Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 15.03.2004, Az.: 74 IN 438/02
Anforderungen an die Durchführung eines Insolvenzverfahrens; Voraussetzungen für das Vorliegen von Insolvenzgründen; Anforderungen an die Gewährung einer Restschuldbefreiung
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 15.03.2004
- Aktenzeichen
- 74 IN 438/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 34390
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2004:0315.74IN438.02.0A
Rechtsgrundlagen
- § 58 InsO
- § 178 InsO
- § 179 InsO
Fundstellen
- NZI 2004, 37 (Kurzinformation)
- ZInsO 2004, 516-517 (Volltext mit amtl. LS)
- ZVI 2004, 195-196 (Volltext mit amtl. LS)
- ZVI (Beilage) 2004, 20 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Wiedereinsetzungsvorschrift des § 186 InsO gilt nur, wenn der Schuldner den Prüfungstermin versäumt.
- 2.
Eine Verpflichtung des Insolvenzgerichtes, den Schuldner auf die Rechtsfolge des § 201 InsO bei Unterlassen des Widerspruches aufmerksam zu machen, besteht jedenfalls bei einem geschäftsgewandten Schuldner nicht.
Gründe
Aufgrund eines Gläubigerantrages, dem eine titulierte Forderung von über 1 Mio. DM zugrunde liegt, ist über das Vermögen des Schuldners am 1.5.2003 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Schuldner hat rechtzeitig Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt.
Der Schuldner ist als Zahnarzt tätig und erwarb in der Vergangenheit mehrere Gewerbeobjekte in der Göttinger Innenstadt, die inzwischen unter Zwangsverwaltung stehen und sich im Zwangsversteigerungsverfahren befinden. Wegen eines der Objekte ("Markthalle") wandte sich der Schuldner mit Schreiben v. 16.7.2003 an das Insolvenzgericht und beantragte gem. § 58 InsO, den Insolvenzverwalter anzuhalten, von seinem Recht gem. § 30d ZVG auf Beantragung der einstweiligen Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens Gebrauch zu machen. Der Antrag befindet sich in Band II der Akte (...). Der Antrag wurde mit rechtskräftigem Beschl. v. 16.7. 2003 zurückgewiesen.
In der Gläubigerversammlung v. 30.9.2003 war der Schuldner persönlich anwesend. Ausweislich des von der Rechtspflegerin unterzeichneten Protokolls wurde von den Erschienenen auf die Belehrung über das Recht zum Widerspruch und die Folgen eines solchen (§§ 178, 179 InsO) verzichtet. Weiter heißt es in dem Protokoll:
"Die einzelnen Forderungen wurden ihrem Betrag und ihrem Rang nach geprüft.
Die bestrittenen Forderungen wurden einzeln erörtert.
Das Ergebnis der Prüfungen wurde in die Insolvenztabelle eingetragen."
Dieser Teil des Protokolls wurde später mit Beschl. v. 22.1.2004 dahin korrigiert, dass lediglich die Forderungen der anwesenden Gläubiger sowie der Gläubiger, die eine Forderung aus unerlaubter Handlung angemeldet hatten, erörtert wurden. Dies geschah ausweislich des Berichtigungsbeschlusses nach ausführlicher Befragung der Anwesenden, ob diese mit einer Prüfung lediglich der Forderungen der anwesenden Gläubiger einverstanden sind. Weiter weist das Protokoll v. 30.9.2003 aus, dass hinsichtlich der Forderung der B. BKK aus unerlaubter Handlung der Schuldner im Termin Widerspruch gegen den Rechtsgrund der unerlaubten Handlung einlegte.
Mit Anwaltsschriftsatz v. 22.10.2003 beantragte der Schuldner, ihm in analoger Anwendung des § 186 InsO Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren. Zugleich widersprach er der unter lfd. Nr. 21 der Insolvenztabelle angemeldeten Forderung der K. AG i.H.v. ca. 5,5 Mio. EUR. Der Schuldner beruft sich darauf, einen Verzicht auf die Belehrung über das Recht zum Widerspruch und die Folgen eines solchen habe er nicht erklärt. Urlaubsbedingt habe er die Tabelle erst am 29.9.2003 zur Kenntnis nehmen können. Der Insolvenzverwalter habe ihn darauf hingewiesen, dass nach dem Prüfungstermin nochmals ein Termin zur Prüfung der Forderung vereinbart werden könne. Auch durch die Belehrung lediglich gem. § 175 Abs. 2 InsOüber den Widerspruch gegen die Anmeldung einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung habe er sich in seinem Rechtsirrtum darüber befunden, dass infolge unterlassenem Bestreitens die Insolvenzgläubigerin nach Aufhebung des Verfahrens gem. § 201 InsO die Zwangsvollstreckung gegen ihn weiter betreiben könne.
Der Insolvenzverwalter hat in seiner Stellungnahme darauf hingewiesen, er habe dem Schuldner mehrfach den gesamten Verfahrensablauf erörtert und ihn am 18.9.2003 ausdrücklich aufgefordert, sich mit den angemeldeten Forderungen eingehend zu beschäftigen.
Mit Beschl. v. 22.1.2004 hat die Rechtspflegerin den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, Wiedereinsetzung gem. § 186 InsO könne nur dem säumigen Schuldner, nicht aber dem anwesenden Schuldner gewährt werden. Außerdem habe sie die Anwesenden laut gefragt, ob auf eine ausdrückliche Belehrung verzichtet werde, einen Widerspruch habe der Schuldner nicht erhoben.
