Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 14.03.2023, Az.: 13 U 54/22

Wettbewerbswidrigkeit der Bewerbung der Ausstellung einer Corona-Impfunfähigkeitsbescheinigung aufgrund Online-Diagnose

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
14.03.2023
Aktenzeichen
13 U 54/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 32942
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Stade - 06.10.2022 - AZ: 8 O 31/22

Fundstellen

  • ITRB 2024, 13-14
  • WRP 2023, 1117-1120

Redaktioneller Leitsatz

Es stellt einen Verstoß gegen die Marktverhaltensregel des § 9 S. 1 HWG dar, wenn ein Anbieter die Ausstellung einer vorläufigen Impfunfähigkeit gegen das Korona-Virus bewirbt, der keine persönliche ärztliche Untersuchung zugrunde liegt.

Tenor:

  1. 1.

    Es wird erwogen, die Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

  2. 2.

    Den Beklagten wird Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 3. April 2023 gegeben.

  3. 3.

    Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 30.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V. Die Beklagte zu 1., deren Geschäftsführer der Beklagten zu 2 ist, warb Ende 2021 auf ihrer Internetseite www.nachweis-express.de für Bescheinigungen einer vorläufigen Impfunfähigkeit gegen das Corona-Virus. Unter der Überschrift "Bist du überhaupt impffähig?" hieß es:

"Nachweis-Express ermöglicht es dir, dich umfassend über die potentiellen Folgen einer Corona-"Impfung" zu informieren.

Du kannst über uns im Rahmen einer gutachterlichen Stellungnahme von unserem Arzt online klären lassen, ob du impffähig bist. Sollten mögliche Allergien gegen einzelne Inhaltsstoffe dagegen sprechen, bekommst du über Nachweis-Express eine vorläufige Impfunfähigkeitsbescheinigung.

Diese Bescheinigung kannst du z. B. bei deinem Arbeitgeber vorlegen. Sie nimmt dir den Druck, dich voreilig impfen zu lassen Für die gutachterliche Stellungnahme berechnen wir einmalig 17,49 Euro."

Unter diesem Text fand sich ein Button mit der Aufschrift "Jetzt Impffähigkeit prüfen lassen". Klickte man diesen Button an, öffnete sich eine Seite, auf der der Nutzer seine Anschrift und sein Geburtsdatum, seine E-Mail-Adresse und optional die Personalausweisnummer eingeben und sodann auf einen Button "Zur Kasse" klicken konnte. Nach der Auswahl einer Zahlungsoption konnte der Nutzer auf den Button "Zur ärztlichen Aufklärung" klicken. Anschließend wurde er aufgefordert, sich ein Video anzuschauen, in dem u.a. über verschiedene Covid 19-Impfstoffe, deren Risiken und Nebenwirkungen berichtet wurde. Unter der Rubrik "Befragung" war anzugeben, welchen der verfügbaren Impfstoffe der Nutzer im Falle einer Covid-19-Impfung wählen würde. Kreuzte er "Comirnaty (Biontec)" an, wurden die Inhaltsstoffe dieses Impfstoffes aufgeführt und es erschien die Frage: "Kannst Du ausschließen, dass Du gegen einen oder mehrere dieser Stoffe allergisch bist?". Wählte er die Auswahlmöglichkeit, "Ich bin mir nicht sicher, ob ich auf einen der genannten Impfstoffe allergisch reagiere" aus, gelangte er nach dem Hinweis, dass er nur eine vorläufige Impfunfähigkeitsbescheinigung erhalten könne, zu dem Link "Zur Bescheinigung". Nach dem Anklicken des Links standen eine Impfunfähigkeitsbescheinigung, ein Arztbrief an einen Allergologen und ein Musterschreiben an die Krankenkasse zum Download bereit. Die vorläufige Impfunfähigkeitsbescheinigung war, ebenso wie der Arztbrief, von einer Frau Dr. M. M. unterschrieben. In dieser hieß es u.a.:

"... Aufgrund meiner ärztlichen Einschätzung und Bewertung der Angaben des Patienten, komme ich nach freiem Ermessen zu folgender Einschätzung:

Dieser Patient muss vor einer Impfung mit Covid-19 Impfstoffen eine Überempfindlichkeit gegen einzelne Inhaltsstoffe von einem Facharzt für Allergologie überprüfen lassen.

