Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 17.10.2012, Az.: L 2 R 228/12

Anspruch auf Hinterbliebenenrente; Widerlegung der gesetzlichen Vermutung einer Versorgungsehe

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
17.10.2012
Aktenzeichen
L 2 R 228/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 30064
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2012:1017.L2R228.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 13.03.2012 - AZ: S 3 R 328/10

Redaktioneller Leitsatz

1. Die Vollendung des 80. Lebensjahres auf Seiten des Bräutigams begründet als solche noch nicht das Risiko eines bevorstehenden Ablebens, welches für die Annahme überwiegender Versorgungsabsichten im Sinne des § 46 Abs. 2a SGB VI sprechen könnte.

2. Bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten ist in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs 2a Halbs. 2 SGB VI nicht erfüllt. Jedoch ist auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet wurde. Mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit steigt zugleich der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände. In Fällen des Fehlens (oder jedenfalls der fehlenden Erkennbarkeit) einer lebensbedrohenden oder auch nur lebensverkürzenden Erkrankung verbleibt nur wenig Raum für die Geltendmachung entsprechender Zweifel. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Tenor:

Das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 13. März 2012 und der Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 2010 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin ab 1. November 2009 große Witwenrente aus der Versicherung ihres am 7. Oktober 2009 verstorbenen Ehemanns I. zu gewähren.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin aus beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die am 22. Juli 1964 geborene Klägerin begehrt Witwenrente nach ihrem am 17. März 1928 geborenen und am 7. Oktober 2009 verstorbenen Ehemann I. (im Folgenden: Versicherter). Die Klägerin stammt aus Bosnien-Herzegowina. Sie lebte seit 1993 im Bundesgebiet. Aus ihrer 2005 durch Scheidung aufgelösten zweiten Ehe entstammt ihr 1999 geborener Sohn J., für den die Beklagte eine Halbwaisenrente nach dem Versicherten gewährt.

Der Versicherte bezog seit 2004 Leistungen der Pflegeversicherung nach Maßgabe der Pflegestufe I, im Oktober 2005 wurde er in die Pflegestufe II höhergestuft. Am 30. Juli 2007 wurde er im Auftrag der Pflegekasse von dem Sozialmediziner Dr. K. begutachtet, der einen täglichen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 146 Minuten feststellte.

Am 1. September 2008 ging bei der Pflegekasse erneut ein Höherstufungsantrag des Versicherten ein. In der - soweit ersichtlich - vom Versicherten selbst geschriebenen handschriftlichen Anlage zu diesem Antrag wies dieser darauf hin, dass er an den Rollstuhl gebunden sei. Die Klägerin sei nunmehr bereit, die erforderliche 24stündige Pflege zu gewährleisten. Die Klägerin sei seine Verlobte; sie wollten demnächst heiraten. Seine bisherige Pflegeperson, Frau L., wolle die Last der Pflege nicht mehr tragen. Eine inhaltliche Bearbeitung dieses erneuten Höherstufungsantrages lässt sich den beigezogenen Akten der Pflegekasse nicht entnehmen.

Nach Auskunft seines Hausarztes Dr. M. litt der Versicherte seinerzeit insbesondere an einer COPD, einem Morbus Parkinson, einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus und an einer arteriellen Hypertonie.

Am 31. Oktober 2008 meldeten die Klägerin, die über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht verfügte, und der Versicherte gemeinsam die Eheschließung beim Standesamt in N. an. Nachdem das Oberlandesgericht die erforderliche Befreiung vom Ehefähigkeitszeugnis am 4. Dezember 2008 erteilt hatte, wurde die Ehe am 7. Januar 2009 geschlossen. Seit dem Vortag der Eheschließung waren die Klägerin und ihr Sohn J. behördlich unter der Wohnanschrift des Versicherten gemeldet.

Im April 2009 nahm der Versicherte den zuvor über viele Jahre hinweg aufgegebenen Nikotingenuss wieder auf. Am 15. Juli 2009 konsultierte er einen Pulmologen, der eine akute Exazerbation einer mittelgradigen chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung festgestellte. Am 7. Oktober 2009 verstarb der Versicherte an einem Herz-Lungen-Versagen.

