Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 06.05.2014, Az.: 13 B 8468/14

Anordnungsgrund; Elternzeit; gemeinsamer Haushalt; Richtlinienverstoß

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
06.05.2014
Aktenzeichen
13 B 8468/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 42383
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der im Jahre 1961 geborene Antragsteller steht als Beamter auf Lebenszeit im Dienst der Antragsgegnerin. Er ist seit 1997 verheiratet und in C. wohnhaft. Am 15. Februar 2014 ist er Vater eines Sohnes geworden. Das Kind lebt mit der Kindsmutter Frau D. in E..

Mit Schreiben vom 6. Januar 2014 beantragte der Antragsteller erstmals mit Blick auf die bevorstehende Geburt die Gewährung einer zweimonatigen Elternzeit. Die Antragsgegnerin lehnte diesen Antrag mit Schreiben vom 9. Januar 2014 mit der Begründung ab, dass die siebenwöchige Frist des § 16 des Gesetzes zum Elterngeld und zur Elternzeit nicht eingehalten worden sei. Darüber hinaus teilte sie dem Antragsteller für einen etwaigen Wiederholungsantrag mit, Nachweise vorzulegen, dass er mit dem Kind in einem Haushalt lebe, es selbst betreue und selbst erziehe. Insoweit wurde um Vorlage einer Geburtsurkunde, einer Erklärung über die Haushaltszugehörigkeit und einer Meldebescheinigung des Einwohnermeldeamts F. gebeten.

Der Antragsteller legte mit Schreiben vom 15. Januar 2014 den ausgefüllten Vordruck „Haushaltszugehörigkeit“ vor, worin er anführt, dass das gemeinsame Kind ab der Geburt bei der Kindsmutter in G. lebt. Er führt in seinem Schreiben weiter an, dass er für die Dauer der Elternzeit im Haushalt der Kindsmutter leben werde. Er kündigte an, eine Geburtsurkunde sowie eine Meldebescheinigung nach zureichen. Eine Geburtsurkunde reichte der Antragsteller später ein; eine Meldebescheinigung nicht. Mit Schreiben vom 11. Februar 2014 nahm der Antragsteller seinen Antrag zurück.

Unter dem 11. März 2014 erneuerte der Antragsteller seinen Antrag auf Gewährung von Elternzeit, nunmehr für den Zeitraum vom 14. Mai 2014 bis 13. Juni 2014.

Mit Schreiben vom 19. März 2014 teile die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, die beantragte Elternzeit vorerst nicht bewilligen zu können. Sie wies erneut darauf hin, dass Anspruch auf Elternzeit nur bestehe, wenn der Elternteil mit dem Kind in einem Haushalt lebe und dieses selbst betreue und erziehe. Da der Antragsteller weiterhin in H. lebe, die Kindsmutter mit dem Sohn hingegen in G., seien die Anspruchsvoraussetzungen weiterhin nicht erfüllt. Soweit sich die familiären Verhältnisse geändert hätten, möge er dies mitteilen, damit der Antrag erneut geprüft werden können. Eine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt dieses Schreiben nicht.

Mit Schreiben vom 2. April 2014 machte der Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin geltend, dass der Bescheid formell wie materiell rechtswidrig sei. Es reiche aus, dass das Kind für die Zeit der Elternzeit im selben Haushalt mit dem Antragsteller lebe und von ihm tatsächlich betreut werde. Es müsse sich nicht zwingend um den Haushalt des Arbeitnehmers handeln. Vielmehr könne dies entweder die Wohnung der Kindsmutter in Koblenz oder sein Haus in Bockenem sein. Eine Meldepflicht kenne die maßgebliche Vorschrift über die Gewährung von Elternzeit nicht. Mit Schreiben vom 16. April 2014 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass die Angelegenheit dem zuständigen Verwaltungsrat zur Entscheidung vorgelegt werde.

Am 23. April 2014 hat der Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Er vertieft sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm im Zeitraum vom 14. Mai bis 13. Juni 2014 Elternzeit zu gewähren.