Eine Unverträglichkeit einzelner Bestandteile der aktuell zugelassenen Covid-19-Impfstoffe stellt eine endgültige Impfunfähigkeit dar.

Dieser Patient ist bis zum Vorliegen eines Impfstoffallergiegutachtens zeitlich begrenzt bis zum (hier erschien ein Datum, das sechs Monate nach dem Ausstellungsdatum der Bescheinigung liegt) impfunfähig.

Es besteht die konkrete Gefahr, dass der Patient neben verschiedenen leichten und mittelschweren insbesondere folgende schwere Impfwirkungen erleben könnte: (...)"

Im Folgenden sind abgehakt:

Thrombose mit Thrombozytopenie-Syndrom (TTS)

Blutgerinnsel der Hirnvenen

Anaphylaktische Reaktionen

Guillain-Barré-Syndrom

Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen (Myokarditis)

ADEM (akute disseminierte Enzephalomyelitis)

Transverse Myelitis.

Wegen des weiteren Inhalts der Website und der vorläufigen Impfunfähigkeitsbescheinigung wird auf den Inhalt der Anlagen K 3 bis K 11 Bezug genommen.

Im April 2022 wurde auf der Internetseite liberation-express.de in der oben dargestellten Weise geworben. Diese Internetseite wird von der C. GmbH betrieben, deren Geschäftsführer wiederum der Beklagte zu 2 ist.

Der Kläger hat gemeint, dass die Beklagte zu 1 mit ihrer Werbung gegen § 9 Satz 1 HWG verstoßen habe. Auch die Ausgabe der Impfunfähigkeitsbescheinigung sei unzulässig, weil sie einen Arbeitgeber irreführen könne; sie entspreche auch nicht der fachlichen Sorgfalt. Der Beklagte zu 2 hafte als Geschäftsführer der GmbH, da er ein auf Rechtsverletzungen angelegtes Geschäftsmodell selbst ins Werk gesetzt habe.

Der Kläger hat beantragt,

  1. 1.

    die Beklagten zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zur Höhe von 250.000,00 €, ersatzweise von Ordnungshaft, oder von Ordnungshaft bis zur Dauer von 6 Monaten zu unterlassen,

    wie nachstehend wiedergegeben

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    für Impfunfähigkeitsbescheinigungen, wie nachstehend wiedergegeben,

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    zu werben, die ausgestellt werden, ohne dass ein unmittelbarer Kontakt zwischen dem/der ausstellenden Ärzt/in und dem/der Patienten/in stattfindet und die Beurteilung der bescheinigten Impfunfähigkeit dementsprechend nicht auf der eigenen Wahrnehmung des/der ausstellenden Arztes/Ärztin an dem zu behandelnden Menschen beruht und/oder solche Impfunfähigkeitsbescheinigungen an Patienten/innen auszugeben,

  2. 2.

