Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 28.04.2005, Az.: 14 U 200/04
Haushaltsführungsschaden bei geringer Erwerbsminderung; Pflicht zur Schadensminderung durch anderweitige innerfamiliäre Verteilung der Haushaltstätigkeit einer Geschädigten, die vor dem Unfall den Haushalt allein geführt hat
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 28.04.2005
- Aktenzeichen
- 14 U 200/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 25236
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2005:0428.14U200.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 06.08.2004 - AZ: 1 O 7/04
Rechtsgrundlage
- § 843 BGB
Fundstellen
- OLGReport Gerichtsort 2005, 781-782
- VRR 2005, 425 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
- zfs 2005, 434-435 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Auf einen Erfahrungsgrundsatz, dass eine Erwerbsminderungen von 20 % oder weniger für die Haushaltsführungstätigkeit keine praktische Auswirkung hätten, kann nicht abgestellt werden, wenn aufgrund eines Sachverständigengutachtens feststeht, dass sich die unfallbedingte Beeinträchtigung auf die Haushaltsführungstätigkeit tatsächlich auswirkt.
- 2.
Hat die Geschädigte vor dem Unfall den Haushalt allein geführt, muss sie grundsätzlich nicht durch anderweitige innerfamiliäre Verteilung der Haushaltstätigkeit die Schadensersatzverpflichtung des Schädigers niedrig halten.
Der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle hat
auf die mündliche Verhandlung
vom 5. April 2005
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - das am 6. August 2004 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Hannover teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 924 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28. Mai 2003 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, aufgrund des Verkehrsunfalls vom 6. November 2001 der Klägerin einen wöchentlichen Haushaltsführungsschaden von 7 Stunden für die Zeit vom 1. April 2003 bis zum 31. Oktober 2004 zu ersetzen und weiterhin verpflichtet ist, den ab dem 1. November 2004 entstehenden Haushaltsführungsschaden zu ersetzen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Von den Kosten des ersten Rechtszuges tragen die Klägerin 44 % und die Beklagte 56 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
(abgekürzt gemäß §§ 540, 313 a Abs. 1 ZPO):
Die Berufung der Klägerin erweist sich ganz überwiegend als begründet. Ihr steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ersatz des ihr infolge des Verkehrsunfalls vom 6. November 2001 entstandenen Haushaltsführungsschadens zu, und zwar annähernd in der Höhe, wie sie sie im Berufungsverfahren (eingeschränkt) weiterverfolgt.
Bei dem Verkehrsunfall ist - was zwischen den Parteien nicht streitig ist - die ordnungsgemäß auf dem Radweg fahrende Klägerin erheblich verletzt worden, weil ein Versicherungsnehmer der Beklagten mit seinem Geländewagen wegen überhöhter Geschwindigkeit ins Schleudern gekommen ist, über den Bordstein gerutscht ist und die Klägerin erfasst hat. Nach dem in erster Instanz eingeholten (und von den Parteien inhaltlich nicht angegriffenen) Gutachten des orthopädischen Sachverständigen Dr. H. vom 15. September 2003 (Bl. 61 ff.) ist die Klägerin aufgrund der Verletzungsfolgen zwar nur zu 15 % erwerbsunfähig, jedoch seit dem Unfallzeitpunkt und auch weiterhin bei bestimmten Haushaltstätigkeiten beeinträchtigt (beispielsweise Bettenbeziehen, schweres Heben und Tragen, Arbeiten in Zwangshaltung). Der Auffassung der Einzelrichterin, gleichwohl sei der Klägerin hinsichtlich der Haushaltsführungstätigkeiten ein Schaden deswegen nicht entstanden, weil dieser im Rahmen der Schadensminderungspflicht ohne weiteres zu kompensieren sei, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Soweit