Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 21.05.2014, Az.: 1 A 6365/12

Abwasserbeitrag; Baugenehmigung; Beitragspflicht; Erschließung; Vorausleistung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
21.05.2014
Aktenzeichen
1 A 6365/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 42631
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Hängt die sachliche (Abwasser-)Beitragspflicht für ein im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegendes Grundstück satzungsrechtlich davon ab, dass es baulich oder gewerblich genutzt werden darf, und ist bereits eine Baugenehmigung erteilt worden, kann auch dann keine Vorausleistung mehr erhoben werden, wenn die im Bebauungsplan vorgesehenen Erschließungsstraßen tatsächlich noch nicht angelegt sind.
2. Die (gerichtliche) Umdeutung eines Vorausleistungsbescheides in einen endgültigen Beitragsbescheid scheidet aus, wenn nach einer Anhörung zur Erhebung eines endgültigen Beitrags gleichwohl eine Vorausleistung erhoben worden ist.

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 8. Oktober 2012 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu einer Vorausleistung auf einen Abwasserbeitrag.

Die Beteiligten und die E. schlossen Ende November/Anfang Dezember 2008 einen öffentlich-rechtlichen Vertrag. Gegenstand des Vertrags war ein Bauprojekt zur Errichtung eines Logistikzentrums im Geltungsbereich des von der Beklagten aufzustellenden Bebauungsplans "Gewerbegebiet westlich Gutenbergstraße"; in dem Planbereich hatten die Beteiligten zuvor jeweils die zur Realisierung erforderlichen Grundstücksflächen erworben (128.737 m2 von der Klägerin für das Bauvorhaben, 19.835 m2 von der Beklagten als öffentliche Fläche).

Die Vertragsurkunde wurde von der Geschäftsführung der Klägerin am 27. November 2008, von der Geschäftsführung der F. am 1. Dezember 2008 und vom Bürgermeister der Beklagten am 2. Dezember 2008 unterzeichnet.

Unter dem 2. Dezember 2008 erteilte die Beklagte der Klägerin eine Baugenehmigung für den "Neubau einer Versandlagerhalle mit Sozial- und Bürotrakt". Die Baugenehmigung, die mit dem Hinweis darauf versehen ist, dass sie u. a. erlischt, wenn innerhalb von drei Jahren nach ihrer Erteilung mit der Ausführung der Baumaßnahme nicht begonnen worden ist, ist - neben weiteren - mit folgender Bedingung versehen:

"Von der Baugenehmigung kann erst dann Gebrauch gemacht werden, wenn der zwischen dem Vorhabenträger und der G. geschlossene öffentlich-rechtliche Vertrag wirksam geworden ist."

In § 1 Abs. 1 des Vertrages ist geregelt:

"Die Stadt verpflichtet sich, der GPG die Baugenehmigung, gemäß Stand: Vorentwurf vom 25. November 2008 für die Errichtung eines neuen Logistikzentrums auf Wunsch der GPG unverzüglich zu erteilen. Die Baugenehmigung steht unter der Bedingung, dass von ihr erst dann Gebrauch gemacht werden kann, wenn dieser Vertrag rechtswirksam ist."

Der Vertrag enthält ferner Regelungen, nach denen sich die Klägerin zur Ablösung des Abwasserbeitrags i. H. v. 788.771,60 EUR - berechnet nach der Abgabensatzung für die Abwasserbeseitigung der Beklagten in der Fassung vom 17. Dezember 2009 (im Folgenden: ABAS 2009) - verpflichtet und die Beklagte auf die Geltendmachung einer Vorausleistung verzichtet. Der einschlägige § 3 Abs. 2 des Vertrages lautet insoweit wie folgt:

"Der Schmutzwasserbeitrag wird gemäß § 6 Absatz 7 Niedersächsisches Kommunalabgabengesetz i. V. m. §§ 4, 5 und 10 der Abgabensatzung für die Abwasserbeseitigung der G. von der GPG in Höhe von 788.771,60 EUR […] abgelöst. Der Betrag wird mit Vorliegen der Voraussetzung für die Herstellung der öffentlichen Erschließungseinrichtungen gemäß vorstehendem § 1 Abs. 6 zur Zahlung fällig, ohne dass es einer weiteren Zahlungsaufforderung bedarf. Die Zahlung erfolgt an die Stadtentwässerung H. […]. Eine Vorausleistung der GPG auf die Beitragspflicht wird nicht erfolgen. Die Stadt bestätigt, dass damit die Beitragspflicht für die Herstellung der Schmutzwasserbeseitigungsanlage der Grundstücksflächen in dem Bebauungsplan 1/47 erfüllt ist. […]"

