Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 10.06.2002, Az.: 4 A 560/01

Asylbewerberleistungsgesetz; fehlende Mitwirkung; Leistungen

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
10.06.2002
Aktenzeichen
4 A 560/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 43469
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Der Kläger begehrt die Gewährung von ungekürzten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz an sich und seine Familie.

2

Der Kläger und seine Familie - seine Ehefrau und fünf Kinder - sind syrische Staatsangehörige. Sie leben seit 1995 in der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Asylanträge und verschiedene Folgeanträge sind rechtskräftig abgelehnt worden, zuletzt mit Urteil vom 23. November 1998 - 6 A 1752/98 -. Sie sind zur Ausreise verpflichtet. Der Kläger ist im Besitz einer Duldung nach § 55 AuslG.

3

Eine Rückführung des Klägers und seiner Familie in sein Heimatland ist bisher nicht erfolgt, weil der Kläger sich weigert, bei der Beschaffung von Reisedokumenten mitzuwirken. Die dem Kläger und seiner Familie gewährten Leistungen sind deshalb seit November 1998 hinsichtlich des Bargeldanteiles gekürzt. Mit Bescheid vom 16. Februar 1999 erfolgte eine weitere Kürzung, nunmehr bezogen auf die Zusatzleistungen nach § 3 Abs. 2 AsylbLG. Mit Bescheid vom 6. Februar 2001 setzte die im Auftrage des Beklagten handelnde Stadt O.-S. diese gekürzten Leistungen auch für die Zeit ab Januar 2001 fest. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger unter dem 12. Februar 2001 Widerspruch. Der Kläger habe die Gründe, die dazu führten, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden könnten, nicht zu vertreten. Es sei ihm nicht möglich, Kontakt zu syrischen Behörden aufzunehmen, da er aufgrund seiner Erkrankung hierdurch unmittelbar der Gefahr eines Suizidversuches ausgesetzt sei. Den Widerspruch wies die Bezirksregierung L. mit Widerspruchsbescheid vom 4. April 2001 als unbegründet zurück. Mit dem angefochtenen Bescheid habe der Beklagte zu Recht - wie bereits seit März 1999 - die der Familie des Klägers gewährten Leistungen um den Barbetrag und um den Bekleidungsanteil gekürzt. Der Kläger gehöre mit seiner Familie zum Personenkreis des § 1 Nr. 4 AsylbLG. Aus § 1 a Nr. 2 AsylbLG ergebe sich, dass der Kläger nur einen Anspruch auf eingeschränkte Leistungen habe, wenn aus von ihm zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden könnten. Dieser Fall liege hier vor. Der Kläger sei vollziehbar ausreisepflichtig. Eine Rückführung in das Heimatland sei bisher jedoch wegen fehlender Pässe bzw. Passersatzpapiere nicht möglich gewesen. Diese Umstände habe der Kläger zu vertreten. Dabei komme es nicht auf ein schuldhaftes Verhalten an; vielmehr sei ausreichend, dass die Umstände, die die Abschiebung hinderten, in den Verantwortungsbereich des Klägers fielen. Der Kläger sei seit 1998 mehrfach vom Beklagten aufgefordert worden, bei der dortigen Ausländerbehörde Anträge auf Ausstellung von Pässen zu stellen bzw. die erforderlichen Antragsunterlagen auszufüllen. Es werde lediglich die Beteiligung des Klägers an der Beantragung von Ausweispapieren über den Landkreis O. gefordert; eine unmittelbare Kontaktaufnahme mit syrischen Behörden sei hierbei nicht erforderlich.

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Der Kläger hat am 7. Mai 2001 Klage erhoben, mit der er geltend macht, er könne sich nicht mit der syrischen Botschaft in Verbindung setzen, weil er sicher sei, dass man ihm dann ein Reisedokument ausstellen und ihn nach Syrien rücküberstellen werde. Dort müsse er mit erneuter Inhaftierung und Folter rechnen. Die traumatischen Erlebnisse, die er in Syrien gehabt habe, habe er noch nicht verarbeiten können. Deshalb sei er seit September 1998 in psychotherapeutischer Behandlung. Er leide unter panischer Angst, erneut gefoltert zu werden, weshalb es ihm unmöglich sei, jedweden Kontakt mit den syrischen Behörden aufzunehmen.

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Der Kläger beantragt,

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ihm und seiner Familie mit Wirkung vom 1. Januar 2001 ungekürzte Leistungen nach dem AsylbLG zu bewilligen und den Bescheid der Beklagten vom 6. Februar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. April 2001 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.

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Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

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die Klage abzuweisen.

9

Es sei nicht verlangt worden, dass der Kläger mit den syrischen Behörden in Verbindung treten müsse. Es reiche, wenn er sich an der Antragstellung über den Beklagten beteilige. Es sei zweifelhaft, ob dem Kläger die geltend gemachten gesundheitlichen Gefahren tatsächlich drohten. Denn nach den ergangenen Asylurteilen und Beschlüssen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes habe der Kläger mit seiner Familie Syrien unverfolgt verlassen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet.

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Die Entscheidung des Beklagten, die dem Kläger und seiner Familie zustehenden Leistungen nach dem AsylbLG wegen fehlender Mitwirkung zu kürzen, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Der Kläger und seine Familie haben keinen Anspruch auf Gewährung des Barbetrages sowie des Bekleidungsanteiles. Dazu im Einzelnen:

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Nach § 1 a AsylbLG in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. August 1997 (BGBl. I S. 2022, zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. August 1998 (BGBl. I S. 2505) erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 und ihre Familienangehörigen nach § 1 Abs. 1 Nr. 6, die sich in dem Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben haben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen, oder bei denen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, Leistungen nach diesem Gesetz nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor. Der Kläger und seine Familie sind vollziehbar ausreisepflichtig. Die Vollziehung dieser Ausreisepflicht ist bisher ausschließlich deshalb nicht möglich gewesen, weil sich der Kläger weigert, bei der Beantragung von Reisedokumenten im erforderlichen Umfange mitzuwirken. Diese Weigerung und die sich daraus ergebenden rechtlichen Folgen sind dem Kläger auch zuzurechnen. Denn nach den rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen zu den Asylgründen des Klägers und zum Vorliegen von Abschiebungsverboten bzw. Abschiebungshindernissen ist davon auszugehen, dass der Kläger und seine Familie weder vor ihrer Ausreise in Syrien verfolgt waren, noch bei einer Wiedereinreise staatlicher Verfolgung ausgesetzt sein werden. Damit kann nicht davon ausgegangen werden, dass die fehlende Mitwirkung des Klägers durch die bisher nicht erfolgte Verarbeitung traumatischer Ereignisse bedingt ist. Vielmehr dürfte das Verhalten des Klägers darin begründet sein, dass er der ihm drohenden Abschiebung in sein Heimatland mit allen Mitteln zu entgehen trachtet. Für diesen Fall muss er aber die sich aus § 1 a AsylbLG ergebenden Konsequenzen in Kauf nehmen und kann damit nur auf das Unerlässliche gekürzte Leistungen beanspruchen.

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Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt die Kammer im Übrigen Bezug auf die zutreffende Begründung im Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung L. vom 4. April 2001, der sie inhaltlich folgt.