Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 24.10.2012, Az.: L 1 KR 342/11

Krankengeld; Meldung der Arbeitsunfähigkeit; Pflicht zur Vorlage der ärztlichen Bescheinigung; Krankengeld bei Bezug von Grundsicherung nach dem SGB II

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
24.10.2012
Aktenzeichen
L 1 KR 342/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 32317
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2012:1024.L1KR342.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - AZ: S 38 KR 836/09

Redaktioneller Leitsatz

1. Soweit keine AU feststellbar ist und der Krankenkasse auch keine AU-Bescheinigung vorliegt, ruht der Anspruch auf Krankengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung.

2. Die verspätete Meldung der AU löst keinen Anspruch für die Vergangenheit aus. Das gilt, wenn etwa eine ärztliche AU-Feststellung nicht rechtzeitig zur Krankenkasse gelangt. Dann kommt es auch nicht darauf an, ob der Versicherte noch keine Leistungen nach dem SGB II bezogen hat.

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Krankengeld über den 03.12.2009 hinaus.

2

Die im Jahre 1959 geborene Klägerin und Berufungsklägerin war zuletzt als Verwaltungsangestellte der Polizei mit Bürotätigkeit beschäftigt. Seit dem 01.01.2008 ist sie arbeitslos. Sie ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert.

3

Die Klägerin war ab dem 10.08.2009 aufgrund einer Darmerkrankung und einer arteriellen Hypertonie arbeitsunfähig und bezog seit dem 21.09.2009 von der Beklagten Krankengeld.

4

Nach einem Telefongespräch des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) mit der Hausärztin der Klägerin, Frau D., teilte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 24.09.2009 mit, dass deren Arbeitsunfähigkeit zum 30.09.2009 enden werde.

5

Auf den Widerspruch der Klägerin holte die Beklagte ein Gutachten des MDK ein, der am 24.11.2009 eine ambulante Untersuchung der Klägerin durchführte. In dem am 02.12.2009 erstatteten Gutachten gelangte der MDK zu der Einschätzung, Arbeitsunfähigkeit sei bei der Klägerin nicht mehr gegeben. Der Hypertonus sei nach Aussagen der Klägerin nicht medikamentös therapiert, da die Einnahme der Medikamente zu Darmbeschwerden geführt hätte. Zum Zeitpunkt der Untersuchung hätten normotensive Werte vorgelegen. Sämtliche geklagten Beschwerden seien in der medizinischen Untersuchung nicht nachvollziehbar gewesen. Die Klägerin könne vollschichtige Tätigkeiten überwiegend im Sitzen (Bürotätigkeiten) in erreichbarer Nähe einer Toilette ausüben. Unter der Befunderhebung hieß es ferner: "Agitierte, zum Teil recht aggressiv wirkende Patientin, zur Sachlage voll orientiert, Verhalten situationsadäquat,.".

6

Am 09.10.2009, also noch vor Erlass eines Widerspruchsbescheides, hat die Klägerin Klage erhoben, die (1.) auf über den 03.12.2009 hinausgehende Krankengeld-Zahlung sowie (2.) auf Nichtigerklärung bzw. Löschung des MDK-Gutachtens, insbesondere hinsichtlich der Passage über eine Aggressivität der Klägerin, gerichtet war.

7

Die Beklagte führte in einem an die Klägerin gerichtetem Schreiben vom 30.11.2009 aus, dass ab dem 24.11.2009 kein Anspruch auf Krankengeld mehr bestehe und eine Weiterzahlung allein aus verwaltungstechnischen Gründen bis zum 03.12.2009 erfolgen werde. Die Klägerin hat den Zugang dieses Schreibens bestritten.

8

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.08.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

9

Anschließend begründete die Klägerin ihre vor dem Sozialgericht erhobene Klage ergänzend damit, dass sie anlässlich der Begutachtung durch den MDK am 24.11.2009 fehlerhaft untersucht worden sei. In einem Erörterungstermin gab sie an, die dortige Ärztin habe ihr gesagt, von Frau D. keine Unterlagen erhalten zu haben. Die Ärztin habe ruckartig ihren Kopf gedreht. Daraufhin sei ihr schwindelig geworden. Auf dem Rückweg sei sie wegen des Schwindelgefühls gestürzt. Am 25.11.2010 sei sie von Herrn Dr. E. erneut arbeitsunfähig geschrieben worden.