Den Witwenrentenantrag der Klägerin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Dezember 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 2010 mit der Begründung ab, dass die Klägerin die Vermutung überwiegender Versorgungsabsichten im Sinne von § 46 Abs. 2a SGB VI nicht widerlegt habe.

Zur Begründung der am 2. Juni 2010 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass im Zeitpunkt der Eheschließung beide Eheleute von mehreren gemeinsamen Jahren ausgegangen seien. Die Eheleute hätten sich Anfang 2008 kennengelernt. Nachdem sie in ihren ersten beiden Ehen schlechte Erfahrungen bis hin zu Gewaltanwendungen von Seiten der damaligen etwa gleichaltrigen Ehemänner erlebt habe, habe sie gerade die von dem Versicherten ausgehende Ruhe für diesen eingenommen. Etwa im Juni/Juli 2008 sei sie mit ihrem Sohn J. bei dem Versicherten eingezogen. Sie hätten eine gute gemeinsame Zeit verlebt.

Das Sozialgericht hat Auskünfte des Hausarztes Dr. M. und der Standesbeamtin O. eingeholt. Der Hausarzt hat unter dem 28. Oktober 2010 dargelegt, dass aus seiner Sicht Anfang 2009 noch nicht mit einem baldigen Ableben des Versicherten zu rechnen gewesen sei. Die Standesbeamtin hat ausgeführt, dass der Versicherte trotz seines relativ hohen Alters sehr aufgeschlossen und absolut geistig agil gewirkt habe. Er habe munter und unterhaltsam auch von persönlichen Angelegenheiten erzählt. Die Eheleute hätten erklärt, dass sie heiraten wollten, damit der Versicherte jemand habe, der sich um ihn kümmere und ihn pflege.

Bei ihrer Anhörung durch das Sozialgericht hat die Klägerin insbesondere dargelegt, dass der Gesundheitszustand des Versicherten aus ihrer Sicht bis Juli 2009 nicht besonders auffällig gewesen sei. Er habe noch Auto fahren können; Einkäufe hätten sie gemeinsam erledigt. Am Tag vor dem Tod des Verstorbenen habe sie in der Wohnung ihrer Tochter auf ihr Enkelkind aufgepasst und dort auch übernachtet. Der Gesundheitszustand des Verstorbenen habe an diesem Tage keinen Grund zur Besorgnis geboten, gleichwohl habe sie ihn am nächsten Tag tot aufgefunden.

Mit Urteil vom 13. März 2012, der Klägerin zugestellt am 30. April 2012, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es seien keine besonderen Umstände des Einzelfalls erwiesen, die die Vermutung einer Versorgungsehe widerlegen könnten. Der Verstorbene habe bereits bei Eheschließung an "nicht unwesentlichen" Erkrankungen gelitten und sei pflegebedürftig gewesen. Sein "baldiges" Versterben sei "nach der Lebenserfahrung" nicht unwahrscheinlich oder jedenfalls "nicht völlig unwahrscheinlich" gewesen. Seine gesundheitliche Situation habe die Annahme eines "baldigen" Ablebens "gerechtfertigt".

Mit ihrer Berufung vom 23. Mai 2012 hebt die Klägerin hervor, dass der Tod für ihren Mann überraschend gekommen sei. Dementsprechend habe er keine Vorsorgemaßnahme etwa in Form eines Testaments oder einer Vorsorgevollmacht getroffen. Es sei eine Liebesheirat gewesen, die von wechselseitiger Zuneigung geprägt gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 13. März 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 2010 aufzuheben und

2. die Beklagte zu verpflichten, ihr aus der Versicherung ihres am 7. Oktober 2009 verstorbenen Ehemann I. eine große Witwenrente ab dem 1. November 2009 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Klägerin durch seinen Vorsitzenden informatorisch und den Hausarzt Dr. M. als Zeugen gehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die geltend gemachte große Witwenrente.

Nach § 46 Abs. 2 SGB VI haben Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente, wenn sie 1. ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen, 2. das 47. Lebensjahr vollendet haben oder 3. erwerbsgemindert sind.

