn sämtliche Schulden nach eigenen Angaben derzeit beglichen wurden - ohne dass der Antragsteller konkret dargelegt hätte, aus welchen Einkünften er die Schulden in diesem Umfang hat zurückführen können -, so tragen diese Umstände den Schluss, dass der Antragsteller in der Zukunft erneut in finanzielle Schwierigkeiten geraten wird, die ihn zu Straftaten gegen das Vermögen und das Eigentum anderer veranlassen wird.

Dazu trägt auch bei, dass der Antragsteller in seinem familiären, aber eben auch bekannten Umfeld wohnt und keine Wünsche glaubhaft gemacht hat, sich von seinem alten Umfeld zu lösen. Die Familie und eine Beziehung haben ihn auch zuvor nicht von der Begehung erheblicher Straftaten abhalten können. Zudem waren Bekannte des Antragstellers an dem schweren Raub am 2. Juni 2016 beteiligt. Dass aktuell keine weiteren Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller bekannt sind, kann für sich genommen eine für den Antragsteller günstige Prognose nicht tragen. Zu seinen Gunsten geht die Kammer davon aus, dass er derzeit weiter in Vollzeit arbeitet, auch wenn der Arbeitsvertrag bei der Firma K. zunächst bis zum 30. Juni 2022 befristet war. Eine gefestigte berufliche Perspektive kann das Gericht vor dem Hintergrund der fehlenden Qualifikation und des wiederholten Betäubungsmittelkonsums, der bereits zuvor zu einer Kündigung geführt hatte, gleichwohl nicht erkennen. Der Antragsteller hat auch während des Maßregelvollzugs auf Schwierigkeiten im familiären Umfeld und mit Blick auf die ausländerrechtliche Situation mit Betäubungsmittelrückfällen reagiert. Er hat nach Ansicht des AWO Psychiatriezentrums zudem bereits jetzt Probleme, seine beruflichen und privaten Termine zu koordinieren. Vergleichbare Schwierigkeiten werden in Zukunft erneut auf den Antragsteller zukommen. Aus der Stellungnahme des AWO Psychiatriezentrums und den sonstigen Erkenntnissen schließt die Kammer, dass es dem Antragsteller nach wie vor an Resilienz und Frustrationstoleranz fehlt. Spätestens mit dem Ende der Therapieanbindung im AWO Psychiatriezentrum oder im Anschluss an die Forensische Institutsambulanz (FIA) werden ihm der geschützte Rahmen und der regelmäßige Austausch fehlen, die bisher dazu beigetragen haben, den Antragsteller vor weiterem Betäubungsmittelkonsum und daraus resultierenden Straftaten zu bewahren. Es ist nicht absehbar, dass der Antragsteller eine Zäsur bzw. einen persönlichen Wandel durchgemacht hätte, die einen erneuten Betäubungsmittelkonsum und dadurch bedingte Straftaten verhindern würde. Vielmehr ist auch nach Ansicht der Kammer zu erwarten, dass der Antragsteller nach dem Ende des Maßregelvollzugs in seine gewohnten und fest etablierten Verhaltensmuster zurückfallen und während des zu berücksichtigenden Zeitraums erneut Straftaten gegen das Eigentum oder das Vermögen anderer Personen begehen wird.

b) Die Ausweisung des Antragstellers ist für die Wahrung des Grundinteresses der Gesellschaft auch im Sinne von § 53 Abs. 3 AufenthG unerlässlich. "Unerlässlich" in diesem Sinne ist eine Ausweisung, wenn sie verhältnismäßig ist (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - BVerwG 1 C 19.11, juris Rn. 21), d. h. wenn das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Ausländers überwiegt. Entscheidend ist die umfassende, einzelfallbezogene Interessenabwägung unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG - allerdings nicht abschließend - aufgeführten Umstände. Die öffentlichen Interessen an der Ausreise des Antragstellers überwiegen die privaten Bleibeinteressen des Antragstellers, deren Gewicht durch den beschriebenen Ausweisungsanlass und die erhebliche Wiederholungsgefahr (siehe a.) bestimmt wird.

