Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 31.08.2004, Az.: 74 IK 219/03
Altverfahren; Gesetzesänderung; Insolvenzverwaltervergütung; masseloses Insolvenzverfahren; masseloses Stundungsverfahren; Masselosigkeit; Mindestvergütung; Neuregelung; Treuhändervergütung; Verfahrenskostenstundung; Verfassungsmäßigkeit; Verfassungswidrigkeit; vierfacher Satz; Übergangsfall
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 31.08.2004
- Aktenzeichen
- 74 IK 219/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50905
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs 3 InsVV
- § 13 Abs 1 InsVV
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Die Mindestvergütung in masselosen Insolvenzverfahren ist nicht erst in den ab dem 01.01.2004 eröffneten Verfahren verfassungswidrig (entgegen BGH ZIP 2004, 424 = ZInsO 2004, 263 = NZI 2004, 224).
2. Auch in den zuvor eröffneten Verfahren ist eine erhöhte Mindestvergütung festzusetzen (im Anschluss an AG Potsdam ZIP 2004, 673 = ZVI 2004, 209 = NZI 2004, 272 = ZInso 2004, 383 LS).
Tenor:
Auf die Beschwerde des Treuhänders vom 25/26.03.2004 wird der Beschluss vom 18.03.2004 aufgehoben und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Vergütung des Treuhänders wird festgesetzt auf 1.000,00 Euro zuzüglich 160,00 Euro zuzüglich Auslagen inklusive Mehrwertsteuer in Höhe von 174,00 Euro, insgesamt 1.334,00 Euro.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Mit Beschluss vom 01.11.2003 hat das Insolvenzgericht das Verfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und ihr Stundung bewilligt. Das Gläubigerverzeichnis weist 5 Gläubiger auf. Mit Antrag vom 12.02.2004 hat der Treuhänder unter Hinweis auf den Beschluss des AG Göttingen vom 23.06.2003 - 74 IK 185/02 (ZInsO 2003, 651 = NZI 2003, 506 = ZVI 2003, 371 = DZWIR 2003, 438 = RPfleger 2003, 615) eine Vervierfachung der Grundvergütung beantragt. Mit Beschluss vom 18.03.2004 hat die Rechtspflegerin dem Treuhänder lediglich eine Grundvergütung in Höhe von 250 Euro gem. § 13 Abs. 1 InsVV zuzüglich Auslagen und Umsatzsteuer zuerkannt. Den weitergehenden Antrag auf Bewilligung einer Grundvergütung von 1.000 Euro hat die Rechtspflegerin unter Hinweis auf den Beschluss des BGH vom 15.01.2004 (ZIP 2004, 424 = ZInsO 2004, 263 = NZI 2004, 224) zurückgewiesen. Dagegen hat der Treuhänder sofortige Beschwerde eingelegt und sich mit einem Zurückstellen der Entscheidung bis zum Vorliegen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die gegen den Beschluss des BGH eingelegt Verfassungsbeschwerde einverstanden erklärt.
II. Über den zulässigen Rechtsbehelf ist nunmehr zu entscheiden im Hinblick auf die unklare Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes. Der Richter hat das Verfahren gem. § 18 Abs. 2 RPflG an sich gezogen. In der Sache ist der Rechtsbehelf in vollem Umfang begründet.
1) Der BGH hat im Beschluss vom 15.01.2004 entschieden, dass die Beschränkung der Mindestvergütung in § 2 Abs. 2 InsVV in masselosen Regelinsolvenzverfahren ab 500,00 Euro erst für die ab dem 01.01.2004 eröffneten Verfahren verfassungswidrig sei (ZIP 2004, 417, 423 = ZInsO 2004, 257, 262 = NZI 2004, 196). Zur Begründung für die zeitliche Zäsur hat er angeführt, dem Verordnungsgeber habe nach Einführung des Stundungsmodels zum 01.12.2001 ein Prognose- und Anpassungsspielraum zugestanden. Der Verordnungsgeber habe zunächst die tatsächliche Entwicklung abwarten können, es sei ein Zeitraum bis Ende 2003 zuzubilligen. Die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde (1 BvR 633/04) hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 29.07.2004 ohne Begründung nicht zur Entscheidung angenommen.
Der Beschluss des BGH ist hinsichtlich der zeitlichen Zäsur in der daraufhin veröffentlichten Literatur einhellig auf Kritik gestoßen (Haarmeyer ZInsO 2004, 264, 265; Keller ZIP 2004, 633, 639 f.; Graeber NZI 2004, 169, 170, 174; Prütting/Ahrens ZIP 2004, 1162, 1164; Pluta /Heinrich NZI 2004, 408, 409 ff.). Das AG Potsdam ist dem BGH nicht gefolgt und hat mit Beschluss vom 26.03.2004 (ZIP 2004, 673 = ZVI 2004, 209 = NZI 2004, 272 = ZInso 2004, 383 LS) an seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten, wonach die Mindestvergütung in durchschnittlichen masselosen Insolvenzverfahren natürlicher Personen zur Erzielung einer nach § 63 Abs. 1 InsO angemessenen Vergütung auf 2.000,00 Euro anzuheben ist.
In jüngst ergangenen Nichtannahmebeschlüssen hat das Bundesverfassungsgericht Beschwerden zurückgewiesen mit der Begründung, der Rechtsweg sei noch nicht erschöpft (Beschlüsse vom 29.07.2004 - 1 BVR 1322/04, 1 BVR 1387/04). Im einzelnen hat es ausgeführt, die Erschöpfung des Rechtsweges sei nur entbehrlich, wenn eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung bestehe, von der keine Abweichung zu erwarten sei. Das Bundesverfassungsgericht führt jedoch weiter aus, die beiden Entscheidungen des BGH vom 15.01.2004 machten unter Berücksichtigung der durch sie ausgelösten Diskussionen noch keine gefestigte Rechtsprechung aus (ZIP aktuell Heft 33 A 63).