Nach Abs. 2a dieser Vorschrift haben Witwen oder Witwer allerdings keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

Die Klägerin erfüllt die erläuterten tatbestandlichen Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 SGB VI. Ihr verstorbener Ehemann I. hatte die allgemeine Wartezeit erfüllt. Seit seinem Tod erzieht die Klägerin weiterhin ihren am 4. September 1999 geborenen Sohn Kevin; seit dem 22. Juli 2011 hat die Klägerin überdies das 47. Lebensjahr vollendet. Die Klägerin hat nach dem Tod des Versicherten auch nicht erneut geheiratet.

Allerdings hat ihre Ehe mit I. weniger als ein Jahr gedauert, weil dieser bereits am 7. Oktober 2009 und damit neun Monate nach der Eheschließung verstorben ist. Gleichwohl steht die Ausschlussvorschrift des § 46 Abs. 2a SGB VI dem Witwenrentenanspruch nicht entgegen, da nach den besonderen Umständen des vorliegenden Einzelfalles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

Der Frage, ob besondere Umstände im Sinne dieses Ausnahmetatbestands vorliegen, die gegen die Annahme einer Versorgungsehe sprechen, ist vorrangig anhand aller vorhandenen objektiven Ermittlungsmöglichkeiten (§ 103 SGG) nachzugehen. Sie ist in erster Linie auf tatsächlicher Ebene zu beantworten. Somit obliegt es zuvörderst den Tatsacheninstanzen, sich nach Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen und unter Würdigung aller Indizien eine Überzeugung davon zu verschaffen, ob im Einzelfall die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass die Erlangung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war (BSG, U.v. 6. Mai 2010 - B 13 R 134/08 R - mwN).

Nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 46 Abs 2a Halbs 2 SGB VI sind als "besondere Umstände des Falles" alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalls zu prüfen, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen. Die vom Gesetzgeber selbst intendierte Einzelfallprüfung lässt eine abschließende abstrakt-generelle (normgleiche) Einordnung einzelner denkbarer Ehemotive nicht zu. Vielmehr kommt es nach dem Gesetz auf die - gegebenenfalls auch voneinander abweichenden - Beweggründe beider Ehegatten im konkreten Einzelfall an. Dabei sind die vom hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat nicht nur für sich isoliert zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Umstände in eine Gesamtwürdigung einzustellen und unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Falls zu bewerten (BSG, aaO.; BSG, U.v. 5. Mai 2009 - SozR 4-2600 § 46 Nr 6 - mwN).

Ein gegen die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe sprechender besonderer (äußerer) Umstand iS des § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Tod des Versicherten, hinsichtlich dessen bisher kein gesundheitliches Risiko eines bevorstehenden Ablebens bekannt war, unvermittelt ("plötzlich" und "unerwartet") eingetreten ist. Denn in diesem Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat war, dem Ehegatten eine Hinterbliebenenversorgung zu verschaffen. In der Gesetzesbegründung wird als ein Beispiel hierfür der "Unfalltod" genannt (BT-Drucks 14/4595 S 44). Unvermittelt eingetreten in diesem Sinne ist der Tod aber auch bei einem Verbrechen oder bei einer Erkrankung, die plötzlich aufgetreten ist und schnell zum Tode geführt hat (z.B. Infektionskrankheit oder Herzinfarkt bei unbekannter Herzerkrankung; vgl. zum Vorstehenden BSG, U.v. 5. Mai 2009, aaO.).

Hingegen ist bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI nicht erfüllt. Jedoch ist auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet wurde. Allerdings müssen dann bei der abschließenden Gesamtbewertung diejenigen besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen war. Dementsprechend steigt mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit zugleich der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die von diesem für die Widerlegung der gesetzlichen Annahme ("Vermutung") einer Versorgungsehe bei einem Versterben des versicherten Ehegatten innerhalb eines Jahres nach Eheschließung angeführt werden (vgl. ebenfalls BSG, U.v. 5. Mai 2009, aaO.).

