Landgericht Stade
Urt. v. 06.10.2022, Az.: 8 O 31/22
Wettbewerbswidrigkeit; Bescheinigung einer vorläufigen Impfunfähigkeit (Covid)
Bibliographie
- Gericht
- LG Stade
- Datum
- 06.10.2022
- Aktenzeichen
- 8 O 31/22
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 65683
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OLG Celle - 14.03.2023 - AZ: 13 U 54/22
Rechtsgrundlagen
- VWG §§ 8, 5, 3
- StGB § 278
Fundstelle
- WRP 2022, 1577-1580
Amtlicher Leitsatz
Wettbewerbswidrigkeit einer sog. vorläufigen Impffähigkeitsbescheinigung ohne ärztlichen Kontakt.
Die Bewerbung und das Ausstellen sog. vorläufiger Impffähigkeitsbescheinigungen ohne einen vorausgegangenen unmittelbaren Kontakt zwischen dem Patienten und dem ausstellenden Arzt ist wettbewerbswidirg.
In dem Rechtsstreit
XXX
Kläger
Prozessbevollmächtigte: XXX
gegen
1. XXX
2. XXX
Beklagte
Prozessbevollmächtigte zu 1, 2: XXX
wegen Wettbewerbsverstoßes
hat die 8. Zivilkammer (1. Kammer für Handelssachen) des Landgerichts Stade auf die mündliche Verhandlung vom 25.08.2022 durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht XXX
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Beklagten werden verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zur Höhe von 250.000,00 €, ersatzweise von Ordnungshaft, oder von Ordnungshaft bis zur Dauer von 6 Monaten zu unterlassen,
wie nachstehend wiedergegeben
zu werben, die ausgestellt werden, ohne dass ein unmittelbarer Kontakt zwischen dem/der ausstellenden Ärzt/in und dem/der Patienten/in stattfindet und die Beurteilung der bescheinigten Impfunfähigkeit dementsprechend nicht auf der eigenen Wahrnehmung des/der ausstellenden Arztes/Ärztin an dem zu behandelnden Menschen beruht und/oder solche Impfunfähigkeitsbescheinigungen an Patienten/innen auszugeben.
- 2.
Die Beklagte zu 1.) wird verurteilt, an die Klägerin 462,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
- 3.
Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
- 4.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000,00 € vorläufig vollstreckbar.
- 5.
Der Streitwert wird auf 30.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger ist ein Wettbewerbsverein, dem über 800 Verbände und Körperschaften sowie mehr als 1.200 Unternehmen als Mitglieder angehören, hierunter auch die Bundesärztekammer und die Ärztekammer Niedersachsen. Er ist in die bei dem Bundesamt für Justiz geführte Liste qualifizierter Wirtschaftsverbände nach § 8b UWG eingetragen.
Die Beklagte zu 1. betrieb, damals noch als GmbH i.Gr., Ende 2021 die Internetseite XXX. Der Beklagte zu 2. ist sowohl der Geschäftsführer der Beklagten zu 1. als auch der XXX, die die Internetseite XXX betreibt, auf die man am 22.04.2022 über den Link XXX automatisch weitergeleitet wurde.
Am 27.12.2021 wurde der Kläger auf eine auf dieser Website eingeblendete Werbung aufmerksam gemacht. Dort hieß es unter der Überschrift "Bist du überhaupt impffähig?" "XXX ermöglicht es dir, dich umfassend über die potentiellen Folgen einer Corona-Impfung zu informieren
Du kannst über uns im Rahmen einer gutachterlichen Stellungnahme von unserem Arzt online klären lassen, ob du impffähig bist. Sollten mögliche Allergien gegen einzelne Inhaltsstoffe dagegensprechen, bekommst du über XXX eine vorläufige Impfunfähigkeitsbescheinigung.
Diese Bescheinigung kannst du z. B bei deinem Arbeitgeber vorlegen. Sie nimmt dir den Druck dich voreilig impfen zu lassen Für die gutachterliche Stellungnahme berechnen wir einmalig 17,49 Euro.".
Hierunter fand sich ein Button mit der Aufschrift "Jetzt Impffähigkeit prüfen lassen".