    die Beklagte zu 1 zu verurteilen, an die Klägerin 462,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Dem Kläger stehe ein Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, § 5 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 UWG zu. Die Werbung wende sich nicht an Verbraucher, die lediglich eine ärztliche Beratung zur Entscheidungsfindung wünschten, sondern an solche, die eine ärztliche Bescheinigung über eine Impfunfähigkeit erhalten wollten und bereit seien, hierfür 17,49 € zu zahlen. Die Werbung suggeriere, dass der Arbeitgeber nach Vorlage der Bescheinigung keine Konsequenzen an eine fehlende Impfung knüpfen werde. Zu diesem Zweck sei die sog. vorläufige Impfunfähigkeitsbescheinigung jedoch ungeeignet. Zum einen handele es sich um ein unrichtiges Gesundheitszeugnis im Sinn des § 278 StGB, weil der Befund "ins Blaue hinein" ohne Vornahme einer einschlägigen Untersuchung bescheinigt werde. Durch die Möglichkeit des sofortigen Downloads sei ausgeschlossen, dass die Ärztin die Antworten des Nutzers überhaupt zur Kenntnis genommen habe. Die Bescheinigung sei ferner deshalb zu den angegebenen Zwecken unbrauchbar, weil sie die Voraussetzung des § 20a Abs. 2 Nr. 4 IfSG eines ärztlichen Zeugnisses über die Impfunfähigkeit aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht erfülle. Eine Kontraindikation werde gerade nicht festgestellt, sondern ausgeführt, dass die betreffende Person überprüfen lassen solle, ob eine Kontraindikation vorliege. Wegen des Inumlaufbringens der Bescheinigungen habe der Kläger einen Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, § 3 Abs. 1, Abs. 2 UWG. Die Beklagten hafteten als Gehilfen der unterzeichnenden Ärztin. Die Ärztin verstoße dadurch, dass sie die Bescheinigungen in Umlauf bringen lasse, gegen ärztliches Standesrecht. Der Beklagte zu 2 hafte als Geschäftsführer der Beklagten zu 1 persönlich, weil er ein auf Rechtsverletzungen angelegtes Geschäftsmodell selbst ins Werk gesetzt habe.

Dagegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung, mit der sie ihr Ziel der Klagabweisung weiterverfolgen. Die Beklagten rügen, dass das Landgericht keinen Beweis darüber erhoben habe, ob es nach ärztlichen Standards für eine freie Ermessensentscheidung der Ärztin, die die Bescheinigungen ausstelle, einer persönlichen Untersuchung oder einer sonstigen individuellen Kenntnisnahme und Bewertung der Informationen des Patienten bedurft hätte oder ob dies aufgrund der von der Beklagten zu 1 technisch etablierten Verfahrensweisen entbehrlich gewesen sei. Das Landgericht sei außerdem von einem falschen Adressatenkreis der Angebote ausgegangen. Adressaten seien Personen, welche eine Bescheinigung benötigten, um sich vor ihrer Impfung allergologisch untersuchen zu lassen, ohne Nachteile befürchten zu müssen. Es gebe kein Versprechen, dass die Bescheinigungen Sanktionen wegen einer fehlenden Impfung definitiv verhindern könnten, sondern nur eine subjektive Einschätzung. Der Adressatenkreis sei sich der Unsicherheit der Rechtslage bewusst und hoffe auf eine Anerkennung von Dritten, schließe das Gegenteil aber nicht aus. Da nur hypothetisch auf bestehende abstrakte bzw. allgemeine Gefahrenlagen hingewiesen und klargestellt werde, dass eine Prognoseentscheidung aktuell nicht möglich sei, handle sich nicht um unrichtige Gesundheitszeugnisse gem. § 278 Abs. 1 StGB. Es werde keine Diagnose für die individuelle gesundheitliche Verfassung getroffen oder suggeriert. Auch genügten die Impfbescheinigungen den Anforderungen des § 20a Abs. 2 Nr. 4 IfSG.

Die Beklagten beantragen,

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die Rechtssache dürfte keine grundsätzliche Bedeutung haben und eine Entscheidung des Berufungsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich sein. Die Berufung hat nach vorläufiger Beurteilung aus folgenden Gründen auch keine Aussicht auf Erfolg:

1. Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch gemäß § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, § 3 Abs. 1, § 3a UWG i. V. m. § 9 Satz 1 HWG auf Unterlassung der beanstandeten Werbung.

a) Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass sich die Anspruchsberechtigung des Klägers aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG ergibt. Dagegen wenden die Beklagten auch nichts ein.

b) Die Werbung der Beklagten zu 1 ist unlauter, weil sie gegen § 9 Satz 1 HWG - eine Marktverhaltensregelung (BGH, Urteil vom 9. Dezember 2021 - I ZR 146/20, juris Rn. 20) - verstößt.

aa) Nach § 9 Satz 1 HWG ist eine Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen beruht, unzulässig (Fernbehandlung). Um eine solche Werbung handelt es sich hier.

