Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 29.04.2019, Az.: 8 C 186/19

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
29.04.2019
Aktenzeichen
8 C 186/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 69792
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

NC-Eilanträge, die durch eine Sammelentscheidung entschieden werden, bilden keine einheitliche Angelegenheit i. S. v. § 15 Abs. 2 RVG. Notwendigkeit einer Ausschreibung der rechtsanwaltlichen Vertretung einer Hochschule.

Gründe

Die Erinnerung des Antragstellers gegen den Beschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 09.07.2019 ist nach §§ 165, 151 VwGO zulässig, aber nicht begründet. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat zu Recht eine Verfahrensgebühr (Nr. 3100 Vergütungsverzeichnis, Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz) sowie eine Pauschale (Nr. 7002 VV RVG) zuzüglich der Mehrwertsteuer (Nr. 7008 VVRVG) mit einem Gesamtbetrag von 492,54 € festgesetzt.

Der Antragsteller wendet dagegen ein, bei allen parallel rechtshängigen Eilanträgen von außerkapazitären Studienplatzbewerbern in demselben Studiengang und Eingangssemester handele es sich um eine einheitliche Angelegenheit gemäß § 15 Abs. 2 RVG. Die Kammer teilt diese Auffassung nicht. Unter einer „Angelegenheit“ ist das gesamte Geschäft zu verstehen, das der Rechtsanwalt für den Auftraggeber besorgen soll. Gegenstand der Angelegenheit ist das Recht oder Rechtsverhältnis, auf das sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts aufgrund des Auftrags bezieht. Eine Angelegenheit kann auch mehrere Gegenstände umfassen. Ob mehrere Gegenstände dieselbe oder mehrere Angelegenheiten darstellen, ist jeweils von den gesamten Umständen des konkreten Einzelfalls abhängig. In diesem Zusammenhang ist danach zu fragen, ob die mehreren Gegenstände von einem einheitlichen Auftrag umfasst werden, zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und der Rechtsanwalt einen einheitlichen Tätigkeitsrahmen wahrt. Unter diesen Voraussetzungen ist es im Hinblick auf das dem RVG (früher BRAGO) zu Grunde liegende Pauschsystem gerechtfertigt, eng zusammengehörige anwaltliche Tätigkeiten auch zu einer Gebührenbemessungseinheit zusammen zu fassen. Dabei wird die Durchführung verschiedener gerichtlicher Verfahren regelmäßig dafür sprechen, dass ein innerer Zusammenhang zwischen den Verfahrensgegenständen nicht besteht und der Rechtsanwalt wegen der unterschiedlichen materiell-rechtlichen und prozessualen Voraussetzungen und Anforderungen an einer einheitlichen Vorgehensweise gehindert ist. Allerdings ist nicht ausnahmslos von der Identität von Verfahren und Angelegenheiten in der Weise auszugehen, dass mehrere Verfahren auch zwingend mehrere Angelegenheiten darstellen. Ob ein Ausnahmefall von dem Grundsatz der Identität von Verfahren und Angelegenheit vorliegt, ist in Anwendung der allgemeinen Abgrenzungskriterien zu entscheiden, also danach, ob die Tätigkeiten in den verschiedenen Verfahren von einem einheitlichen Auftrag umfasst werden, zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und der Rechtsanwalt einen einheitlichen Tätigkeitsrahmen wahrt (Nds. OVG, Beschluss vom 27.09.2006 – 2 OA 915/06 –, juris, m.w.N.).

