Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 30.03.2005, Az.: 5 B 9/05
Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz; Antrag auf Aufhebung der verkehrsbehördlichen Anordnung eines "Abstellverbotes von Fahrrädern auf Gehwegflächen" für den Bereich des Bahnhofsvorplatzes in Lüneburg; Behördeninterne Maßnahme ohne Außenwirkung; Verwaltungsaktscharakter von Verkehrszeichen; Kombination von "Hauptverkehrszeichen" mit "Zusatzzeichen"
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 30.03.2005
- Aktenzeichen
- 5 B 9/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 18108
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2005:0330.5B9.05.0A
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs. 5 VwGO
- § 45 Abs. 1 Nr. 6 StVO
- § 45 Abs. 9 StVO
- § 39 Abs. 2 S. 2 StVO
- § 41 Abs. 2 Nr. 5 StVO
- § 39 Abs. 1 StVO
Im hier zu entscheidenden Fall begehrte der Antragsteller mit seiner Klage die Aufhebung der verkehrsbehördlichen Anordnung der Antragsgegnerin über die Verfügung eines Abstellverbotes von Fahrrädern auf Gehwegflächen für den Bereich des Bahnhofsvorplatzes in Lüneburg. Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren hatte er zunächst beantragt, die Vollziehung der betreffenden verkehrsbehördlichen Anordnung aufzuheben. Er erläuterte ergänzend, dass in diesem Antrag auch der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO enthalten sein solle. Er begehrte, den durch das Aufstellen der fraglichen Verkehrszeichen durchgeführten Vollzug der verkehrsbehördlichen Anordnung durch Abbau oder sonstige Außerkraftsetzung der aufgestellten Schilder rückgängig zu machen. Der vorläufige Rechtsschutzantrag hatte keinen Erfolg. Schon die Frage, ob der auf ein Jahr befristete Verkehrsversuch der Antragsgegnerin in § 45 Abs. 1 Nr. 6 StVO eine hinreichende Rechtsgrundlage finden würde, lasse sich im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend beantworten. Einerseits sei nicht ohne weiteres erkennbar, welche konkreten neuen Erkenntnisse die Antragsgegnerin mit diesem Verkehrsversuch erhalten könne. Andererseits stehe es letztlich im Ermessen der Antragsgegnerin zu bestimmen, ob und wann sie entsprechende Verkehrsversuche durchführen wolle. Da mithin der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen sei, könne kein überwiegendes Interesse des Antragstellers an eine Aussetzung der Vollziehung bejaht werden.
Das Verwaltungsgericht Lüneburg - 5. Kammer - hat
am 30. März 2005
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
- 2.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Der gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Der Antragsteller begehrt mit seiner Klage 5 A 51/05 die Aufhebung der verkehrsbehördlichen Anordnung der Antragsgegnerin vom 27. Januar 2005 über die Verfügung eines "Abstellverbotes von Fahrrädern auf Gehwegflächen" für den Bereich des Bahnhofsvorplatzes in Lüneburg. Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren hat er zunächst beantragt,
gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO die Vollziehung der betreffenden verkehrsbehördlichen Anordnung aufzuheben.
Er hat ergänzend erläutert, dass in diesem Antrag auch der Antrag auf "Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung" der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO enthalten sein solle. Er begehre, den durch das Aufstellen der fraglichen Verkehrszeichen durchgeführten Vollzug der verkehrsbehördlichen Anordnung vom 27. Januar 2005 durch Abbau oder sonstige Außerkraftsetzung der aufgestellten Schilder rückgängig zu machen.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wendet sich sinngemäß gegen die Umsetzung der verkehrsbehördlichen Anordnung der Antragsgegnerin vom 27. Januar 2005 durch die im Bahnhofsbereich aufgestellten und vom Antragsteller beanstandeten Straßenverkehrszeichen. Die verkehrsbehördliche Anordnung vom 27. Januar 2005, mit der zur Erprobung für ein Jahr ab 1. Februar 2005 das Aufstellen einer Schilderkombination des Verkehrszeichens 239 mit dem Zusatzzeichen "Abstellen von Fahrrädern max. 15 Minuten" für den Bereich des Bahnhofsvorplatzes in Lüneburg festgesetzt worden ist, ist eine behördeninterne Maßnahme ohne Außenwirkung. Diese Anordnung ist deshalb kein Verwaltungsakt im Sinne des § 35 VwVfG. Gegen sie kann mithin kein vorläufiger Rechtsschutz gem. § 80 Abs. 5 VwGO begehrt werden. Der vorläufige Rechtsschutzantrag des Antragstellers gem. § 80 Abs. 5 VwGO kann sich deshalb nur auf die auf Grund der Anordnung vom 27. Januar 2005 aufgestellten Verkehrszeichen beziehen. Die Verkehrszeichen sind Allgemeinverfügungen im Sinne des § 35 Satz 2 VwGO, die nach ständiger Rechtsprechung in analoger Anwendung von § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sofort vollziehbar sind (vgl. Kopp, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 80 RdNr. 64 m.w.N..). Die Kammer versteht deshalb den Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gem. § 80 Abs. 5 VwGO dahin, dass er gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die genannten Verkehrszeichen beantragt und gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO bis zur Entscheidung der Hauptsache die Beseitigung dieser Schilder begehrt.
