Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 09.03.2023, Az.: 7 A 4945/22
Mobile Markise; sondernutzung; Sonnenschirm; Zum Begriff des "Sonnenschirms" im Sinne der Sondernutzungssatzung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 09.03.2023
- Aktenzeichen
- 7 A 4945/22
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2023, 16900
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2023:0309.7A4945.22.00
Rechtsgrundlagen
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Verfügung der Beklagten, mit der ihm untersagt worden ist, im öffentlichen Straßenraum vor seinem Restaurant eine sog. "mobile Markise" aufzustellen.
Der Kläger ist seit dem 1. Juli 2019 Eigentümer und Betreiber eines griechischen Restaurants im Stadtgebiet der Beklagten. Das Gebäude, in dem das Restaurant untergebracht ist, liegt südlich der D. und grenzt in östlicher Richtung an die Straße "E.". Im Bereich der Einmündung der Straße "E." in die D. und unmittelbar vor dem besagten Restaurant liegt eine öffentliche Verkehrsfläche, die dem Fußgängerverkehr gewidmet ist.
Die Beklagte wurde im Juni 2021 durch den Internetauftritt des Klägers darauf aufmerksam, dass dieser vor seinem Restaurant im öffentlichen Straßenraum Tische, Stühle, Windschutzelemente und die streitgegenständliche "mobile Markise" - eine horizontale Bespannung, die von zwei Stahlpfosten gehalten wird - aufgestellt hatte, ohne dass ihm eine entsprechende Sondernutzungserlaubnis erteilt worden war. Nachdem die Beklagte den Kläger hierauf hingewiesen hatte, stellte der Kläger den Antrag, Tische und Stühle vor seinem Restaurant aufstellen zu dürfen. Unter dem 2. Juli 2021 und dem 23. Februar 2022 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Sondernutzungserlaubnis zum Aufstellen von Tischen und Stühlen für den Zeitraum vom 24. Juni 2021 bis 31. Dezember 2022 auf einer Freifläche von ca. 34 m2 vor dem Restaurant des Klägers.

Mit Schreiben vom 14. Juni 2021, 23. September 2021, 4. Juli 2022 und 29. September 2022 forderte die Beklagte den Kläger zum Rückbau der Überdachungskonstruktion auf. Wegen der durch die Corona-Pandemie bedingten Einnahmeverluste von Restaurantbetreibern entschloss sich die Beklagte, straßenrechtswidrige Überdachungen bis einschließlich 31. Mai 2022 zu dulden. Auf Nachfrage des Klägers verlängerte die Beklagte die Frist zum Abbau der "mobilen Markise" bis zum 30. September 2022. Die besagten ca. 1,00 m hohen Windschutzelemente, die im Rechteck die vom Kläger genutzte Außengastronomiefläche eingrenzen, werden von der Beklagten offenbar geduldet.
Nachdem eine Kontrolle der Beklagten vor Ort am 12. Oktober 2022 ergeben hatte, dass die Überdachungskonstruktion weiterhin nicht abgebaut worden war, untersagte die Beklagte mit der vorliegend angegriffenen Verfügung vom 19. Oktober 2022 dem Kläger das "Aufstellen einer großflächigen Überdachung/ mobilen Markise vor seinem Restaurant" (Ziffer 1 des Verfügungstenors) und ordnete die sofortige Vollziehung an (Ziffer 2). Im Falle des Zuwiderhandelns drohte sie dem Kläger die Festsetzung von Zwangsgeld an (Ziffer 3). Nach der Sondernutzungssatzung der Beklagten sei das Aufstellen von Freisitzen (Tische und Sitzgelegenheiten für gastronomische Zwecke) und Sonnenschirmen erlaubnispflichtig. Mit der dem Kläger erteilten Sondernutzungserlaubnis dürfe der Kläger Freisitze und Sonnenschirme auf der dort genannten Fläche aufstellen. Darunter falle allerdings nicht die von dem Kläger installierte großflächige Überdachung/mobile Markise.