(1) Beworben wird eine durch einen Arzt erstellte "gutachterliche Stellungnahme" zur Klärung, ob bei dem angesprochenen Verbraucher Allergien gegen einzelne Inhaltsstoffe einer Corona-Impfung gegen eine Impffähigkeit sprechen. Die Überprüfung von Patienten auf Allergien, die einer Corona-Impfung entgegenstehen, ist eine Werbung für die Erkennung einer Krankheit.

Die Überschrift "Bist du überhaupt impffähig?" in Verbindung mit dem Fließtext "Du kannst über uns im Rahmen einer gutachterlichen Stellungnahme von unserem Arzt online klären lassen, ob du impffähig bist" zielt nach dem Empfängerhorizont der angesprochenen Verbraucher auf eine individuelle Diagnose ab, nämlich die Feststellung, ob bei der Person, die die "gutachterliche Stellungnahme" des Arztes in Anspruch nimmt, Erkrankungen oder krankhafte Beschwerden des Angesprochenen einer Impfung entgegenstehen. Im Kontext mit der Aussage "Sollten mögliche Allergien gegen einzelne Inhaltsstoffe dagegen sprechen, bekommst du über Nachweis-Express eine vorläufige Impfunfähigkeitsbescheinigung" findet eine Eingrenzung auf Allergien - überschießende, krankhafte Abwehrreaktionen des Immunsystems auf körperfremde Umweltstoffe - statt. In der "Bescheinigung einer vorläufigen Impfunfähigkeit" erklärt die Ärztin mit Bezug auf den Verbraucher, der die Leistung in Anspruch nimmt: "Aufgrund meiner ärztlichen Einschätzung und Bewertung der Angaben des Patienten komme ich nach freiem Ermessen zu folgender Einschätzung: ... Dieser Patient ist bis zum Vorliegen eines Impfstoff-Allergie-Gutachtens zeitlich begrenzt bis zum ... [Zeitraum von 6 Monaten] ... impfunfähig. Es besteht die konkrete Gefahr, dass der Patient neben verschiedenen leichten und mittelschweren insbesondere folgend schwere Impfwirkungen erleben könnte: ...". Dies lässt sich nur dahin verstehen, dass aufgrund der Angaben des Patienten eine Diagnose erstellt wird, ob bei ihm aufgrund von Allergien die konkrete Gefahr besteht, dass schwere Impfwirkungen eintreten könnten. Der Eindruck einer individuellen Diagnose wird dadurch verstärkt, dass in der Bescheinigung bestimmte schwere Impfwirkungen angehakt werden, ferner dadurch, dass die Ärztin in dem zum Download bereit gehaltenen Brief an den "weiterbehandelnden" Allergologen erklärt: "Unsere Anamnese ergab ein erhöhtes Risiko einer allergischen Reaktion auf einen der Bestandteile der mRNA-Impfstoffe."

Soweit auf weiteren Seiten des Internetauftritts einschränkende Erläuterungen zu finden sind, reichen diese nicht aus, um den entstandenen Eindruck zu korrigieren. Dies betrifft insbesondere den unter der Überschrift "Ärztliche Aufklärung" wiedergegebenen kleingedruckten Hinweis "Wir empfehlen daher, vor einer Impfung mit einem Corona-"Impfstoff" deine Verträglichkeit fachärztlich überprüfen zu lassen". Nicht ausreichend ist ferner die unter der Frage "Welchen Nutzen hat der Nachweis einer Impfunfähigkeit" ausgesprochene Empfehlung "Lass einen Facharzt detailliert abklären, ob du gegen einen oder mehrere Inhaltsstoffe der Covid-19-"Impfungen" allergisch reagierst", zumal dieser Aussage hinzugefügt ist "Bis das geschehen ist, gilt die vorläufige Impfunfähigkeitsbescheinigung".

(2) Die in der Werbung angepriesene ärztliche Stellungnahme, ob bei dem Nutzer Allergien gegen einzelne Inhaltsstoffe der Corona-Impfung sprechen, beruht nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen (Fernbehandlung).

