Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.04.2010, Az.: 14 K 104/09
Bestandskräftige Ablehnung eines Kindergeldanspruchs durch Auszahlung des Kindergeldes ab November 1997 für vorangegangene Zeiträume
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 29.04.2010
- Aktenzeichen
- 14 K 104/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 27448
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2010:0429.14K104.09.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 09.02.2012 - AZ: III R 45/10
Rechtsgrundlagen
- § 66 Abs. 2 EStG
- § 66 Abs. 3 EStG
Bestandskräftige Ablehnung eines Kindergeldanspruchs durch Auszahlung des Kindergeldes ab November 1997 für vorangegangene Zeiträume
Tatbestand
Der Kläger ist vietnamesischer Staatsangehöriger. Am 17.11.1997 erteilte ihm der Landkreis O. eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Hiernach war dem Kläger eine arbeitserlaubnispflichtige Erwerbstätigkeit nur gem. gültiger Arbeitserlaubnis gestattet. Auf seinen Antrag vom 20.11.1997 verfügte die Beklagte mit Kassenanordnung vom 07.01.1998 die Kindergeldzahlung für die beiden Kinder des Klägers ab November 1997. Mit Schreiben vom 20.07.2008 beantragte der Kläger "unter Berücksichtigung des § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO die Zahlung von Kindergeld für den Zeitraum von 9/1993 bis 11/1997". Die Beklagte lehnte den Antrag unter Hinweis auf die vierjährige Verjährungsfrist des § 169 AO mit Bescheid vom 30.09.2008 ab.
Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die Beklagte mit Einspruchsbescheid vom 26.02.2009 als unbegründet zurück. Mit der Entscheidung vom 07.01.1998 sei dem Kläger Kindergeld ab November 1997 bestandskräftig für seine beiden Kinder festgesetzt worden. Sowohl die Antragstellung als auch die Antragsprüfung seien nicht ausdrücklich für einen begrenzten Zeitraum erfolgt, so dass mit der Festsetzung vom 07.01.1998 auch für vorangegangene Monate abschließend entschieden worden sei. Die damalige Festsetzung sei bestandskräftig geworden. Eine erneute Antragsprüfung habe deshalb unter Berücksichtigung der Festsetzungsverjährung zu erfolgen. Der Bestandskraft der Entscheidung stehe auch nicht die später geänderte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) entgegen. Die Festsetzungsfrist für Ansprüche aus dem Jahr 1997 laufe vom 01.01.1998 bis 31.12.2001. Bei Eingang des Antrags am 23.07.2008 sei diese Frist bereits abgelaufen gewesen.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der der Kläger sein bisheriges Begehren weiterverfolgt. Entgegen der Auffassung der Beklagten habe er einen Anspruch auf rückwirkende Leistung zumindest für die Zeiträume von Mai 1997 bis Oktober 1997 (ungeregelter Zeitraum) gem. § 66 Abs. 3 EStG a.F. Eine bestandskräftige Kindergeldfestsetzung für diesen Zeitraum liege schon deshalb nicht vor, weil er - der Kläger - diesen Zeitraum nicht als materiellen Regelungsgehalt der Kindergeldfestsetzung habe verstehen können. Entsprechend seien über den streitigen Zeitraum in dem damaligen Festsetzungsbescheid v. 07.01.1998 auch keine Aussagen getroffen worden. Demzufolge sei auch keine Festsetzungsverjährung eingetreten. Vielmehr sei der damalige Kindergeldantrag vom 20.11.1997 entsprechend der seinerzeitigen Rechtslage noch zu bescheiden und zwar - da die materiellen Voraussetzungen vorlägen - zu seinen Gunsten.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Ablehnungsbescheids v. 30.09.2008 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung v. 26.02.2009 zu verpflichten, dem Kläger für seine beiden Kinder Kindergeld für den Zeitraum von Mai 1997 bis Oktober 1997 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach § 66 Abs. 2 EStG werde das Kindergeld vom Beginn des Monats an gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen. Daraus ergebe sich die Pflicht der Beklagten, einen Antrag auf Festsetzung von Kindergeld (§ 67 EStG), der keine ausdrückliche zeitliche Einschränkung enthalte, umfassend und damit auch für die Vergangenheit zu prüfen. Der Kindergeldantrag des Klägers vom 20.11.2007 habe keine ausdrückliche zeitliche Einschränkung beinhaltet und sei seinem objektiven Inhalt nach dahin zu verstehen, dass die Kindergeldfestsetzung auch für die Vergangenheit verlangt werde. Vor diesem Hintergrund sei die Kindergeldfestsetzung vom 07.01.1998 als bis zum Zeitpunkt der Verjährung rückwirkende Ablehnung anzusehen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Zu Recht hat es die Beklagte im vorliegenden Fall abgelehnt, dem Kläger Kindergeld für seine beiden Kinder für den Zeitraum Mai bis Oktober 1997 zu gewähren.