Klickte man diesen Button an, ging eine Seite auf, auf der der Nutzer seine Anschrift und sein Geburtsdatum, seine E-Mail-Adresse und optional die Personalausweisnummer eingeben und sodann auf einen Button "Zur Kasse" klicken konnte. Sodann konnte der Nutzer aus verschiedene Zahlungsoptionen die gewünschte auswählen und danach auf den Button "Zur ärztlichen Aufklärung" klicken. Sodann wurde der Nutzer aufgefordert, sich ein Video anzuschauen, in dem u.a. über verschiedene Covid 19-Impfstoffe, deren Risiken und Nebenwirkungen berichtet wurde. Unter dem Button "Befragung" konnte der Nutzer dann wählen, welchen der verfügbaren Impfstoffe man im Falle einer Covid-19-Impfung wählen würde. Kreuzte der Nutzer den Impfstoff "Comirnaty (Biontec)" wurden die Inhaltsstoffe dieses Impfstoffes aufgeführt.
Sodann erschien die Frage: "Kannst Du ausschließen, dass Du gegen einen oder mehrere dieser Stoffe allergisch bist?". Der Nutzer musste dann die Frage beantworten, ob er eine Allergie ausschließen oder nicht ausschließen könne oder ob er sich nicht sicher sei, auf einen der genannten Inhaltsstoffe allergisch zu reagieren. Wählte der Nutzer die Auswahlmöglichkeit, "Ich bin mir nicht sicher, ob ich auf einen der genannten Impfstoffe allergisch reagiere." aus, gelangte er nach dem Hinweis, dass er nur eine vorläufige Impfunfähigkeitsbescheinigung erhalten könne, zu dem Link "Zur Bescheinigung" am Ende der Seite. Nach dem Anklicken des Links bestand die Möglichkeit, verschiedene Dokumente herunterzuladen, nämlich eine sog. vorläufige Impfunfähigkeitsbescheinigung, einen Arztbrief an einen Allergologen und ein Musterschreiben an die Krankenkasse. Zugleich wurde eine E-Mail übersandt, mit der man nach Eingabe seiner E-Mail Anschrift und des Kennwortes die entsprechenden Dokumente erhielt. Die sog. vorläufige Impfunfähigkeitsbescheinigung war, ebenso wie der Arztbrief, von einer Frau XXX unterschrieben, zu der zuvor kein persönlicher Kontakt bestanden hatte. In dieser hieß es u.a,: "... Aufgrund meiner ärztlichen Einschätzung und Bewertung der Angaben des Patienten, komme ich nach freiem Ermessen zu folgender Einschätzung: Dieser Patient muss vor einer Impfung mit Covid-19 Impfstoffen eine Überempfindlichkeit gegen einzelne Inhaltsstoffe von einem Facharzt für Allerlogie überprüfen lassen. Eine Unverträglichkeit einzelner Bestandteile der aktuell zugelassenen Covid-19-Impfstoffe stellt eine endgültige Impfunfähigkeit dar. Dieser Patient ist bis zum Vorliegen eines Impfstoffallergiegutachtens zeitlich begrenzt bis zum (hier wird ein Datum das sechs Monate nach dem Ausstellungsdatum der Bescheinigung liegt eingesetzt) impfunfähig. Es besteht die konkrete Gefahr, dass der Patient neben verschiedenen leichten und mittelschweren insbesondere folgende schwere Impfwirkungen erleben könnte:..". Im Folgenden sind sodann handschriftlich abgehakt: Thrombose mit Thrombose zu Thrombozytopenie-Syndrom (TTS), Blutgerinnsel der Hirnvenen, Anaphylaktische Reaktionen, Guillain-Barré-Syndrom, Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen (Myokarditis), ADEM (akute disseminierte Enzephalomyelitis), Transverse Myelitis.
Wegen der konkreten Darstellung der Website und dem Nutzungsvorgang wird auf den Inhalt der Anlagen 2 bis 9, hinsichtlich der vorläufigen Impfunbescheinigung auf die Anlage 10 Bezug genommen.
Der Kläger mahnte die Beklagte zu 1.mit Schreiben vom 29.12.2021 unter Fristsetzung bis zum 5.1.2022 ab und forderte diese auf, sich strafbewehrt zu unterwerfen, was seitens der Beklagten zu 1. abgelehnt wurde.
Im April 2022 wurde auf der Internetseite XXX in der oben dargestellten Weise geworben. Diesbezüglich wird auf die Anlage K 15 Bezug genommen.