Eine Fernbehandlung in diesem Sinn liegt vor, wenn der Behandelnde allein auf Grund der schriftlichen, fernmündlichen, über andere Medien oder durch Dritte auf Distanz vermittelten Informationen eine eigene Diagnose erstellt oder Behandlungsvorschläge unterbreitet. Wesentlich ist dabei, dass sich der Behandelnde ohne eigene Wahrnehmung der zu behandelnden Person konkret und individuell zu dieser Person diagnostisch oder therapeutisch äußert (OLG München, Urteil vom 2. August 2012 - 29 U 1471/12, juris Rn. 32; Nomos-BR/Zimmermann HWG, § 9 HWG Rn. 2).

Das ist hier zweifellos der Fall. Die Ausstellung des Attests beruht ausschließlich auf einer Fernkommunikation ohne eigene Wahrnehmung der Ärztin.

bb) Die Ausnahmeregelung in § 9 Satz 2 HWG, wonach Satz 2 auf die Werbung für Fernbehandlungen, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen, nicht anzuwenden ist, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist, greift nicht ein.

Es ist nicht ersichtlich, dass es einem allgemein anerkannten ärztlichen Standard entspricht, dass die Diagnose einer allergiebedingten Impfunfähigkeit des Patienten, wie hier, allein auf der Grundlage einseitiger Online-Angaben des Patienten unter Verwendung von Buttons - ohne irgendeine Abfrage und Auswertung von Symptomen - gestellt wird. Die Beklagten tragen selbst vor, dass es zur Prüfung der Impffähigkeit einer Person in Bezug auf die Covid-19-Impfstoffe eines Gesprächs eines Arztes mit dem Patienten bedürfe, wobei der Arzt auch nach möglichen allergischen Reaktionen frage (Seite 6 der Klageerwiderung). Ein solches Gespräch fand bei dem beworbenen Vorgehen gerade nicht statt. Im Übrigen behaupten die Beklagten im Wesentlichen nur, eine kritische Hinterfragung jeder einzelnen Angabe jedes Patienten durch den Arzt - wie sie in einem persönlichen Gespräch erfolgen könne - sei ohnehin lebensfern und würde, wenn man sie voraussetzen wolle, zur Notwendigkeit einer allergologischen Untersuchung führen; eine solche Untersuchung werde mit der streitgegenständlichen Bescheinigung aber gerade angeraten. Damit lassen die Beklagten außer Acht, dass im Streitfall der Patient vor dem Erhalt der vorläufigen Impfunfähigkeitsbescheinigung nur anklicken musste "Ich bin mir nicht sicher, ob ich auf einen der genannten Impfstoffe allergisch reagiere" und dass eine weitere Abklärung oder kritische Hinterfragung seitens der Ärztin überhaupt nicht erfolgte. Dass dies nicht ärztlichen Standards entspricht, liegt auf der Hand. Die insoweit darlegungsbelasteten Beklagten haben bereits nicht dargetan, dass es anerkannte Standards gibt, wonach eine Diagnose bestimmter Allergien und einer sich daraus ergebenden vorläufigen Impfunfähigkeit über das Internet ohne einen unmittelbaren Kontakt zwischen dem Arzt und dem Patienten erfolgt. Der Vortrag der Beklagten, dass es sich um ein von ihr technisch etabliertes Verfahren handele (Berufungsbegründung, Seite 29), spricht im Gegenteil dafür, dass ein entsprechender allgemein anerkannter ärztlicher Standard gerade nicht besteht. Demzufolge darf eine Impfunfähigkeitsbescheinigung auf dieser Grundlage auch nicht zeitlich beschränkt für sechs Monate ausgestellt werden.

c) Der Beklagte zu 2 haftet für die Werbung der Beklagten zu 1, weil er - nach den nicht angegriffenen Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil - als Geschäftsführer das Geschäftsmodell der Beklagten zu 1 ins Werk gesetzt hat (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2014 - I ZR 242/12, juris Rn. 31).

d) Der Verstoß begründet die tatsächliche Vermutung für die Wiederholungsgefahr für kerngleiche Verstöße (z. B. Werbung für die vorläufige Diagnose von Allergien für andere Zwecke oder beim "Wiederaufleben" des § 20a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 bzw. Nr. 4 IfSchG bei Auftreten einer Virusmutation), die die Beklagten bislang nicht durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung widerlegt haben.