Für das Insolvenzgericht Göttingen stellt sich die Lage wie folgt dar:
Der BGH wird unter Berücksichtigung des Hinweises des Bundesverfassungsgerichtes über die parallel zu den - abschlägig beschiedenen Verfassungsbeschwerden - eingelegten Rechtsbeschwerden erneut entscheiden müssen. Bei negativem Ausgang ist mit einer erneuten Anrufung des Bundesverfassungsgerichtes zu rechnen (und auf einer Entscheidung in der Sache zu hoffen). Dieses Verfahren wird mehrere Jahre in Anspruch nehmen (die Verfahrensdauer bei den kürzlich vom Bundesverfassungsgericht beschiedenen Verfassungsbeschwerden im Zusammenhang mit der gerichtlichen Überprüfung zur Aufnahme in den Kreis der Insolvenzverwalter gem. § 23 EGGVG beliefen sich auf 5 Jahre). Eine Umfrage hat ergeben, dass beim Insolvenzgericht Göttingen noch ca. 300 “Altfälle” zu bescheiden sind. Dabei handelt es sich Fälle, in denen vor dem 01.01.2004 das Insolvenzverfahren auf Stundungsbasis eröffnet und die Vergütungsanträge nach Bekanntwerden der Beschlüsse des BGH vom 15.01.2004 dahin beschieden worden, dass nur noch die Mindestvergütung von 500 Euro gem. § 2 Abs. 2 InsVV bzw. 250 Euro gem. § 13 Abs. 1 InsVV bewilligt wird. Unter Berücksichtigung dieser Umstände hält es das Insolvenzgericht für angemessen, nicht an der zunächst mit den Verwaltern/Treuhändern abgesprochenen Nichtbescheidung der Rechtsbehelfe gegen die Bewilligung der Mindestvergütung bis zu einer (inhaltlichen) Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes festzuhalten.
2) Das Insolvenzgericht hält die im Beschluss des BGH vom 15.01.2004 vertretene Rechtsauffassung für verfehlt. Das AG Potsdam (ZIP 2004, 673, 676) weißt zutreffend daraufhin, dass viele Insolvenzgerichte ab 1999 Prozesskostenhilfe bewilligten und so bereits vor Einführung des Stundungsmodels gem. § 4 a InsO mittellosen Personen Zugang zum Insolvenzverfahren mit der Möglichkeit der Restsschuldbefreiung boten. Dem Verordnungsgeber kann kein Prognose- und Anpassungsspielraum zuerkannt werden. Der Verordnungsgeber hat sich erkennbar bereits vor Erlass der InsVV im August 1998 nicht mit der Frage der Angemessenheit der Mindestvergütung jedenfalls in IN-Verfahren auseinandergesetzt. Der Verordnungsgeber hat keine Prognose aufgestellt. Selbst wenn der Verordnungsgeber eine Prognose aufgestellt hätte, wäre sie offensichtlich fehlerhaft. Unter Geltung der KO betrug der Mindestvergütung umgerechnet 800,00 Euro. Die InsO bringt für den Insolvenzverwalter neue Aufgaben, zudem war die Vermehrung massearmer Verfahren absehbar, die Kürzung kann demnach nur als offensichtlich fehlerhaft bezeichnet werden (AG Potsdam ZIP 2004, 673, 675).
Schließlich hat das AG Potsdam (ZIP 2004, 673, 676) zutreffend darauf hingewiesen, dass für den Verordnungsgeber bis Ende 2001 vorhersehbar, dass bereits bis dahin viele Insolvenzverfahren nur aufgrund einer Gewährung von Prozesskostenhilfe eröffnet wurden und die Insolvenzverwalter eine auskömmliche Vergütung nicht mehr erhielten. Keinesfalls durfte der Verordnungsgeber abwarten, bis Gerichte vermehrt im Jahre 2003 die Unhaltbarkeit der Regelung bescheinigten. Eine zeitnahe Anpassung noch im Jahre 2002 war nicht nur geboten, sondern auch ohne Schwierigkeiten umsetzbar, da im Gegensatz zu einem Gesetz eine Verordnung schnell geändert werden kann, zumal im vorliegenden Fall ein Zustimmung des Bundesrates nicht erforderlich ist.
3) In der Sache hält das Amtsgericht an seinem Beschluss vom 06.05.2004 fest, wonach die Mindestvergütung angemessen zu erhöhen ist (ZInsO 2003, 461 = NZI 2003, 445 = Rpfleger 2003, 684 = ZVI 2003, 243 = ZIP 2003, 918). Kriterien dafür sind in Form einer Tabelle, differenziert nach Anzahl der Gläubiger, aufgestellt im Beschluss vom 23.06.2003 - 74 IK 185/02 (ZInsO 2003, 651 = NZI 2003, 506 = ZVI 2003, 371 = DZWIR 2003, 438 = RPfleger 2003, 615).
In Anbetracht der Anzahl von 5 Gläubigern steht dem Treuhänder im vorliegenden Verfahren auch der 4-fache Satz der Mindestvergütung von 250,00 Euro, also 1.000,00 Euro zu (unter Berücksichtigung der im Beschluss vom 23.06.2003 aufgestellten Kriterien).
4) Ebenso wie im Beschluss vom 23.06.2003 hat der Richter das Verfahren gem. § 18 Abs. 2 RPflG an sich gezogen im Hinblick auf eine einheitliche Handhabung und Festsetzung der Vergütung im streitigen Problemkreis.