Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.10.2007, Az.: 4 U 94/07
Voraussetzungen der Veranlassung einer Beauftragung eines Verfahrensbevollmächtigten für das Berufungsverfahren aus Sicht eines auf Prozesskostenhilfe angewiesenen Berufungsbeklagten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 08.10.2007
- Aktenzeichen
- 4 U 94/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 42854
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2007:1008.4U94.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 27.04.2007 - AZ: 4 O 352/06
Rechtsgrundlage
- § 522 Abs. 2 ZPO
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Auch wenn dem Berufungsbeklagten bereits eine Frist zur Berufungserwiderung gesetzt ist, besteht aus der Sicht einer auf Prozesskostenhilfe angewiesenen Partei für die Beauftragung eines Verfahrensbevollmächtigten für das Berufungsverfahren erst dann eine Veranlassung, wenn entschieden ist, ob die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen oder Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt werden soll. Prozesskostenhilfe ist in einem solchen Fall nicht zu bewilligen, wenn die Bevollmächtigung schon vor der nach § 522 Abs. 2 ZPO erfolgten Zurückweisung der Berufung erfolgt ist, obwohl das Gericht seine Entscheidung darüber bereits angekündigt hat.
- 2.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Berufungsgericht den Berufungsbeklagten ausdrücklich auffordert, zu der Berufungsbegründung wegen darin enthaltener neuer Tatsachen Stellung zu nehmen; dies bedeutet für die Frage der Prozesskostenhilfebewilligung, dass mit Zugang der Aufforderung der Moment gekommen ist, in dem die arme Partei einen Rechtsanwalt für das Berufungsverfahren beauftragen kann und ihr die - in der Regel notwendige - Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist.
In dem Rechtsstreit
...
hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
am 8. Oktober 2007
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag der Klägerin, ihr Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz zu bewilligen, wird gebührenfrei zurückgewiesen; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Der Beklagte ist mit Urteil des LG Hannover vom 27. April 2007 auf Zahlung von 6.000 EUR an die Klägerin verurteilt worden. Seine gegen dieses Urteil gerichtete Berufung vom 25. Mai 2007 hat er mit einem am 14. Juni 2007 eingegangenen Schriftsatz begründet. Nach Eingang der Berufungsbegründung hat der Vorsitzende des Senats der Klägerin mit Verfügung vom 14. Juni 2007 eine Frist zur Berufungserwiderung bis zum 6. August 2007 gesetzt und zugleich darauf hingewiesen, dass der Senat voraussichtlich alsbald, jedoch nicht vor der am 3. Juli 2007 ablaufenden Frist zur Berufungsbegründung über die Frage entscheiden wird, ob die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen oder Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt werden soll. Kurze Zeit nach Erlass dieser Verfügung hat die Klägerin mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 18. Juni 2007, eingegangen am 20. Juni 2007, beantragt, ihr für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und den Unterzeichner beizuordnen. Nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist hat der Senat am 4. Juli 2007 einen Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO erlassen, in dem es unter Hinweis auf Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., § 119 Rdnr. 55 auch darauf hingewiesen hat, dass eine Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin nicht veranlasst sei, weil für den Berufungsbeklagten keine Notwendigkeit zur Rechtsverteidigung bestehe, wenn das Berufungsgericht nach Eingang der Berufungsbegründung Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO erteilt.
Gleichwohl ist am 16. Juli 2006 die Berufungserwiderung der Klägerin vom 6. Juli 2007 eingegangen. Mit Beschluss vom 20. Juli 2007 hat der Senat nach Ablauf der dem Beklagten gesetzten Frist zur Stellungnahme dessen Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückgewiesen, nachdem eine Stellungnahme nicht eingegangen und auch sonst keine Erklärung abgegeben worden ist. Auf den Hinweis des Senats an die Klägerin, ihr Prozesskostenhilfeantrag werde im Hinblick auf den Hinweis in dem Beschluss vom 4. Juli 2007 als erledigt angesehen, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 8. August 2007 erklärt, dass es wegen "einer unglücklichen Überschneidung" schon zum Zeitpunkt des Eingangs des Beschlusses vom 4. Juli 2007 zur Absetzung der Berufungserwiderung am 6. Juli 2007 gekommen sei. Aufgrund der Fristsetzung in der Verfügung des Vorsitzenden vom 14. Juni 2007 habe für die Klägerin sehr wohl Veranlassung bestanden, Prozesskostenhilfe zu beantragen und eine entsprechende Prozessbevollmächtigung auszusprechen.
II.
Zwar ist der Schriftsatz vom 8. August 2007 als Aufrechterhaltung des Antrags der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren zu bewerten, so dass sich das Gesuch entgegen der Annahme in dem Hinweis vom 20. Juli 2007 nicht erledigt hat. Dem Prozesskostenhilfegesuch der Klägerin konnte aber nicht entsprochen werden, weil, solange der Senat noch nicht über die Frage entschieden hatte, ob nach § 522 Abs. 2 ZPO verfahren werden soll, eine anwaltliche Vertretung der Klägerin in zweiter Instanz jedenfalls auf der Basis von Prozesskostenhilfe (anders möglicherweise bei der Frage der Notwendigkeit von Kosten i. S. v. § 91 Abs. 1 ZPO) nicht notwendig ist. Dass der Klägerin bereits eine Berufungserwiderungsfrist gesetzt war, ändert hieran nichts. Aus der Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 14. Juni 2007 (dort zu Ziffer 3) ging jedenfalls ungeachtet der gesetzten Berufungserwiderungsfrist auch hervor, dass der Senat noch nicht entschieden hatte, ob die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen oder Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt werden sollte (vgl. zu allem auch Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., § 119 Rn. 55). Die Entscheidung über die einstimmige Zurückweisung sollte ausdrücklich bis zum Ablauf der Berufungsbegründungfrist zurückgestellt werden und dann unverzüglich erfolgen, wie dies auch geschehen ist.
