Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.09.2006, Az.: 2 OA 915/06
Höhe der Erhebung von Rechtsanwaltsgebühren bei Tätigwerden in derselben Angelegenheit; Anforderungen an eine ordnungsgemäße Kostenfestsetzung; Begriff der "Angelegenheit"; Beachtung des Grundsatzes der Identität von Verfahren und Angelegenheit
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 27.09.2006
- Aktenzeichen
- 2 OA 915/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 32086
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2006:0927.2OA915.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 24.05.2006 - AZ: 6 C 5209/05
Rechtsgrundlagen
- § 15 Abs. 2 S. 1 RVG
- § 22 Abs. 1 RVG
Fundstellen
- JurBüro 2007, 22-24 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 2007, 395-396 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 2006, XII Heft 50 (amtl. Leitsatz)
- WissR 2007, 109
Amtlicher Leitsatz
Ein Rechtsanwalt, der im Kapazitätsprozess eine Hochschule gegen die Teilhabeansprüche einer Vielzahl von Studienbewerbern vertritt, wird gebührenrechtlich in mehreren und nicht in derselben Angelegenheit tätig.
Gründe
Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Verwaltungsgericht Erinnerungen der Antragsteller gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zurückgewiesen, in denen dieser die von den Antragstellern an die Antragsgegnerin zu erstattenden und aus Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes resultierenden Kosten jeweils auf 265,99 EUR nebst Zinsen festgesetzt und dabei eine in jedem Verfahren entstandene Verfahrensgebühr in Höhe von 209,30 EUR berücksichtigt hatte. Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer Beschwerde und der Begründung, dass der beanstandeten Kostenfestsetzung die Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG entgegenstehe, nach der ein Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern könne. Die Prozessvertretung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin in den 682 Ausgangsverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes stelle dieselbe Angelegenheit dar mit der Folge, dass ein Gesamtstreitwert in Höhe von 1.705.000,00 EUR gebildet werden müsse, aus dem sich eine Verfahrensgebühr der Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin in Höhe von 8.769,80 EUR errechne; diese erhöhe sich nach Berücksichtigung der Post- und Telekommunikationspauschale sowie der Mehrwertsteuer auf insgesamt 10.196,17 EUR mit der Folge, dass von jedem Antragsteller lediglich Kostenerstattung in Höhe von 14,95 EUR beansprucht werden könne.
Die Beschwerden der Antragsteller bleiben ohne Erfolg, da das Verwaltungsgericht ihre Erinnerungen gegen die vorangegangenen Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 28. März 2006 zu Recht zurückgewiesen hat. Während die Antragsteller Einwendungen gegen die im Einzelnen berechnete und von einem Gegenstandswert von 2.500,-- EUR ausgehende Verfahrensgebühr nicht erhoben haben, können sie insbesondere auch im zweiten Rechtszug nicht mit der Rüge durchdringen, die Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin seien in derselben Angelegenheit tätig geworden und könnten die Gebühren daher nur einmal verlangen. Dabei kann es auf sich beruhen, ob dieser Einwand aus § 7 Abs. 1 RVG, dessen Heranziehung das Verwaltungsgericht wohl zu Recht verneint haben dürfte, oder aus §§ 15 Abs. 2 Satz 1, 22 Abs. 1 RVG abzuleiten ist. Einem Erfolg der Beschwerde steht maßgeblich entgegen, dass die Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin nicht in derselben Angelegenheit tätig geworden sind.
Unter einer "Angelegenheit" ist das gesamte Geschäft zu verstehen, das der Rechtsanwalt für den Auftraggeber besorgen soll. Gegenstand der Angelegenheit ist das Recht oder Rechtsverhältnis, auf das sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts aufgrund des Auftrags bezieht. Eine Angelegenheit kann auch mehrere Gegenstände umfassen. Ob mehrere Gegenstände dieselbe oder mehrere Angelegenheiten darstellen, ist jeweils von den gesamten Umständen des konkreten Einzelfalls abhängig. In diesem Zusammenhang ist danach zu fragen, ob die mehreren Gegenstände von einem einheitlichen Auftrag umfasst werden, zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und der Rechtsanwalt einen einheitlichen Tätigkeitsrahmen wahrt. Unter diesen Voraussetzungen ist es im Hinblick auf das dem RVG (früher BRAGO) zugrunde liegende Pauschsystem gerechtfertigt, eng zusammengehörige anwaltliche Tätigkeiten auch zu einer Gebührenbemessungseinheit zusammen zu fassen (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.05.2000 - 11 C 1.99 -, NJW 2000, 2289 f.; OVG NRW, Beschl. v. 27.03.2001 - 10 E 84/01 -, BauR 2001, 1402). Dabei wird die Durchführung verschiedener gerichtlicher Verfahren regelmäßig dafür sprechen, dass ein innerer Zusammenhang zwischen den Verfahrensgegenständen nicht besteht und der Rechtsanwalt wegen der unterschiedlichen materiell-rechtlichen und prozessualen Voraussetzungen und Anforderungen an einer einheitlichen Vorgehensweise gehindert ist (vgl. BVerwG, a.a.O.; ferner von Eiken, in: Gerold/Schmidt/von Eiken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl. 2004, § 7 RdNr. 12). Allerdings ist nicht ausnahmslos von der Identität von Verfahren und Angelegenheiten in der Weise auszugehen, dass mehrere Verfahren auch zwingend mehrere Angelegenheiten darstellen. Ob ein Ausnahmefall von dem Grundsatz der Identität von Verfahren und Angelegenheit vorliegt, ist in Anwendung der dargelegten allgemeinen Abgrenzungskriterien zu entscheiden, also danach, ob die Tätigkeiten in den verschiedenen Verfahren von einem einheitlichen Auftrag umfasst werden, zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und der Rechtsanwalt einen einheitlichen Tätigkeitsrahmen wahrt (BVerwG, a.a.O.).