Der in dieser Regelung in Bezug genommene § 1 Abs. 6 des Vertrages macht die Herstellung der öffentlichen Erschließungseinrichtungen von einem unwiderruflichen Verzicht auf Rücktrittsrechte und der Leistung einer Kostenbeteiligung in Höhe von 975.000,00 EUR abhängig. Nach dem Vertrag sollte die Erschließung des Plangebiets durch die Beklagte gegen Kostenbeteiligung der Klägerin in Höhe von 975.000,00 EUR erfolgen. Mit der Kostenbeteiligung sollten die Erschließungsbeitragspflicht und die Kostenerstattungspflicht für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen abgegolten sein (§ 3 Abs. 1 des Vertrages). Eine Verpflichtung der Klägerin zur Durchführung des Projekts wurde ausgeschlossen; für den Fall der Nichtdurchführung wurde vorgesehen, dass die Klägerin die der Beklagten entstandenen Kosten für Planungs- und Gutachterleistungen bis zu einer Gesamthöhe von 50.000,00 EUR zu tragen hat. Weitere Ansprüche sollten ausgeschlossen sein (§ 4 des Vertrages). In § 4 Abs. 2 des Vertrages ist konkret geregelt:

"Jegliche Ansprüche weiterer Art sind im Falle der Nichtdurchführung des Projekts - soweit zulässig - ausgeschlossen. Insbesondere besteht auch weder ein Anspruch gegen die GPG auf Zahlung der Kostenbeteiligung gemäß § 2 Abs. 2 Satz 3 noch auf den Schmutzwasserbeitrag gemäß § 3 Abs. 2."

In § 5 Abs. 3 des Vertrages ist folgende salvatorische Klausel enthalten:

"Sollten einzelne Bestimmungen dieses Vertrages unwirksam sein oder unwirksam werden, berührt dies die Wirksamkeit der übrigen Regelungen dieses Vertrages nicht. Die Vertragsparteien verpflichten sich, unwirksame Bestimmungen durch solche zu ersetzen, die dem Sinn und Zweck des Vertrages rechtlich und wirtschaftlich entsprechen."

Die Beklagte stellte nach ihrer Darstellung im Jahre 2010 eine betriebsfertige Abwasseranlage in der Straße vor dem Grundstück her. Das in Aussicht genommene Projekt wollte die Klägerin allerdings letztendlich nicht mehr im Stadtgebiet der Beklagten, sondern in Hannover verwirklichen. Baumaßnahmen der Klägerin im Stadtgebiet der Beklagten erfolgten aufgrund dieser neuen Standortentscheidung nicht mehr.

Daraufhin kündigte die Beklagte unter dem 3. Juli 2012 wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage den Vertrag. Zur Begründung hob sie darauf ab, dass die mit dem Vertrag verfolgten Ziele der Schaffung einer Erweiterungsmöglichkeit für ein ortsansässiges Unternehmen und von ca. 1.000 neuen Arbeitsplätzen ganz offensichtlich nicht erreicht werden könnten. Sie - die Beklagte - habe nach wie vor ein Interesse, die Entwicklung des Vertragsgebietes durchzuführen; für den bereits geschlossenen städtebaulichen Vertrag werde jedoch keine Möglichkeit der Anpassung gesehen.

Unter dem 12. Juli 2012 hörte die Beklagte die Klägerin zu einer beabsichtigten Heranziehung zu einem Schmutzwasserbeitrag i. H. v. 788.771,60 EUR (128.737 m2 x 0,55 x 11,14 EUR/m2) an. Mit Bescheid vom 8. Oktober 2012 zog die Beklagte die Klägerin letztlich zu einer Vorausleistung auf den Schmutzwasserbeitrag i. H. v. von 88.789,91 EUR (10 % des voraussichtlich endgültigen Schmutzwasserbeitrags) heran. Dabei legte sie nach ihrer Abgabensatzung für die Abwasserbeseitigung in der Fassung vom 19. Dezember 2011 (im Folgenden: ABAS 2011) einen voraussichtlichen Beitrag in der Gesamthöhe von 887.899,08 EUR (128.737 m2 x 0,55 x 12,54 EUR/m2) - also einen höheren Beitragssatz als bei der Anhörung - zugrunde. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Vorausleistung erhoben werde, weil die rechtlichen Voraussetzungen zur Bebauung in Form eines Bebauungsplans geschaffen seien und auch die Abwasseranlage in der Straße vor dem Grundstück bereits betriebsfertig zur Verfügung stehe. Der Vertrag mit der Klägerin sei durch das Kündigungsschreiben vom 3. Juli 2012 wirksam gekündigt worden, so dass die in § 3 Abs. 2 des Vertrages geregelte Ablösevereinbarung der Erhebung der Vorausleistung gemäß der Abgabensatzung nicht entgegenstehe.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 9. November 2012 Anfechtungsklage erhoben; zugleich hat sie die Feststellung beantragt, dass der Vertrag nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 3. Juli 2012 beendet worden ist. Hinsichtlich des Feststellungsbegehrens ist das Verfahren mit Beschluss vom 19. November 2012 abgetrennt worden; der abgetrennte Verfahrensteil ist nunmehr unter dem Aktenzeichen 15 A 3987/14 (vormals 9 A 6586/12) anhängig. Einem am 23. Januar 2013 gestellten Antrag der Klägerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 8. Oktober 2012 anzuordnen, hat die erkennende Kammer mit Beschluss vom 29. Mai 2013 - 1 B 651/13 - entsprochen.

Zur Begründung ihrer Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend:

Es sei der Beklagten nach dem Vertrag untersagt, die Beitragspflicht der Klägerin durch Verwaltungsakt festzusetzen. Der Vertrag sei durch die Kündigungserklärung nicht wirksam gekündigt worden. Ein Wegfall der Geschäftsgrundlage sei zu verneinen, da der Fall der Nichtdurchführung des Projekts ausdrücklich im Vertrag geregelt worden und zudem klargestellt worden sei, dass die Klägerin jederzeit sanktionslos von der Durchführung des Projekts Abstand nehmen könne. Die daraus folgende Risikoverteilung habe die Beklagte bewusst in Kauf genommen. Im Falle der Wirksamkeit des Vertrages sei es der Beklagten von vornherein verboten, die Schmutzwasserbeitragspflicht der Klägerin durch Verwaltungsakt festzusetzen. Diese Entscheidungsform sei der Beklagten wegen der vertraglichen Ablösungsvereinbarung verwehrt. Aufgrund des Vertrages könne die Beklagte Vorausleistungen und Beitragszahlung von der Klägerin nicht mehr auf gesetzliche Ermächtigungsgrundlagen stützen, sondern ausschließlich auf der Grundlage des Vertrages verlangen.

Der Bescheid wäre allerdings selbst dann rechtswidrig, wenn der Vertrag wirksam gekündigt worden wäre. Eine Vorausleistung sei von der Durchführung der Maßnahmen abhängig, was der Klägerin nicht bekannt sei. Es sei nicht sicher erkennbar, ob durchgeführte Arbeiten tatsächlich dem Anschluss des Grundstücks der Klägerin an die Schmutzwasseranlage gedient hätten. Die Verlegung der Druckrohrleitung sei Teil einer Gesamtmaßnahme für die Erschließung von Gewerbegebieten nördlich der Autobahn gewesen. Sollte die Beklagte eigeninitiativ und ohne Abstimmung mit der Klägerin die Abwasseranlagen für das Grundstück hergestellt haben, so hätte sie diese nicht geschuldete Vorleistung auf eigenes Risiko erbracht. Die Klägerin habe auf den Grundstücken keinerlei Baumaßnahmen durchgeführt und gegenüber der Beklagten auch zu keinem Zeitpunkt den Beginn von Baumaßnahmen erklärt. Der vertraglich zu entrichtende Ablösungsbetrag wäre erst bei einem "Startschuss" der Klägerin für das Projekt fällig geworden. In jedem Falle seien indessen die niedrigeren Beitragssätze aus der Abgabensatzung vom 7. Dezember 2009 und nicht diejenigen aus der Abgabensatzung vom 19. Dezember 2011 maßgeblich. Auf die niedrigeren Beitragssätze habe die Klägerin auch vertrauen dürfen.

Die zu einem Verzicht auf die Beitragspflicht entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung seien auf einen Verzicht auf die Vorausleistungspflicht nicht übertragbar. Abgesehen davon stehe der Forderung einer Vorausleistung der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Es sei nicht nur auf die Forderung einer Vorausleistung verzichtet worden, sondern die Fälligkeitsvoraussetzungen seien vertraglich vereinbart worden. Das Recht zur Erhebung einer Vorausleistung sei zudem verwirkt und verjährt. Die Beklagte hätte unter Zugrundelegung ihrer eigenen Auffassung bereits seit 2009 eine Vorausleistung verlangen können; 2012 habe sie dies hingegen nicht mehr tun können. Arbeiten seien zudem teilweise bereits im Jahr 2001 erbracht worden, so dass hinsichtlich der Vorausleistung Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Ein Erhebungszwang bestehe im Hinblick auf Vorausleistungen nicht. Die Beklagte unternehme den gezielten Versuch, der Klägerin vertraglich zugesicherte Rechte nunmehr einseitig wieder zu entziehen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 8. Oktober 2012 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält der Klage im Wesentlichen entgegen:

Selbst für den Fall, dass die Kündigung des öffentlich-rechtlichen Vertrages nicht wirksam gewesen sein sollte, stünde dieser dem angefochtenen Bescheid nicht entgegen. Der Ausschluss der Zahlung eines Schmutzwasserbeitrages stelle einen unzulässigen Abgabenverzicht dar. Die Regelung in § 3 Abs. 2 Satz 3 des Vertrages stehe der Erhebung einer Vorausleistung durch Bescheid nicht entgegen, sondern stelle eher eine Ankündigung dar. Die Anschlussmöglichkeit des fraglichen Grundstücks sei seit der Fertigstellung im Jahre 2010 gegeben. Auch eine Bebaubarkeit sei gegeben. Die Voraussetzungen für das Entstehen der Beitragspflicht seien nur wegen der noch nicht gesicherten Erschließung bislang nicht vollständig erfüllt, so dass eine Ablösung des Abwasserbeitrages noch erfolgen könnte. Wenn es die Klägerin nach den Bestimmungen des Vertrages in der Hand habe, die Ablösungswirkung jederzeit herbeizuführen, auch wenn sie das Vorhaben noch nicht konkret verwirklichen wolle, sei sie bis dahin in keiner Weise schutzwürdig. Sie müsse damit rechnen, dass die Beitragspflicht entstehe und auch der Beitragssatz gestiegen sein könne. Hinsichtlich der öffentlichen Einrichtung der Abwasserentsorgung sei der Beklagten ein Aufwand entstanden. Die für die Abwasserentsorgung geltenden Satzungsregelungen könnten durch die vertraglichen Regelungen nur temporär modifiziert, nicht aber ausgehebelt werden. Die Klägerin habe es ausschließlich durch Zahlung in der Hand, die Abgabenerhebung auf der Grundlage des Vertrages abzuwickeln. Bis dahin könne der Beklagten das Recht zur Erhebung einer Vorausleistung nicht genommen werden. Ein Hindernis zur Erhebung einer Vorausleistung wäre erst gegeben, wenn die Klägerin im Rahmen der Ablösevereinbarung tatsächlich gezahlt hätte. Dann könne die Beitragspflicht wegen der Tilgungswirkung der Ablösung nicht mehr entstehen. Solange die Tilgungswirkung aber mangels Zahlung nicht eingetreten sei, möge die Beklagte keinen vertraglichen Anspruch auf eine Vorauszahlung haben; die gesetzlichen Regelungen und Satzungsbestimmungen könnten durch den Vertrag aber nicht ausgehebelt werden.

Ein unzulässiger Abgabenverzicht liege spätestens in dem Moment vor, in dem die Grundstückseigentümerin ihre Bauabsicht aufgebe. Ab diesem Moment könnte die Beitragspflicht nicht mehr entstehen, weil der Baubeginn nicht herbeigeführt werde. Dieser Abgabenverzicht würde dadurch vollständig, dass bis zu dem nicht absehbaren Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht auch keine Vorauszahlung erhoben werden könnte. Wenn sich die Beklagte entschließe, eine Entwässerungsleitung herzustellen, müsse sie auch in der Lage sein, in absehbarer Zeit die Refinanzierung zu sichern. Maßgeblich für die Höhe der Beitragspflicht sei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt ihrer Entstehung. Wenn die Klägerin sich einen günstigeren, niedrigeren Beitragssatz habe sichern wollen, hätte sie die Ablösevereinbarung erfüllen können.