sich das Landgericht dabei (unter Zitat diverser obergerichtlicher Entscheidungen) auf den Erfahrungssatz beruft, dass Erwerbsminderungen von 20 % und weniger für die Haushaltsführungstätigkeit keine praktische Auswirkung hätten, greift dies im vorliegenden Fall gerade nicht durch. Zum einen steht durch das eingeholte Sachverständigengutachten fest, dass sich die unfallbedingten Beeinträchtigungen der Klägerin auf die Haushaltsführungstätigkeit in dem beschriebenen Umfang im vorliegenden Fall gerade doch auswirken. Zum anderen muss sich die Klägerin nicht entgegenhalten lassen, durch anderweitige innerfamiliäre Verteilung der Haushaltsführungstätigkeit die Verpflichtung ihres Schädigers (bzw. seiner Versicherung) möglichst gering zu halten: Dabei kommt es schon nicht darauf an, ob und in welchem Umfang der Ehemann der Klägerin dieser bei ihrer Haushaltsführungstätigkeit zur Mithilfe verpflichtet sein könnte, sondern vielmehr darauf, was die Klägerin und ihr Ehemann vor dem Unfall hinsichtlich der Verteilung der Haushaltstätigkeiten vereinbart haben (zumindest, solange eine solche Vereinbarung nicht gegen die guten Sitten verstößt). Entscheidend ist nicht die unterhaltsrechtliche Verpflichtung, sondern der tatsächliche Umfang der ohne den Unfall durchgeführten Haushaltstätigkeit (vgl. Geigel, Haftpflichtprozess, 24. Aufl. 2004, 4. Kap., Rn. 140 m. w. N.). Dass im vorliegenden Fall die Klägerin für die Führung des Haushalts allein verantwortlich war, ist bei einer Familie mit drei schulpflichtigen Kindern und einem außer Haus arbeitenden Ehemann sicherlich nicht zu beanstanden. Im Übrigen hat die Klägerin nachvollziehbar erläutert, dass und warum ihr beruflich stark eingespannter Ehemann bzw. ihre allergiebelasteten Kinder im Haushalt allenfalls zu sehr eingeschränkter Mithilfe befähigt sind. Soweit sich hinsichtlich dieser Verhältnisse in jüngster Zeit wegen einer die Arbeitsfähigkeit des Ehemannes einschränkenden (und damit seine Mithilfemöglichkeiten im Haushalt möglicherweise erhöhenden) Erkrankung etwas geändert haben könnte, hat die Klägerin dem in der mündlichen Verhandlung durch entsprechende weiterfassende Abänderung ihres Feststellungsantrages ab diesem Zeitpunkt Rechnung getragen.
Hinsichtlich des notwendigen Zeitaufwandes folgt der Senat den Darstellungen der Klägerin in ihrer (den ursprünglichen Klagantrag nur noch teilweise weiterverfolgenden) Berufungsbegründung, wobei darauf hinzuweisen ist, dass der von der Klägerin angesetzte Zeitaufwand von nur 49 Stunden Hausarbeit die Woche angesichts der Haushaltsgröße mit Blick auf die einschlägigen Tabellen (vgl. Schulz-Borck/Hofmann, Schadenersatz bei Ausfall von Hausfrauen und Müttern im Haushalt), die auf empirischen Auswertungen beruhen, zugunsten der Beklagten eher niedrig angesetzt sind. Allerdings ist der von der Klägerin in der Berufungsbegründung errechnete Stundenaufwand von "7,35 Stunden" nur scheinbar genau und vom Senat auf 7 Stunden pro Woche gerundet worden (§ 287 ZPO).
Die Höhe des Stundensatzes bemisst der Senat, ebenfalls geringfügig von den Vorstellungen der Klägerin nach unten abweichend, mit 8 EUR pro Stunde, was seiner ständigen Rechtsprechung bei fiktiv abgerechneten Haushaltsführungsschäden entspricht (vgl. Senatsurteil vom 9. September 2004, 14 U 32/04, NJWRR 2004, 1674). Daraus errechnet sich für den Zeitraum von 16,5 Wochen, für welchen die Klägerin Zahlung beansprucht, der zuerkannte Betrag von 924 EUR.
Mit dieser Maßgabe ist auch der Feststellungsantrag der Klägerin begründet.
Die Kostenentscheidung folgt § 92 Abs. 1 und (für den Berufungsrechtszug, für den die Zuvielforderung relativ geringfügig war und allenfalls geringfügig höhere Kosten verursacht hat) Abs. 2 ZPO. Die übrigen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 ZPO.