Der Kläger meint, dass die Beklagte zu 1. mit ihrer Werbung gegen § 9 S.1 HWG verstoßen habe, wonach Werbung für die Erkennung von Krankheiten, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen beruhen, verboten sei. Auch die Ausgabe der Impfunfähigkeitsbescheinigung durch die Beklagte zu 1. sei unzulässig, da mittels dieser einem Arbeitgeber in irreführenderweise vorgespiegelt werden solle, dass der Person, die die Impfunfähigkeitsbescheinigung vorlege, ein Arzt aufgrund einer Untersuchung eine Impfunfähigkeit bescheinigt habe, und der Arbeitgeber hierdurch zu geschäftlichen Entscheidungen veranlasst werden könnte.
Der Beklagte zu 2. hafte hier als Geschäftsführer einer GmbH, da er ein auf Rechtsverletzungen angelegtes Geschäftsmodell selbst ins Werk gesetzt habe.
Der Kläger beantragt,
wie erkannt.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, dass das Heilmittelwerbegesetz hier schon keine Anwendung fände, da eine ärztliche Bescheinigung über die vorläufige Impfunfähigkeit keine Leistung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2. HWG darstelle. Der Homepageauftritt habe eindeutig erkennen lassen, dass der Interessent am Ende des Angebots keine Krankheitsdiagnose, keinen Behandlungsvorschlag und keine Feststellung einer Krankheit erhalte. Vielmehr sei dem Interessenten lediglich eine ärztliche Bescheinigung darüber in Aussicht gestellt worden, bis zur Klärung einer möglichen Überempfindlichkeit gegen einzelne Inhaltsstoffe der Covid-19-Impfstoffe zeitlich begrenzt impfunfähig zu sein. Darüber hinaus seien die Voraussetzungen einer Fernbehandlung nach dieser Vorschrift nicht erfüllt. Die Impffähigkeit bzw. Impfunfähigkeit einer Person stelle keine Krankheit, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden im Sinne dieser Vorschrift dar. Bei dem beworbenen Angebot handelt es sich vielmehr um reine Vorbeugung und Verhütung von Krankheiten und eine sachliche Aufklärung über Risiken und Nebenwirkungen einer Impfung gegen Covid-19. Es werde weder eine Diagnose gestellt, noch ein Behandlungsvorschlag unterbreitet, sondern dem Patienten, entsprechend seiner Antworten lediglich geraten, sich bei einem Facharzt für Allergologie vorzustellen. Um eine solche vorläufige Impfunfähigkeitsbescheinigung auszustellen, bedürfe es keiner eigenen Wahrnehmung seitens des bescheinigenden Arztes. Selbst wenn jedoch diese Voraussetzungen gegeben wären, wurde hier der Ausnahmetatbestand des § 9 S. 2 HWG eingreifen. Darüber hinaus lege hier auch keine irreführende Werbung gemäß § 5 Abs. 1 S.1 UWG vor, da die vorläufigen und zeitlich begrenzten Impfunfähigkeitsbescheinigungen nicht den Eindruck erwecken würden, dass die die Bescheinigung ausstellende Ärztin die Patienten untersucht und befragt habe.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
I.
1.
Dem Kläger steht gegen die Beklagten ein Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs.1, Abs.2 Nr. 2, 5 Abs.1 S.1, S.2 Nr. 1 UWG zu.
Der Kläger ist gem. § 8 Abs.3 Nr.2 UWG klagebefugt, da unstreitig die Bundesärztekammer und Ärztekammer Niedersachsen seine Mitglieder sind.
Die beanstandete Maßnahme ist eine geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Nr.1 UWG. Unter diesen Begriff fällt jedes Verhalten einer Person zu Gunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt. Mit ihrer Werbung verweist die Beklagte auf das kostenpflichtige Angebot, eine Impfunfähigkeitsbescheinigung ohne ärztlichen Kontakt zu erhalten. Diese Hinweise sollen die Inanspruchnahme dieses Angebots fördern.
Nach § 5 Abs.1 S.1 UWG handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung ist gemäß § 5 Abs.1 S. 2 Nr. 1 UWG irreführend, wenn sie unwahre oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben enthält, wie etwa zur Verwendungsmöglichkeit einer Ware oder Dienstleistung.
a.