Der Erhebung der Vorausleistung stehe auch nicht etwa entgegen, dass die Beitragspflicht infolge der Baugenehmigung entstanden sei. Die Baugenehmigung stehe unter der Bedingung der Wirksamkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrages. Soweit die Baugenehmigung nicht wirksam geworden sei, sei auch die Beitragspflicht nicht entstanden. Es käme daher auf die Wirksamkeit des Vertrages an.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat Erfolg. Der angegriffene Vorausleistungsbescheid der Beklagten vom 8. Oktober 2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, so dass er aufzuheben ist (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Zur Frage der Rechtmäßigkeit des Bescheides hat die Kammer bereits im Beschluss vom 29. Mai 2013 - 1 B 651/13 - ausgeführt:

"Der Bescheid des Antragsgegners vom 08. Oktober 2012 erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig.

Das Gericht kann dabei offen lassen, ob der oben genannte öffentlich-rechtliche Vertrag bei Erlass des streitigen Bescheides wirksam war.

Sollte das der Fall sein, steht der Heranziehung der Antragstellerin zu der Vorausleistung bereits die Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 4 des Vertrages entgegen. Darin heißt es: "Eine Vorausleistung auf die Beitragspflicht wird nicht erfolgen."

Danach hat die Antragsgegnerin auf die Geltendmachung einer Vorausleistung auf den Schmutzwasserbeitrag verzichtet. Ein unzulässiger Abgabenverzicht liegt darin nicht, weil sich die Beitragserhebungspflicht nur auf die Heranziehung zu dem Beitrag selbst nicht aber auf die im Ermessen der Gemeinde stehende Geltendmachung einer Vorausleistung erstreckt.

Sollte der öffentlich-rechtliche Vertrag unwirksam sein oder aufgrund der wirksamen Kündigung nicht mehr wirksam sein, ist die Geltendmachung ermessensfehlerhaft erfolgt. Die Antragsgegnerin geht nach ihrem Bescheid und der Katasterkarte davon aus, dass die Abwasseranlage vor dem Grundstück bereits im Jahre 2010 betriebsfertig zur Verfügung steht. Damit ist aber die Beitragspflicht nach § 7 Abs. 1 der ABAS  2009 bereits entstanden. Das Grundstück unterliegt auch der Beitragspflicht nach § 3 Abs. 1 a) ABAS 2009, weil es an die öffentliche Abwasseranlage angeschlossen werden konnte, aufgrund des Bebauungsplanes 1/47 „westlich Gutenbergstraße“ - in Kraft getreten am 19. November 2009 - eine bauliche oder gewerbliche Nutzung festgesetzt ist und es im Hinblick auf die Baugenehmigung vom 2. Dezember 2008 baulich genutzt werden durfte. Unbeachtlich sind dabei aber die Gesichtspunkte, dass die Erschließung nicht gesichert sei und die Baugenehmigung wegen der Nichtausnutzung außer Kraft getreten ist. Die Baugenehmigung steht nicht unter dem Vorbehalt einer noch zu errichtenden Erschließung. Eine nach § 30 Abs. 1 BauGB erteilte Baugenehmigung setzt die Sicherung der Erschließung voraus. Das mittlerweile eingetretene Erlöschen der Baugenehmigung nach § 71 Satz 1 NBauO ändert an der einmal eingetreten Beitragspflicht nichts mehr.

Die Antragsgegnerin war danach nicht mehr berechtigt einen Vorausleistungsbescheid zu erlassen. Er erweist sich als ermessensfehlerhaft. Bei der Ausübung ihres Ermessens über die Frage, ob Vorausleistungen erhoben werden sollen, muss sich die Antragsgegnerin an dem Zweck der betreffenden Ermächtigungsgrundlage in § 6 Abs. 7 NKAG i. V. m. § 8 ABAS 2009 orientieren, ein bestehendes Vorfinanzierungsbedürfnis zu decken. Ein durch einen Vorausleistungsbescheid zu befriedigendes Vorfinanzierungsinteresse besteht dann nicht mehr, wenn die Beitragspflicht bereits entstanden ist. Dann erfolgt nämlich die Leistung entgegen § 6 Abs. 7 NKAG nicht mehr auf eine künftige, sondern auf eine bereits entstandene Beitragsschuld. Die Antragsgegnerin hat ihre Ermessensausübung somit nicht hinreichend am beschriebenen Zweck der Ermächtigungsgrundlage ausgerichtet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Nds. OVG kommt eine Umdeutung eines - wie hier nach summarischer Prüfung - fehlerhaften Vorausleistungsbescheids in einen endgültigen Beitragsbescheid nicht in Betracht, weil beide Bescheide nicht auf das gleiche Ziel gerichtet sind (dazu § 11 Abs. 1 Nr. 3b NKAG i.V.m. § 128 Abs. 1 AO, Nds. OVG, Beschluss vom 17. Dezember 1998 - 9 L 4721/98 - und 21. Dezember 2010 - 9 ME 127/10 - V.n.b.; OVG Lüneburg, Urteil vom 8. November 1988 - 9 OVG A 11/87 - juris)."

2. Diese Erwägungen erweisen sich auch nach nochmaliger Überprüfung im Klageverfahren als zutreffend:

a) Sollte der Vertrag bei Erlass des streitigen Bescheides wirksam gewesen sein, stünde der Erhebung der Vorausleistung bereits die Regelung in dessen § 3 Abs. 2 Satz 4 entgegen, welche der Beklagten die Möglichkeit versperrt, eine Vorausleistung auf den endgültigen Beitrag zu erheben. Der Auffassung der Beklagten, dass diese Regelung nur eine Art "Ankündigung" ohne bindenden Charakter darstellen sollte, von der sie später auch abweichen dürfe, vermag die Kammer nicht zu folgen. Ein Vertragsverständnis, das einzelne nach Wortlaut und Regelungszweck an sich klare Regelungen als unverbindlich einstuft, verbietet sich. Da die Erhebung von Vorausleistungen im Ermessen der Beklagten steht (§ 6 Abs. 1 Satz 1 NKAG), liegt in dem vertraglichen Verzicht auf dieses Vorfinanzierungsinstrument auch kein unzulässiger Abgabenverzicht.

b) Unabhängig von der Frage der (materiellen) Wirksamkeit des Vertrages steht der erfolgten Erhebung einer Vorausleistung jedenfalls entgegen, dass unter Zugrundelegung der eigenen Auffassung der Beklagten zum Bau der Abwasserbeseitigungseinrichtung die (endgültige) sachliche Beitragspflicht bereits vor dem Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides entstanden war:

aa) Die Kammer teilt nicht die Auffassung der Beklagten, dass sich aus einer (etwaigen) Unwirksamkeit des Vertrages ableiten ließe, dass auch die Baugenehmigung nicht wirksam geworden sei und deshalb die Beitragspflicht nicht habe entstehen können. Sowohl die Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 2 des Vertrages als auch die mit dieser Vertragsbestimmung korrespondierende Bedingung in der Baugenehmigung haben ersichtlich nur die äußere Wirksamkeit bzw. das "Wirksamwerden" des Vertrages im Blick, nicht aber die Frage der materiell-rechtlichen Wirksamkeit einzelner Vertragsregelungen oder des Vertrages insgesamt. Die vertragliche Regelung und die aufschiebende Bedingung (§ 1 Abs. 1 Nds. VwVfG i. V. m. § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG) in der Baugenehmigung sollten erkennbar (nur) einen "Gleichklang" zwischen dem Vertrag und der Baugenehmigung dergestalt gewährleisten, dass die Ausnutzbarkeit der Baugenehmigung von der Vertragsunterzeichnung seitens der Vertragsparteien abhängen sollte. Deshalb nimmt der Vertrag Bezug auf den Vorentwurf der Baugenehmigung vom 25. November 2008. Ein Verständnis der der Baugenehmigung beigefügten Bedingung oder der korrespondierenden vertraglichen Regelung dahingehend, dass die Baugenehmigung als niemals wirksam geworden anzusehen sein soll, wenn sich zu einem späteren Zeitpunkt eine Unwirksamkeit des Vertrages aus materiell-rechtlichen Gründen herausstellen sollte, hält die Kammer für fernliegend. Nebenbestimmungen zu einem Verwaltungsakt müssen ihren Regelungsgehalt aus sich heraus oder zumindest im Kontext mit anderen Regelungen des Verwaltungsakts erkennen lassen. Stellt man dies in Rechnung, lässt sich die Bedingung unter Nr. 1 nur dahingehend verstehen, dass eine Ausnutzung der Baugenehmigung ohne Unterzeichnung des Vertrages verhindert werden sollte. Eine Unterzeichnung ist indessen Ende November/Anfang Dezember 2008 erfolgt. Damit ist die aufschiebende Bedingung verwirklicht worden und die Baugenehmigung wirksam geworden. Ihr weiteres "rechtliches Schicksal" sollte nach der Nebenbestimmung Nr. 1 nicht von einer später erkannten Unwirksamkeit des Vertrages oder einer Kündigung desselben abhängen. Ein abweichendes Verständnis der der Baugenehmigung beigefügten Bedingung Nr. 1 würde sich als Nichtigkeitsregelung praeter legem darstellen und verbietet sich auch deshalb.

