Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 15.10.2004, Az.: 1 IN 43/02

Anforderungen an die Durchführung eines Insolvenzverfahrens; Voraussetzungen für das Vorliegen von Insolvenzgründen; Anforderungen an die Erteilung einer Restschuldbefreiung

Bibliographie

Gericht
AG Göttingen
Datum
15.10.2004
Aktenzeichen
1 IN 43/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 34288
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGGOETT:2004:1015.1IN43.02.0A

Fundstellen

  • NWB 2005, 1189-1190 (Kurzinformation)
  • NZI (Beilage) 2005, 34* (amtl. Leitsatz)
  • ZAP EN-Nr. 507/2005
  • ZInsO 2005, 222 (Volltext mit red. LS)

Gründe

1

Das Insolvenzverfahren wurde auf Antrag des Schuldners am 18.3.2002 eröffnet und mit Beschl. v. 16.12.2003 aufgehoben. Das Restschuldbefreiungsverfahren dauert noch bis zum 18.3.2008.

2

Der Schuldner ist selbstständig und hat gem. Steuerbescheid des FA Bad Segeberg v. 4.8.2004 einen Steuererstattungsanspruch aus dem Jahr 2003 i.H.v. 2.124,03 EUR, welcher auf dem Konto des Schuldners am 6.8.2004 gutgeschrieben worden ist. Aufgrund einer Anweisung des Treuhänders Guthaben vom Konto des Schuldners an ihn auszukehren, verweigerte die Bank die Auszahlung des Guthabens. Der Schuldner stellte daraufhin beim Insolvenzgericht am 28.8.2004 einen Freigabeantrag und stützte diesen im Wesentlichen auf die Rechtsprechung des AG Göttingen v. 19.3.2004 - 74 IK 74/02. Darüber entschied gem. §§ 292 Abs. 1 Satz 2, 36 Abs. 4 InsO, § 18 RPflG, am 2.9.2004 der Rechtspfleger des Insolvenzgericht und zwar dergestalt, dass er den Steuererstattungsanspruch nur zur Hälfte dem Schuldner zugesprochen hat.

3

Der Schuldner begründet seinen Auszahlungsantrag mit der Entscheidung des AG Göttingen v. 19.3.2004, NZI 2004, S. 332, wonach es sich beim Steuererstattungsanspruch um einen öffentlich rechtlichen Anspruch handelt, welcher vom Begriff des § 287 InsO "Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge" und damit nicht von der Abtretungserklärung des Schuldners, die in der Wohlverhaltensperiode an Stelle des Eröffnungsbeschlusses tritt, erfasst wird. In seiner Beschwerdeschrift v. 5.10.2004 verweist er zusätzlich auf die Ausführungen im Kommentar Forderungspfändung Stöber, Rn. 379, der die Anwendung der Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850c ff. ZPO verneint, weil es sich um einen öffentlich rechtlichen Anspruch handelt.

4

Das AG Gifhorn, Urt. v. 12.6.2001, NZI 2001, 491, vertritt die Auffassung, dass der Begriff des Arbeitseinkommens weit zu verstehen ist und es genügt, dass es sich um eine einmalige Zahlung handelt, die im Zusammenhang mit einer Tätigkeit des Schuldners geht. Dieselbe Meinung vertritt tauch der InsO Kommentar, Kübler/Prütting, § 287 Rn. 9. Der Auffassung des Schuldners, dass diese Rechtsauffassung durch die Änderung des InsO zum 1.12.2001 nicht mehr vertreten werden kann, ist falsch, weil die Bestimmung über den Abtretungsumfang des § 287 InsO nicht verändert worden ist.

5

Für die Erfassung spricht weiter, dass der Schuldner durch die Wahl der Steuerklasse und der Eintragung von Steuerfreibeträgen auf der Lohnsteuerkarte die Höhe des Nettoeinkommens und damit des pfändbaren Betrags nach § 850c ZPO zum Nachteil der Insolvenzgläubiger beeinflussen kann. Dagegen ist anzuführen, dass der Schuldner bei Erfassung keinen finanziellen Anreiz hat, die Steuererstattung zu beantragen oder bei Abgabepflicht nach dem EStG, steuerreduzierende Tatsachen geltend zu machen. Hiergegen sieht § 295 InsO auch keine Sanktionsmöglichkeiten vor. Daher ist das Gericht der Auffassung, dass der Steuererstattungsanspruch bei der Beurteilung des Abtretungsumfangs sowohl als ein öffentlich rechtlicher Anspruch zu behandeln ist, als auch einen Anspruch aus Arbeitseinkommen darstellt.

6

Der Auffassung des Rechtspflegers, dass es dann auch richtig und sinnvoll ist, den Steuererstattungsanspruch zu gleichen Teilen dem Treuhänder und dem Schuldner zukommen zu lassen, ist zuzustimmen. Darüber hinaus sieht der Gesetzgeber bei Annahme von Erbschaften in der Wohlverhaltensperiode als Anreiz für den Schuldner ebenfalls eine Halbierung des Vermögenswerts vor (§ 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO).

7

Diese einfache Regelung ist praxistauglich und wird den Interessen des Gläubigers, der Staatskasse und des Schuldner gerecht. Die Steuererstattung ist bei Verbrauchern oder Kleinunternehmern oft der einzige, einfach heranzuziehende Vermögenswert, mit dem in vielen Fällen die Verfahrenskosten wenigstens teilweise gedeckt werden können. Eine vollständige Freigabe ist der Staatskasse und damit den Steuerzahler nicht zuzumuten.