Die streitgegenständliche Werbung wendet sich an Verbraucher, die nicht gegen Covid-19 geimpft sind und eine Bescheinigung für die Befreiung von einer Impfpflicht benötigen, um Nachteile, die ihnen durch eine fehlende Impfung entstehen könnten, abzuwenden. Es handelt sich nicht um Personen, die lediglich eine ärztliche Beratung zur eigenen Entscheidungsfindung wünschen, sondern um solche, die gerade eine ärztliche Bescheinigung über eine Impfunfähigkeit erhalten möchten, und bereit sind, hierfür 17,49 € zu bezahlen. Insoweit bewarb die Beklagte zu 1. ihre Dienstleistung gerade damit, dass die sog. Bescheinigung einer "vorläufigen Impfunfähigkeit", wie sie aus der Anlage K11 ersichtlich ist, zur Vorlage beim Arbeitsgeber geeignet ist. So heißt es in der Anlage K4 u.a.: "Diese Bescheinigung kannst Du z.B. bei deinem Arbeitgeber vorlegen. Sie nimmt dir den Druck, dich voreilig impfen zu lassen. Für die gutachterliche Stellungnahme berechnen wir einmalig 17,49 €." Diese Ausführungen suggerieren dem Interessenten, dass der Arbeitgeber nach Vorlage der sog. vorläufigen Impfunfähigkeitsbescheinigung keine Konsequenzen an eine fehlende Impfung knüpfen wird, mithin, dass die vorläufige Impfunfähigkeitsbescheinigung von diesem akzeptiert werden wird. So wird auch auf der Internetseite der Beklagten zu 1. unter der Rubrik "Häufig gestellte Fragen" ausgeführt, dass der Vorteil der streitgegenständlichen Impfunfähigkeitsbescheinigung u.a. derjenige sei, dass der Arbeitgeber des Nutzers von diesem trotz einer Impfpflicht nicht verlangen kann, sich impfen zu lassen, und diesen, nach Einschätzung der Webseitenbetreiber, nur bezahlt freistellen, ihm nicht jedoch kündigen, kann.
Zu diesem Zweck ist die streitgegenständliche sog. vorläufige Impfunfähigkeitsbescheinigung jedoch ungeeignet.
Zum einen handelt es sich bei der Bescheinigung um ein unrichtiges Gesundheitszeugnis im Sinne des § 278 Abs.1 StGB, das zur Täuschung im Rechtsverkehr, nämlich etwa zur Vorlage beim Arbeitgeber, von einem Arzt ausgestellt wurde. Gesundheitszeugnisse im Sinne des § 278 StGB sind Bescheinigungen über den gegenwärtigen Gesundheitszustand eines Menschen, über frühere Krankheiten sowie ihre Spuren und Folgen oder über Gesundheitsaussichten, wobei auch Angaben tatsächlicher Natur, so etwa über erfolgte Behandlungen bzw. deren Ergebnis, erfasst sind (vgl. Landgericht Frankfurt am Main NStZ-RR 2021, 282 m.w.N, Beck online). Nicht erforderlich ist, dass die Bescheinigung eine Diagnose oder Befundtatsachen enthält (vgl. Landgericht Frankfurt am Main NStZ-RR 2021, 282, m.w.N., Beck online). Gegenstand des Zeugnisses kann auch eine Prognose über die künftige gesundheitliche Entwicklung des in der Urkunde Ausgewiesenen sein (Erb in Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2022, § 277, Rn. 2, Beck online). Diese Voraussetzungen liegen hier vor, da durch den Inhalt der hier streitgegenständlichen Urkunde der darin genannten Person bescheinigt wird, dass für diese im Falle einer Impfung die konkrete, nicht die abstrakte, Gefahr bestehe, dass sie neben verschiedenen leichten und mittelschweren die in der Bescheinigung aufgezählten weiteren schweren Nebenwirkungen erleben könnte. Hierbei handelt es sich auch keineswegs um eine allgemeine Mitteilung möglicher Impffolgen, sondern um eine individuelle Diagnose. Eine ärztliche Diagnose ist insoweit das Ergebnis erhobener Befunde eines Patienten, das auch lediglich in einer sog. Verdachtsdiagnose bestehen kann, bei der es sich jedoch auch um eine Diagnose handelt.
In der streitgegenständlichen Bescheinigung findet sich die Diagnose einer konkreten Gefahr der näher bezeichneten schweren Nebenwirkung einer Covid-19-Impfung und damit eine konkrete Prognose über die künftige gesundheitliche Entwicklung des in der Urkunde Ausgewiesenen. Der Eindruck einer, tatsächlich nicht erfolgten, individuellen Untersuchung und Feststellung soll durch die handschriftlich angehakten Folgen verstärkt werden. Darüber hinaus wird der in der Urkunde Benannte als Patient bezeichnet, was ebenfalls den Eindruck erweckt, dass dem unterzeichneten Arzt diese Person persönlich bekannt und der unterzeichnende Arzt dessen Behandler ist. Denn dem Duden und dem allgemeinen Verständnis nach handelt es sich bei einem Patienten um eine von einem Arzt oder einer Ärztin oder von Angehörigen anderer Heilberufe behandelte oder betreute Person. Dieses Verständnis wird durch den Inhalt des herunterzuladenden Arztbriefes bestätigt, in dem es heißt, dass die Anamnese der Unterzeichnerin ein erhöhtes Risiko einer allergischen Reaktion auf einen der Bestandteile der RNA-Impfstoffe ergeben habe. Insoweit wird nicht von dem gewöhnlichen Impfrisiko gesprochen, dass bei jeder Person vorliegt, hinsichtlich derer keine Überprüfung möglicher Allergien auf alle Inhaltsstoffe einer Impfung erfolgt ist, sondern gerade von einem gegenüber dem durchschnittlichen Risiko erhöhten. Unter der Rubrik "Häufig gestellte Fragen-Warum muss ich dafür Geld bezahlen?" heißt es insoweit auch, dass ein individueller gutachterlicher Nachweis über die Impfunfähigkeit des Nutzers erstellt wird.
Unrichtig ist das Gesundheitszeugnis, wenn eine in ihm enthaltene Aussage über Befundtatsachen oder sachverständige Schlussfolgerungen in einem wesentlichen Punkt nicht der Wahrheit entspricht (Erb in Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2022, § 278, Rn. 4, Beck online). Hiervon erfasst ist auch die unrichtige Wiedergabe einer prognostischen Einschätzung des Arztes als Angabe einer unwahren inneren Tatsache (Erb in Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2022, § 278, Rn. 4, Beck online). Darüber hinaus ist das Gesundheitszeugnis selbst im Falle eines (zufällig) richtigen Ergebnisses unrichtig, soweit der Befund ohne Vornahme einer einschlägigen Untersuchung quasi "ins Blaue hinein" bescheinigt wird, weil ein Attest nach der Verkehrsanschauung das Vertrauen begründet und insofern konkludent mit erklärt wird, dass die fachlichen Ausführungen auf einer tragfähigen Grundlage beruhen (Erb in Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2022, § 278, Rn. 4, Beck online). Letzteres ist hier der Fall. Die Diagnose einer "vorläufigen" Impfunfähigkeit aufgrund der konkreten Gefahr näher bezeichneter schwerer Erkrankungen beruht nicht auf einer tragfähigen Grundlage, da zwischen dem Nutzer der streitgegenständlichen Website und der Ärztin, die die Bescheinigung ausgestellt hat, nicht nur niemals ein persönlicher Kontakt, sondern vielmehr gar kein Kontakt erfolgte. Durch die Möglichkeit des sofortigen Downloads ist ausgeschlossen, dass die Ärztin die Antworten des Nutzers überhaupt zur Kenntnis genommen hat, sodass die Ausgabe der Bescheinigung nicht auf von ihr erhobenen Befunden beruht.