Die Antragsgegnerin tritt dem entgegen und beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

II.

Der Antrag bleibt ohne Erfolg.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

Da die beantragte einstweilige Anordnung hier die Hauptsache vorwegnimmt, kommt sie nur dann in Betracht, wenn es für den Antragsteller schlechthin unzumutbar ist, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Dem Antragsteller müssten ohne die begehrte Gewährung von Elternzeit schwerwiegende Nachteile drohen, die ihm nicht zuzumuten sind und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Der Antragsteller muss gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft machen, dass ihm der geltend gemachte materiell-rechtliche Anspruch zusteht (Anordnungsanspruch) und dass ein Grund für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht (Anordnungsgrund).

Unter Anwendung dieser Grundsätze fehlt es an der notwendigen Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes (1.) und auch eines Anordnungsanspruchs (2.).

1. Eine besondere Eilbedürftigkeit ist vom Antragsteller nicht einmal ansatzweise dargetan worden. Er trägt lediglich vor, dass in einem Hauptsacheverfahren eine Entscheidung bis zum beantragten Beginn der Elternzeit nicht zu erreichen sei. Dies reicht aber für die Annahme eines Anordnungsgrundes im o.g. Sinne nicht aus. Auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) ist nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen worden, dass der Antragsteller die begehrte Elternzeit ausschließlich zu dem hier beantragten Zeitraum antreten kann bzw. muss. Selbst wenn er aber - aus welchen Gründen auch immer - zwingend auf diesen Zeitraum festgelegt sein sollte, ergibt sich nichts anderes. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist es dem Antragsteller möglich und zuzumuten für den gewünschten Termin zunächst Erholungsurlaub nach den Vorschriften der Niedersächsischen Erholungsurlaubsverordnung in Anspruch zu nehmen und sodann in einem Klageverfahren gegen die Versagung der beantragten Elternzeit mit dem Ziel vorzugehen, dass ihm der stattdessen genommene Erholungsurlaub wieder gutzuschreiben ist. Daher fehlt dem gestellten Eilantrag schon das Rechtsschutzbedürfnis in Form des Anordnungsgrundes.

2. Darüber hinaus hat der Antragsteller auch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Insoweit kommt es auf die vom Antragsteller aufgeworfenen Fragen zur formellen Rechtswidrigkeit der Versagung der Gewährung von Elternzeit nicht streitentscheidend an. Der Antragsteller erfüllt bereits die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch auf Elternzeit nicht. Dieser Anspruch richtet sich gemäß § 81 NBG nach den Rechtsvorschriften des Bundes über den Mutterschutz und die Elternzeit. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) und Nr. 2 des Gesetzes zum Elterngeld und zur Elternzeit - Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf Elternzeit, wenn sie mit ihrem Kind in einem Haushalt leben und dieses Kind selbst betreuen und erziehen.

