Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.09.2006, Az.: 8 LA 114/06
Vorliegen des Merkmals der "Unzuverlässigkeit" i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b Waffengesetz (WaffG) bei einer Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen vorsätzlich begangener Straftaten
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 04.09.2006
- Aktenzeichen
- 8 LA 114/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 31836
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2006:0904.8LA114.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Osnabrück - 31.05.2006 - AZ: 3 A 154/05
Rechtsgrundlagen
- § 5 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b WaffG
- § 17 Abs. 1 S. 2 BJagdG
- § 52 StGB
- § 53 StGB
- § 54 StGB
Amtlicher Leitsatz
Unzuverlässig nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 b WaffG ( i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG) ist auch, wer wegen mehrerer vorsätzlich begangener Straftaten zwar zu Einzelstrafen von jeweils unter einem Jahr, ingesamt aber zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt erfolglos, weil die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 VwGO nicht gegeben sind.
Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers ab, ihm für das Jagdjahr 2005/2006 einen Jahresjagdschein auszustellen. Dem stehe entgegen, dass der Kläger gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG i. V. m § 5 Abs. 1 Nr. 1 b WaffG jagdrechtlich unzuverlässig sei. Danach besitze die erforderliche Zuverlässigkeit nicht, wer rechtskräftig wegen sonstiger vorsätzlicher Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden sei, wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung 10 Jahre noch nicht verstrichen seien. Diese Voraussetzungen seien bei dem Kläger gegeben. Er sei nämlich durch Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 5. Mai 2003 rechtskräftig wegen Untreue in zahlreichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten sowie durch das gleiche Urteil zusätzlich wegen Betruges in drei Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden.
Die auf Erteilung des Jagdscheins gerichtete und nach dem zwischenzeitlichen Ablauf des Jagdjahres mit einem Fortsetzungsfeststellungsantrag fortgeführte Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Der Kläger sei aus den zutreffend von der Beklagten genannten Gründen unzuverlässig. Auch eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr, die - wie vorliegend - auf einer Gesamtstrafenbildung gemäß § 54 StGB beruhe, verwirkliche den Unzuverlässigkeitstatbestand des § 5 Abs. 1 Nr. 1 b WaffG.
Die von dem Kläger in der Begründung seines Zulassungsantrages geltend gemachten ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit der dargelegten Ansicht des Verwaltungsgerichts bestehen nicht.
Der Kläger meint, § 5 Abs. 1 Nr. 1 b WaffG erfasse nur eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen e i n e r Straftat, nicht aber eine Verurteilung wegen mehrerer Straftaten, für die jeweils nur Einzelstrafen von weniger als einem Jahr verhängt worden seien und die nur aufgrund einer Gesamtstrafenbildung gemäß § 54 StGB zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr geführt hätten. Dieses Verständnis des § 5 Abs. 1 Nr. 1 b WaffG ist nicht zutreffend. Es kann deshalb dahinstehen, ob es auf diese Frage überhaupt entscheidungserheblich ankommt oder der Kläger nicht in jedem Fall wegen der Vielzahl der von ihm vorsätzlich begangenen Straftaten nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 a WaffG unzuverlässig ist.
Bereits der Wortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 1 b WaffG spricht gegen die Rechtsansicht des Klägers. Das Gesetz kennt die vom ihm angeführte Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Freiheitsstrafen nicht. Es stellt im Übrigen auch gerade nicht auf die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat ab. Vielmehr wird der Plural verwendet, d.h. vorausgesetzt wird eine Verurteilung wegen "sonstiger vorsätzlicher Straftaten". Sinn und Zweck der Regelung sprechen ebenfalls gegen die vom Kläger vertretene Auffassung. Für die Unzuverlässigkeit des Betroffenen wird bewusst allein an das Strafmaß angeknüpft, ohne dass es noch darauf ankäme, wegen welcher vorsätzlicher Straftaten im Einzelnen die Verurteilung ergangen ist. Erst in der ergänzenden Regelung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG wird hierauf zurückgegriffen. Dieses Verständnis des § 5 Abs. 1 Nr. 1 b WaffG führt nicht zu der vom Kläger gesehenen Ungleichbehandlung des zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr Verurteilten gegenüber demjenigen, der "wegen gleicher Delikte in mehreren Einzelverfahren zu jeweiligen Einzelstrafen verurteilt worden ist". Zu einer Ungleichbehandlung käme es nur dann, wenn im letztgenannten Fall von der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit des Betroffenen auszugehen wäre. Dies ist jedoch grundsätzlich nicht der Fall. Denn in aller Regel gilt auch der wiederholt rechtskräftig Verurteilte als unzuverlässig, nämlich nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 a WaffG. Der Kläger trägt ferner vor, § 5 Abs. 1 Nr. 1 b WaffG könne so wie vom Verwaltungsgericht nicht ausgelegt werden, weil andernfalls für die Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 a WaffG keine Raum bliebe, diese Bestimmung also leer liefe. Auch in dieser Annahme kann ihm gefolgt werden. Zwar trifft es zu, dass bei einem Verbrechen gemäß § 12 Abs. 1 StGB der Mindeststrafrahmen bereits ein Jahr beträgt. Ungeachtet dessen kann es auch bei einer Verurteilung wegen eines Verbrechens zu einer Strafe von weniger als einem Jahr kommen, etwa in Anwendung des § 49 StGB i. V. m. § 21 StGB wegen verminderter Schuldfähigkeit. Auch solche Verurteilungen werden von § 5 Abs. 1 Nr. 1 a WaffG erfasst (vgl. Apel/Bushart, WaffG, Kommentar, 3. Aufl., § 5, Rn. 6). Insoweit geht § 5 Abs. 1 Nr. 1 a WaffG über die Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 b WaffG hinaus, hat also einen eigenständigen Anwendungsbereich.
Soweit der Gesetzgeber für die Annahme der Unzuverlässigkeit nach § 5 WaffG auf das Strafmaß einer Verurteilung abstellt, nämlich in Abs. 1 Nr. 1 b und Abs. 2 Nr. 1, kommt es daher nicht darauf an, ob der Verurteilung eine Straftat i. S. v. § 52 StGB oder mehrere zu einer Gesamtstrafenbildung nach § 54 StGB führende Straftaten i. S. v. § 53 StGB zu Grunde liegen. Dies ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung zutreffend anerkannt (vgl. den bereits von der Beklagten angeführten Beschl. des VGH Kassel v. 14.10.2004 - 11 TG 2490/04 -, NVwZ-RR 2005, 324 [VGH Hessen 14.10.2004 - 11 TG 2490/04] ff. = JE XVII Nr. 144, mit umfassender Würdigung der Entstehungsgeschichte der Norm, sowie den Beschl. d. VGH München v. 7.10.2005 - 19 ZB 05.2148 -, JE V Nr. 224). Diese Auffassung liegt ferner dem bereits vom Verwaltungsgericht angeführten Senatsbeschluss vom 1. Juni 2004 (8 ME 116/04, NVwZ-RR 2005, 110) zu Grunde (ebenso OVG Münster, Beschl. v. 6.9.2005 - 20 A 1490/05 -, JE V Nr. 223). Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestehen deshalb nicht.
Dass auch eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Straftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens einem Jahr dem § 5 Abs. 1 Nr. 1 b WaffG unterfällt, ergibt sich ohne besonderen Aufwand aus den vorgenannten Gründen und entspricht der obergerichtlichen Rechtsprechung. Die Rechtssache weist daher weder die vom Kläger ergänzend geltend gemachten besonderen Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO noch eine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf.