Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 24.11.2004, Az.: 74 IN 361/04

Analogie; Antragsgegner; Antragsrücknahme; entsprechende Anwendung; Erkennbarkeit; Erledigung der Hauptsache; Gläubigerantrag; Hauptsacheerledigung; Insolvenzantragsverfahren; Interessewegfall; Kostenentscheidung; laufendes Insolvenzverfahren; laufendes Parallelverfahren; Rechtsanwendung; Rechtsschutzinteresse; Unzulässigkeit; Verfahrenshindernis; übereinstimmende Erledigterklärung; übereinstimmende Erledigungserklärung

Bibliographie

Gericht
AG Göttingen
Datum
24.11.2004
Aktenzeichen
74 IN 361/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50897
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Steht der Durchführung eines (neuen) Insolvenzverfahrens entgegen, dass ein bereits eröffnetes Insolvenzverfahren noch nicht abgeschlossen ist, kann über die Kosten gemäß § 4 InsO i. V. m. § 91 a ZPO entschieden werden.

2. Liegen die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Antrages vor, so hat der Antragsgegner die Kosten zu tragen, auch wenn nach der Rechtsprechung des BGH es für den neuen Antrag am rechtlichen Interesse gemäß § 14 Abs. 1 InsO mangelt.

Tenor:

Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Wert: bis 300,00 EUR

Gründe

1

I. Die anwaltlich vertretene Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 27.09.2004 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragsgegners beantragt. Zur Glaubhaftmachung hat sie vorgelegt ein Anerkenntnisurteil des Amtsgerichtes Göttingen vom 09.06.2004, in der eine Hauptforderung i. H. v. ca. 2.400,00 EUR tituliert ist, sowie einen rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichtes Uelzen über eine Hauptforderung i. H. v. ca. 700,00 EUR. Der Gerichtsvollzieher hat der Antragstellerin am 16. September 2004 die Vollstreckungsunterlagen mit dem Bemerken zurückgesandt, dass er aus Kostenersparnisgründen gemäß § 63 GVGA nicht vollstreckt hat, weil die in letzter Zeit bei dem Schuldner durchgeführten Zwangsvollstreckungen erfolglos ausgefallen sind. Als angeblicher Arbeitgeber ist eingetragen “Ich-AG”.

2

Mit Schreiben vom 05.10.2004 hat das Insolvenzgericht die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass über das Vermögen des Schuldners mit Beschluss vom 24.09.2002 (74 IN 270/02 AG Göttingen) das Insolvenzverfahren eröffnet und noch nicht wieder aufgehoben ist. Auf den Hinweis, dass während eines laufenden Insolvenzverfahrens die Eröffnung eines weiteren Insolvenzverfahrens unzulässig ist (BGH ZInsO 2004, 739), hat die Schuldnerin mit Schriftsatz vom 27.10.2002 das Insolvenzverfahren für erledigt erklärt, hilfsweise den Antrag zurückgenommen. Dem Antragsgegner sind der Antrag und das die Erledigung erklärende Schreiben übersandt worden mit dem Zusatz, dass darüber zu entscheiden ist, ob ihm die Kosten des Verfahrens auferlegt werden. Innerhalb der dem Antragsgegner gesetzten Frist ist keine Stellungnahme eingegangen.

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II. Der Antragsgegner hat gemäß § 4 InsO i. V. m. § 91 a ZPO die Kosten des Verfahrens zu tragen.

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1) Der Schuldner ist der Erledigungserklärung nicht entgegengetreten, es liegt ein Fall der übereinstimmenden Erledigungserklärung vor.

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2) Unter Berücksichtigung der bisherigen Sach- und Streitstandes sind nach billigem Ermessen dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Eine Erledigung des Insolvenzantragsverfahrens kommt nicht nur in Betracht, wenn der antragstellende Gläubiger befriedigt wird, sondern auch in allen übrigen Fällen, in denen das Interesse des Gläubigers an der Antragstellung entfällt, so auch bei Abweisung eines Antrages in einem Parallelverfahren mangels Masse (LG Göttingen ZIP 1992, 572) oder Abweisung mangels Masse in einem anderen Verfahrens bereits vor Antragstellung (Kübler/Prütting/Pape InsO, § 26 Rz. 32; FK-InsO/Schmerbach § 13 Rz. 102). Dem vergleichbar ist der vorliegende Sachverhalt. Forderung und Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit sind glaubhaft gemacht und durch eine Gegenglaubhaftmachung nicht erschüttert. Ähnlich wie bei einer mangelnden Verfahrenskostendeckung gemäß § 26 InsO kann eine Eröffnung jedoch nicht erfolgen. Im vorliegenden Fall ist dies darin begründet, dass gemäß § 35 InsO auch Neuerwerb in die Insolvenzmasse fällt und deshalb während eines laufenden Insolvenzverfahrens ein zweites Insolvenzverfahren nicht eröffnet werden kann.