Schon nach dem eigenen Vorbringen des Antragstellers lebt das Kind nicht mit ihm in einem Haushalt. Der Antragsteller hat seinen Lebensmittelpunkt in H. und sein Kind in G. bei der Kindsmutter. Damit besteht zwischen dem Antragsteller und dem Kind gerade keine Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft häuslicher Art. Auch spricht derzeit nichts dafür, dass sich an dieser Aufteilung der jeweiligen Lebensmittelpunkte etwas ändern wird. Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht dadurch, dass der Antragsteller beabsichtigt, für die Zeit der Dauer der beantragten Elternzeit bei der Kindsmutter und dem Kind zu leben. Dem Vorbringen des Antragstellers nach ist ein mehrwöchiges Zusammenleben mit seinem Kind beabsichtigt. Dies begründet für sich allein aber keinen gemeinsamen Haushalt mit diesem und ist erst recht nicht ausreichend, um die Betreuung und Erziehung ausreichend zu belegen. Unter dem Begriff des Haushalts im Sinne von § 15 Abs. 1 BEEG ist der Mittelpunkt der privaten Lebensführung zur Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse einer Familie oder einer einzelnen Person zu verstehen (Rancke, Handkommentar, Mutterschutz/ Elterngeld/Eltern-zeit, 1. Aufl., § 15 BEEG, Rdnr. 17). Hierzu gehört nicht nur ein örtlich gebundenes Zusammenleben, sondern eine Schnittmenge von Merkmalen örtlicher (Familienwohnung), materieller (Unterhalt) und immaterieller Art (Zuwendung von Fürsorge, Begründung eines ähnlichen Bandes) (vgl. hierzu SG Würzburg, Urt. vom 10.09.2010 - S E EG 15/10 -, juris, zu § 1 BEEG). Insoweit hat der Antragsteller noch nicht einmal dargelegt, dass er mit der Kindesmutter für die Zeit des geplanten Zusammenlebens eine gemeinsame (wirtschaftliche) Haushaltsführung beabsichtigt. Zudem ist die Zeit des kurzzeitigen Zusammenlebens an einem Ort nicht geeignet, eine Haushaltsgemeinschaft im dargelegten Sinne zu begründen. Dafür ist eine gewisse - hier nicht gegebene - Dauerhaftigkeit zu verlangen, damit eine Abgrenzung zu bloßen Besuchen, mögen sie auch mehrwöchig sein, möglich bleibt. Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen zur Elternzeit ist es, die Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben erwerbstätiger Eltern zu erleichtern. Es geht hingegen nicht darum, dem Arbeitnehmer bzw. Beamten zusätzliche Urlaubstage zu verschaffen.

Entgegen der Ansicht des Antragstellers liegt hierin auch keine europarechtswidrige Begrenzung des Anspruchs auf Elternzeit. Es trifft zwar zu, dass nach § 2 der Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub (vgl. Richtlinie 96/34/EG des Rates vom 3. Juni 1996 zu der von den europäischen Sozialpartnern, der Union der europäischen Industrie- und Arbeitgeberverbände (UNICE), dem europäischen Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft (CEEP) und dem Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) geschlossenen Rahmenvereinbarung über Elternurlaub sowie die Richtlinie 2010/18/EU des Rates vom 8. März 2010 zur Durchführung der von BUSINESSEUROPE, UEAPME, CEEP und EGB geschlossenen überarbeiteten Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub und zur Aufhebung der Richtlinie 96/34/EG) ein individuelles Recht auf Elternurlaub zur Betreuung des Kindes vorgesehen ist und dort die Voraussetzung des Zusammenlebens in einem gemeinsamen Haushalt nicht verlangt wird. Auch wenn durch die Übernahme dieser Rahmenvereinbarung als Anhang der Richtlinie 2010/18/EU diese selbst einen Bestandteil der Richtlinie darstellt und an deren Bindungswirkung für die Mitgliedstaaten teilnimmt, führt dies jedoch nicht dazu, dass § 15 BEEG dahingehend ausgelegt werden müsste, dass der Berechtigte und das Kind nur während der Zeit der beanspruchten Elternzeit in einem Haushalt leben müssten.

Abgesehen davon, dass im Falle einer solchen Auslegung eine Abgrenzung zwischen Besuchen und Betreuung/Erziehung oftmals nicht mehr möglich wäre, ist das Erfordernis des Zusammenlebens in einem Haushalt gerade als Ausgestaltung des Zwecks des mit genannten EU-Richtlinie verfolgten Zwecks anzusehen. Diese wie das nationale Recht soll Mütter und Väter besser als bisher in die Lage versetzen, Beruf und Familie, insbesondere die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder, miteinander zu vereinbaren. Mit dem Erfordernis einer Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft häuslicher Art soll letztlich sichergestellt werden, dass die Elternzeit auch tatsächlich für die Erziehung des gemeinsamen Kindes genutzt wird. Darin kann keine unzulässige Beschränkung der europarechtlichen Vorgaben gesehen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz 1 und 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2013, 57). Wegen der Vorwegnahme der Hauptsache kommt eine Reduzierung des für das Hauptsacheverfahrens maßgeblichen Auffangstreitwerts nicht in Betracht.