Auch im Bereich des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 22.02.2017 - BVerwG 1 C 3.16 -, juris insb. Rn. 24 und 58; vgl. auch Fleuß in BeckOK AuslR, Stand 1.7.2022, § 53 AufenthG Rn. 95 unter Hinweis auf BT-Drs. 18/4097, 50) und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Urteil vom 11.7.2018 - 13 LB 44/17 -, juris) auf die in den §§ 54 und 55 AufenthG gesetzlich typisierten Ausweisungs- und Bleibeinteressen abzustellen. Einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen wird dort durch den Gesetzgeber von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49).

Dem gem. § 54 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 1a lit. b) und lit. d) AufenthG unter mehreren Gesichtspunkten besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht (nur) ein besonders schweres Ausweisungsinteresse gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG entgegen. Ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gem. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG hat der Antragsteller nicht substantiiert dargelegt und ist nach den sonstigen Erkenntnissen aus den Strafakten auch abwegig. Der Antragsteller hat die Vaterschaft zu einem deutschen Staatsangehörigen trotz anderer Verlautbarungen bis heute nicht nachgewiesen. Zudem lebt dieses Kind nach Angaben des Antragstellers im Strafverfahren zusammen mit der Kindsmutter und deren Ehemann in der Republik Türkei.

Bei einer Abwägung überwiegt das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber dem privaten Bleibeinteresse des Antragstellers (deutlich).

Formal stehen sich dabei zwar besonders schwere Ausweisungsinteressen und ein besonders schweres Bleibeinteresse gleichrangig gegenüber. Allerdings erhält das Ausweisungsinteresse durch das wiederholte Erfüllen eines entsprechenden Straftatbestands und die besondere Planmäßigkeit und Rücksichtslosigkeit gegenüber den Rechten anderer ein zusätzliches Gewicht. Gleichzeitig lebt der Antragsteller zwar seit seiner Geburt in Deutschland, hat aber weder eine stabile berufliche und private Perspektive entwickelt, noch sich in die deutschen Lebensverhältnisse integriert oder gesellschaftlich engagiert. Vielmehr ist sein Aufenthalt spätestens seit der Hauptschule von einem den Lebensalltag bestimmenden Drogenkonsum und finanziellen Schwierigkeiten geprägt, die zur Begehung erheblicher Straftaten geführt haben. Diese Umstände relativieren das Bleibeinteresse, das daher kein dem besonders schweren Ausweisungsinteresse im Einzelfall vergleichbares Gewicht zukommt. Dazu trägt auch bei, dass der Antragsteller entgegen des Vorbringens im Eilverfahren zumindest in der Sitzung des Landgerichts Braunschweig auch von einer Familie in der Türkei gesprochen hat. Zumindest sein eigener Sohn lebt nach seinen Angaben in der Türkei. Sofern der Antragsteller sein Umgangsrecht tatsächlich (notfalls gerichtlich) durchsetzen möchte, so wäre dies in der Republik Türkei zu versuchen. Soweit der Antragsteller einen Anspruch geltend macht, seine Therapie bzw. den Maßregelvollzug im Inland fortzusetzen, ist ein solcher Anspruch weder dem einfachen Gesetzesrecht noch höherrangigem Recht zu entnehmen. Die Antragsgegnerin ist insoweit nicht gehalten, das (ggf. auch negative) Ergebnis einer möglicherweise langwierigen Therapie abzuwarten, bevor sie den betroffenen Ausländer ausweist (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 5.8.2022 - 13 LA 144/22 -, n. V.). Ein "Verstoß" gegen das Urteil des Landgerichts Hildesheim ergibt sich bei einer Abschiebung während des Maßregelvollzugs nicht. Die sonstigen familiären Bindungen zu seinen Eltern und seinen Geschwistern haben kein besonderes Gewicht, das i. S. v. Art. 6 GG einer Abschiebung entgegenstehen könnte. Auch unter Berücksichtigung des Rechts auf Achtung des Privatlebens i. S. d. Art. 8 Abs. 1 EMRK ergibt sich kein überwiegendes privates Interesse des Klägers am Verbleib im Bundesgebiet. Auf eine Rechtsstellung als "faktischer Inländer" kann sich der Antragsteller nicht berufen. Ob der Ausländer ein Privatleben faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat führen kann, hängt zum einen von seiner Integration in Deutschland (Dimension "Verwurzelung") und zum anderen von der Möglichkeit zur (Re-) Integration in seinem Heimatland (Dimension "Entwurzelung") ab. Gesichtspunkte für die Integration des Ausländers in Deutschland sind dabei eine zumindest mehrjährige Dauer des Aufenthalts, gute deutsche Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie etwa in einem Arbeits- oder Ausbildungsplatz, einem festen Wohnsitz, ausreichenden Mitteln, um den Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten zu können, und fehlender Straffälligkeit zum Ausdruck kommt. Eine nach Art. 8 EMRK schutzwürdige Verwurzelung im Bundesgebiet kann dabei grundsätzlich nur während Zeiten entstehen, in denen der Ausländer sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 28.02.2018 - 8 ME 1/18 -, juris Rn. 17 m. w. N.; Beschluss vom 10.11.2017 - 13 ME 190/17 -, juris Rn. 27 m. w. N.).