10

Später gab sie an, sie habe die Unterlagen bei der Beklagten mit Hilfe einer Zeugin abgegeben. Hinsichtlich des 25.11.2010 liege ihr eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung doch nicht vor. Zudem trug sie vor, bei ihr sei inzwischen eine Brustkrebserkrankung mit einer Tumor-Größe von etwa 10 cm festgestellt worden, die bereits im MDK-Gutachten (vom November 2009) hätte auffallen und zur Arbeitsunfähigkeit-Feststellung hätte führen müssen.

11

Die behandelnde Ärztin, Frau D., teilte dem Sozialgericht mit, sie habe der Klägerin am 29.12.2009 bescheinigt, dass die weitere Arbeitsunfähigkeit medizinisch indiziert sei. In der vorangegangenen Zeit hatte die Ärztin zuletzt am 12.10.2009 für nicht absehbare Zeit eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt.

12

Über die Klage hat das Sozialgericht mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden. Es hat die Klage mit Urteil vom 17.06.2011 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, für eine Weiterzahlung von Krankengeld fehle es sowohl an einer Arbeitsunfähigkeit der Klägerin über den 24.11.2009 hinaus als auch an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, da die - mit Herrn Dr. E. in Praxisgemeinschaft tätige - Ärztin Frau D. in ihrem vom Sozialgericht beigezogenen Befundbericht mitgeteilt habe, nach dem Monat Oktober 2009 sei die nächste Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Klägerin erst Ende Dezember 2009 ausgestellt worden. Zudem habe die Klägerin die von ihr behauptete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 25.11.2009 nicht vorlegen können. Die erst später, nämlich im Jahre 2011, von der Klägerin vorgetragene Brustkrebserkrankung lasse keine Rückschlüsse auf das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit im streitigen Zeitraum ab Dezember 2009 zu. Ein anderes Ergebnis ergäbe sich schließlich auch nicht bei Unterstellung des fehlenden Zugangs des weiteren Schreibens der Beklagten vom 30. November 2009, da das Krankengeld von der Beklagten nicht aufgrund eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bewilligt und nach dem Bescheid vom 24.09.2009 allein aus verwaltungstechnischen Gründen bis zum 03.12.2009 weitergezahlt worden sei. Die Klägerin habe auch keinen erneuten Krankengeldanspruch ab der Erstellung der erneuten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am 29.12.2009, denn die Kläger habe zu diesem Zeitpunkt Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) bezogen. Nach der Gesetzeslage scheide ein Krankengeldanspruch daher aus. Für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Nichtigerklärung bzw. Löschung des Gutachtens des MDK fehle es an einer Anspruchsgrundlage.

13

Gegen das am 29.06.2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19.07.2011 Berufung eingelegt. Den Antrag auf Nichtigerklärung bzw. Löschung des MDK-Gutachtens verfolgt sie im Berufungsverfahren nicht weiter. Hinsichtlich des von ihr begehrten Krankengeldes trägt sie ergänzend vor, die Entscheidung über die Weiterbewilligung von Krankengeld habe nicht auf das Gutachten des MDK vom 24.11.2009 gestützt werden dürfen, weil dieses Gutachten aus mehreren Gründen ohne Beweiskraft bleiben müsse. So habe lediglich eine schmerzhafte und zudem lediglich oberflächliche Untersuchung stattgefunden, die insbesondere keine Blutabnahme beinhaltet habe, weshalb die Herleitung des sozialmedizinischen Ergebnisses einer vollschichtigen Leistungsfähigkeit für überwiegend sitzende Tätigkeit ohne Begründung bleibe. Daneben habe das MDK-Gutachten die bereits seinerzeit bestehende Tumor-Erkrankung vollends übersehen, die jedoch bei sorgfältiger Untersuchung zur Feststellung von Arbeitsunfähigkeit geführt hätte. Die nächste Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei im Übrigen sodann am 29.12.2009 ausgestellt worden.

14

Sie beantragt schriftsätzlich,

15

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 17.06.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 04.12.2009 Krankengeld zu zahlen.

16

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

17

die Berufung zurückzuweisen.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte zum Aktenzeichen S 38 KR 2/10 ER (Az. des Landessozialgerichts: L 4 KR 135/10 B ER) Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand von Beratung und Entscheidung gewesen.