Hieran gemessen waren die Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin in den 682 Ausgangsverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht in derselben Angelegenheit tätig. Dabei kann es auf sich beruhen, ob die Tätigkeiten der Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin in den zahlreichen Verfahren von einem einheitlichen Auftrag umfasst waren und ob zwischen ihnen im Hinblick auf die Abwehr der von den Antragstellern verfolgten Teilhabeansprüche und die damit verbundene Rechtfertigung der den Hochschulzugang begrenzenden Kapazitätsauslastung ein innerer Zusammenhang besteht. Denn es fehlt an einem einheitlichen Tätigkeitsrahmen. Jeder bzw. jede der 682 Antragstellerinnen und Antragsteller hat mit Blick auf das ihnen zustehende höchstpersönliche Grundrecht des Art. 12 GG im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes darum nachgesucht, vorläufig zu seinem bzw. ihrem Wunschstudium der Humanmedizin zugelassen zu werden und dabei für sich in Anspruch genommen, dass in seiner oder ihrer Person die Zulassungsvoraussetzungen vorliegen und bei der Antragsgegnerin die Ausbildungskapazität nicht ausgeschöpft ist. Gegenstand der gebührenrechtlichen Würdigung sind demnach 682 selbständige Verfahren, mit denen jeweils eigenständige persönliche Rechte geltend gemacht wurden. Betrachtet man daher aus der Sicht der Antragsteller die einzelnen Verfahren, so erschließt sich unschwer die Erkenntnis, dass es an einem einheitlichen Rahmen fehlt, zumal die Studienbewerber auch noch von 46 verschiedenen Rechtsanwälten oder Anwaltssozietäten vertreten wurden. Der gebührenrechtlich geforderte einheitliche Rahmen wird auch nicht dadurch hergestellt, dass die Antragsgegnerin dem Begehren der Antragsteller in zahlreichen oder sogar den meisten Verfahren mit einer gleichbleibenden Argumentation entgegengetreten ist. Denn die Tatsache, dass Begründungen in parallel liegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes weitgehend identisch oder sogar wortgleich sind, macht die einzelnen Verfahren nicht zu derselben Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 RVG (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 06.02.1976 - 2 BvR 747/73 u.a. -, AnwBl 1976, 163 f. zu mehreren gleichgelagerten Verfassungsbeschwerden ). Hinzu kommt, dass es in allen 682 Verfahren nicht mit einer gleichbleibenden Argumentation der Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin sein Bewenden hatte, diese vielmehr in jedem einzelnen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu prüfen hatten, ob die jeweiligen Hochschulzugangs- wie Antragsvoraussetzungen vorlagen und die maßgeblichen Fristen gewahrt wurden.
Soweit sich die Antragsteller für die von ihnen vertretene Rechtsauffassung auf den Beschluss des OVG Hamburg vom 30. September 1987 - OVG Bs IV 593/87 - (HmbJVBl 1988, 47 f.) berufen, vermag ihnen der Senat nicht zu folgen. Der benannte Beschluss des OVG Hamburg geht bereits entgegen der vom beschließenden Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vertretenen Auffassung von vornherein davon aus, dass nicht jedes selbständige gerichtliche Verfahren eine besondere Angelegenheit darstelle, und stellt bei der Betrachtung, ob verschiedene Rechtsverhältnisse als eine Angelegenheit angesehen werden können, maßgeblich darauf ab, ob die auf diese verschiedenen Rechtsverhältnisse bezogenen Aufträge nach Inhalt, Ziel und Zweck einander so weitgehend entsprechen, dass sie den Anwalt zu einem gleich gerichteten Vorgehen für alle Auftraggeber berechtigen und verpflichten. Nach dem vorliegend von dem beschließenden Senat für entscheidungserheblich angesehenen einheitlichen Tätigkeitsrahmen fragt das OVG Hamburg daher nicht. Darüber hinaus hat das OVG Hamburg einander nach Inhalt, Ziel und Zweck entsprechende Aufträge an einen Rechtsanwalt dann als gegeben angesehen, wenn es bei sachgerechter und interessengerechter Mandatswahrnehmung geboten war, für alle Mandanten gleich gerichtet vorzugehen. Auch insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem, den die Antragsteller für ihre Beschwerdebegründung heranziehen. Denn wie vorstehend ausgeführt, konnten und können die Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin von vornherein nicht gegen alle Teilhabeansprüche abgelehnter Studienplatzbewerber, die noch dazu von einer Vielzahl verschiedener Rechtsanwälte vertreten wurden, gleichgerichtet vorgehen, sondern hatten trotz der Parallelität der Verfahren deren besondere Fallkonstellationen zu prüfen und zu beachten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).