Hieran gemessen waren die Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin in den 169 Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht in derselben Angelegenheit tätig. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Tätigkeiten der Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin in den zahlreichen Verfahren von einem einheitlichen Auftrag umfasst waren und ob zwischen ihnen im Hinblick auf die Abwehr der von den Antragstellern verfolgten Teilhabeansprüche und die damit verbundene Rechtfertigung der den Hochschulzugang begrenzenden Kapazitätsauslastung ein innerer Zusammenhang besteht. Denn es fehlt an einem einheitlichen Tätigkeitsrahmen. Die Kammer hat im Beschluss vom 29.04.2019 – 8 C 10/19 u.a. – nicht 169 Verfahren miteinander verbunden, sondern lediglich eine Sammelentscheidung über diese 169 Eilanträge getroffen. Jeder bzw. jede der 169 Antragstellerinnen und Antragsteller hat mit Blick auf das ihnen zustehende höchstpersönliche Grundrecht des Art. 12 GG im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes darum nachgesucht, vorläufig zu seinem bzw. ihrem Wunschstudium der Humanmedizin zugelassen zu werden und dabei für sich in Anspruch genommen, dass in seiner oder ihrer Person die Zulassungsvoraussetzungen vorliegen und bei der Antragsgegnerin die Ausbildungskapazität nicht ausgeschöpft ist. Gegenstand der gebührenrechtlichen Würdigung sind demnach 169 selbständige Verfahren, mit denen jeweils eigenständige persönliche Rechte geltend gemacht wurden. Betrachtet man daher aus der Sicht der Antragsteller die einzelnen Verfahren, so erschließt sich unschwer die Erkenntnis, dass es an einem einheitlichen Rahmen fehlt, zumal die meisten Studienbewerber auch noch von 20 verschiedenen Rechtsanwälten oder Anwaltssozietäten vertreten wurden. Der gebührenrechtlich geforderte einheitliche Rahmen wird auch nicht dadurch hergestellt, dass die Antragsgegnerin dem Begehren der Antragsteller in zahlreichen oder sogar den meisten Verfahren mit einer gleichbleibenden Argumentation entgegengetreten ist. Denn die Tatsache, dass Begründungen in parallel liegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes weitgehend identisch oder sogar wortgleich sind, macht die einzelnen Verfahren nicht zu derselben Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 RVG. Hinzu kommt, dass es in allen 169 Verfahren nicht mit einer gleichbleibenden Argumentation der Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin sein Bewenden hatte, diese vielmehr in jedem einzelnen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu prüfen hatten, ob die jeweiligen Hochschulzugangs- wie Antragsvoraussetzungen – besonders in den Fällen des Zugangs zu einem höheren Semester – vorlagen und die maßgeblichen Fristen gewahrt wurden (ebenso Nds. OVG, aaO., m.w.N.).

Darüber hinaus kann auch deshalb nicht dieselbe Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG vorliegen, weil die Kammer für die Bemessung der Gerichtsgebühren die Regelung in § 39 Abs. 1 GKG nicht angewendet hat. Sie hat vielmehr für jedes Klageverfahren einen selbstständigen Streitwert angenommen und auch keine Kostenquoten gebildet, sondern in jedem der 169 Fälle eine Einzelfallentscheidung über die Kostentragungspflicht getroffen. In Bezug auf den Antragsteller sind diese Entscheidungen rechtskräftig geworden. Mangels eines sachlichen Grundes wäre es daher mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, bei der Festsetzung der Anwaltsgebühren abweichend vorzugehen. Genau dem soll § 32 RVG (früher § 9 BRAGO) entgegenwirken. Hier einschlägige Ausnahmen von diesem Grundsatz sind im Gesetz nicht vorgesehen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 05.02.2009 – 9 OA 349/08 –, juris, Rn 5f).

Soweit der Antragsteller außerdem einwendet, wegen Verstoßes gegen das Vergaberecht sei die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin gemäß § 134 BGB nichtig, weil ein Auftragsvolumen über hunderttausende Euro freihändig vergeben worden sei, geht diese Argumentation schon im gedanklichen Ansatz fehl. Denn die Zahlungsansprüche der Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin gegen Antragsteller, die in Eil- und Klageverfahren unterliegen, sind keine Leistungen der Antragsgegnerin an ihre Prozessbevollmächtigten im Sinne von § 3 der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (vom 12.04.2016, BGBl. I S. 624, zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 12.07.2019, BGBl. I S. 1081), sondern Leistungen der unterliegenden Prozessbeteiligten. Sie sind bei der Schätzung des Auftragswerts, der sich nach Kenntnis der Kammer im Bereich von wenigen tausend Euro jährlich durch einzelne Entscheidungen zu Lasten der Antragsgegnerin hält und schon von daher vergaberechtlich irrelevant ist, nicht zu berücksichtigen.

Darüber hinaus wäre es nach § 49b Abs. 1 BRAO unzulässig, geringere Gebühren und Auslagen zu vereinbaren oder zu fordern, als das RVG vorsieht, soweit dieses nichts anderes bestimmt. Auch eine - unterstellt - notwendige Ausschreibung könnte also die gegen den Antragsteller festgesetzte Vergütung, die bereicherungsrechtlich auch im Falle eines Gesetzesverstoßes nach § 134 BGB bestehen würde, nicht verringern. Deshalb ist unerheblich, ob die Antragsgegnerin verpflichtet gewesen wäre, anwaltliche Dienstleistungen auszuschreiben (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 13.02.2008 – 2 OA 9/08 -, BA S. 4).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.