Hiergegen hat der Kläger am 21. November 2022 bei dem erkennenden Gericht Klage erhoben. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass die Satzung der Beklagten zu dem hier vorliegenden Sachverhalt bzw. zu dem Aufstellen einer mobilen, freistehenden Markise, keine Regelung enthalte. Die Neuerungen der Moderne sowie die technische Anwendbarkeit von Materialien und Innovationen führe bei der Überprüfung von Rechtsvorschriften oftmals zu dem Umstand, dass rechtliche Regelungen nicht mit dem Innovationsgeist und Fortschritt in der Wirtschaft Schritt halten könnten. Der Umstand, dass die Sondernutzungssatzung der Beklagten keine Regelungen zu freistehenden Markisen enthalte, scheine ein Indiz für eine fehlende Anpassung zu sein, die es durch eine analoge Anwendung der entsprechenden Rechtsvorschriften zu schließen gelte. Denn in der besagten Sondernutzungssatzung seien zwar Sonnenschirme als mobile Überdachungen benannt und auch Markisen, die an Gebäuden befestigt würden, seien als genehmigungspflichtig gekennzeichnet; eine Regelung zu freistehenden Markisen suche man jedoch vergeblich. Die streitige Gastromarkise sei weder ein "Sonnenschirm" im Sinne der Sondernutzungssatzung der Beklagten, noch sei sie Markise, die an einem Gebäude fest verankert sei und in den Straßenraum hineinrage. Die streitige Gastromarkise sei eine Mischform, die jedoch aufgrund ihrer Mobilität als ausklappbare Beschattung mehr Sonnenschirm im Sinne der besagten Sondernutzungssatzung und weniger standortbehaftete Markise an einem Gebäude sei. Unabhängig davon hätte die Beklagte ihr Ermessen dahingehend auszuüben, dass aufgrund der geringfügigen Unterschiede zwischen einem Schirm mit einem vertikalen Schirmstiel und einer Gastromarkise mit zwei Schirmstielen eine Ausnahme nach § 19 der Sondernutzungssatzung anzunehmen wäre. Die Beklagte habe ihr Ermessen insoweit überhaupt nicht ausgeübt.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 19. Oktober 2022 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ergänzt die der angegriffenen Verfügung beigegebene Begründung dahin, dass der öffentliche Straßenraum durch die "mobile Markise" über die Nutzung mit Freisitzen und Sonnenschirmen hinaus zusätzlich in Anspruch genommen werde. Die durch die Kombination von "mobiler" Markise und Windschutzelementen bewirkte "Einhausung" der Außengastronomiefläche habe eine andere Qualität als das Aufstellen von Tischen und Stühlen und bedürfe daher einer gesonderten Sondernutzungserlaubnis. Die "mobile Markise" als (neuartige) massive Sonnenschutzanlage unterscheide sich deutlich von grundsätzlich genehmigungsfähigen Sonnenschirmen, welche - vereinzelt auf den Außengastronomieflächen aufgestellt - keine Dominanz im öffentlichen Straßenraum erzeugten und auch nicht zu einem Einhausungseffekt führten.
Mit Schreiben vom 13. Dezember 2022 hat die Beklagte den Kläger zu der Untersagung einer unzulässigen Sondernutzung (Aufstellen einer großflächigen Überdachung/ mobilen Markise) angehört. Eine Äußerung seitens des Klägers erfolgte nicht.
Unter dem 2. Februar 2022 verlängerte die Beklagte die erteilte Sondernutzungsgenehmigung des Klägers bis einschließlich 31. Dezember 2023
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die zulässige Anfechtungsklage hat in der Sache keinen Erfolg.
Die angegriffene Verfügung der Beklagten vom 19. Oktober 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-).
1. Das gegen den Kläger ausgesprochene Verbot, eine großflächige Überdachung/ "mobile Markise" vor seinem Restaurant aufzustellen, findet seine Rechtsgrundlage in § 22 Satz 1 Nds. Straßengesetz (NStrG) i.V.m. § 17 Abs. 5 der Satzung über die Sondernutzung an Ortsdurchfahrten in der Landeshauptstadt A-Stadt (Sondernutzungssatzung) vom 13. November 2008. Danach kann die für die Erteilung zuständige Behörde die erforderlichen Maßnahmen zur Beendigung der Benutzung anordnen, wenn eine Straße ohne die erforderliche Erlaubnis benutzt wird. So verhält es sich vorliegend.
Bei dem Aufstellen der mobilen Markise vor dem Restaurant des Klägers handelt es sich um eine Sondernutzung, weil es sich um eine erlaubnispflichtige Nutzung der Straße über den Gemeingebrauch hinaus (§ 18 NStrG) handelt. Die Fläche vor dem Restaurant des Klägers ist als Verkehrsfläche dem öffentlichen Fußgängerverkehr gewidmet. Auch liegt vorliegend keine Konstellation vor, die eine Ausnahme rechtfertigt. Nach § 4 Abs. 1 der Sondernutzungssatzung der Beklagten bedürfen alle Sondernutzungen, die nicht nach § 5 und Anlage II der Sondernutzungssatzung erlaubnisfreie Nutzungen der Ortsstraßen und Ortsdurchfahrten darstellen, einer Erlaubnis der Beklagten. Die Nutzung der Straße durch den Kläger stellt unstreitig keine erlaubnisfreie Nutzung nach § 5 und Anlage II der Sondernutzungssatzung der Beklagten dar.
Dem Kläger ist hierfür keine Sondernutzungserlaubnis erteilt worden. Die dem Kläger erstmals im Juli 2021 erteilte Sondernutzungserlaubnis umfasst nach deren eindeutigem Wortlaut ausschließlich das Aufstellen von Tischen und Stühlen, nicht jedoch das Aufstellen von "mobilen Markisen". Einen Antrag auf Erteilung einer Sondernutzung für das Aufstellen der mobilen Markise hat der Kläger auch nicht gestellt.
Die Beklagte hat das ihr im Rahmen von § 22 Satz 1 NStrG zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt; Ermessensfehler sind nicht zu erkennen. Das Gericht darf bei der rechtlichen Prüfung nicht sein Ermessen an die Stelle des behördlichen Ermessens setzen; es überprüft gemäß § 114 Satz 1 VwGO lediglich, ob die Beklagte die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Ermessensfehlerhaft handelt die Behörde insbesondere dann, wenn sie bei ihrem Handeln von unzutreffenden, nicht gegebenen tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen ausgeht, oder sie zwar alle einschlägigen Tatsachen und Gesichtspunkte berücksichtigt hat, einzelnen davon aber ein Gewicht beimisst, das ihnen nach objektiven Wertungsgrundsätzen nicht zukommt; die Behörde hat bei der Auswahl der Maßnahmen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten.
Die Beklagte hat die Untersagungsverfügung ohne Ermessensfehler selbstständig tragend auf die formelle Illegalität der "mobilen Markise" gestützt. Denn schon die formelle Illegalität rechtfertigt zur Wahrung der Ordnungsfunktion der Sondernutzungssatzung in der Regel den Erlass einer Untersagungsverfügung. Denn sonst würde der Eindruck vermittelt werden, dass durch das Ignorieren öffentlich-rechtlicher Vorschriften Tatsachen zum eigenen Vorteil geschaffen werden können. Anders kann es sich nur verhalten, wenn die Nutzung des öffentlichen Straßenraums offensichtlich genehmigungsfähig ist, wenn sich ihre materiell-rechtliche Zulässigkeit also geradezu aufdrängt. Dafür ist allerdings grundsätzlich vorauszusetzen, dass bereits ein entsprechender Antrag auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis gestellt sowie nach Auffassung der Behörde genehmigungsfähig ist und der Erlaubnis der Sondernutzung sonst keine Hindernisse entgegenstehen (vgl. im Grundsatz OVG NRW, Urteil vom 6. Oktober 2022 - 7 A 696/07 -, juris Rn. 70 ff.). In derartigen Fällen, in denen die Behörde die in der formellen Illegalität liegende Störung durch sofortige Erteilung der Sondernutzungserlaubnis beseitigen könnte, wäre der Erlass einer Untersagungsverfügung unverhältnismäßig und damit rechtswidrig.