2. Der Kläger kann von den Beklagten auch die Unterlassung der Ausgabe entsprechender Impfunfähigkeitsbescheinigungen verlangen. Der Anspruch ergibt sich aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, §§ 3 Abs. 1, 3a UWG i. V. m. § 25 der Berufsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg.

a) Bei den Vorschriften der Berufsordnungen für deutsche Ärzte, die deren berufliches Verhalten regeln, handelt es sich um Normen, die im Sinn von § 3a UWG (§ 4 Nr. 11 UWG a.F.) auch dazu bestimmt sind, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln (OLG München, Urteil vom 8. Oktober 2015 - 6 U 1509/15 -, juris Rn. 45; vgl. OLG Köln, Urteil vom 4. November 2005 - 6 U 46/05, juris Rn. 27; OLG Düsseldorf, Urt. v. 04.06.2013, Az. I-20 U 137/12, juris Rn. 18; vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, § 3a UWG Rn. 1.132).

b) Die hier die Bescheinigung ausstellende Ärztin hat nach den Angaben in der Bescheinigung ihren Sitz in F. (Baden-Württemberg). Gemäß § 25 Satz 1 der Berufungsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg haben Ärztinnen und Ärzte bei der Ausstellung ärztlicher Gutachten und Zeugnisse mit der notwendigen Sorgfalt zu verfahren und nach bestem Wissen ihre ärztliche Überzeugung auszusprechen. Das Landgericht hat mit Recht angenommen, dass die von der Beklagten nach der Gebührenordnung für Ärzte abgerechnete "gutachterliche Stellungnahme" diesen Anforderungen nicht genügt. Die von Frau Dr. med. M. M. bescheinigte "vorläufige Impfunfähigkeit" beruhte, wie ausgeführt, allein auf dem Anklicken der Auswahlmöglichkeit "Ich bin nicht sicher, ob ich auf einen der genannten Impfstoffe allergisch reagiere". Eine am Einzelfall orientierte Abwägung der Risiken und des Nutzens der Impfung fand nicht statt. Wie ausgeführt ist die Internetseite der Beklagten offensichtlich darauf angelegt, dass bei der ärztlichen Diagnose weitere Abklärung oder eine kritische Hinterfragung der Angaben des Patienten nicht erfolgt.

c) Die Beklagte zu 1 haftet für das berufsrechtswidrige Handeln der Ärztin als Teilnehmer. Sie hat das gegen die Berufsordnung verstoßende Vorgehen bei der Ausstellung der Impfunfähigkeitsbescheinigungen nicht nur ermöglicht, sondern vorsätzlich zumindest daran mitgewirkt (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, § 8 UWG Rn. 2.15a). Die Internetseite der Beklagten zu 1 war darauf angelegt, dass entgeltliche Impfunfähigkeitsbescheinigungen ohne eigene Wahrnehmung des Arztes allein aufgrund des Umstands ausgestellt werden, dass der "Patient" die Auswahlmöglichkeit "Ich bin nicht sicher, ob ich auf einen der genannten Impfstoffe allergisch reagiere" angeklickt hatte. Wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, drängt sich jedem Laien auf, dass ein Arzt standeswidrig handelt, der derartige gutachterliche Stellungnahmen unterschreibt, ohne jemals Kontakt oder - über diesen Satz hinaus - irgendwelche individuellen Kenntnisse von der betreffenden Person zu haben.

d) Auch insoweit haben die Beklagten die Wiederholungsgefahr bislang nicht ausgeräumt.

3. Der Kläger kann von der Beklagten zu 1 Erstattung der in Höhe von 374,50 € beanspruchten Kosten für die berechtigte Abmahnung sowie die in Höhe von 88,00 € geltend gemachten Kosten für das Abschlussschreiben verlangen, beides seit Rechtshängigkeit am 6. Mai 2022.