Die Wirksamkeit der Baugenehmigung ist "aus sich heraus" zu beurteilen, da die Wirksamkeit eines Verwaltungsakts nicht von den Regelungen eines (öffentlich-rechtlichen) Vertrages abhängen kann. Selbst wenn man es demgegenüber für möglich hielte, dass die vertragliche Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 2 Auswirkungen auf die Baugenehmigung haben könnte, würde sich an dem Ergebnis nichts ändern. Auch dieser Bestimmung lässt sich nämlich keineswegs entnehmen, dass die Baugenehmigung von Anfang an unwirksam sein soll, wenn sich herausstellen sollte, dass infolge der Unwirksamkeit einzelner Vertragsklauseln der gesamte Vertrag unwirksam ist. Auch die vertragliche Regelung sollte erkennbar lediglich den "Gleichklang" zwischen dem Vertrag und der Baugenehmigung gewährleisten. Zudem enthält § 5 des Vertrages in Gestalt einer salvatorischen Klausel ausdrückliche Regelungen, die eine sich nach Vertragsschluss herausstellende Unwirksamkeit des Vertrages betreffen. Die Regelung gibt den Vertragsparteien vor, einzelne unwirksame Regelungen durch zweckentsprechende Neuregelungen zu ersetzen. Vereinbart worden ist mithin eine möglichst weitgehende Geltungserhaltung oder -wiederherstellung für den Fall einer sich später herausstellenden Unwirksamkeit der vertraglichen Regelungen. Diese vereinbarte Geltungserhaltung oder -wiederherstellung lässt nur ein Verständnis zu, dass die einmal erteilte und infolge der allseitigen Vertragsunterzeichnung auch wirksam gewordene Baugenehmigung nicht etwa von einer später erkannten Unwirksamkeit des Vertrages "infiziert" werden sollte. Eine gegenteilige Sichtweise hätte zur Folge, dass eine aufgrund einer erteilten Baugenehmigung errichtete bauliche Anlage nachträglich durch die erkannte Unwirksamkeit begleitender vertraglicher Abreden formell illegal - also gleichsam ein "Schwarzbau" - werden könnte. Dies kann nicht ernsthaft als von den Vertragsparteien beabsichtigt angesehen werden.

bb) Aufgrund der zuvor wirksam gewordenen Baugenehmigung ist bei der betriebsfertigen Herstellung der Abwasserbeseitigungsanlage im Jahre 2010 vor dem in Rede stehenden Baugrundstück - von der die Beklagte ausgeht - die sachliche Beitragspflicht entstanden und die Erhebung einer Vorausleistung unzulässig geworden.

