Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 17.10.2012, Az.: L 1 KR 443/11

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
17.10.2012
Aktenzeichen
L 1 KR 443/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 37468
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2012:1017.L1KR443.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Lüneburg - AZ: S 9 KR 267/08

In dem Rechtsstreit

A.,

Klägerin und Berufungsklägerin,

Proz.-Bev.: Rechtsanwälte B.,

g e g e n

AOK - Die Gesundheitskasse für Niedersachsen Regionaldirektion Soltau-Walsrode,

Schmersahlstraße 10, 29664 Walsrode,

Beklagte und Berufungsbeklagte,

Proz.-Bev.: Knopff pp. AOK - Die Gesundheitskasse für Niedersachsen - Direktion -,

Hildesheimer Straße 273, 30519 Hannover,

hat der 1. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen

auf die mündliche Verhandlung vom 17. Oktober 2012 in Celle

durch

den Vizepräsidenten des Landessozialgerichts C.,

die Richterin am Landessozialgericht D. -E.

den Richter am Sozialgericht F.,

sowie die ehrenamtlichen Richterinnen G. und H.

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Bewilligung einer Laser-Epilationsbehandlung wegen übermäßigen Haarwuchses.

Die Klägerin ist 1975 geboren und bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet an einem Polyzystischen Ovar-Syndrom (PCO-Syndrom) mit Hirsutismus Grad III sowie einer Adipositas und Insulinresistenz. Zusätzlich treten bei ihr wiederkehrende depressive Störungen auf. Wegen des mit ihrer Erkrankung zusammenhängenden übermäßigen Haarwuchses, insbesondere im Gesicht, beantragte sie bei der Beklagten am 23. April 2008 die Übernahme der Kosten für eine dauerhafte Haarentfernung durch eine Laserbehandlung. Sie legte dazu einen Kostenvoranschlag vor und teilte mit, vor vielen Jahren sei sie an einigen Stellen im Gesicht gelasert worden. Diese seien nach wie vor haarfrei, sodass die Laserepilation die einzig sinnvolle Behandlungsmethode sei.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 9. Mai 2008 ab und begründete dies damit, die Laserepilation sei eine neue Behandlungsmethode, die nicht durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GemBA) zugelassen sei. Die Klägerin könne jedoch auf die seit vielen Jahren bewährte Epilation durch Elektrokoagulation (Nadelepilation) zurückgreifen.

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. August 2008 zurück, nachdem sie eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) eingeholt hatte. Der MDK hatte ausgeführt, es handele sich bei der Laserepilation um eine neue Behandlungsmethode, die bisher nicht standardisiert sei. Ihre Überlegenheit gegenüber den bisher etablierten Verfahren sei nicht belegt. Zudem seien die Langzeitnebenwirkungen völlig ungeklärt.

Gegen die Entscheidung der Beklagten hat die Klägerin am 6. Oktober 2008 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg erhoben. Sie hat geltend gemacht, die bisher durchgeführten Krankenbehandlungen hätten nicht zu einer dauerhaften Reduzierung des Haarwuchses geführt. Die Hautstellen, die vor Jahren mit einer Laserepilation behandelt worden seien, seien hingegen immer noch frei von neuem Haarwuchs. Bei der Laserepilation könne nicht mehr von einer neuen Behandlungsmethode gesprochen werden. Diese habe sich in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion durchgesetzt, so dass es nicht mehr darauf ankomme, ob die Methode vom GemBA anerkannt worden sei. Die von der Beklagten vorgeschlagene Nadelepilation hingegen sei wegen der damit verbundenen Schmerzhaftigkeit nach Auffassung ihrer behandelnden Ärzte nicht zumutbar. Auch seien die Resultate bei weitem nicht so überzeugend wie bei der Lasertechnik. Die Klägerin hat sich insbesondere auf eine ärztliche Bescheinigung ihrer behandelnden Hautärztin Dr. I. vom 4. Dezember 2009 sowie auf den Arztbrief der Medizinischen Hochschule J. (MHH) vom 21. Juli 2010 gestützt.

Die Beklagte hat an ihrer Ablehnung festgehalten und, um ihre Auffassung zu stützen, das ausführliche Gutachten der Hautärztin Dr. K. vom MDK vom 30. Juni 2009 vorgelegt.

Das Gutachten wurde nach Aktenlage unter Berücksichtigung der von der Klägerin eingereichten Fotos erstellt.

Mit Urteil vom 13. Juli 2011 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, bei der Klägerin liege zwar ein komplexes Krankheitsbild vor, zu dem auch der Hirsutismus gehöre, der zumindest was den Bereich des Gesichtes und des Halses betreffe, als entstellend gewertet werden könne. Demnach sei die Beklagte nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) grundsätzlich zur Gewährung einer ärztlichen Behandlung der Klägerin verpflichtet. Diese Verpflichtung umfasse jedoch nicht die Behandlung durch eine Laserepilation, denn dabei handele es sich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts um eine neue Behandlungsmethode.

Danach sei die Behandlungsmethode neu, wenn sie bisher nicht als abrechnungsfähige Leistung im einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten sei. Dies sei bei der Laserepilation der Fall. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf die begehrte Leistung über die Grundsätze des sog. Systemversagens, denn es stehe mit der Nadelepilation eine bewährte Behandlungsmethode zur Verfügung und es lägen keine medizinischen Gründe vor, die einer Behandlung der Klägerin mit dieser Methode entgegenstünden. Den von der Klägerin vorgelegten Arztbriefen der MHH und der behandelnden Hautärzte sei nicht zu entnehmen, dass die Nadelepilation bei der Klägerin ausgeschlossen sei.

