Sozialgericht Oldenburg
Urt. v. 13.11.2012, Az.: S 48 AS 1104/12

Bewilligung von Fahrtkosten für die Fahrten anlässlich der Wahrnehmung des Umgangsrechtes mit dem Kind i.R. des Bezugs von Grundsicherungsleistungen

Bibliographie

Gericht
SG Oldenburg
Datum
13.11.2012
Aktenzeichen
S 48 AS 1104/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 39735
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGOLDBG:2012:1113.S48AS1104.12.0A

Fundstelle

  • NZS 2013, 153

In dem Rechtsstreit
A.,
Kläger,
Proz.-Bev.: B.
gegen
Landkreis C.
Beklagter,
hat das Sozialgericht Oldenburg - 48. Kammer - ohne mündliche Verhandlung am 13. November 2012 durch den Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht Dr. Hoffmeyer, sowie die ehrenamtlichen Richter Pfützenreuter und Behrens
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 11.05.2012 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 08. sowie 18.06.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2012 verpflichtet, dem Kläger für die Monate April bis August 2012 monatlich jeweils weitere Fahrtkosten in Höhe von 76,80 € für die Fahrten anlässlich der Wahrnehmung des Umgangsrechtes mit dem Kind D. zu bewilligen.

Die außergerichtlichen Kosten des Klägers sind zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger bezog von dem Beklagten Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II, so gemäß Bescheid vom 11.05.2012 für die Zeit von Mai bis August 2012. Auf einen Widerspruch des Klägers hin wurden ihm sodann mit Bescheid vom 08.06.2012 u.a. für die Wahrnehmung des Umgangsrechts des in E. ansässigen Klägers mit seiner bei der Mutter in der F. in G. lebenden, 2008 geborenen Tochter Fahrtkosten von 76,80 € für die Übernahme von jeweils zwei Fahrten im Monat zur Wahrnehmung des Umgangsrechts ab Mai 2012 bewilligt. Den eingelegten Widerspruch wies der Beklagte sodann mit Bescheid vom 12.06.2012 zurück.

Am 18. Juni 2012 erging sodann ein weiterer Änderungsbescheid für den vorliegend maßgeblichen Leistungszeitraum wegen der Hausbelastungen.

Wegen der seiner Ansicht nach zu gering bewilligten Fahrtkosten für die Wahrnehmung des Umgangsrechts mit seiner Tochter suchte der Kläger bei dem erkennenden Gericht zum Aktenzeichen S 48 AS 300/12 ER zunächst um den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach, der das Gericht mit Beschluss vom 07. August 2012 entsprochen hat.

Mit der vorliegenden, am 19.07.2012 erhobenen Klage begehrt der Kläger die Bewilligung der Kosten für zwei weitere monatliche Fahrten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts entsprechend den Verabredungen mit der Mutter. Diese bestätigt mit Schreiben vom 30.07.2012, dass auch zwischen Vater und Tochter ein intensives Umgangsverhältnis bestünde. Die positive Entwicklung des Verhältnisses drücke sich insbesondere auch in dem Umstand aus, dass das Kind den Namen des Vaters trage. Dieser habe sich auch während seiner Aufenthaltszeiten in H. intensiv um die Tochter gekümmert und nehme den Kontakt weiterhin im dargestellten Umfange allwöchentlich wahr.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Beklagten unter Änderung der entgegenstehenden Leistungsbescheide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2012 zu verpflichten, ihm weitere Fahrtkosten für die Wahrnehmung des Umgangsrechts mit seiner Tochter I. zu bewilligen.

Der Beklagten beantragt,

die Klage abzuweisen

und verweist zur Begründung auf die Ausführungen der angefochtenen Bescheide. Er vertritt die Auffassung, dass dem Kind bereits Sozialgeld für die Zeiten des Aufenthaltes bei dem Antragsteller bewilligt worden ist, das die Mehrkosten des Klägers für die Wahrnehmung des Umgangsrechts hinreichend abdecke. Im Übrigen könnten die Trennungsfolgekosten nicht "unbegrenzt sozialisierbar" sein.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichtsakten zum vorliegenden Verfahren sowie zum Aktenzeichen S 48 AS /12 ER.

Entscheidungsgründe

Die vorliegende Klage ist zunächst zulässig. Zwar datiert der Widerspruchsbescheid bereits vom 12.06.2012, so dass die Klagefrist 15.07.2012 am abgelaufen wäre. Der Beklagte hat die Zustellung jedoch gegen Empfangsbekenntnis verfügt, das sich nicht bei der Leistungsakte befindet, so dass ein Nachweis über den tatsächlichen Zugang des Bescheides nicht vorliegt, somit der Ablauf der Klagefrist nicht belegt ist.