19

Der erkennende Senat hat die Beteiligten mit Verfügung vom 13.08.2012 zu einer beabsichtigten Zurückweisung der Berufung durch Beschluss angehört.

Entscheidungsgründe

20

Der Senat konnte die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zurückweisen, weil er sie einstimmig für unbegründet sowie eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält und die Beteiligten vorher hierzu angehört hat. Dem steht auch nicht entgegen, dass das Sozialgericht zwar einen Erörterungstermin durchgeführt, sein Urteil jedoch sodann ohne mündliche Verhandlung getroffen hat. Von der Verfahrensweise nach § 153 Abs 4 SGG ist in Fällen abzusehen, in denen ein Verfahrensbeteiligter noch nicht die Möglichkeit hatte, sein Anliegen persönlich vorzutragen. Eine Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG ist jedoch möglich, wenn das Sozialgericht mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (Bundessozialgericht, Beschluss v. 14.10.2005, Az.: B 11a AL 45/05 B; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 153, Rn. 14). Ein solcher Fall lag hier vor.

21

Die nach §§ 143 ff. SGG form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht Hannover hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Krankengeld über den 03.12.2009 hinaus hat.

22

Den Gegenstand des Verfahrens bildet dabei der Bescheid vom 24.09.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2010. Ob das Schreiben vom 30.11.2009 der Klägerin zugegangen und damit wirksam geworden ist und - bei Qualifizierung als Verwaltungsakt - Gegenstand des Widerspruchsverfahrens wurde (§ 86 SGG), kann deshalb dahinstehen. Bereits mit dem Bescheid vom 24.09.2009 wurde die von der Klägerin angegriffene Einstellung des Krankengeldes verfügt.

23

Das Sozialgericht hat die maßgeblichen Rechtsgrundlagen herangezogen, insbesondere die §§ 44, 46 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), richtig angewendet, sowie die vorliegenden Unterlagen überzeugend gewürdigt und ist nach alledem zu dem richtigen Ergebnis gelangt, dass bei der Klägerin für den streitigen Zeitraum ab dem 04.12.2009 weder Arbeitsunfähigkeit feststellbar ist noch eine Arbeitsunfähigkeit-Bescheinigung vorgelegt werden konnte. Wegen der Einzelheiten der Begründung, der sich der erkennende Senat voll umfänglich anschließt, wird zwecks Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen, soweit der Zeitraum bis zum 29.12.2009 betroffen ist.

24

Auch trotz der - von der behandelnden Ärztin erwähnten - Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit am 29.12.2009 bestand ab dem Folgetag kein erneuter Anspruch der Klägerin auf Krankengeld. Das Sozialgericht führte aus, die Klägerin habe damals bereits Arbeitslosengeld II bezogen und sei damit nicht mehr krankengeldberechtigt gewesen. Grundsicherungsleistungen erhielt die Klägerin, soweit erkennbar, jedoch erst ab dem 11.01.2010. Ein Krankengeldanspruch bestand aber deshalb nicht, weil eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 29.12.2009 nicht bei der Beklagten vorgelegt wurde und ein etwaiger Leistungsanspruch damit jedenfalls ruhte (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V).

25

Aus dem Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren ergibt sich keine andere Beurteilung.

26

Soweit sie vorträgt, sie habe "das entscheidende Schreiben" in Anwesenheit einer Zeugin aufgegeben, ist dies nicht von Bedeutung. Wenn die Klägerin damit eine von ihrer Ärztin D. angeblich ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 22.12.2009 meinen sollte, deren Existenz sie in dem früheren Eilverfahren S 38 KR 2/10 ER behauptete, ist entgegenzuhalten, dass Frau D. eine solche Bescheinigung nicht ausgestellt hat. Auch wenn entgegen einer Angabe der MDK-Ärztin etwaige medizinische Unterlagen für die dortige Untersuchung am 24.11.2009 eingereicht worden sein sollten, würde dies jedenfalls nichts daran ändern, dass für die Zeit ab dem 04.12.2009 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht mehr vorgelegt wurde.

27

Inwieweit eine Verletzung von Menschenrechten vorliegen sollte, ist von der Klägerin nicht substantiiert dargelegt worden und auch nicht erkennbar.

28

Zu einer Begründetheit des Rechtsmittels vermag schließlich auch nicht zu führen, dass die Klägerin sich auf eine überlange Verfahrensdauer beruft.

29

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

30

Es hat kein gesetzlicher Grund vorgelegen, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).