Eines tatsächlichen Baus (auch) der Erschließungsanlagen im Plangebiet bedurfte es für die Erfüllung des satzungsrechtlichen Tatbestandsmerkmals "sobald das Grundstück bebaut oder gewerblich genutzt werden darf" (§ 3 Abs. 1 Buchst. a) ABAS) nicht. Die erteilte und insoweit nicht mit einem Vorbehalt versehene Baugenehmigung "kompensiert" das fehlende Vorhandensein solcher Erschließungsanlagen. Satzungsrechtliche Voraussetzung ist allein, dass das Grundstück bebaut oder baulich genutzt werden "darf", was im Falle einer wirksamen Baugenehmigung für ein im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegendes Grundstück auch dann nicht (mehr) verneint werden kann, wenn der Verwirklichung des Bauvorhabens wegen fehlender oder unzureichender Erschließung (überwindbare) tatsächliche Hindernisse entgegenstehen. Rechtliche Hindernisse sind durch die Baugenehmigung ausgeräumt. Der vorliegende Fall unterscheidet sich wegen der bereits erteilten Baugenehmigung maßgeblich von anderen Konstellationen, in denen in einem Baugebiet wegen noch fehlender Erschließung oder deren Sicherung eine Bebaubarkeit des Beitragsgrundstücks nicht angenommen werden kann (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 23.11.2007 - 4 L 202/05 -, juris Rn. 20 m. w. N.; Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: März 2014, § 8 Rn. 1055). Auch ist der Fall nicht vergleichbar mit der Konstellation der Erteilung einer Baugenehmigung für ein Außenbereichsgrundstück, die keine Baulandqualität des Grundstücks zur Folge haben soll (vgl. Driehaus, a. a. O, § 8 Rn. 1032).

Selbst wenn man mit der Klägerin die betriebsfertige Herstellung der Abwasserbeseitigungseinrichtung vor dem klägerischen Grundstück für zweifelhaft hielte, weil die baulichen Maßnahmen eigentlich einem anderen Zweck gedient haben könnten, ergäbe sich nichts anderes: Die Beklagte kann nicht ermessensfehlerfrei eine Vorausleistung verlangen, wenn sie selbst von der betriebsfertigen Herstellung der beitragspflichtigen Anlage ausgeht. Dass die Beklagte irrtümlich davon ausgegangen sein mag, dass trotz der von ihr angenommenen betriebsfertigen Herstellung der Abwasserbeseitigungsanlage die Beitragspflicht noch nicht entstanden sei, würde den Ermessensfehler nicht relativieren können.

Eine Vorausleistung auf eine künftig entstehende Beitragsschuld (vgl. § 6 Abs. 7 NKAG) konnte daher nach 2010 nicht mehr in rechtmäßiger Weise erhoben werden. Die Erhebung von Vorausleistungen ist auch nicht etwa ein probates Mittel dafür, nach Entstehung der sachlichen Beitragspflicht zunächst nur einen Teil eines entstandenen Abwasserbeitrags geltend zu machen. Insoweit hält § 6a NKAG gerade bei leitungsgebundenen Einrichtungen für bestimmte Fallgestaltungen die Möglichkeit der Stundung vor. Es ist aber nicht möglich, zu Vorausleistungen heranzuziehen, wenn ein Beitragspflichtiger - aus welchen Gründen auch immer - mit einer entstandenen und fällig gewordenen Beitragsschuld wirtschaftlich zunächst nur teilweise belastet werden soll. Ein entsprechender Eindruck kann sich hier insbesondere aus dem Umstand ergeben, dass die Klägerin zunächst zum beabsichtigten Erlass eines (endgültigen) Beitragsbescheides angehört wurde, dann aber tatsächlich eine Vorausleistung erhoben wurde.

cc) Die - auch seitens des Gerichts mögliche - Umdeutung des 2012 erlassenen Vorausleistungsbescheides in einen (endgültigen) Beitragsbescheid scheidet nach § 11 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) NKAG i. v. m. § 128 AO aus. Zu dem bereits im Eilverfahren genannten Grund kommt hinzu, dass es in Anbetracht der erfolgten Anhörung zur Erhebung eines endgültigen Beitrags eine bewusste Entscheidung der Beklagten war, stattdessen eine Vorausleistung zu erheben, so dass eine Umdeutung der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche (§ 11 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) NKAG i. V. m. § 128 Abs. 2 Satz 1 AO). Außerdem wären die Rechtsfolgen eines endgültigen Beitragsbescheides für den Betroffenen ungünstiger als die eines Vorausleistungsbescheides (vgl. OVG Rheinl.-Pf., Urt. v. 01.04.2003 - 6 A 10778/02 -, juris Rn. 24).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 709 ZPO.