Die Klage ist auch begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch auf die Gewährung zusätzlicher Aufwendungen zur Wahrnehmung des Umgangsrechts mit seiner in H. wohnenden Tochter an weiteren zwei Wochenenden im Monat in dem aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang auf der Basis der von der Mutter vorgelegten persönlichen Erklärung über die tatsächliche Gestaltung des Umgangs mit der gemeinsamen Tochter und der von dem Beklagten für die Umgangsfahrten angerechneten Aufwendungen.

Die erkennende Kammer folgt auch in der vorliegenden Entscheidung den Feststellungen im Beschluss vom 07.08.2012 im Verfahren S 48 AS 300/12 ER.

Ausgangspunkt auch dieses Urteils bildet danach die dort bereits eingeführte Entscheidung des SG Stade im Urteil vom 11.04.2012 - S 28 AS 762/10 -. Von dessen Auslegung des § 21 Abs. 6 SGB II geht auch die erkennende Kammer aus und betont auch in der vorliegenden Entscheidung erneut, dass die Sozialüblichkeit der Wahrnehmung des Umgangsrechts kein primäres Entscheidungskriterium des Grundsicherungsrechts darstellen kann: Das häufig tatsächlich feststellbare Manko elterlichen Umgangs mit den eigenen Kindern im Besonderen in Trennungs- und Scheidungsfällen bietet aus gebotener verfassungsrechtlichen Sicht der Verhältnisse keine Orientierung für leistungsrechtliche Bewilligungen, da das Grundsicherungsrecht des SGB II ansonsten soziale Defizite verfestigen würden und einen sozialen Tatbestand für die Versäumnisse an kindlichen Bedürfnisse bildete. Diese Auslegung der leistungsrechtlichen Regelung insbesondere des § 21 Abs. 6 SGB II hat sich auf der Basis der in Bezug genommenen Entscheidungen des BVerfG vielmehr an den grundrechtlich gewährleisteten Bedürfnissen und tatsächlichen Gegebenheiten der Lebensverhältnisse der Leistungsempfängern auszurichten: Danach ist gerade im Fall der Wahrnehmung elterlicher (Umgangs-)Rechte und -pflichten maßgeblich das Grundrecht des einzelnen Kindes auf Sozialisierung zu betrachten, das in der Konsequenz der Rechtsprechung des BVerfG zum Anspruch des Strafgefangenen auf Re-Sozialisierung bereits 1972 Eingang in die verfassungsrechtliche Dogmatik genommen hat (s. hierzu ausführlich Hoffmeyer, Grundrechte im Strafvollzug, 1979, S. 132 ff.: Grundrechte als Sozialisationsgewährleistungen; grundrechtsdogmatisch grundlegend dazu Häberle Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. Berlin 1998, S. 720 ff. und 758 ff.).

Demzufolge geht die Kammer davon aus, dass dem Kläger die geltend gemachten Kosten in Ausübung des Umgangsrechts entstanden sind. Die von ihm zur Überzeugung des Gerichts dargelegten, durchschnittlich viermal im Monat erfolgenden Besuchskontakte, die er im Übrigen auch dem Beklagten gegenüber regelmäßig zwecks Leistungsbezugs im Rahmen der temporären Bedarfsgemeinschaft nachweist, liegen insoweit durchaus im Rahmen des sozial Üblichen, wobei wegen der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen eben nicht auf die Verhältnisse eines "Durchschnittsverdieners" abgestellt werden darf (s. hierzu z.B. Beschl. des LSG Rheinland-Pfalz vom 20.06.2012 - L 3 AS 210/12 B ER -). Denn vorliegend handelt es sich nach den überzeugenden Ausführungen des Klägers um eine einvernehmlich mit seiner Partnerin und Mutter seiner Tochter getroffene Besuchsregelung, die sich aus den durchgeführten, regelmäßigen Kontakten zu seiner Tochter ergeben (vgl. diesbezüglich auch SG Lüneburg, Beschl. vom 20.10.2011 - S 46 AS 385/111 ER -), die den Bedürfnissen des Kindes und der Eltern auch im Sinne des Art. 6 GG genügt.

Danach ist auch der vorliegenden Klage beschränkt auf den maßgeblichen Bewilligungszeitraum Mai bis August 2012 zu entsprechen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 2 Ziff. 1 SGG wegen der grundsätzlichen Bedeutung und des offensichtlichen Fehlens einschlägiger obergerichtlicher Rechtsprechung zuzulassen gewesen.

...

Dr. Hoffmeyer