Dem so verstandenen Antrag kann nicht entsprochen werden. Die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO käme in Betracht, wenn dem gesetzlich angeordneten öffentlichen Vollzugsinteresse der verkehrsregelnden Maßnahmen ein überwiegendes privates Interesse des Antragstellers, von dieser Maßnahme bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu werden, entgegen stehen würde. Ein solches Interesse könnte bestehen, wenn bei der hier nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verkehrszeichen bestehen würden oder wenn mit diesen Verkehrszeichen eine unbillige Härte zu Lasten des Antragstellers verbunden wäre. Eine unbillige Härte bei verkehrslenkenden Maßnahmen liegt allerdings nur vor, wenn schwer wiegende Nachteile in Betracht kommen, die ein Abwarten auf die Hauptsacheentscheidung unzumutbar machen (vgl. Finkelnburg/Jank, Vorl. Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl. 1998, Rdnr. 1295m.w.N.).
Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ist nicht erkennbar, dass so ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verkehrszeichen bestehen, dass ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich oder offenkundig ist. Vielmehr bestehen, worauf der Antragsteller zutreffend hingewiesen hat, im Zusammenhang mit der Aufstellung der genannten Verkehrszeichen vielfältige und offene Rechtsfragen, die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend geklärt werden können, sodass noch nicht erkennbar ist, wie das Hauptsacheverfahren letztlich entschieden wird.
Schon die Frage, ob der auf ein Jahr befristete Verkehrsversuch der Antragsgegnerin in § 45 Abs. 1 Nr. 6 StVO eine hinreichende Rechtsgrundlage findet, lässt sich im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend beantworten. Einerseits ist nicht ohne weiteres erkennbar, welche konkreten neuen Erkenntnisse die Antragsgegnerin mit diesem Verkehrsversuch erhalten kann, nachdem sie mit einem in der Sache ähnlichen Verkehrszeichen bereits über Jahre praktische Erfahrungen über das Verhalten der Fahrradfahrer in dem betreffenden Bahnhofsbereich gesammelt und durch Vollzugsmaßnahmen auf die Beachtung der vormaligen Verkehrsregelung hingewirkt hat. Andererseits steht es letztlich im Ermessen der Antragsgegnerin zu bestimmen, ob und wann sie entsprechende Verkehrsversuche durchführen will. § 45 Abs. 1 Nr. 6 StVO setzt ihr jedenfalls insoweit keine erkennbaren Grenzen, so dass es rechtlich auch nicht von vornherein ausgeschlossen ist, wenn sie die Praxistauglichkeit einer neuen Schilderkombination erst in einem Verkehrsversuch testen will. Allerdings wird die Antragsgegnerin im Klageverfahren noch im Einzelnen darlegen müssen, welche zusätzlichen Erkenntnisse sie durch diesen Verkehrsversuch tatsächlich erlangen will und aus welchen Gründen und für welche Zwecke sie eine "größere Erfahrungsbasis" benötigt.
Bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage vermag die Kammer entgegen der Auffassung des Antragstellers auch nicht zu erkennen, dass das in der Straßenverkehrsordnung nicht enthaltene und wohl von der Antragsgegnerin neu entworfene Zusatzschild offensichtlich rechtswidrig ist. Es ist jedenfalls nicht offenkundig, dass die Verwendung anderer als in der Straßenverkehrsordnung vorgesehener Zusatzschilder oder Zusatzzeichen rechtlich unzulässig ist. Gem. § 39 Abs. 2 Satz 2 StVO sind zwar Zusatzschilder, die offenbar auch so genannte Zusatzzeichen erfassen, Verkehrszeichen. Das könnte dafür sprechen, dass nur die nach der StVO zugelassenen Verkehrszeichen im öffentlichen Straßenverkehr aufgestellt werden dürfen und deshalb die Verwendung weiterer Zusatzschilder unzulässig ist. Jedoch bestimmt die Verwaltungsvorschrift 17 a zu § 39 StVO, dass zwar Abweichungen von Zusatzzeichen nicht zulässig sind, jedoch "andere Zeichen der Zustimmung der obersten Landesbehörde", die hier vorliegt, bedürfen. Auch in der Rechtsprechung wird die Auffassung vertreten, dass Zusatzschilder beliebige Anordnungen enthalten können und die StVO diese Schilder nicht abschließend aufzähle (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., 2003, § 39 Rdnr. 31 a m.w.N..). Auch diese Frage ist deshalb nicht eindeutig in dem vom Antragsteller gemeinten Sinne zu beantworten und ist dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten.
Die Kammer vermag nach dem Akteninhalt gegenwärtig auch nicht zu erkennen, ob das Verkehrszeichen 239 von der Antragsgegnerin für die entsprechenden Standorte rechtmäßig oder rechtswidrig angeordnet worden ist. Das in § 41 Abs. 2 Nr. 5 StVO unter "Sonderwege" aufgeführte Zeichen gestattet und beschränkt die Nutzung eines Weges für "Fußgänger". Gem. § 41 Abs. 2 Nr. 5 S. 4 StVO steht das Zeichen "Fußgänger" nur dort, "wo eine Klarstellung notwendig ist". Diese Regelung wird ergänzt durch §§ 39 Abs. 1, 45 Abs. 9 Satz 1 StVO, wonach örtliche Anordnungen durch Verkehrszeichen nur dort zu treffen sind, "wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend geboten ist." Ob die Verkehrszeichen 239 an den dafür ausgewählten Standorten im Bahnhofsbereich zwingend geboten sind, um die verkehrsrechtliche Situation zu klären, kann nicht allein nach Aktenlage entschieden werden. Vielmehr bedarf es dazu einer Ortsbesichtigung mit den Verfahrensbeteiligten, die nur im Rahmen des Hauptsacheverfahrens durchgeführt werden kann. Erst nach Inaugenscheinnahme der Örtlichkeiten kann im Einzelnen eine Aussage über die hier rechtlich bedeutsamen Fragen zur Aufstellung der Verkehrszeichen 239 getroffen werden.
Schließlich ist es entgegen der Auffassung des Antragstellers auch nicht offenkundig, dass eine Kombination von "Hauptverkehrszeichen" mit "Zusatzzeichen" rechtlich ausgeschlossen ist, wenn ein nicht unerheblicher Regelungsinhalt in dem Zusatzzeichen liegt. In der Straßenverkehrsordnung finden sich keine Regelungen darüber, in welchem Zusammenhang Hauptverkehrszeichen und Zusatzzeichen wegen ihres Regelungsgehaltes im Einzelnen stehen dürfen oder müssen.
Erweist sich nach alledem bei summarischer Prüfung die Rechtslage als offen, ist dem Antrag nicht zu entsprechen, weil eine unbillige Härte zu Lasten des Antragstellers nicht erkennbar ist, wenn er bis zum Abschluss des Klageverfahrens sein Fahrrad nicht, wie gewünscht, zeitlich unbefristet auf den von den streitbefangenen Verkehrszeichen erfassten öffentlichen Verkehrsflächen vor dem Bahnhof in Lüneburg abstellen kann. Es ist der Kammer nicht erkennbar, dass der Antragsteller dadurch in irgend einer Weise schwer wiegende Nachteile erleidet. Vielmehr ist es ihm ohne weiteres zuzumuten, sein Fahrrad bis zur Entscheidung in der Hauptsache gegen eine geringe Gebühr in dem unmittelbar an den Bahnhofsvorplatz angrenzenden so genannten "Radspeicher" oder in dem von der Antragsgegnerin eingerichteten Bereich für das gebührenfreie Abstellen von Fahrrädern abzustellen. Damit kann der Antragsteller auch problemlos etwaigen Zwangsmaßnahmen der Antragsgegnerin entgehen und kann, entgegen seinem Vortrag im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, mit geringem und zumutbarem Aufwand die nach seiner Auffassung rechtswidrige Verletzung seines Eigentums oder seiner Persönlichkeitsrechte vermeiden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Schütte,
Göll-Waechter