Allein aus dem Umstand, dass ein Nutzer der Website anklickt, nicht ausschließen zu können, dass er gegen Inhaltsstoffe eines Impfstoffs allergisch ist, wird hier ohne weitere Untersuchung die Schlussfolgerung gezogen, dass eine konkrete Gefahr schwerer Erkrankungen oder Komplikationen besteht. Hierbei handelt es sich nicht um eine allgemeine Aussage zu einem Allergierisiko und eine allgemeine Handlungsempfehlung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für die Annahme einer konkreten Gefahr erforderlich, dass eine nach der allgemeinen Lebenserfahrung im Einzelfall zu beurteilende naheliegende Gefahr erforderlich ist, die auf einen unmittelbar bevorstehenden Schaden hindeutet, soweit keine plötzliche Wendung eintritt, sodass es nur noch vom Zufall abhängt, ob dieser eintritt oder nicht (vergleiche hierzu BGH, Urteil vom 15.2.1963, 4 StR 404/62). In Anbetracht dessen, dass viele Millionen Menschen weltweit ohne vorherigen umfassenden Allergietest weitgehenden komplikationslos und ohne die in der Bescheinigung genannten schweren Folgen geimpft worden sind, kann nicht ohne weitergehende körperliche Untersuchung allein auf Grund der Beantwortung der auf der Website angegebenen Fragen eine konkrete Gefahr des Schadenseintritts bestätigt werden.
Soweit der Beklagte zu 2. in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass die Staatsanwaltschaft Stade die Ansicht vertritt, dass es sich bei der streitgegenständlichen Bescheinigung um kein unrichtiges Gesundheitszeugnis handele, wäre die Kammer an diese Rechtsauffassung nicht gebunden.
b.
Selbst wenn es sich hier nicht um ein unrichtiges Gesundheitszeugnis im Sinne des § 278 StGB handeln würde, wäre die Bescheinigung zu den angegebenen Zwecken auch unbrauchbar, da sie die Voraussetzung des § 20a Abs.2 Nr.4 IfSG nicht erfüllt. Nach § 20a Abs.2 Nr.4 IfSG muss, soweit keine Impf- oder Genesenenbescheinigung vorgelegt werden kann und keine Schwangerschaft im ersten Schwangerschaftsdrittel besteht, ein ärztliches Zeugnis darüber vorgelegt werden, dass die vorliegende Person aufgrund einer medizinischen Kontraindikationen nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden kann. Aussagen zu einer medizinischen Kontraindikation enthält die streitgegenständliche Bescheinigung jedoch nicht. Vielmehr wird gerade keine Kontraindikation festgestellt, sondern ausgeführt, dass die vorliegende Person überprüfen lassen soll, ob eine entsprechende Kontraindikation vorliegt. Von der Impfpflicht befreit ist jedoch nur derjenige, bei dem tatsächlich eine medizinische Kontraindikation vorliegt. So kann zwar grundsätzlich eine medizinische Kontraindikation lediglich vorübergehend sein, zum Beispiel wie bei der genannten Schwangerschaft im ersten Schwangerschaftsdrittel, eine Befreiung von der Impfpflicht und ein entsprechendes taugliches ärztliches Zeugnis setzt jedoch voraus, dass die Kontraindikation bescheinigt wird und nicht allein die abstrakte Möglichkeit, dass eine solche vorliegen könnte. Insoweit sieht § 20a Abs.2 Nr.3 IfSG auch die Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses darüber, dass sich die Person im ersten Schwangerschaftsdrittel befindet, als Befreiungsgrund von der Impflicht vor, kein ärztliches Zeugnis darüber, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich eine Person in dieser Phase einer Schwangerschaft befindet. Prüfungszeiträume im Sinne der hier streitgegenständlichen Bescheinigung, sieht § 20a IfSG ebenfalls nicht vor.
2.
Die Klägerin hat gegen beide Beklagten auch einen Unterlassungsanspruch in dem beantragten Umfang aus §§ 8 Abs.1, Abs.3 Nr. 2, 3 Abs.1, Abs.2 UWG.
Die Beklagten haften als Gehilfen des durch die unterzeichnete Ärztin Dr. med. Marianne Müller begangenen Wettbewerbsverstoßes.
Die unterzeichnete Ärztin verstößt dadurch, dass sie von ihr unterschriebene ärztliche Bescheinigungen in Umlauf bringen lässt, ohne dass sie einen irgendwie gearteten Kontakt zu der in der Bescheinigung genannten Person hatte, gegen ärztliches Standesrecht. Aus diesem Grund entsprechen ihre geschäftlichen Handlungen nicht der unternehmerischen Sorgfalt und sind dazu geeignet, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen, § 3 Abs. 2 UWG. Sowohl nach § 25 der Musterberufsordnung für Ärzte als auch nach § 25 der Berufsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg vom 21. September 2016 haben Ärztinnen und Ärzte bei der Ausstellung ärztlicher Gutachten und Zeugnisse mit der notwendigen Sorgfalt zu verfahren und nach bestem Wissen ihre ärztliche Überzeugung auszusprechen. Diesen Anforderungen genügt die nach Ziffer 80 GOÄ abgerechnete gutachterliche Stellungnahme, die von der Beklagten zu 1. beworben wird, aus den oben genannten Gründen nicht. Die in der gutachterlichen Stellungnahme bescheinigte "vorläufige Impfunfähigkeit" beruht alleine auf dem Anklicken einer Frage. Eine am individuellen Einzelfall orientierte Abwägung der Risiken und des Nutzens einer Impfung findet nicht statt. Vielmehr ist die einzige ärztliche Leistung, die erbracht wird, die der Unterschrift.