Die Antragsgegnerin hat sowohl eine umfassende Verwurzelung im Bundesgebiet verneint als auch die Möglichkeit einer (Re-)Integration in die Lebensverhältnisse der Republik Türkei bejaht und daher zutreffend festgestellt, dass eine Ausweisung auch mit Art. 8 EMRK vereinbar wäre. Zwar lebt der Antragsteller seit seiner Geburt im Bundesgebiet, er hat jedoch seit 2014 wiederholt und im Jahr 2017 mehrere schwere Straftaten begangen. Er hat es nicht geschafft, sich eine stabile familiäre und berufliche Perspektive aufzubauen. Der Antragsteller hatte sich vor seinen Straftaten bereits mit seinem Mobiltelefon über die drohenden Strafen informiert. Die strafrechtlichen und eben auch ausländerrechtlichen Konsequenzen hat der Antragsteller selber zu verantworten. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass ihm eine Integration in die Lebensverhältnisse in der Türkei unmöglich wäre. Vielmehr hat er nach eigenen Angaben im Strafverfahren auch Familie in der Türkei, wo auch sein Kind lebt. Er ist noch in einem Alter, in dem es zumutbar ist, eine eigene berufliche und persönliche Perspektive nicht im Bundesgebiet, sondern stattdessen in der Republik Türkei aufzubauen.

3. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die Abschiebungsandrohung ist unbegründet. Die Abschiebungsandrohung i. S. v. §§ 58, 59 AufenthG ist rechtmäßig. Mit der Ausweisungsentscheidung ist die Niederlassungserlaubnis des Antragstellers gem. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG erloschen und der Antragsteller ausreisepflichtig i. S. v. § 50 Abs. 1 AufenthG. Insbesondere hat die Antragsgegnerin eine angemessene Frist zur Ausreise gesetzt. Die Abschiebung ist gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Im Zeitpunkt des Erlasses der Abschiebungsandrohung befand sich der Antragsteller im Maßregelvollzug, weshalb die Abschiebung vornehmlich aus der Haft bzw. dem sonstigen öffentlichen Gewahrsam zum Zeitpunkt der Entlassung angedroht worden ist. Für den Fall, dass er nicht zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Maßregelvollzug abgeschoben werden kann, setzte die Antragsgegnerin eine Frist von 14 Tagen nach der Haftentlassung für seine freiwillige Ausreise. Diese Fristsetzung ist angesichts der Restdauer des Maßregelvollzugs und der schon infolge des Vollzugs eingeschränkten sozialen und wirtschaftlichen Verflechtungen des Antragstellers zur Organisation seiner Ausreise ohne Weiteres als angemessen zu betrachten.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht Nrn. 1.5, 8.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NordÖR 2014, 11).