1.
Nach § 66 Abs. 2 EStG wird das Kindergeld vom Beginn des Monats an gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen. Daraus ergibt sich die Pflicht der Behörde, einen Antrag auf Festsetzung von Kindergeld (§ 67 EStG), der keine ausdrückliche zeitliche Einschränkung enthält, umfassend und damit auch für die Vergangenheit zu prüfen.
Zwar ist § 66 Abs. 3 EStG, wonach Kindergeld rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats gezahlt wird, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist, letztmals für das Kalenderjahr 1997 anzuwenden (vgl. § 52 Abs. 32b EStG i.d.F. des Ersten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 16. Dezember 1997 - BGBl. I 1997, 2970), so dass Kindergeld auf einen nach dem 31.12.1997 gestellten Antrag rückwirkend längstens bis einschließlich Juli 1997 gezahlt werden kann. Jedoch kann Kindergeld unter Berücksichtigung der Festsetzungsverjährung (vgl. § 31 S. 3 EStG i.V.m. §§ 37 Abs. 1, 155 Abs. 4, 169 AO) auch weiterhin nur für einen begrenzten Zeitraum rückwirkend gewährt werden.
Bei dieser Sachlage wäre es aber bei einem auch für die Vergangenheit berechtigten Antrag auf Kindergeld nicht verständlich, wenn die Familienkasse das Kindergeld nur für die Zukunft festsetzen und dem Antragsteller im Laufe des weiteren Verfahrens entgegenhalten würde, dass eine Festsetzung für die Vergangenheit ausdrücklich hätte beantragt werden müssen und daher nunmehr insoweit teilweise Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Dies spricht nach Auffassung des BFH dafür, auch nach Wegfall des § 66 Abs. 3 EStG einen Kindergeldantrag, der keine ausdrückliche zeitliche Einschränkung enthält, seinem objektiven Inhalt nach dahin zu verstehen, dass die Kindergeldfestsetzung auch für die Vergangenheit begehrt wird. Sollte ein Antragsteller abweichend von der regelmäßigen Interessenlage einen Grund dafür haben, zunächst kein Kindergeld für die Vergangenheit zu beantragen, bleibt es ihm nach Ansicht des BFH unbenommen, in einem solchen Ausnahmefall einen entsprechenden Antrag ausdrücklich nur für die Zukunft zu stellen (BFH-Urteil vom 28.01.2004 VIII R 12/03, BFH/NV 2004, 786). Dem schließt sich der erkennende Senat an.
Der BFH hat diese Rechtsgrundsätze auf einen die Festsetzung von Kindergeld ablehnenden Bescheid angewandt. Die Grundsätze müssen jedoch nach Auffassung des Senats auch in Fällen angewandt werden, in denen - wie im Streitfall - einem Antrag auf Gewährung von Kindergeld stattgegeben wird. Dabei macht es nach Ansicht des Gerichts keinen Unterschied, ob dem Antragsteller in diesem Zusammenhang ein schriftlicher Bescheid erteilt worden ist oder ob die Kindergeldzahlung - wie vorliegend - lediglich durch bloße Kassenanordnung verfügt worden ist.
2.
Im Streitfall enthielt der vom Kläger am 20.11.1997 gestellte Kindergeldantrag keine entsprechende Einschränkung. Der Kläger durfte daher bei verständiger Würdigung den Regelungsgehalt der Entscheidung der Beklagten, ihm Kindergeld für den Zeitraum ab November 1997 zu gewähren, nur dahin verstehen, dass die Behörde damit zugleich einen Anspruch auf Gewährung von Kindergeld auf davor liegende Zeiträume verneint hat. Maßgeblich ist insoweit der Empfängerhorizont des Klägers. Es wäre Sache des Klägers gewesen, diese (Teil)-Ablehnung innerhalb der Rechtsbehelfsfrist anzufechten. Da er dies unterlassen hat, und zwischenzeitlich überdies Festsetzungsverjährung eingetreten ist, muss es bei der von der Beklagten getroffenen Entscheidung verbleiben.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
4.
Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert (s. gegenteilige Entscheidung des FG Münster, Urteil vom 5.11.2009 11 K 4246/08 Kg, EFG 2010, 489; Revision beim BFH anhängig unter dem Az. III R 2/10).