Diese höchstrichterliche Rechtsprechung besagt zugleich, dass in Fällen des Fehlens (oder jedenfalls der fehlenden Erkennbarkeit) einer lebensbedrohenden oder auch nur lebensverkürzenden Erkrankung entsprechend nur wenig Raum für die Geltendmachung entsprechender Zweifel verbleibt. War beim Versicherten - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Eheschließung - überhaupt kein gesundheitliches Risiko eines bevorstehenden Ablebens bekannt, und tritt der Tod dann unvermittelt ("plötzlich" und "unerwartet") ein, ist von Rechts wegen nicht davon auszugehen, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat war, dem Ehegatten eine Hinterbliebenenversorgung zu verschaffen (BSG, U.v. 5. Mai 2009, aaO.).

Im vorliegenden Fall bedarf es keiner abschließenden Entscheidung, ob ungeachtet des gesetzlichen Altersdiskriminierungsverbotes (§ 1 AGG) in Extremfällen bereits ein besonders hohes Lebensalter ein gesundheitliches Risiko eines bevorstehenden Ablebens in diesem Sinne zu begründen vermag. Jedenfalls ist diesbezüglich schon in tatsächlicher Hinsicht unter Berücksichtigung der in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegenen Lebenserwartung Zurückhaltung geboten. Der verstorbene Ehemann der Klägerin war im Zeitpunkt der Eheschließung 80 Jahre alt. 80jährige Männer haben statistisch gesehen noch eine weitere Lebenserwartung von immerhin 7,65 Jahren (vgl. Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz, Abkürzte Sterbetafel 2009/2011,= http://www.statistik.rlp.de/fileadmin/dokumente/berichte/ A2033 201100 1j L.pdf). Eine solche statistische weitere Lebenserwartung liegt deutlich jenseits eines Zeithorizonts, der noch mit einem "bevorstehenden Ableben" im Sinne der erläuterten höchstrichterlichen Rechtsprechung verbunden werden könnte.

Auch der Gesundheitszustand des Verstorbenen kann in diesem Zusammenhang nur Relevanz erlangen, sofern mit ihm spezifische Risiken eines "bevorstehenden Ablebens" verbunden sind, also greifbare und objektivierbare Risiken eines Versterbens schon nach sehr kurzer Ehedauer. Sonstige gesundheitliche Beeinträchtigungen sind im vorliegenden Zusammenhang nach den gesetzlichen Vorgaben des § 46 Abs. 2a SGB VI und den gesetzgeberischen Zielvorstellungen ohne Belang, so dass nur ergänzend darauf hinzuweisen ist, dass Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ohnehin eine Diskriminierung aufgrund einer Behinderung untersagt. Dementsprechend ist als solches auch nicht ausschlaggebend, ob der verstorbene Ehegatte im Zeitpunkt der Eheschließung Pflegeleistungen bezogen hat.

Auch ist im vorliegenden Fall nicht abschließend zu klären ist, welcher Prognosezeitraum im vorliegenden Zusammenhang heranzuziehen ist und ob dieser namentlich mit der im Tatbestand des § 46 Abs. 2a SGB VI normierten Jahresfrist übereinstimmt. Festzuhalten ist, dass ein Prognosezeitraum von einem Jahr, wenn überhaupt, allenfalls maßvoll überschritten werden kann. Nur in diesem Rahmen kann aus der maßgeblichen Perspektive im Zeitpunkt der Eheschließung der Tod noch als ein "bevorstehendes" Ableben im Sinne der herangezogenen Rechtsprechung verstanden werden.

Im vorliegenden Fall lassen sich bezogen auf den Zeitpunkt der Eheschließung am 7. Januar 2009 gerade keine besonderen gesundheitlichen Gefahren eines "bevorstehenden" Ablebens auf Seiten des Ehemanns objektivieren. Der Ehemann hatte sicherlich gesundheitliche Beeinträchtigungen, wie dies auch der Zeuge Dr. M. als Hausarzt bestätigt hat. Abgesehen davon, dass vergleichbare gesundheitliche Beeinträchtigungen in der Altersgruppe des Ehemanns häufig anzutreffen sind, lässt sich im Ergebnis jedenfalls nichts dafür objektivieren, dass seine Lebenserwartung aufgrund ihrer nachhaltig verkürzt gewesen sein könnte.