Gegen diesen Beschluss hat der Schuldner rechtzeitig sofortige Erinnerung eingelegt, der die Rechtspflegerin nicht abgeholfen hat. Ergänzend trägt der Schuldner zur Begründung vor, aus den Berichten des Verwalters ergebe sich, dass der Schuldner die Forderung der Gläubigerin im Wesentlichen bestreite. Daraus habe sich eine Verpflichtung des Insolvenzgerichtes ergeben, den Schuldner ausdrücklich auf die Rechtsfolge des § 201 InsO hinzuweisen.
Die zulässige Erinnerung ist unbegründet.
§ 6 InsO sieht gegen eine Entscheidung im Rahmen des § 186 InsO keinen Rechtsbehelf vor. Bei einer Entscheidung durch die Rechtspflegerin besteht folglich nur die Möglichkeit der sofortigen Erinnerung gem. § 11 Abs. 2 RPflG. Diese ist im vorliegenden Fall form- und fristgerecht eingelegt worden.
In der Sache hat der Rechtsbehelf keinen Erfolg. Die Vorschrift des § 186 InsO ist im vorliegenden Fall weder direkt noch analog anwendbar. Eine Hinweispflicht des Gerichtes auf die Folgen eines unterlassenen Widerspruches bestand nicht. Zudem wäre eine Säumnis des Schuldners nicht als unverschuldet anzusehen.
Es ist anerkannt, dass § 186 InsO nur in den Fällen anwendbar ist, in denen der Schuldner einen Termin tatsächlich versäumt hat, das unterlassene Bestreiten bei Anwesenheit steht dem nicht gleich (Kübler/Prütting/Pape, InsO, § 186 Rn. 1; Nerlich/Römermann/Becker, InsO, § 186 Rn. 1, 5; FK-InsO/Kießner, § 186 Rn. 4; MünchKomm-InsO/Schuhmacher, § 186 Rn. 1; Uhlenbruck, InsO, § 186 Rn. 1). Eine analoge Anwendung des § 186 InsO wird in den Fällen befürwortet, in denen statt des mündlichen Verfahrens ein schriftliches Verfahren gewählt wird (Nerlich/Römermann/Becker, a.a.O., § 186 Rn. 3; Kübler/Prütting/Pape, a.a.O., § 186 Rn. 2; MünchKomm-InsO/Schuhmacher, § 186 Rn. 1). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
§ 186 InsO wird weiter für entsprechend anwendbar gehalten, wenn der Schuldner im Termin zwar anwesend, aber prozessunfähig war (MünchKomm-InsO/Schuhmacher, § 186 Rn. 1). Auch dieser Fall ist nicht gegeben.
Eine analoge Anwendung in den übrigen Fällen ist nicht geboten. Eine Regelungslücke liegt nicht vor. Es kann von einem Schuldner auch erwartet werden, dass er sich vor dem Termin entsprechend informiert bzw. nachfragt.
Es bestand auch keine Verpflichtung, dem Schuldner hier gesondert auf die Rechtsfolgen des § 201 InsO hinzuweisen. Er ist insoweit auch nicht vergleichbar einem prozessunfähigen Schuldner (bei dem eine analoge Anwendung des § 186 InsO erhoben wird). Der Schuldner ist durchaus geschäftsgewandt. Er hat sich in größerem Umfang an Geschäften am Immobilienmarkt beteiligt. Sein Schreiben v. 16.7.2003 an das Insolvenzgericht, mit dem dem Insolvenzverwalter gem. § 58 InsO eine Weisung hinsichtlich der Beantragung der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung gem. § 30d ZVG aufgegeben werden sollte, zeugt von den Rechtskenntnissen des Schuldners.
Eine analoge Anwendung des § 186 InsO ist auch nicht deshalb geboten, weil der Schuldner über die Rechtsfolgen des unterlassenen Widerspruches gegen eine Anmeldung einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung vom Insolvenzgericht belehrt wurde. Die Verpflichtung zur Belehrung folgt insoweit aus § 175 Abs. 2 InsO.
Auch aus sonstigen Erwägungen ist eine analoge Anwendung der Wiedereinsetzungsvorschriften nicht geboten. Eine solche wird teilweise erörtert, wenn der Schuldner verspätet einen Antrag auf Restschuldbefreiung stellt (z.B. LG Göttingen, NZI 2001, 220; AG Göttingen, ZInsO 2002, 887[AG Göttingen 10.12.2001 - 74 IN 10/99]; Kübler/Prütting/Pape, a.a.O., § 30 Rn. 6a; MünchKomm-InsO/Schmahl, § 20 Rn. 101; FK-InsO/Schmerbach, § 30 Rn. 19 a). Anders als beim vorliegenden Sachverhalt enthält das Gesetz eine Regelung, dass eine Belehrung erfolgen soll (§ 30 Abs. 3 InsO a.F., § 20 Abs. 2 InsO n.F.).
Selbst wenn man die Anwendbarkeit der Wiedereinsetzungsvorschriften bejahen würde, wäre die Fristversäumung nicht unverschuldet. Wie bereits oben erwähnt, ist der Schuldner durchaus rechtskundig, von ihm konnte eine genaue Information erwartet werden.