Soweit die Beklagten in der mündlichen Verhandlung ein Anamnese- und Beratungsprotokoll vorgelegt haben, ist dieser Vortrag nicht geeignet, einen Verstoß gegen die ärztliche Sorgfaltspflicht zu beseitigen. Insoweit handelt es sich um Unterlagen, die lediglich zur Unterstützung von Ärzten und Betroffenen bei der (persönlichen) Covid-19-Impfberatung dienen sollen. Zudem umfasst der Bogen zahlreiche Fragen, die streitgegenständliche Bescheinigung wird aber lediglich auf Anklicken einer einzigen Frage ausgestellt.
Die Beklagte zu 1. ermöglicht und organisiert den Vertrieb der unter Verstoß gegen die Berufsordnung der Ärzte erstellten "ärztlichen Gutachten". Der Beklagte zu 2. ist der Geschäftsführer der Beklagten zu 1. und die handelnde natürliche Person, die die entsprechende Plattform organisiert. Insoweit handeln beide Beklagten mangels Täterqualifikation zwar nicht als solche, wohl aber als Teilnehmer des Wettbewerbsverstoßes der unterzeichnenden Ärztin (vgl. hierzu BGH GRUR 2017,194), da sie vorsätzlich an der Verwirklichung des objektiven Tatbestands der Zuwiderhandlung durch diese Ärztin mitgewirkt haben (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 14.4.1994, I ZR 12/92). Zu dem erforderlichen Teilnehmervorsatz gehört neben der Kenntnis der objektiven Tatumstände der zumindest bedingte Vorsatz in Bezug auf die Haupttat, der das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit der Haupttat einschließt (BGH GRUR 2013,301; BGH, Urteil vom 13.12.2018, I ZR 3/16, Uber Black II). Ein solcher war hier gegeben. Jedem Laien drängte sich auf, dass ein Arzt standeswidrig handelt, der gutachterliche Stellungnahmen unterschreibt, ohne jemals Kontakt oder irgendwelche anderen individuellen Kenntnisse von der im Gutachten bezeichneten Person zu haben. Es war gerade der Kern der geschäftlichen Tätigkeit der Beklagten, dieses standeswidrige Verhalten fördern und je unterzeichneter Bescheinigung 17,49 € zu verdienen. Zwar handelt es sich bei der Beklagten zu 1. um keine natürliche Person, die vorsätzlich handeln kann. Die höchstrichterliche Rechtsprechung geht jedoch auch bei juristischen Person und öffentlichen-rechtlichen Körperschaften vom Vorliegen eines solchen Vorsatzes aus (vergleiche hierzu BGH, Urteil vom 12. 7. 2012, I ZR 54/11; BGH, Urteil vom 13.12.2018, I ZR 3/16, Uber Black II).
3.
Der Beklagte zu 2. haftet hier als Geschäftsführer der Beklagten zu 1. persönlich aufgrund einer eigenen wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht, da er ein auf Rechtsverletzungen angelegtes Geschäftsmodell selbst ins Werk gesetzt hat (BGH, Urteil vom 18.6.2014, I ZR 242/12).
Insoweit ist der Beklagte zu 2. unstreitig auch Geschäftsführer der XXX, auf deren Webseite XXX, die dasselbe Angebot wie die streitgegenständliche Website anbietet.
II.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte zu 1. auch ein Anspruch auf Zahlung von Abmahnkosten in Höhe von 462,50 € aus § 13 Abs.3 UWG zu. Wie sich aus den vorherigen Ausführungen ergibt war, die Abmahnung des Klägers berechtigt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1 ZPO.