Gegen das ihr am 22. August 2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22. September 2011 Berufung eingelegt. Sie hält an ihrer Auffassung fest, die behandelnden Ärzte der Klägerin sowie die MHH hätten ausdrücklich die Lasertherapie als letzte Möglichkeit für die relativ dunkelhäutige und mit schwarzen Haaren versehene Klägerin benannt.

Zudem sei die Klägerin durch den übermäßigen Haarbewuchs stark deprimiert mit negativen Folgen für Partnerschaft und Beruf. Die Hoffnung, durch Abnehmen käme es zu einer Haarreduktion, habe sich nicht verwirklicht, obwohl die Klägerin bereits 50 kg abgenommen habe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 13. Juli 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Laser-Epilationsbehandlung als Sachleistung zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält an ihrer bisherigen Auffassung fest und bezieht sich auf das angefochtene Urteil.

Wegen der übrigen Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten, die bei der mündlichen Verhandlung und Entscheidung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 143 ff. Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das SG hat in dem angefochtenen Urteil zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf eine Bewilligung der Laser-Epilationsbehandlung zu Lasten der Beklagten hat.

Nach § 27 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 5 SGB V u.a. ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie und Krankenhausbehandlung. Nach § 12 Abs. 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.

Voraussetzung ist daher zunächst das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Krankheit.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist unter Krankheit ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand zu verstehen, der entweder Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit oder Beides zur Folge hat.

Krankheitswert im Rechtssinne kommt dabei allerdings nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Es ist vielmehr erforderlich, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt (vgl. etwa BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 - B 1 KR 19/07 R -; Urteil vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 9/04 R -; jeweils zitiert nach Juris).

Im vorliegenden Fall leidet die Klägerin u. a. an einem Hirsutismus bei Polyzystischem Ovar-Syndrom mit der Folge einer dichten schwarzen Behaarung, insbesondere im Gesicht, der oberen Brust und des Rückens. Dadurch wird die Klägerin zwar nicht in ihren Körperfunktionen beeinträchtigt. Bei der Intensität des Haarwuchses, insbesondere im Gesicht der Klägerin, handelt es sich jedoch auch objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit auslöst und damit erwarten lässt, dass die Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Betrachtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen droht, sodass die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet ist. Solche Reaktionen ihrer Mitmenschen hat die Klägerin auch nachvollziehbar dargelegt. Mit dem SG geht der Senat daher davon aus, dass die Klägerin an einer Entstellung leidet und daher grundsätzlich einen Anspruch auf Behandlung zu Lasten der Beklagten hat.

Die Beklagte hat sich auch bereit erklärt, der Klägerin eine Behandlung des übermäßigen Haarwuchses in Form der Nadelepilation zur Verfügung zu stellen. Über den grundsätzlichen Behandlungsanspruch der Klägerin besteht daher zwischen den Beteiligten kein Streit. Soweit die Klägerin jedoch gerade die Laserepilation als Behandlung begehrt, hat das SG zu Recht entschieden, dass die Klägerin einen solchen Anspruch nicht hat. Denn diese Behandlungsmethode ist derzeit nicht als ärztliche Leistung im EBM-Ä enthalten und daher von den zugelassenen Vertragsärzten nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abrechenbar. Es handelt sich damit um eine "neue" Methode im Sinne des SGB V. Derartige neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sind im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung nur dann abrechenbar, wenn sie dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dies wiederum ist gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der GemBA in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen oder therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. In den Richtlinien in Verbindung mit § 135 Abs. 1 SGB V wird nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen; vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. etwa Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 1 KR 11/08 R - m.z.w.N.; zitiert nach Juris).

Im vorliegenden Fall hat der GemBA keine positive Empfehlung für die Behandlung mittels Laserepilation abgegeben, so dass die Klägerin auch keinen Anspruch gegenüber der Beklagten hat, ihr diese Leistung zur Verfügung zu stellen.

Zutreffend hat das SG auch ausgeführt, dass sich ein Leistungsanspruch auch nicht unter den Gesichtspunkten des Systemversagens oder der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in der Entscheidung vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 - aufgeführten Grundsätze ergibt.

Beide Fallkonstellationen können nur dann zum Tragen kommen, wenn es keine zugelassene wirksame Behandlungsmethode für die betreffende Krankheit gibt. Im vorliegenden Fall steht jedoch mit der Nadelepilation eine wirksame Behandlungsmethode zur Verfügung und es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass diese Behandlungsmethode bei der Klägerin unwirksam sein könnte. Dass es sich um ein langwieriges Verfahren handelt, das mit hohem Zeitaufwand und möglicherweise auch mit zeitweiligen Schmerzen der behandelten Stellen verbunden sein könnte, schließt die Behandlung grundsätzlich nicht aus. Den auftretenden Schmerzen könnte erforderlichenfalls durch eine lokale Betäubung vorgebeugt werden. Im Übrigen ist auch die Behandlung mittels Laserepilation nicht völlig schmerzfrei.

Unter Berücksichtigung all dessen konnte die Berufung keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen des § 160 Abs.2 SGG für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Taubert
Böhmer-Behr
Dr. Matyssek