Der sachverständige Zeuge Dr. M. hat den Allgemeinzustand des Versicherten bis wenige Wochen vor seinem Tod als relativ gut eingeschätzt. In den drei Jahren vor der Eheschließung hatte sich nicht einmal die Notwendigkeit einer stationären Behandlung ergeben. Die COPD war relativ milde und hatte sich letztlich erst deutlich verschlimmert, nachdem der Versicherte - was im Zeitpunkt der Eheschließung noch gar nicht abzusehen war - im April 2009 wieder mit dem Rauchen begonnen hatte. Die Blutzuckereinstellung war bei bekanntem insulinpflichtigen Diabetes mellitus nach Einschätzung des Hausarztes recht gut brauchbar. Der Versicherte war gesundheitlich nach den glaubhaften Angaben des Zeugen Dr. M. und der Klägerin auch noch durchaus in der Lage, die Wohnung etwa zu Einkäufen zu verlassen. Der von ihm handschriftlich verfasste Antrag an die Pflegekasse im September 2008 macht im Übrigen deutlich, dass er ungeachtet des Morbus Parkinson noch gut leserlich schreiben konnte. Insgesamt verbleibt der Gesamteindruck eines relativ rüstigen 80jährigen, bezogen auf den im Zeitpunkt der Eheschließung überhaupt kein Anlass ersichtlich war, über ein bevorstehendes Ableben zu spekulieren.

Der Bezug von Leistungen der Pflegeversicherung ist als solcher im vorliegenden Zusammenhang aus den erläuterten Rechtsgründen nicht ausschlaggebend. Im vorliegenden Einzelfall kommt ihm umso geringere Relevanz zu, als nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens insbesondere unter Würdigung der glaubhaften Angaben des als Zeugen gehörten Hausarztes Dr. M. viel dafür spricht, dass die Pflegekasse einen überhöhten Hilfebedarf festgestellt hat.

Auch sonst haben sich keinerlei Anhaltspunkte ergeben, die Anlass dazu geben könnten, die Ernsthaftigkeit des Willens der Eheleuten zur Begründung einer dauerhaft angelegten ehelichen Gemeinschaft in Zweifel zu ziehen. Namentlich hat der Zeuge Dr. M. bestätigt, dass er als Hausarzt keine Anhaltspunkte für geistige Ausfallerscheinungen etwa im Sinne einer beginnenden Demenz bei dem Versicherten habe erkennen können, dieser habe vielmehr am täglichen Leben völlig problemlos teilnehmen können. Damit deckt sich nahtlos die Schilderung der Standesbeamtin, wonach der Versicherte trotz seines relativ hohen Alters sehr aufgeschlossen und absolut geistig agil gewirkt und munter und unterhaltsam auch von persönlichen Angelegenheiten erzählt habe.

Vor dem erläuterten Hintergrund ist der Klägerin im Ergebnis dahingehend zu folgen, dass beide Eheleute die Ehe aus wechselseitiger Liebe und Zuneigung mit dem Ziel der gegenseitigen Unterstützung unter Einschluss auch der gemeinsamen Sorge für den Sohn der Klägerin J. eingegangen sind. Es ist daher gerade nicht die Annahme gerechtfertigt, dass es der alleinige oder auch nur überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

Der Senat hat auch - in Übereinstimmung mit der von der Beklagten im Schriftsatz vom 12. Oktober 2012 zum Ausdruck gebrachten Einschätzung - keinen Raum für weitere Bemühungen zur Aufklärung des Sachverhalts gesehen. Es sind keine weiteren Beweismittel ersichtlich, die neue Erkenntnisse bezüglich der entscheidungserheblichen Tatsachen erwarten lassen. Insbesondere war es nicht möglich, die derzeitige Anschrift von Frau P. zu ermitteln, die ausweislich des 2007 erstellten Pflegegutachtens seinerzeit den Verstorbenen gepflegt haben soll (vgl. S. 3 des Gutachtens).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.