6

Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass im Rahmen der Erledigungserklärung das Gericht zu prüfen hat, ob der Antrag ursprünglich zulässig war (MünchKomm-InsO/Schmahl § 13 Rz. 110; Uhlenbruck InsO, § 14 Rz. 85,88), es nach der Rechtsprechung des BGH (ZinsO 2004, 739) einem erneuten Antrag aber am rechtlichen Interesse i. S. d. § 14 Abs. 1 InsO fehlt. Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass eine die Verfahrenskosten deckende Masse nicht vorhanden ist. Die Eröffnung in dem Verfahren 74 IN 270/02 konnte nur erfolgen, weil Stundung bewilligt wurde. Bestünde nicht das Verfahrenshindernis eines laufenden Insolvenzverfahrens, wäre der vorliegende Antrag aller Voraussicht nach mangels Masse abgewiesen worden; dafür spricht auch die Unpfändbarkeitsbescheinigung des Gerichtsvollziehers. In diesen Fällen trägt aber der Schuldner die Kosten des Verfahrens (Kübler/Prütting/Pape InsO, § 26 Rz. 29; MünchKomm-InsO/Haarmeyer § 26 Rz. 33). Ergibt sich aufgrund des Gutachtens in einem Parallelverfahren, dass es an einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse gemäß § 26 InsO fehlt, so sind bei Erledigungserklärung die Kosten dem Antragsgegner aufzuerlegen, da dieser auch bei Abweisung des Antrages mangels Masse diese hätte tragen müssen (LG Göttingen ZIP 1992, 572, 573, FK-InsO/Schmerbach, § 13 Rz. 116 a). Wie erwähnt, ist der vorliegende Sachverhalt mit dem geschilderten Sachverhalt vergleichbar.

7

Es ist auch angemessen, in der vorliegenden Fallgestaltung trotz fehlenden rechtlichen Interesses die Kosten dem Antragsgegner aufzuerlegen. Ein fehlendes rechtliches Interesses i. S. d. § 14 Abs. 1 InsO wird angenommen in den Fällen, in denen der antragstellende Gläubiger im Falle der Eröffnung des Verfahrens nicht am Verfahren beteiligt ist, etwa als Aussonderungsberechtigter gemäß § 47 InsO und insbesondere in den so genannten Missbrauchsfällen (vgl. HK-InsO/Kirchhof § 14 Rz. 23 ff.; FK-InsO/Schmerbach § 14 Rz. 27, 28). In all diesen Fällen ist für den Gläubiger das fehlende rechtliche Interesse erkennbar. Anders verhält es sich im vorliegenden Fall. Von einem Gläubiger, auch wenn er anwaltlich vertreten ist, können nicht vor jeder Antragstellung Recherchen verlangt werden, ob über das Vermögen des Schuldners bereits ein Insolvenzverfahren eröffnet ist und ob es noch nicht wieder aufgehoben ist. Aufgrund der in § 4 InsO angeordneten lediglich entsprechenden Geltung der Vorschriften der ZPO sind die Besonderheiten des Insolvenzverfahrens zu berücksichtigen und eine Einschränkung dahin zu machen, dass allein das aufgrund eines laufenden Insolvenzverfahrens zu verneinende rechtliche Interesse nicht dazu führt, dass der antragstellende Gläubiger die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.

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3) Dasselbe Ergebnis ergibt sich, wenn man den Fall nach den Grundsätzen der Antragsrücknahme gemäß § 4 InsO i. V. m. § 269 Abs. 3 ZPO beurteilt. Für den Zivilprozess gilt, dass bei Wegfall des Anlasses zur Klage vor Rechtshängigkeit sich die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen bestimmt, auch wenn die Klage nicht zugestellt wurde. Aufgrund der gemäß § 4 InsO gebotenen lediglich entsprechenden Anwendung der Vorschriften der ZPO ist abzustellen auf einen Wegfall des Anlasses zur Einreichung des Insolvenzantrages vor dessen Einreichung. Im Zivilverfahren fallen darunter Fälle der Begleichung der Hauptforderung. Aus den o. g. Erwägungen gilt es im Insolvenzverfahren auch für den vorliegenden Sachverhalt, in dem bereits ein eröffnetes Insolvenzverfahren läuft.

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4) In Anbetracht der Unpfändbarkeitsbescheinigung des Gerichtsvollziehers ist für die Wertfestsetzung die niedrigste Gebührenstufe zugrunde gelegt worden.