Offenbleiben kann, ob mit der zitierten Rechtsprechung eine Antragstellung erforderlich ist; denn vorliegend sind jedenfalls die Voraussetzungen für die offensichtliche Genehmigungsfähigkeit nicht erfüllt. Dem Kläger müsste jedenfalls nicht offensichtlich eine Sondernutzungserlaubnis erteilt werden, sollte dieser einen entsprechenden Antrag stellen. Zwar trifft es zu, dass gemäß § 7 der Sondernutzungssatzung der Beklagten gastronomischen Betrieben das Aufstellen von Sonnenschirmen im öffentlichen Straßenraum - grundsätzlich vor ihren Geschäftsräumen und zeitlich befristet - erlaubt werden kann. Bei dem von dem Kläger aufgestellten Sonnenschutz ist aber fraglich, ob eine solche "mobile Markise" als "Sonnenschirm" im Sinne des § 7 der Sondernutzungssatzung der Beklagten - der insoweit allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage - anzusehen ist. Während Sonnenschirme - auch wie sie in der Gastronomie eingesetzt werden - soweit ersichtlich mithilfe eines Schirmständers aufgestellt werden, verfügt der hier streitige Sonnenschutz über zwei Stützen, an denen die Bespannung befestigt wird. Berücksichtigt werden muss in diesem Zusammenhang auch, dass die Funktionsweise des Ausziehens/ Ausfahrens der Bespannung wohl mehr einer - an einer Hauswand befestigten - Markise denn einem Sonnenschirm entsprechen dürfte. Es ist damit nicht offensichtlich, dass dem Kläger eine entsprechende Sondernutzungserlaubnis bei Antragstellung erteilt werden müsste.
Im Übrigen liegen - entgegen dem Vortrag des Klägers - die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 7 Abs. 1 der Sondernutzungssatzung nicht vor, da keine planwidrige Regelungslücke besteht, die es zu schließen gilt. Ein Fall wie der vorliegende wird von dem Grundsatz des § 4 der Sondernutzungssatzung umfasst.
2. Die Zwangsgeldandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 70 Abs. 1 Nds. Verwaltungsvollstreckungsgesetz (NVwVG) i.V.m. §§ 64 Abs. 1, 65 Abs. 1 Nr. 2, 67, 70 Nds. Polizei- und Ordnungsgesetz (NPOG). Für die Vollstreckung eines Verwaltungsaktes, mit dem, wie hier, eine Handlung erzwungen werden soll, finden nach § 70 Abs. 1 NVwVG die Vorschriften der §§ 64 ff. NPOG Anwendung. Nach § 64 Abs. 1 NPOG kann ein Verwaltungsakt, der auf die Vornahme einer Handlung oder auf Duldung oder Unterlassung gerichtet ist, mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, wenn er unanfechtbar ist oder wenn, wie hier aufgrund der Anordnung der sofortigen Vollziehung in der Grundverfügung vom 19. Oktober 2022, ein Rechtbehelf keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Zwangsmittel sind nach § 70 Abs. 1 Satz 1 NPOG möglichst schriftlich anzudrohen, was vorliegend erfolgt ist. Auch die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Das Zwangsgeld wird auf mindestens 5,00 und auf höchstens 50.000,00 Euro schriftlich festgesetzt. Bei seiner Bemessung ist auch das wirtschaftliche Interesse der betroffenen Person an der Nichtbefolgung des Verwaltungsaktes zu berücksichtigen (§ 67 Abs. 1 NPOG). Das von der Beklagten angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 500,00 Euro ist im Hinblick darauf, dass der Kläger die streitige "mobile Markise" bis auf weiteres im öffentlichen Straßenraum für seine Außengastronomie - also zur Verfolgung eigener wirtschaftlicher Zwecke - nutzten möchte, nicht unverhältnismäßig.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.