Anlass, sich zu verteidigen und einen Rechtsanwalt für das Berufungsverfahren zu beauftragen, bestand damit für die Klägerin weder am 18. Juni 2007 noch am 6. Juli 2007. Eine vernünftige, kostenbewusste Partei hätte jedenfalls erst dann einen Rechtsanwalt beauftragt, wenn sie dazu Veranlassung gehabt hätte. Dies war aber weder ab Kenntnis der eingelegten Berufung, noch ab Kenntnis der vorgelegten Berufungsbegründung der Fall. Vielmehr sind alle Rechte der armen Partei auch dann gewahrt, wenn sie sich nach der Entscheidung des Gerichts, ob nach § 522 Abs. 2 ZPO verfahren werden soll, innerhalb der gesetzlichen Fristen zu äußern vermag (siehe auch OLG Dresden, OLGR 2007, 117). Auch wenn mit der Zustellung der Berufungsbegründung eine weitläufige Frist zur Erwiderung gesetzt wird und das Gericht zugleich auf die noch ausstehende Entscheidung über die Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO hinweist, die noch vor Ablauf der Erwiderungsfrist erfolgen soll, ist kein Anlass gegeben, vorschnell einen Prozessbevollmächtigten zu beauftragen. Der armen Partei, die in erster Instanz obsiegt hat, gehen durch das Abwarten des Verfahrens nach § 522 Abs. 2 ZPO, das für sie den Vorteil hat, dass die erstinstanzlichen Entscheidung sehr schnell rechtskräftig wird, keine Rechte verloren: Gibt der Gegner zu dem Hinweisbeschluss eine Stellungnahme ab und entscheidet sich das Berufungsgericht für eine mündliche Verhandlung, ist es unproblematisch, die Frist zur Berufungserwiderung zu verlängern, falls dies erforderlich ist. Erfolgt - wie vorliegend - keine Stellungnahme, erübrigt sich eine Erwiderung ohnehin. Kommt es schließlich zu einem Antrag des Gegners auf Verlängerung der Frist zur Stellungnahme, wird mit dieser Fristverlängerung durch den Senat regelmäßig auch die Frist zur Erwiderung auf die Berufung angemessen verlängert. Rechtsnachteile drohen der bedürftigen Partei in keinem Fall.
Das Argument, der armen Partei dürfe ihr Einflussrecht auf den Prozess nicht genommen werden (in diesem Sinne OLG Rostock, OLGR 2005, 840; ähnlich OLG Koblenz, NJW 2003, 2001), verfängt nicht, weil es im Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO zunächst nicht darauf ankommt, welche Stellungnahme der Berufungsbeklagte zu der Begründung abgibt. Diese Frage stellt sich erst dann, wenn die Berufung mit neuen Tatsachen begründet wird und es für das weitere Verfahren entscheidend ist, ob diese Tatsachen unstreitig bleiben oder bestritten werden. In solchen Fällen ergeht jedoch immer eine Aufforderung an die im ersten Rechtszug siegreiche Partei, sich zu der Begründung zu äußern, bevor eine Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO getroffen wird. Ergeht eine solche Aufforderung, bedeutet dies für die Frage der Prozesskostenhilfebewilligung, dass jetzt der Moment gekommen ist, in dem die arme Partei einen Rechtsanwalt für das Berufungsverfahren beauftragen kann und ihr die - in der Regel notwendige - Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist.
Im Übrigen ist in Fällen ohne neues tatsächliches Vorbringen die Einflussnahme des Berufungsgegners auf das Verfahren gerade nicht erforderlich, wenn das Gericht die Zurückweisung oder die Terminierung prüft (so auch OLG Dresden, OLGR 2007, 117). Diese Prüfung erfolgt auf der Grundlage des Vorbringens in der Berufungsbegründung. Gibt dieses Vorbringen Veranlassung, die Sache mündlich zu verhandeln, hat die gegnerische Partei immer noch ausreichend Zeit und Gelegenheit, auf das Berufungsverfahren Einfluss zu nehmen.
Vorliegend bestand für die Klägerin unter keinem der zuvor ausgeführten Gesichtspunkte Veranlassung, vor der Entscheidung des Senats nach § 522 Abs. 2 ZPO einen Prozessbevollmächtigten mit der Wahrnehmung ihrer Rechte im Berufungsverfahren zu beauftragen. Prozesskostenhilfe steht ihr nicht zu (so im Ergebnis auch OLG Celle, MDR 2004, 598 f [OLG Celle 28.10.2003 - 6 U 170/03]ür den Fall, dass keine Frist zur Berufungserwiderung gesetzt ist und noch Aussicht besteht, dass das Rechtsmittel nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen wird). Das Prozesskostenhilfegesuch der Klägerin war deshalb mit der Kostenfolge aus § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO zurückzuweisen.